1. Teil (nicht Anfang)
Zweiter Teil Dritter Teil |
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Pergamenthandschrift, 14. Jahrhundert, Basel Öffentliche Bibliothek der Universität, B IX 15, f. 1r. Quelle: homo doctus - homo sanctus [Stadtmuseum, S. 60] [16.8.05]
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Dreierlei Betrübnis Aufbau des Buches Über das Gute und die Gutheit Das Gute an sich Geboren von und aus Gott allein Wahren Trost findet der Mensch in der Lehre des Evangeliums Alles Leid kommt daher, daß du nicht vollständig in Gott bist; entbilde dich von allem Gib dein Leben fröhlich hin für die Gerechtigkeit Den wahrhaft Gerechten betrübt kein Leid - sonst ist er nicht gerecht Alles, was nicht Gott ist, hat Bitterkeit, Untrost und Leid Aller Trost kommt nur von Gott. Ich leide, weil ich das Leid liebe Gott und die Natur lassen es nicht zu, daß es pures Böses oder Leid geben könne Freue dich an dem was du hast und beklage nicht, was du verloren hast Vergiß die, denen es besser geht und gedanke derer, die übler dran sind Alles Leid kommt her von Liebe und Zuneigung Leid aus Gier, Gott UND die Kreatur besitzen zu wollen Wer Trost bei der Kreatur findet, ist (noch) nicht bei Gott Der gute Mensch soll nicht klagen Solange du durch so kleine Dinge leidest, bist du kein himmlischer Mensch Alles, was von Gott kommt, ist notwendig gut und das Beste Gib mir den Willen, nach deinem Willen zu wollen Dem guten Menschen ist alles Gottes Wille und damit gut Das Vaterunser. Gott will, daß ich Sünde getan habe Mit Gnade und Gutheit bin ich allzeit völlig getröstet - so oder so Ein Mensch verliert ein Auge. Laß alle Menschen und Dinge und gehe ein in Gott Der gute Mensch kann die Kreatur lieben ohne von Gott zu lassen Der willig Gottes Wille annimmt, wird sicherlich getröstet Sich selbst für immer selig machen Wahrlich, Leid verlieren ist ein echter Trost Gottes Wort: unser Leid wird in Freude verwandelt Du mußt leer werden, um Gott völlig in dich aufnehmen zu können Sei ledig aller Kreaturen, finde vollen Trost in Gott Zwei als Eins ergibt Liebe Das Gleichnis vom Feuerfunken Eins werden in und mit Gott, nicht nur vereint Das Gleichnis von dem Feuer, das sich das Holz gleich macht Die Seele haßt die Gleichheit, sofern sie Unterschiedenheit in sich trägt Der Mensch ist ungetröstet, weil er fern von Gott ist Think positive Mensch hat nichts als Bosheit und Gebresten; das Gute leiht ihm der Herr Was klagst du, wenn Gott dir das Geliehene wieder nimmt Die Lehre vom inneren Werk der Tugend Das innere Werk des Steins Die ganze Seligkeit der Tugend liegt im Leiden um Gottes willen Gottes um Gottes willen entbehren Über das innere und äußere Werk und das Einssein in Gott-Vater-Sohn-und-Heiliger-Geist Sohn und Vater Heilige und grobsinnige Leute Liebe Gott um seiner selbst willen Gott erschafft die Welt ohne Unterlaß Vom edlen Menschen Verleugne dich selbst und hebe dein Kreuz auf Werde Sohn Suche das Eine im Einen Die Natur will stets etwas Besseres schaffen Wer Gottes Sohn sein will, muß leiden Der Herr prüft seine Knechte Glaubensprüfung Jesus Ein Mensch gibt doch sein Gut hin Der Freund Erstens. Geduld im Leiden um Gottes willen Zweitens. Laß es dir genügen an Gott Gib mir Leid, damit ich bei dir bin Drittens. Leiden soll uns sein Wonne und Trost Viertens. Geteiltes Leid ist halbes Leid Fünftens. Gott leidet um meinetwillen aus Liebe zu mir Sechstens. Der Mensch wirke seine Werke um Gottes willen Um Gottes willen Ein guter Mensch Siebtens. Gott leidet mit dem guten Menschen in dessen Leiden um Gott Leidet um Gottes willen! Der gute Mensch leidet um Gottes willen in Gott Grobsinnige Leute. Guten Menschen ist Leid großes Glück und Seligkeit Davids Schmähung Gnade des willigen Leidens Lieber krank mit Gottes Liebe als gesund ohne sie Die gesamte Schöpfung ist gegen Gott weniger als eine Bohne gegen die ganze körperliche Welt Kümmert euch nicht um vergängliche Dinge Die fromme Frau und ihre sieben Söhne: leiden um Gottes willen Der gute Mensch erleidet willig Verteidigung der Wahrheit seiner Worte Die Wahrheit innerlich erkennen Soll man nicht ungelehrte Leute lehren, so wird niemals wer gelehrt Gott gebe, das wir die Wahrheit in uns finden | |
Anmerkung | [8.2.06] |
Benedictus deus et pater domini nostri Jesu Christi etc.
(2 Kor. 1,3 f.)
Überschriften: das buoch der goetlichen trostung / Disz kostlich buoch jnnhalt vsz der massen / vil trostung wider aller hant betruebpnisz / so den menschen anfallent an sinem guot / an sinen frunden vnd an jm selber an schma- / cheit an vngemach vnd an schmertzen / des libs vnd hertzleid Gezogen vsz vi- / lerlei spruch der götlichen lerer vnd / der heiligen exempel geteilt in drij teil etc. (Vorsetzblatt Ba2) [DW 5, S. 8]
Der edel apostel sant Paulus sprichet disiu wort alsô: »gesegenet sî got und der vater unsers herren Jêsû Kristî, ein vater der barmherzicheit und got alles trôstes, der uns trœstet in allen unsern betrüepnissen«. Drîerleie betrüepnisse ist, daz den menschen rüeret und drenget in disem ellende. Einez ist an dem schaden ûzerlîches guotes. Daz ander ist an sînen mâgen und an sînen vriunden. Daz dritte ist an im selben an smâcheit, an ungemache und an smerzen des lîbes und an leide des herzen.
Der edle Apostel Sankt Paulus spricht diese Worte: »Gesegnet sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, ein Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, der uns tröstet in allen unsern Betrübnissen.« Es gibt dreierlei Betrübnis, die den Menschen anrührt und bedrängt in diesem Elend. Die eine kommt aus dem Schaden an äußerem Gut, die andere aus dem Schaden, der seinen Verwandten und Freunden zustößt, die dritte aus dem Schaden, der ihm selbst widerfährt in Geringschätzung, Ungemach, körperlichen Schmerzen und Herzensleid.
Herumbe hân ich willen ze schrîbenne an disem buoche etlîche lêre, in der sich der mensche trœsten mac in allem sînem ungemache, betrüepnisse und leide, und hât diz buoch driu teil. In dem êrsten hât man etlîche wârheit, dar ûz und dâ von genomen wirt, daz den menschen billîche und wol genzlîche getrœsten mac und sol in allem sînem leide. Dar nâch vindet man hie bî drîzic sachen und lêren, in der man sich in ieglîcher wol und ganze getrœsten mac. Her nâch vindet man in dem dritten teile dis buoches bilde an werken und an worten, diu wîse liute hânt getân und gesprochen, als sie wâren in lîdenne.
Hierum bin ich willens, in diesem Buche etliche Lehre niederzuschreiben, mit der sich der Mensch trösten kann in allem seinem Ungemach, Trübsal und Leid. Und dies Buch hat drei Teile. In dem ersten findet man diese und jene Wahrheit, aus der und von der zu entnehmen ist, was den Menschen füglich und gänzlich trösten kann und wird in allem seinem Leid. Danach findet man hier etwa dreißig Stücke und Lehren, in deren jeglicher man recht und völlig Trost zu finden vermag. Hiernach findet man im dritten Teile dieses Buches Vorbilder in Werken und Worten, die weise Leute getan und gesprochen haben, als sie im Leiden waren.
1.
Von dem êrsten sol man wizzen, daz der wîse und wîsheit, wâre und wârheit, gerehte und gerehticheit, guote und güete sich einander anesehent und alsô ze einander haltent: diu güete enist noch geschaffen noch gemachet noch geborn; mêr si ist gebernde und gebirt den guoten, und der guote, als verre sô er guot ist, ist ungemachet und ungeschaffen und doch geborn kint und sun der güete. Diu güete gebirt sich und allez, daz si ist, in dem guoten; wesen, wizzen, minnen und würken giuzet si alzemâle in den guoten, und der guote nimet allez sîn wesen, wizzen, minnen und würken von dem herzen und innigesten der güete und von ir aleine. Guot und güete ensint niht wan úin güete al ein in allem sunder gebern und geborn-werden; doch daz gebern der güete und geborn-werden in dem guoten ist al ein wesen, ein leben. Allez, daz des guoten ist, daz nimet er beidiu von der güete und in der güete. Dâ ist und lebet und wonet er. Dâ bekennet er sich selben und allez, daz er bekennet, und minnet allez, daz er minnet, und würket mit der güete in der güete und diu güete mit im und in im alliu ir werk nâch dem, als geschriben ist und sprichet der sun: »der vater in mir inneblîbende und wonende würket diu werk«. »Der vater würket biz nû, und ich würke«. »Allez, daz des vaters ist, daz ist mîn, und allez, daz mîn und mînes ist, daz ist mînes vaters: sîn gebende und mîn nemende.«
Zum ersten muß man wissen, { daß der Weise und die Weisheit, der Wahre und die Wahrheit, der Gerechte und die Gerechtigkeit, der Gute und die Gutheit aufeinander Bezug nehmen und sich wie folgt zueinander verhalten: Die Gutheit ist weder geschaffen noch gemacht noch geboren; jedoch ist sie gebärend und gebiert den Guten } [vgl. Proc. col. I. n. 2], und {der Gute, insoweit er gut ist, ist ungemacht und ungeschaffen und doch geborenes Kind und Sohn der Gutheit. } [vgl. Proc. col. I. n. 3] { Die Gutheit gebiert sich und alles, was sie ist, in dem Guten: Sein, Wissen, Lieben und Wirken gießt sie allzumal in den Guten, und der Gute empfängt sein ganzes Sein, Wissen, Lieben und Wirken aus dem Herzen und Innersten der Gutheit und von ihr allein. } [vgl. Proc. col. I. n. 4] { Der Gute und die Gutheit sind nichts als eine Gutheit, völlig eins in allem, abgesehen vom Gebären (einerseits) und Geboren-Werden (anderseits); indessen ist das Gebären der Gutheit und das Geboren-Werden in dem Guten völlig ein Sein, ein Leben. Alles, was zum Guten gehört, empfängt er von der Gutheit in der Gutheit. Dort ist und lebt und wohnt er. Dort erkennt er sich selbst und alles, was er erkennt, und hebt er alles, was er liebt, und wirkt er mit der Gutheit in der Gutheit und die Gutheit mit und in ihm alle ihre Werke gemäß dem, wie geschrieben steht und der Sohn sagt: »Der Vater wirkt in mir bleibend und wohnend die Werke« (Joh. 14,10). »Der Vater wirkt bis nun, und ich wirke« (Joh. 5‚17). »Alles, was des Vaters ist, das ist mein, und alles, was mein und des Meinen ist, das ist meines Vaters: sein im Geben und mein im Nehmen« (Joh. 17,10) } [vgl. Proc. col. I. n. 5].
Noch sol man wizzen, daz der name oder daz wort, sô wir sprechen »guot«, nennet und besliuzet in im niht anders, noch minner noch mê, wan blôze und lûter güete; doch gibet ez sich. Sô wir sprechen »guot«, sô vernimet man, daz sîn güete ist im gegeben, îngevlozzen und îngeborn von der ungebornen güete. Dar umbe sprichet daz êwangelium: »als der vater hât daz leben in im selben, alsô hât er gegeben dem sune, daz er ouch habe daz leben in im selben«. Er sprichet »in im selben«, niht »von im selben«, wan der vater hât ez im gegeben.
{ Weiterhin muß man wissen, daß, wenn wir vom »Guten« sprechen, der Name oder das Wort nichts anderes bezeichnet und in sich schließt, und zwar nicht weniger und nicht mehr, als die bloße und lautere Gutheit; jedoch meint man dann das Gute, sofern es die sich gebende (gebärende) Gutheit ist. Wenn wir vom »Guten« sprechen, so versteht man dabei, daß sein Gutsein ihm gegeben, eingeflossen und eingeboren ist von der ungeborenen Gutheit. Darum sagt das Evangelium: »Wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er dem Sohn gegeben, daß auch er das Leben in sich selbst habe« (Joh. 5,26). Er sagt: »in sich selbst«, nicht: »von sich selbst«, denn der Vater hat es ihm gegeben } [vgl. Proc. col. I. n. 6; Prol. op. prop. n. 2].
Allez, daz ich nû hân gesprochen von dem guoten und von der güete, daz ist ouch glîche wâr von dem wâren und der wârheit, von dem gerehten und der gerehticheit, von dem wîsen und der wîsheit, von gotes sune und von gote dem vater, von allem dem, daz von gote geborn ist und daz niht enhât vater ûf ertrîche, in daz sich niht gebirt allez, daz geschaffen ist, allez, daz niht got enist, in dem kein bilde enist dan got blôz lûter aleine. Wan alsô sprichet sant Johannes in sînem êwangeliô, daz »allen den ist gegeben maht und mugent, gotes süne ze werdenne, die niht von bluote noch von vleisches willen noch von mannes willen, sunder von gote und ûz gote aleine geborn sint.«
{ Alles, was ich nun von dem Guten und von der Gutheit gesagt habe, das ist gleich wahr auch für den Wahren und die Wahrheit, für den Gerechten und die Gerechtigkeit, für den Weisen und die Weisheit, für Gottes Sohn und Gott den Vater, für alles das, was von Gott geboren ist und was keinen Vater auf Erden hat, in das sich auch nichts von allem dem gebiert, was geschaffen ist, was nicht Gott ist, in dem kein Bild ist als der bloße, lautere Gott allein. Denn so spricht Sankt Johannes in seinem Evangelium, daß »allen denen Macht und Vermögen gegeben ist, Gottes Söhne zu werden, die nicht vom Blute noch vom Willen des Fleisches noch vom Willen des Mannes, sondern von Gott und aus Gott allein geboren sind« (Joh. 1,12f.) } [vgl. Proc. col. I. n. 7].
Bî dem bluote meinet er allez, daz an dem menschen niht undertænic ist des menschen willen. Bî des vleisches willen meinet er allez, daz in dem menschen sînem willen undertænic ist, doch mit einem widerkriege und mit einem widerstrîte und neiget nâch des vleisches begerunge und ist gemeine der sêle und dem lîbe und enist niht eigenlîche in der sêle aleine; und dâ von werdent die krefte müede, krank und alt. Bî dem willen des mannes meinet sant Johannes die hœhsten krefte der sêle, der natûre und ir werk ist unvermischet mit dem vleische, und stânt in der sêle lûterkeit, abegescheiden von zît und von stat und von allem dem, daz ze zît und stat kein zuoversiht hât oder smak, die mit nihte niht gemeine enhânt, in den der mensche nâch gote gebildet ist, in den der mensche gotes geslehte ist und gotes sippe. Und doch, wan sie got selben niht ensint und in der sêle und mit der sêle geschaffen sint, sô müezen sie ir selbes entbildet werden und in got aleine überbildet und in gote und ûz gote geborn werden, daz got aleine vater sî; wan alsô sint sie ouch gotes süne und gotes eingeborn sun. Wan alles des bin ich sun, daz mich nâch im und in sich glîche bildet und gebirt. Ein sôgetân mensche, gotes sun, guot der güete sun, gereht sun der gerehticheit, alsô verre als er aleine ir sun ist, sô si ungeborn-gebernde, und ir geborn sun hât daz selbe eine wesen, daz diu gerehticheit hât und ist, und tritet in alle die eigenschaft der gerehticheit und der wârheit.
Ûzer aller dirre lêre, diu in dem heiligen êwangeliô geschriben ist und sicherlîche bekant in dem natiurlîchen liehte der vernünftigen sêle, vindet der mensche gewâren trôst alles leides.
Unter dem »Blut« versteht er alles, was am Menschen dem Willen des Menschen nicht untertan ist. Unter dem »Willen des Fleisches« versteht er alles, was im Menschen zwar seinem Willen untertan ist, aber doch mit einem Widerstreben und Widerstreit, und was der Fleischesbegierde zuneigt und was der Seele und dem Leibe zusammen angehört und sich nicht eigentlich nur in der Seele findet; und infolgedessen werden diese Seelenkräfte müde, schwach und alt. { Unter dem »Willen des Mannes« versteht Sankt Johannes die höchsten Kräfte der Seele, deren Natur und Wirken unvermischt ist mit dem Fleisch und die in der Seele Lauterkeit stehen, von Zeit und Raum und von allem abgeschieden, was noch irgendein Absehen auf oder Geschmack hat nach Zeit und Raum, die mit nichts etwas gemein haben, in denen der Mensch nach Gott gebildet, in denen der Mensch von Gottes Geschlecht und Gottes Sippe ist. Und doch, da sie nicht Gott selbst sind und in der Seele und mit der Seele geschaffen sind, so müssen sie ihrer selbst entbildet und in Gott allein überbildet und in Gott und aus Gott geboren werden, auf daß Gott allein (ihr) Vater sei; denn so auch sind sie Söhne Gottes und Gottes eingeborener Sohn. Denn alles dessen bin ich Sohn, was mich nach sich und in sich als gleich bildet und gebiert. } [vgl. Proc. col. I. n. 8; Prol. gen. n. 9] { Soweit ein solcher Mensch, Gottes Sohn, gut als Sohn der Gutheit, gerecht als Sohn der Gerechtigkeit einzig ihr (d. h. der Gerechtigkeit) Sohn ist, ist sie ungeboren-gebärend, und ihr geborener Sohn hat dasselbe eine Sein, das die Gerechtigkeit hat und ist, und er tritt in den Besitz alles dessen, was der Gerechtigkeit und der Wahrheit eigen ist } [vgl. Proc. col. I. n. 9].
Aus all dieser Lehre, die im heiligen Evangelium geschrieben steht und im natürlichen Licht der vernunftbegabten Seele mit Sicherheit erkannt wird, findet der Mensch wahren Trost für alles Leid.
Sant Augustînus sprichet: gote enist niht verre noch lanc. Wiltû, daz dir niht verre noch lanc ensî, sô vüege dich ze gote, wan dâ sint tûsent jâr als der tac hiute. Alsô spriche ich: in gote enist niht trûricheit noch leit noch ungemach. Wiltû ledic sîn alles ungemaches und leides, sô halt dich und kêre dich lûterlîche ze gote aleine. Sicherlîche, allez leit kumet dâ von, daz dû dich niht enkêrest in got noch ze gote aleine. Stüendest dû in gerehticheit gebildet aleine und geborn, wærlîche, dich enmöhte als wênic iht leidic gemachen als diu gerehticheit got selben. Salomôn sprichet: »den gerehten enbetrüebet niht allez, daz im geschehen mac«. Er ensprichet niht »den gerehten menschen« noch »den gerehten engel« noch diz noch daz. Er sprichet »den gerehten.« Swaz des gerehten ihtes ist, sunder, daz sîn gerehticheit ist und daz er gereht ist, daz ist sun und hât vater ûf ertrîche und crêatûre und ist gemachet und geschaffen, wan sîn vater ist crêatûre gemachet oder geschaffen. Aber gereht lûter, wan daz niht geschaffen noch gemachet vater enhât und got und gerehticheit alein ist und gerehticheit aleine sîn vater ist, dar umbe mac leit und ungemach als wênic in in gevallen als in got. Gerehticheit enmac in niht leidic gemachen, wan alliu vröude, liebe und wunne ist gerehticheit; und ouch, wan machete gerehticheit den gerehten leidic, sô machete si sich selben leidic. Unglîch und ungereht enmöhte niht noch iht gemachet noch geschaffen den gerehten leidic machen, wan allez, daz geschaffen ist, daz ist verre under im als verre als under gote und enhât keinen îndruk noch învluz in den gerehten noch gebirt sich niht in in, des vater got aleine ist. Her umbe sol der mensche gar vlîzic sîn, daz er sich entbilde sîn selbes und aller crêatûren, noch vater wizze dan got aleine; sô enmac in niht leidic gemachen noch betrüeben, weder got noch crêatûre, noch geschaffenez noch ungeschaffenez, und allez sîn wesen, leben, bekennen, wizzen und minnen ist ûz gote und in gote und got.
Sankt Augustinus spricht: Für Gott ist nichts fern noch lange. Willst du, daß dir nichts fern noch lange sei, so füge dich zu Gott, denn da sind tausend Jahre wie der Tag, der heute ist. Ebenso sage ich: In Gott ist weder Traurigkeit noch Leid noch Ungemach. Willst du alles Ungemachs und Leids ledig sein, so halte dich und kehre dich in Lauterkeit nur zu Gott. Sicherlich, alles Leid kommt nur daher, daß du dich nicht allein in Gott und zu Gott kehrst. Stündest du ausschließlich in die Gerechtigkeit gebildet und geboren da, fürwahr, so könnte dich ebensowenig irgend etwas in Leid bringen wie die Gerechtigkeit Gott selbst. Salomon spricht: »Den Gerechten betrübt nichts von alledem, was ihm widerfahren mag« (Spr. 12,21). Er sagt nicht: »den gerechten Menschen« noch »den gerechten Engel« noch dies oder das. Er sagt: »den Gerechten«. Was irgendwie dem Gerechten zugehört, insonderheit, was seine Gerechtigkeit zu der seinigen macht und daß er gerecht ist, das ist Sohn und hat einen Vater auf Erden und ist Kreatur und ist gemacht und geschaffen, denn sein Vater ist Kreatur, gemacht oder geschaffen. Aber reines Gerechtes, da dies keinen gemachten oder geschaffenen Vater hat und Gott und die Gerechtigkeit völlig eins sind und die Gerechtigkeit allein sein Vater ist, drum kann Leid und Ungemach in ihn (d. h. in den Gerechten) so wenig fallen wie in Gott. Die Gerechtigkeit kann ihm kein Leid bereiten, denn die Gerechtigkeit ist nichts als Freude, Lust und Wonne; und ferner: Schüfe die Gerechtigkeit dem Gerechten Leid, so schüfe sie sich selbst solches Leid. Nichts Ungleiches und Ungerechtes noch irgendwelches Gemachte oder Geschaffene vermöchte den Gerechten in Leid zu versetzen, denn alles, was geschaffen ist, liegt weit unter ihm, ebenso weit wie unter Gott, und übt keinerlei Eindruck oder Einfluß auf den Gerechten aus und gebiert sich nicht in ihn, dessen Vater Gott allein ist. { Drum soll der Mensch sich sehr befleißigen, daß er sich seiner selbst und aller Kreaturen entbilde und keinen Vater kenne als Gott allein; dann kann ihn nichts in Leid versetzen oder betrüben, weder Gott noch die Kreatur, weder Geschaffenes noch Ungeschaffenes, und sein ganzes Sein, Leben, Erkennen, Wissen und Lieben ist aus Gott und in Gott und (ist) Gott (selbst) } [vgl. Proc. col. I. n. 10].
Noch ist ein anderz, daz man wizzen sol, daz ouch den menschen trœstet in allem sînem ungemache. Daz ist, daz sicherlîche der gerehte und guote mensche sich vröuwet unglîche, jâ unsprechelîche mê in dem werke der gerehticheit dan er oder joch der oberste engel wunne hât und vröude in sînem natiurlîchen wesene oder lebene. Und dar umbe gâben die heiligen vrœlîche ir leben durch die gerehticheit.
Und ein Zweites muß man wissen, das ebenfalls den Menschen tröstet in all seinem Ungemach. Das ist, daß der gerechte und gute Mensch sich sicherlich ungleich, ja unaussprechlich mehr am Werke der Gerechtigkeit erfreut, als er oder selbst der oberste Engel an seinem natürlichen Sein oder Leben Wonne und Freude hat. Darum auch gaben die Heiligen ihr Leben fröhlich hin für die Gerechtigkeit.
Nû spriche ich: sô dem guoten und gerehten menschen schade geschihet ûzerlîche, ist, daz er blîbet glîches gemüetes und in vride sînes herzen unbeweget , sô ist wâr, daz ich gesprochen hân, daz den gerehten niht enbetrüebet allez, daz im geschihet. Ist aber, daz er betrüebet wirt von dem ûzerlîchen schaden, wærlîche, sô ist gar billich und reht, daz got verhenget hât, daz der schade dem menschen ist geschehen, der dâ wolte und wânde gereht sîn und in doch sô kleiniu dinc betrüeben mohten. Ist ez danne reht gotes, wærlîche, sô sol er sich des niht betrüeben, sunder er sol sich des vröuwen vil mê dan sînes eigenen lebens, des sich doch mê vröuwet und werder ist einem ieglîchen menschen dan alliu disiu werlt; wan waz hülfe dem menschen alliu disiu werlt, als er niht enwære?
Nun sage ich: Wenn dem guten und gerechten Menschen ein äußerer Schaden widerfährt und er im Gleichmut und im Frieden seines Herzens unbewegt bleibt, so ist es wahr, was ich gesagt habe, daß den Gerechten nichts von alledem betrübt, was ihm widerfährt. Ist es hingegen so, daß er durch den äußeren Schaden betrübt wird, fürwahr, so ist es nur billig und recht, daß Gott zuließ, daß der Schaden dem Menschen widerfuhr, der da gerecht sein wollte und zu sein wähnte, während ihn doch so geringfügige Dinge zu betrüben vermochten. Ist es denn also Gottes Recht, fürwahr, so soll er sich nicht deswegen betrüben, sondern er soll sich dessen freuen viel mehr als seines eigenen Lebens, dessen sich doch jeglicher Mensch mehr freut und das ihm mehr wert ist als diese ganze Welt; denn was hülfe dem Menschen diese ganze Welt, wenn er nicht lebte?
Daz dritte wort, daz man wizzen mac und sol, ist, daz in natiurlîcher wârheit ein einiger brunne und âder aller güete, wesender wârheit und trôstes ist got aleine, und allez, daz got niht enist, daz hât von im selber natiurlîche bitterkeit und untrôst und leit und enleget nihtes niht zuo der güete, diu von gote und got ist, sunder si minnert und bedecket und verbirget süezicheit, wunne und trôst, den got gibet.
Das dritte Wort, das man wissen mag und soll, ist dies, daß Gott allein natürlicher Wahrheit gemäß einziger Born und Quellader alles Gutseins, wesenhafter Wahrheit und des Trostes ist, und alles, was nicht Gott ist, das hat von sich selbst her natürliche Bitterkeit und Untrost und Leid und fügt der Gutheit, die von Gott stammt und Gott ist, nichts hinzu, sondern sie (d. h. die Bitterkeit) mindert und bedeckt und verbirgt die Süßigkeit, die Wonne und den Trost, den Gott gibt.
Nû spriche ich vürbaz, daz allez leit kumet von liebe des, daz mir schade hât benomen. Ist mir danne schade ûzerlîcher dinge leit, daz ist ein wâr zeichen, daz ich minne ûzerlîchiu dinc und minne in der wârheit leit und untrôst. Waz wunders ist danne, daz ich leidic wirde, sô ich leit und untrôst minne und suoche? Mîn herze und mîn minne gibet die güete der crêatûre, daz gotes eigenschaft ist. Ich kêre mich gegen der crêatûre, dannen untrôst von natûre kumet, und kêre mich von gote, von dem aller trôst ûzvliuzet. Waz wunders ist daz danne, daz ich leidic wirde und trûric bin? Wærlîche, vürwâr unmügelich ist gote und aller der werlt, daz der mensche gewâren trôst vinde, der trôst suochet an den crêatûren. Der aber got minnete aleine in der crêatûre und die crêatûre in gote aleine, der vünde gewâren, rehten und glîchen trôst in allen enden. Diz sî nû genuoc von dem êrsten teile dis buoches.
Nun sage ich weiter, daß alles Leid aus der Liebe zu dem kommt, was mir der Schaden genommen hat. Ist mir denn nun ein Schaden an äußeren Dingen leid, so ist dies ein wahres Zeichen dafür, daß ich äußere Dinge liebe und in Wahrheit also Leid und Untrost liebe. Was Wunder also, daß ich dann in Leid gerate, wenn ich Leid und Untrost liebe und suche? { Mein Herz und meine Liebe eignet das Gutsein der Kreatur zu, das Gottes Eigentum ist } [vgl. Proc. col. I. n. 11]. Ich kehre mich der Kreatur zu, von der naturgemäß Untrost kommt, und kehre mich von Gott ab, von dem aller Trost ausfließt. Wie kann es dann wundernehmen, daß ich in Leid gerate und traurig bin? Wahrlich, es ist Gott und aller dieser Welt wirklich unmöglich, daß der Mensch wahren Trost finde, der Trost sucht bei den Kreaturen. Wer aber Gott allein in der Kreatur liebte und die Kreatur allein in Gott, der fände wahren, rechten und gleichen Trost allerorten. Dies sei nun genug vom ersten Teil dieses Buches.
2.
Nû volget hernâch in dem andern teile von den stücken bî drîzigen, der ieglîchez aleine billîche trœsten sol den redelîchen menschen in sînem leide.
Daz êrste ist: wan allez ungemach und schade enist niht sunder gemach, noch kein schade enist lûter schade. Dar umbe sprichet sant Paulus, daz gotes triuwe und güete enlîdet des niht, daz kein bekorunge oder betrüepnisse unlîdelich werde. Er machet und gibet alle zît etwaz trôstes, dâ mite man sich behelfen mac; wan ez sprechent ouch die heiligen und die heidenischen meister, daz got und natûre enlîdet niht, daz lûter bœse oder leit müge gesîn.
Nun folgen hiernach im zweiten Teile etwa dreißig Stücke, von denen ein jegliches für sich schon den verständigen Menschen in seinem Leide füglich trösten soll.
Das erste ist dies, daß kein Ungemach und Schaden ohne Gemach und kein Schaden bloßer Schaden ist. Drum sagt Sankt Paulus, daß Gottes Treue und Güte es nicht leiden, daß irgendwelche Prüfung oder Betrübnis unerträglich werde. Er schafft und gibt allzeit etwas Trost, mit dem man sich behelfen kann (vgl. 1 Kor. 10,13); denn auch die Heiligen und die heidnischen Meister sagen, daß Gott und die Natur es nicht zulassen, daß es pures Böses oder Leid geben könne.
Nû setze ich, daz ein mensche hât hundert mark; der verliuset er vierzic und beheltet sehzic. Wil der mensche nû alle zît gedenken an die vierzic, die er hât verlorn, sô blîbet er ungetrôst und riuwic. Wie möhte der getrœstet sîn und âne leit, der sich kêret ze dem schaden und ze dem leide und bildet daz in sich und sich darîn und sihet daz ane, und ez sihet wider in ane und kôset mit im und sprichet mit dem schaden, und der schade kôset wider mit im und sehent sich ane von antlitze ze antlitze? Wære aber, daz er sich kêrte ûf die sehzic mark, die er noch hât und den rücke kêrte den vierzigen, die verlorn sint, und widerbildete sich in die sehzic und sæhe die ane von antlitze ze antlitze und kôsete mit in, sô würde er sicherlîche getrœstet. Daz iht ist und guot ist, daz mac trœsten; daz aber niht enist noch guot enist, daz mîn niht enist und mir verlorn ist, daz muoz von nôt untrôst geben und leit und betrüepnisse. Dâ von sprichet Salomôn: »in den tagen des leides vergiz niht der tage der güete«. Daz ist gesprochen: sô dû bist in leide und in ungemache, sô gedenke des guoten und des gemaches, daz dû noch hâst und beheltest. Ouch sol daz aber den menschen trœsten, ob er gedenken wil, wie manic tûsent der sint, hæten sie sehzic mark, die dû noch hâst, sie diuhte, daz sie herren und vrouwen wæren und daz sie vil rîche wæren und von herzen vrô.
Nun setze ich den Fall, ein Mensch habe hundert Mark; davon verliert er vierzig und behält sechzig. Will der Mensch nun immerfort an die vierzig denken, die er verloren hat, so bleibt er ungetröstet und bekümmert. Wie könnte auch der getröstet sein und ohne Leid, der sich dem Schaden zukehrt und dem Leid und das in sich und sich in es einprägt und es anblickt, und es schaut wiederum ihn an, und er plaudert mit ihm und spricht mit dem Schaden, und der Schaden hinwiederum plaudert mit ihm, und beide schauen sich an von Angesicht zu Angesicht? Wäre es aber so, daß er sich den sechzig Mark zukehrte, die er noch hat, und den vierzig, die verloren sind, den Rücken kehrte und sich in die sechzig versenkte und die von Antlitz zu Antlitz anschaute und mit ihnen plauderte, so würde er sicherlich getröstet. Was etwas ist und gut ist, das vermag zu trösten; was aber weder ist noch gut ist, was nicht mein und mir verloren ist, das muß notwendig Untrost ergeben und Leid und Betrübnis. Darum spricht Salomon: »In den Tagen des Leids vergiß nicht der Tage des Gutseins« (Eccles. 11,27). Das will sagen: Wenn du im Leid und Ungemach bist, so gedenke des Guten und des Gemaches, das du noch hast und behältst. Auch wird das hinwiederum den Menschen trösten, wenn er bedenken will, wie manches Tausend derer lebt, die, wenn sie die sechzig Mark besäßen, die du noch hast, sich für (große) Herren und Damen hielten und sich sehr reich dünkten und von Herzen froh wären.
Noch ist aber ein anderz, daz den menschen trœsten sol. Ist er siech und in grôzem smerzen sînes lîbes, doch hât er daz hûs und sîn nôtdurft an spîse und an tranke, an râte der arzete und an dienste sînes gesindes, an klage und an bîwesenne sîner vriunde: wie solde er tuon? Wie tuont arme liute, die daz selbe oder grœzer siechtagen und ungemach hânt und enhânt nieman, der in kalt wazzer gebe? Sie müezen daz blôze brôt suochen in dem regen und in dem snêwe und in der kelte von hûse ze hûse. Dar umbe, wiltû getrœstet werden, sô vergiz der, den baz ist, und gedenke alles der, den wirs ist.
Ein Weiteres aber gibt es, das den Menschen trösten soll. Ist er krank und in großem Schmerz seines Leibes, hat er jedoch seine Behausung und seine Notdurft an Speise und Trank, an Beratung der Ärzte und an Bedienung seines Gesindes, an Beklagung und Beistand seiner Freunde: wie sollte er sich da verhalten? Nun, was tun arme Leute, die dasselbe oder gar noch größere Krankheit und Ungemach zu ertragen und niemand haben, der ihnen (auch nur) kaltes Wasser gäbe? Sie müssen das trockene Brot suchen in Regen, Schnee und Kälte, von Hans zu Haus. Drum, willst du getröstet werden, so vergiß derer, denen es besser geht, und gedenke immerzu derer, die übler daran sind.
Vürbaz spriche ich: allez leit kumet von liebe und von minne. Dar umbe, hân ich leit umbe zergenclîchiu dinc, sô hân ich und hât mîn herze noch liebe und minne ze zergenclîchen dingen und enhân got niht von allem mînem herzen liep und enminne noch niht, daz got wil von mir und mit im geminnet hân. Waz wunders ist danne, daz got verhenget, daz ich gar billîche schaden und leit lîde?
Weiterhin sage ich: Alles Leid kommt her von Liebe und Zuneigung. Drum, habe ich Leid wegen vergänglicher Dinge, so habe ich und hat mein Herz noch Liebe und Hang zu vergänglichen Dingen und habe ich Gott nicht aus meinem ganzen Herzen lieb und liebe noch nicht das, was Gott von mir und mit sich geliebt wissen will. Was Wunder ist es dann, wenn Gott zuläßt, daß ich ganz zu Recht Schaden und Leid erdulde?
Sant Augustînus sprichet: »herre, ich enwolte dich niht verliesen, ich wolte aber mit dir besitzen die crêatûren von mîner gîticheit; und dar umbe verlôs ich dich, wan dir ist unmære, daz man mit dir, der wârheit, valscheit und trüge der crêatûren besitze«. Er sprichet ouch anderswâ, daz »der alze gîtic ist, dem an gote aleine niht engenüeget«. Und anderswâ sprichet er: »wie möhte dem genüegen an gotes gâben an den crêatûren, dem an gote selben niht engenüeget?« Einem guoten menschen ensol niht trôst, sunder ein pîn sîn allez, daz gote vremde und unglîch ist und niht got selbe aleine enist. Er sol alle zît sprechen: herre got und mîn trôst, wîsest dû mich ûf iht von dir, sô gip mir einen andern dich, daz ich gange von dir ze dir, wan ich enwil niht wan dich. Dô unser herre gelobete Moises allez guot und sante in in daz heilige lant, daz daz himelrîche meinet, dô sprach Moises: herre, niergen ensende mich, dû enwellest danne selber mite komen.
Sankt Augustinus sagt: »Herr, ich wollte dich nicht verlieren, ich wollte aber in meiner Gier mit dir (zugleich) die Kreaturen besitzen; und drum verlor ich dich, denn dir widerstrebt es, daß man mit dir, als der Wahrheit, die Falschheit und den Trug der Kreaturen besitze.» Er sagt auch an anderer Stelle, daß »der allzu gierig sei, dem an Gott allein nicht genüge.« Und wieder an anderer Stelle sagt er: »Wie könnte dem an Gottes Gaben in den Kreaturen genügen, dem an Gott selbst nicht genügt?« Einem guten Menschen soll nicht zum Trost, sondern zur Pein gereichen alles, was Gott fremd und ungleich und nicht ausschließlich Gott selbst ist. Er soll allzeit sprechen: Herr Gott und mein Trost! Weisest du mich von dir auf irgend etwas anderes, so gib mir einen andern Dich, auf daß ich von dir zu dir gehe, denn ich will nichts als dich. Als unser Herr dem Moses alles Gute verhieß und ihn in das Heilige Land sandte, womit das Himmelreich gemeint ist, da sprach Moses: »Herr, sende mich nirgends hin, du wolltest denn selber mitkommen« (vgl. 2 Mos. 33,15).
Alliu neigunge, lust und minne kumet von dem, daz im glîch ist, wan alliu dinc neigent und minnent ir selbes glîch. Der reine mensche minnet alle reinicheit, der gerehte minnet und neiget ze gerehticheit; der munt des menschen sprichet von dem, daz im inne ist, als unser herre sprichet, daz »der munt sprichet von der vülle des herzen«, und Salomôn sprichet, daz »des menschen arbeit ist im in dem munde«. Dar umbe ist daz ein wâr zeichen, daz niht got, sunder diu crêatûre ist in des menschen herzen, der noch ûzer neigunge und trôst vindet.
Alle Neigung, Lust und Liebe kommt von dem, was einem gleich ist, denn alle Dinge neigen zu und lieben ihresgleichen. Der reine Mensch liebt alle Reinheit, der Gerechte liebt die und neigt zur Gerechtigkeit; der Mund des Menschen spricht von dem, was ihm innewohnt, wie denn unser Herr sagt, daß »der Mund von der Fülle des Herzens redet« (Luk. 6,45), und Salomon sagt, daß »des Menschen Mühsal in seinem Munde sei« (Pred. 6,7). Drum ist es ein wahres Zeichen, daß nicht Gott, sondern die Kreatur im Herzen des Menschen wohnt, wenn er noch draußen Neigung und Trost findet.
Dâ von solde sich ein guot mensche gar vaste schamen vor gote und vor im selben, daz er noch gewar wirt, daz got niht in im enist und got der vater niht in im enwürket diu werk, sunder diu leidige crêatûre noch in im lebet und neiget in und würket in im diu werk. Dar umbe sprichet künic Dâvît und klaget in dem salter: »trehene wâren mîn trôst tac und naht; alle die wîle man noch sprechen mohte: wâ ist dîn got?« Wan neigen ûf ûzerlicheit und an untrôste trôst vinden und dâ von mit lust gerne und vil reden ist ein wâr zeichen, daz got in mir niht erschînet, niht enwachet, niht enwürket. Ouch vürbaz solte er sich schamen vor guoten liuten, daz sie des an im gewar würden. Ein guot mensche ensol niemer schaden geklagen noch leit; er sol daz aleine klagen, daz er klage und daz er klagennes und leides in im gewar wirt.
Deshalb sollte sich ein guter Mensch gar sehr vor Gott und vor sich selbst schämen, wenn er noch gewahr wird, daß Gott nicht in ihm ist und Gott der Vater nicht in ihm die Werke wirkt, sondern daß noch die leidige Kreatur in ihm lebt und seine Neigung bestimmt und in ihm die Werke wirkt. Darum spricht König David und klagt im Psalter: »Tränen waren mein Trost Tag und Nacht, solange man noch sagen konnte: Wo ist dein Gott»« (Ps. 41,4). Denn das Hinneigen zur Äußerlichkeit und das Trostfinden an Untrost und das lustvoll eifrige und viele Reden darüber ist ein wahres Zeichen dafür, daß Gott in mir nicht sichtbar wird, nicht in mir wacht, nicht in mir wirkt. Und weiterhin auch sollte er (d. h. der gute Mensch) sich schämen vor guten Leuten, daß sie solches an ihm gewahr würden. Ein guter Mensch soll niemals über Schaden klagen noch über Leid; er soll vielmehr nur beklagen, daß er klage und daß er das Klagen und Leid in sich wahrnimmt [s. RdU].
Die meister sprechent, daz unden an dem himel ist viur vil wît und sunder mittel und kreftic in sîner hitze, und doch enwirt der himel von im nihtes niht berüeret alzemâle. Nû sprichet ein geschrift, daz daz niderste der sêle ist edeler dan des himels hœhstez. Wie mac danne der mensche sich vermezzen, daz er ein himelischer mensche sî und daz sîn herze in dem himel sî, der noch betrüebet wirt und leidic von sô kleinen dingen?
Die Meister sagen, daß unmittelbar unterhalb des Himmels weit ausgedehntes und in seiner Hitze kraftvolles Feuer sei, und doch wird der Himmel ganz und gar in nichts von ihm berührt. Nun heißt es in einer Schrift, daß das Niederste der Seele edler sei als des Himmels Höchstes. Wie aber kann denn ein Mensch sich vermessen, er sei ein himmlischer Mensch und sein Herz sei im Himmel, wenn er noch betrübt und in Leid versetzt wird durch so kleine Dinge!
Nû spriche ich ein anderz. Ein guot mensche enmac niht gesîn, der dâ niht enwil, daz got sunderlîche wil, wan unmügelich ist, daz got iht welle wan guot; und sunderlîche in dem und von dem, daz ez got wil, sô wirt ez und ist von nôt guot und ouch daz beste. Und dar umbe lêrte unser herre die aposteln und uns in in, und wir biten alle tage, daz gotes wille gewerde. Und doch, wenne gotes wille kumet und gewirdet, sô klagen wir.
Nun spreche ich von etwas anderm. Ein guter Mensch kann der nicht sein, der nicht will, was Gott in jedem besondern Falle will, denn es ist unmöglich, daß Gott irgend etwas denn Gutes wolle; und insonderheit gerade darin und dadurch, daß es Gott will, wird es und ist es notwendig gut und zugleich das Beste. Und darum lehrte unser Herr die Apostel und uns in ihnen und beten wir alle Tage darum, daß Gottes Wille geschehe. Und doch, wenn Gottes Wille kommt und geschieht, so klagen wir.
Senecâ, ein heidenischer meister, vrâget: waz ist der beste trôst in lîdenne und in ungemache? und sprichet: daz ist, daz der mensche alliu dinc neme, als er des gewünschet habe und dar umbe gebeten habe; wan dû hætest ez ouch gewünschet, ob dû wistest, daz alliu dinc von gotes, mit gotes und in gotes willen geschehent. Ez sprichet ein heidenischer meister: herzoge und oberster vater und herre des hôhen himels, allez, daz dû wilt, des bin ich bereit; gip mir willen, nâch dînem willen ze wellenne.
Seneca [1], ein heidnischer Meister, fragt: Was ist der beste Trost im Leiden und im Ungemach» und antwortet: Es ist dies, daß der Mensch alle Dinge so hinnehme, als habe er's so gewünscht und darum gebeten; denn du hättest es ja auch gewünscht, wenn du gewußt hättest, daß alle Dinge aus Gottes, mit Gottes und in Gottes Willen geschehen. Es spricht ein heidnischer Meister: Herzog und oberster Vater und Herr des hohen Himmels, zu allem, was du willst, bin ich bereit; gib mir den Willen, nach deinem Willen zu wollen!
Ein guot mensche sol des gote getrûwen, glouben und gewis sîn und got sô guoten wizzen, daz ez unmügelich gote sî und sîner güete und minne, daz er möhte lîden, daz dem menschen kein lîden oder leit zuo kome, eintweder er wölte dem menschen grœzer leit benemen oder in ouch ûf ertrîche grœzlîcher trœsten oder etwaz bezzers dâ von und dar ûz machen, dâ gotes êre breiter und grœzlîcher ane læge. Doch, swie daz sî: in dem aleine, daz ez gotes wille ist, daz ez geschehe, sô sol des guoten menschen wille alsô gar mit gotes willen ein und geeiniget sîn, daz der mensche daz selbe mit gote welle, nochdenne ob ez sîn schade und joch sîn verdüemnisse wære. Dar umbe wunschte sant Paulus, daz er von gote gesundert wære durch got und durch gotes willen und durch gotes êre. Wan ein rehte volkomen mensche sol sich selben sô tôt gewenet sîn, sîn selbes entbildet in gote und in gotes willen sô überbildet, daz alliu sîn sælicheit ist, sich selben und allez niht wizzen und got aleine wizzen, niht wellen noch willen wizzen dan gotes willen und got wellen alsô bekennen, als got mich bekennet, als sant Paulus sprichet. Got bekennet allez, daz er bekennet, minnet und wil allez, daz er minnet und wil, in im selben in sîn selbes willen. Unser herre sprichet selber: »daz êwige leben ist got bekennen aleine«.
Ein guter Mensch soll darin Gott vertrauen, ihm glauben und gewiß sein und ihn als so gut kennen, daß es Gott und seiner Güte und Liebe unmöglich ist zuzulassen, daß dem Menschen irgendein Leiden oder Leid zustoße, ohne daß er entweder dem Menschen größeres Leid (dadurch) verhüten oder ihn auch auf Erden (schon) stärker trösten oder etwas Besseres davon und daraus machen wolle, worin Gottes Ehre umfassender und stärker in Erscheinung träte. Doch, wie dem auch sei: deshalb allein, weil es Gottes Wille ist, daß es geschehe, soll des guten Menschen Wille so ganz und gar mit Gottes Willen eins und geeint sein, daß der Mensch mit Gott dasselbe wolle, selbst wenn es sein Schaden und gar seine Verdammnis wäre. Darum wünschte Sankt Paulus, daß er um Gottes willen und um des Willens Gottes und um der Ehre Gottes willen von Gott geschieden wäre (vgl. Röm. 9‚3). Denn ein recht vollkommener Mensch soll sich so gewöhnt haben, sich selbst abgestorben, seiner selbst in Gott so entbildet und in Gottes Willen so überbildet sein, daß seine ganze Seligkeit darin liegt, von sich selbst und von allem (Sonstigen) nichts zu wissen, vielmehr nur Gott allein zu wissen, nichts zu wollen noch einen Willen zu kennen als Gottes Willen und Gott so erkennen zu wollen, wie Gott mich erkennt, wie Sankt Paulus sagt (vgl. 1 Kor. 13,12). Gott erkennt alles, was er erkennt, liebt und will alles, was er liebt und will, in sich selbst in seinem eigenen Willen. Unser Herr sagt selbst: »Das ist das ewige Leben, Gott allein zu erkennen« (Joh. 17,3).
Dar umbe sprechent die meister, daz die sæligen in dem himelrîche die crêatûren bekennent blôz aller bilde der crêatûren, die sie bekennent in dem einen bilde, daz got ist und dâ sich selben und alliu dinc got weiz und minnet und wil. Und daz lêret uns beten und begern got selber, dâ wir sprechen: »vater unser«, »geheiliget werde dîn name«, daz ist: dich bekennen blôz aleine; »zuokome dîn rîche«, daz ich nihtes niht enhabe, daz ich rîche ahte und wizze dan dich rîche. Dâ von sprichet daz êwangelium: »sælic sint die armen des geistes«, daz ist: des willen, und biten wir got, daz sîn »wille werde« »in der erde«, daz ist in uns, »als in dem himel«, daz ist in gote selben. Ein sôgetân mensche ist sô einwillic mit gote, daz er allez daz wil, daz got wil und in der wîse, sô ez got wil. Und dar umbe, wan got etlîche wîs wil, daz ich ouch sünde hân getân, sô enwölte ich niht, daz ich sie niht enhæte getân, wan sô gewirdet gotes wille »in der erden«, daz ist in missetât, »als in dem himel«, daz ist in woltât. Sô wil der mensche gotes durch got enbern und von gote durch got gesundert sîn, und daz ist aleine rehtiu riuwe mîner sünden; sô ist mir sünde leit âne leit, als got hât leit aller bôsheit âne leit. Leit und meistez leit hân ich umbe sünde, wan ich entæte niht sünde umbe allez, daz geschaffen oder geschepfelich ist, ob joch tûsent werlte êwiclîche möhten wesen, doch âne leit; und ich nime und schepfe diu leit in gotes willen und ûz gotes willen. Sôgetân leit ist aleine volkomen leide, wan si kumet und urspringet von lûterer minne der lûtersten güete und vröude gotes. Sô wirt wâr und wirt man gewar, daz ich in disem büechelîn gesprochen hân, daz der guote mensche, als verre er guot ist, tritet in alle die eigenschaft der güete selbe, diu got in im selber ist.
Darum sagen die Meister, daß die Seligen im Himmelreich die Kreaturen erkennen ohne alle Bilder der Kreaturen, die sie (vielmehr) in dem einen Bilde erkennen, das Gott ist und in dem Gott sich selbst und alle Dinge weiß und liebt und will. Und dies lehrt uns Gott selbst beten und begehren, wenn wir sprechen: »Vater unser«, »geheiliget werde dein Name«, das heißt: dich erkennen ganz allein (vgl. Joh. 17,3); »zukomme dein Reich«, auf daß ich nichts habe, was ich als reich erachte und wisse als dich (den) Reichen. Deshalb sagt das Evangelium: »Selig sind die Armen des Geistes« (Matth. 5,3), das heißt: des Willens, und bitten wir Gott, daß sein »Wille geschehe« »auf Erden«, das heißt: in uns, »wie im Himmel«, das heißt: in Gott selbst. Ein solcher Mensch ist so einwillig mit Gott, daß er alles das will, was Gott will und in der Weise, wie es Gott will. Und darum, da Gott in gewisser Weise will, daß ich auch Sünde getan habe, so wollte ich nicht, daß ich sie nicht getan hätte, denn so geschieht Gottes Wille »auf Erden«, das ist in Missetat, »wie im Himmel«, das ist im Rechthandeln. In solcher Weise will der Mensch Gott um Gottes willen entbehren und von Gott um Gottes willen geschieden sein, und das ist allein rechte Reue meiner Sünden; so ist mir die Sünde leid ohne Leid, wie Gott alles Böse leid ist ohne Leid. Leid und das größte Leid habe ich wegen der Sünde - denn ich täte um alles, was geschaffen oder erschaffbar ist, auch wenn es in Ewigkeit tausend Welten geben könnte, keine Sünde -, jedoch ohne Leid [vgl. Proc. col. I n. 12; Bulle 14, Votum 27]; und ich nehme und schöpfe die Leiden in und aus Gottes Willen. Solches Leid ist allein vollkommenes Leid, denn es kommt und entspringt aus der lauteren Liebe der lautersten Güte und Freude Gottes. So wird wahr und wird man gewahr, was ich in diesem Büchlein gesprochen habe: { daß der gute Mensch, insoweit er gut ist, in das ganze Eigensein der Gutheit selbst, die Gott in sich selbst ist, eintritt } [vgl. Proc. col. I n. 13.
Nû merke, waz wunderlîches und wünniclîches lebens hât dúr mensche »ûf erden« »als in dem himel« in gote selben! Im dienet ungemach in gemach und leit glîches als liep, und dâ bî merke doch in dem selben sunderlîchen trôst: wan hân ich die gnâde und die güete, von der ich nû gesprochen hân, sô bin ich alle zît und in allen dingen glîche ganze getrœstet und vrô; enhân ich des niht, sô sol ich sîn enbern durch got und in gotes willen. Wil got geben, des ich beger, dar ane sô hân ich ez und bin in wunne; enwil got niht geben, sô nime ich ez enbernde in dem selben willen gotes, als er enwil niht, und alsô nime ich enbernde und niht nemende. Wes gebristet mir danne? Und sicherlîche: eigenlîcher nimet man got enbernde dan nemende; wan sô der mensche nimet, sô hât diu gâbe in ir selben, warumbe der mensche vrô sî und getrœstet. Sô man aber niht ennimet, sô enhât man niht noch envindet noch enweiz man niht, des man sich vröuwe, dan got und gotes willen aleine.
Nun merke, welch wundersames und wonnigliches Leben dieser Mensch »auf Erden« »wie im Himmel« in Gott selbst hat! Ihm dient Ungemach zu Gemach und Leid gleicherweise wie Liebes, und doch beachte dabei in ebendem noch einen besonderen Trost: denn, wenn ich die Gnade und die Gutheit habe, von der ich gerade gesprochen habe, so bin ich allzeit und in allen Dingen gleichmäßig völlig getröstet und froh; habe ich aber nichts davon, so soll ich's um Gottes willen und in Gottes Willen entbehren. Will Gott geben, wonach ich begehre, so habe ich es damit und bin in Wonne; will Gott hingegen nicht geben, nun, so empfange ich's entbehrend im gleichen Willen Gottes, in dem er eben nicht will, und so also empfange ich, indem ich entbehre und nicht nehme. Woran fehlt's mir dann? { Und sicherlich, im eigentlicheren Sinne nimmt man Gott entbehrend als nehmend; denn, wenn der Mensch empfängt, so hat die Gabe das, weswegen der Mensch froh und getröstet ist, in sich selbst. Empfängt man aber nicht, so hat noch findet noch weiß man nichts, worüber man sich freuen könnte, als Gott und Gottes Willen allein } [vgl. Proc. col. I. n. 14].
Ouch ist aber ein ander trôst. Hât der mensche verlorn ûzerlich guot oder sînen vriunt oder sînen mâc, ein ouge, eine hant oder swaz daz ist, sô sol er des gewis sîn, ob er daz lîdet durch got gedulticlîche, sô hât er allez daz vor gote ze dem minsten, dar umbe er daz niht lîden enwölte. Ein mensche verliuset ein ouge: enwölte er nû des ougen niht enbern umbe tûsent oder umbe sehs tûsent mark oder mê, sô hât er vor gote und in gote im behalten sicherlîche allez daz, dar umbe er den schaden oder daz leit niht lîden enwölte. Und daz meinet vil lîhte, dâ unser herre sprach: »ez ist bezzer, daz dû komest in daz êwige leben mit einem ougen dan mit zwein ougen verlorn werden«. Daz meinet ouch vil lîhte, daz got sprach: »swer læzet vater und muoter, swester und bruoder, hof oder acker oder swaz daz ist, der sol nemen hundertvalt und êwic leben.« Sicherlîche getar ich daz sprechen in gotes wârheit und bî mîner sælicheit, daz, swer durch got und durch güete læzet vater und muoter, bruoder und swester oder swaz daz ist, der nimet hundertvalt in zweierleie wîse: ein ist, daz im wirt sîn vater, muoter, bruoder und swester hundert wîs lieber wan sie ieze sint. Ein ander wîse ist, daz niht aleine hundert, sunder alle liute, als verre sie liute und menschen sint, werdent im unglîche lieber dan im nû natiurlîche sîn vater, muoter oder bruoder liep sint. Daz der mensche des niht gewar enwirt, daz kumet alles und aleine dâ von, daz er noch niht lûterlîche durch got und durch güete aleine genzlîche gelâzen enhât vater und muoter, swester und bruoder und alliu dinc. Wie hât dúr vater und muoter, swester und bruoder gelâzen durch got, der sie noch ûf erden vindet in sînem herzen, der noch wirt betrüebet und gedenket und sihet an, daz got niht enist? Wie hât dúr alliu dinc gelâzen durch got, der noch ahtet und anesihet diz und daz guot. Sant Augustînus sprichet: hebe ûf diz und daz guot, sô blîbet lûter güete in ir selber swebende in sîner blôzen wîte: daz ist got. Wan, als ich oben gesprochen hân: diz und daz guot enleget nihtes niht der güete zuo, sunder ez verbirget und bedecket die güete in uns. Daz bekennet und wirt gewar, swer daz sihet und schouwet in der wârheit, wan ez wâr ist in der wârheit, und dar umbe muoz man sîn dâ gewar werden und anders niergen.
Auch gibt's wieder einen andern Trost. Hat der Mensch äußeres Gut oder seinen Freund oder seinen Verwandten, ein Auge, eine Hand oder was es sei, verloren, so soll er dessen gewiß sein, daß, wenn er es um Gottes willen geduldig leidet, er zum mindesten alles das bei Gott zugute hat, um dessen Preis er jenes (den Verlust) nicht hätte erdulden wollen. (Zum Beispiel:) Ein Mensch verliert ein Auge: hätte er nun dieses Auge nicht um tausend oder um sechstausend Mark oder mehr missen wollen, so hat er sich gewiß bei Gott und in Gott eben alles das (= jenen ganzen Gegenwert) zugute erhalten, um das er jenen Schaden oder jenes Leid nicht hätte erleiden wollen. Und dies meint wohl unser Herr, da er sprach: »Es ist besser, daß du mit einem Auge in das ewige Leben kommst, als mit zweien verloren zu gehen« (Matth. 18,9). Und das meinte wohl auch Gott, wenn er sprach: »Wer da läßt Vater und Mutter, Schwester und Bruder, Hof oder Acker oder was es sei, der wird das Hundertfache und das ewige Leben empfangen« (Matth. 19,29) [2]. Sicherlich wage ich in Gottes Wahrheit und bei meiner Seligkeit zu sagen, daß der, der um Gottes und um der Gutheit willen Vater und Mutter, Bruder und Schwester oder was es sei, verläßt, das Hundertfache empfängt, auf zweierlei Weise: die eine Weise ist die, daß ihm sein Vater, seine Mutter, Bruder und Schwester hundertfach lieber werden, als sie es jetzt sind. Die andere Weise ist die, daß nicht nur hundert, sondern alle Leute, insofern sie Leute und Menschen sind, ihm ungleich lieber werden, als ihm jetzt von Natur aus Vater, Mutter oder Bruder lieb sind. Daß der Mensch dessen nicht gewahr wird, das kommt einzig und allein daher, daß er noch nicht lauter nur um Gottes und der Gutheit willen allein gänzlich gelassen hat Vater und Mutter, Schwester und Bruder und alle Dinge. Wie hat der Vater und Mutter, Schwester und Bruder um Gottes willen gelassen, der sie noch auf Erden findet in seinem Herzen, der noch betrübt wird und (noch) das bedenkt und auf das sieht, was nicht Gott ist? Wie hat der alle Dinge um Gottes willen gelassen, der noch auf dies und das Gute achtet und sieht? Sankt Augustinus spricht: Nimm weg dies und das Gute, so bleibt die lautere Gutheit in sich selbst schwebend in ihrer bloßen Weite: das ist Gott [vgl. Prol. op. prop n. 3]. Denn, wie ich oben gesagt habe: Dies und das Gute fügt der Gutheit nichts hinzu, sondern es verbirgt und bedeckt die Gutheit in uns. Das erkennt und wird gewahr, wer es in der Wahrheit sieht und schaut, denn es ist in der Wahrheit wahr, und drum muß man es dort und nirgends anders gewahr werden.
Doch sol man wizzen, daz tugent haben und lîden wellen hât eine wîte, als wir ouch sehen in der natûre, daz ein mensche grœzer ist und schœner an bilde, an varwe, an wizzenne, an künsten dan ein ander. Alsô spriche ich ouch, daz ein guot mensche wol mac ein guot mensche sîn und doch berüeret werden und wanken von natiurlîcher liebe vaters, muoter, swester, bruoders minner und mê und doch niht vellic werden von gote noch von güete. Doch nâch dem ist er guot und bezzer, dar nâch er minner und mê getrœstet und berüeret wirt und gewar wirt natiurlîcher minne und neigunge ze vater und muoter, swester und bruoder und ze im selben.
Jedoch soll man wissen, daß Tugend-besitzen und Leiden-wollen eine gewisse Abstufungsweite hat, wie wir ja auch in der Natur sehen, daß ein Mensch größer ist und schöner in der Erscheinung, im Aussehen, im Wissen, in Künsten als ein anderer. So sage ich auch, daß ein guter Mensch wohl ein guter Mensch sein kann und doch von natürlicher Liebe zu Vater, Mutter, Schwester, Bruder mehr oder weniger berührt werden und schwanken, jedoch nicht von Gott noch von der Gutheit abfällig werden kann. Indessen ist er in dem Maße gut und besser, in dem er weniger und mehr getröstet und berührt wird von natürlicher Liebe und Zuneigung zu Vater und Mutter, Schwester und Bruder und zu sich selbst und sich ihrer bewußt wird.
Nochdenne, als ich dâ oben geschriben hân: künde ein mensche daz selbe nemen in gotes willen, als verre als gotes wille ist, daz menschlîche natûre den gebresten habe sunderlîche von gotes gerehticheit von des êrsten menschen sünde, und ouch, ob daz niht enwære, er wölte es gerne enbern in gotes willen, sô wære im gar reht und würde sicherlîche getrœstet in lîdenne. Daz meinet, daz sant Johannes sprichet, daz daz gewâre »lieht liuhtet in die vinsternisse«, und sant Paulus sprichet, daz »diu tugent wirt volbrâht in krankheit«. Möhte der diep wærlîche, genzlîche, lûterlîche, gerne, williclîche und vrœlîche den tôt lîden von minne der götlîchen gerehticheit, in der und nâch der got wil und sîn gerehticheit, daz der übeltætige getœtet werde, sicherlîche, er würde behalten und sælic.
Und doch, wie ich oben geschrieben habe: Wenn ein Mensch eben dies in Gottes Willen hinnehmen könnte angesichts dessen, daß es Gottes Wille ist, daß die menschliche Natur jenen Mangel insonderheit aus Gottes Gerechtigkeit im Hinblick auf die Sünde des ersten Menschen habe, und wenn er es anderseits doch auch wieder in Gottes Willen bereitwillig entbehren wollte, dafern es nicht so wäre, so stünde es ganz recht mit ihm, und er würde sicherlich im Leiden getröstet. Das ist gemeint, wenn Sankt Johannes sagt, daß das wahre »Licht in die Finsternis leuchtet« (Joh. 1,5) und Sankt Paulus sagt, daß »die Tugend in der Schwachheit vollbracht wird« (2 Kor. 12,9). Könnte der Dieb wahrhaft, völlig, lauter, gern, willig und fröhlich den Tod erleiden aus Liebe zur göttlichen Gerechtigkeit, in der und nach der Gott und seine Gerechtigkeit will, daß der Übeltäter getötet werde, sicherlich, er würde gerettet und selig [s. RdU].
Aber ein ander trôst ist: man envindet vil lîhte nieman, der niht ieman sô liep enhabe lebenden, daz er niht gerne enwölte enbern eines ougen oder blint sîn ein jâr, ob er dar nâch sîn ouge wider hæte und sînen vriunt alsô von dem tôde möhte erlœsen. Wölte danne ein mensche ein jâr enbern sînes ougen durch eines menschen erlœsunge von dem tôde, der doch in kurzen jâren sterben muoz, sô sol er gar billîche und gerner enbern zehen oder zwanzic oder drîzic jâr, diu er vil lîhte noch leben möhte, umbe daz er sich selben êwiclîche sælic machete und êwiclîche sehende werde got in sînem götlîchen liehte und in gote sich selben und alle crêatûren.
Wieder ein anderer Trost ist: Man findet wohl niemand, der nicht jemand so gern leben sähe, daß er nicht willig für ein Jahr ein Auge entbehren oder blind sein wollte, wenn er hernach sein Auge wieder haben und seinen Freund so von dem Tode erlösen könnte. Wenn demnach ein Mensch ein Jahr sein Auge entbehren wollte, um einen Menschen, der nach kurzen Jahren doch sterben muß, vor dem Tode zu retten, so soll er wohl billigerweise und bereitwilliger zehn oder zwanzig oder dreißig Jahre, die er vielleicht noch leben könnte, entbehren, auf daß er sich selbst für ewig selig machte und ewig Gott in seinem göttlichen Licht und in Gott sich selbst und alle Kreaturen schauen werde.
Aber ist ein ander trôst: ein guot mensche, als verre er guot ist und von güete aleine geborn und ein bilde der güete, sô ist im allez daz unmære und ein bitter leit und schade, daz geschaffen ist und diz und daz ist. Und dar umbe: daz verliesen ist lôs werden und verliesen leit und ungemach und schaden. Wærlîche, leit verliesen ist ein gewâre trôst. Dar umbe ensol der mensche niht schaden klagen. Er sol vil mê klagen, daz im trôst unbekant ist, daz in trôst niht trœsten enmac, als der süeze wîn niht ensmacket dem siechen. Er sol klagen, als ich hie vorhin geschriben hân, daz er niht ganze entbildet enist der crêatûren und niht mit allem dem sînen îngebildet enist der güete.
Wiederum ein anderer Trost: Einem guten Menschen, soweit er gut und allein von der Gutheit geboren und ein Abbild der Gutheit ist, dem ist alles das, was geschaffen und dies und das ist, unleidlich, eine Bitternis und etwas Schädliches. Und dies verlieren heißt daher Leid und Ungemach und Schaden loswerden und verlieren. Wahrlich, Leid verlieren ist ein echter Trost. Darum soll der Mensch keinen Schaden beklagen. Er soll vielmehr beklagen, daß ihm Trost unbekannt ist, daß Trost ihn nicht zu trösten vermag, so wie der süße Wein dem Kranken nicht schmeckt. Er soll beklagen, wie ich oben geschrieben habe, daß er der Kreaturen nicht gänzlich entbildet und nicht mit seinem ganzen Sein der Gutheit eingebildet ist.
Ouch sol ein mensche gedenken in sînem leide, daz got die wârheit sprichet und gelobet bî im selben, der wârheit. Entviele got sînem worte, sîner wârheit, er entviele sîner gotheit und enwære niht got, wan er ist sîn wort, sîn wârheit. Sîn wort ist, daz unser leit sol gewandelt werden in vröude. Sicherlîche, wiste ich vürwâr, daz alle mîne steine solten verwandelt werden in golt, ie mê ich danne steine hæte und grœzer, ie lieber mirz wære; jâ, ich erbæte steine und erwürbe sie, ob ich möhte, die grôz wæren und der vil; ie sie mê wæren und grœzer, ie sie mir lieber wæren. Alsô, sicherlîche würde der mensche krefticlîche getrœstet in allem sînem leide.
Auch soll der Mensch in seinem Leide daran denken, daß Gott die Wahrheit spricht und bei sich selbst als der Wahrheit Verheissungen macht. Fiele Gott von seinem Wort, seiner Wahrheit, ab, so fiele er von seiner Gottheit ab und wäre nicht (länger) Gott, denn er ist sein Wort, seine Wahrheit. Sein Wort (nun aber) ist, daß unser Leid in Freude verwandelt werden soll (vgl. Jer. 31,31). Sicherlich, wüßte ich zuverlässig, daß alle meine Steine in Gold verwandelt werden sollten, je mehr Steine und je größere ich dann hätte, um so lieber wäre es mir; ja, ich bäte um Steine und, wenn ich könnte, erwürbe ich solche, die groß wären und ihrer die Menge; je mehr ihrer wären und je größer, um so lieber wären sie mir. Auf solche Weise würde der Mensch gewiß kräftig getröstet in allem seinem Leide.
Noch ist ein anderz dem glîch: kein vaz enmac zweierleie trank in im gehaben. Sol ez wîn haben, man muoz von nôt wazzer ûzgiezen; daz vaz muoz blôz und îtel werden. Dar umbe, soltû götlîche vröude und got nemen, dû muost von nôt die crêatûren ûzgiezen. Sant Augustînus sprichet: »giuz ûz, daz dû ervüllet werdest. Lerne niht minnen, daz dû lernest minnen. Kêre dich abe, daz dû zuogekêret werdest«. Kürzlîche gesaget: allez, daz nemen sol und enpfenclich sîn, daz sol und muoz blôz sîn. Die meister sprechent: hæte daz ouge dekeine varwe in im, dâ ez bekennet, ez enbekente weder die varwe, die ez hæte, noch die, der ez niht enhæte; wan ez aber blôz ist aller varwen, dâ von bekennet ez alle varwe. Diu want hât varwe an ir, und dar umbe enbekennet si weder ir varwe noch kein ander varwe und enhât keinen lust von der varwe, niht mê von golde oder von lâsûre dan von kolvarwe. Daz ouge enhât ir niht und hât sie wærlîche, wan ez bekennet sie mit lust und mit wunne und mit vröude. Und dar nâch daz die krefte der sêle durnehtiger und vürbaz blôz sint, dar nâch nement sie mê durnehticlîcher und wîter, swaz sie nement, und enpfâhent wîter und hânt grœzer wunne und werdent mê ein mit dem, daz sie nement, alsô verre, daz diu oberste kraft der sêle, diu aller dinge blôz ist und mit nihte niht gemeine enhât, ennimet niht minner dan got selben in der wîte und vülle des wesens. Und bewîsent die meister, daz der einunge und dem durchvluzze und der wunne sich niht glîchen enmac an lust und an wunne. Dar umbe sprichet unser herre gar merklîche: »sælic sint die armen in dem geiste«. Arm ist der, der niht enhât. Arm in dem geiste daz meinet: als daz ouge arm und blôz ist der varwe und enpfenclich aller varwen, alsô der arm ist an dem geiste, der ist enpfenclich alles geistes, und aller geiste geist ist got. Vruht des geistes ist minne, vröude und vride. Blôz, arm, niht-hân, îtel-sîn wandelt die natûre; îtel machet wazzer ze berge ûfklimmen und vil anders wunders, dâ von man nû niht sprechen ensol.
Noch ein Weiteres, dem Ähnliches: Kein Gefäß kann zweierlei Trank in sich fassen. Soll es Wein enthalten, so muß man notgedrungen das Wasser ausgießen; das Gefäß muß leer und ledig werden. Darum: sollst du göttliche Freude und Gott aufnehmen, so mußt du notwendig die Kreaturen ausgießen. Sankt Augustinus sagt: »Gieß aus, auf daß du erfüllt werdest. Lerne nicht lieben, auf daß du lieben lernst. Kehre dich ab, auf daß du zugekehrt werdest.« Kurz gesagt: Alles, was aufnehmen und empfänglich sein soll, das soll und muß leer sein. Die Meister sagen: Hätte das Auge irgendwelche Farbe in sich, wenn es wahrnimmt, so würde es weder die Farbe, die es hätte, noch eine solche, die es nicht hätte, wahrnehmen; weil es aber aller Farben bloß ist, deshab erkennt es alle Farben. Die Wand hat Farbe an sich, und drum erkennt sie weder ihre (eigene) Farbe noch irgendwelche andere Farbe und hat keine Freude an der Farbe, nicht mehr am Gold oder an Lasur als an der Farbe der Kohle. Das Auge hat keine (Farbe) und hat sie doch im wahrsten Sinne, denn es erkennt sie mit Lust und mit Wonne und mit Freude. Und je vollkommener und reiner die Kräfte der Seele sind, um so vollkommener und umfassender nehmen sie das, was sie erfassen, auf und empfangen um so mehr und empfinden um so größere Wonne und werden um so mehr eins mir dem, was sie aufnehmen, und zwar in dem Maße, daß (schließlich) die oberste Kraft der Seele, die aller Dinge bloß ist und mit nichts etwas gemein hat, nicht weniger als Gott selbst in der Weite und Fülle seines Seins aufnimmt. Und die Meister erweisen, daß dieser Einigung und diesem Durchfluß und dieser Wonne sich nichts an Lust und Wonne vergleichen kann. Darum sagt unser Herr gar bemerkenswert: »Selig sind die Armen im Geiste« (Matth. 5,3). Arm ist der, der nichts hat. »Arm im Geiste« das heißt: So wie das Auge arm und bloß ist an Farbe und empfänglich für alle Farben, so ist der, der arm im Geiste ist, empfänglich für allen Geist, und aller Geister Geist ist Gott. Frucht des Geistes ist Liebe, Freude und Friede. Bloß, arm (sein), nichts haben, leer sein verwandelt die Natur; Leere macht Wasser bergauf steigen und noch manch anderes Wunder, wovon nun nicht gesprochen werden soll.
Dar umbe, wiltû ganze vröude und trôst haben und vinden in gote, sô sich, daz dû blôz sîst aller crêatûren, alles trôstes von den crêatûren; wan sicherlîche, alle die wîle daz dich trœstet und trœsten mac diu crêatûre, sô envindest dû niemer rehten trôst. Sô dich aber niht trœsten enmac dan got,30 wærlîche, sô trœstet dich got und mit im und in im allez, daz wunne ist. Trœstet dich, daz got niht enist, sô enhâst dû weder hie noch dâ ‹trôst›. Trœstet dich aber crêatûre niht und ensmacket dir niht, sô vindest dû beidiu hie und dâ trôst.
Darum: Willst du volle Freude und Trost haben und finden in Gott, so sieh zu, daß du ledig seist aller Kreaturen, alles Trostes von den Kreaturen; denn sicherlich, solange dich die Kreatur tröstet und zu trösten vermag, findest du niemals rechten Trost. Wenn dich aber nichts zu trösten vermag als Gott, wahrlich, so tröstet dich Gott und mit ihm und in ihm alles, was Wonne ist. Tröstet dich, was nicht Gott ist, so hast du weder hier noch dort Trost. Tröstet dich hingegen die Kreatur nicht und schmeckt sie dir nicht, so findest du sowohl hier wie dort Trost.
Möhte und künde der mensche einen becher zemâle îtel gemachen und îtel behalten von allem dem, daz vüllen mac, ouch luftes, âne zwîvel der becher verzige und vergæze aller sîner natûre, und îtelkeit trüege in ûf biz an den himel. Alsô treget blôz, arm und îtel aller crêatûren die sêle ûf ze gote. Ouch ziuhet ûf in die hœhe glîchnisse und hitze. Glîchnisse gibet man dem sune in der gotheit, hitze und minne dem heiligen geiste. Glîchnisse in allen dingen, sunderlîche mê und ze dem êrsten in götlîcher natûre, ist geburt des einen, und glîchnisse von einem, in einem und mit einem ist ein begin und ursprunc der blüejenden, hitzigen minne. Ein ist begin âne allen begin. Glîchnisse ist begin von dem einen aleine und nimet, daz ez ist und daz ez begin ist, von dem und in dem einen. Minne hât von ir natûre, daz si vliuzet und urspringet von zwein als ein. Ein als ein engibet niht minne, zwei als zwei engibet niht minne; zwei als ein gibet von nôt natiurlîche, williclîche, hitzige minne.
Wäre der Mensch imstande und könnte er einen Becher vollkommen leer machen und leer halten von allem, was zu füllen vermag, auch von Luft, der Becher würde zweifellos seine Natur verleugnen und vergessen, und die Leere trüge ihn hinauf bis zum Himmel. Ebenso trägt Bloß-, Arm- und Leersein von allen Kreaturen die Seele auf zu Gott. Auch zieht Gleichheit und Hitze hinauf in die Höhe. Gleichheit eignet man in der Gottheit dem Sohne zu, Hitze und Liebe dem heiligen Geist. Gleichheit in allen Dingen, insbesondere aber und zum ersten mehr noch in göttlicher Natur, ist Geburt des Einen, und Gleichheit von dem Einen, in dem Einen und mit dem Einen ist Beginn und Ursprung der blühenden, feurigen Liebe. Das Eine ist Beginn ohne allen Beginn. Gleichheit ist Beginn von dem Einen allein und empfängt dies, daß sie ist und daß sie Beginn ist, von und in dem Einen. Die Liebe hat dies von Natur aus, daß sie von Zweien als Eines ausfließt und entspringt. Eins als Eins ergibt keine Liebe, Zwei als Zwei ergibt ebenfalls keine Liebe; Zwei als Eins dies ergibt notwendig naturgemäße, drangvolle, feurige Liebe.
Nû sprichet Salomôn, daz alliu wazzer, daz ist alle crêatûren, vliezent und loufent wider in irn begin. Dar umbe sô ist von nôt wâr, als ich gesprochen hân: glîchnisse und hitzige minne ûfziuhet und leitet und bringet die sêle in den êrsten ursprunc des einen, daz »vater« ist »aller« »in dem himel und in der erde«. Sô spriche ich danne, daz glîchnisse, geborn von einem, ziuhet die sêle in got, als er ist ein in sîner verborgenen einunge, wan daz meinet ein. Des hân wir ein offenbâr angesiht: sô daz lîplîche viur enbrennet daz holz, ein vunke enpfæhet des viures natûre und wirt glîch dem lûtern viure, daz âne allez mittel haftet unden an dem himel. Alzehant vergizzet und verzîhet er vater und muoter, bruoder und swester ûf der erde und jaget ûf an den himelischen vater. Vater hie niden des vunken ist daz viur, muoter sîniu ist daz holz, bruoder und swester sîn sint die andern vunken; der enbeitet daz êrste vünkelîn niht. Ez jaget ûf snelliclîchen ze sînem rehten vater, daz der himel ist; wan, swer bekennet die wârheit, der weiz wol, daz daz viur niht enist ein reht, wâr vater des vunken, als ez viur ist. Der rehte, wâre vater des vunken und alles viuriges ist der himel. Noch ist daz gar sêre ze merkenne, daz diz vünkelîn niht aleine læzet und vergizzet vater und muoter, bruoder und swester ûf ertrîche; mêr ez læzet und vergizzet und verzîhet ouch sîn selbes von minne ze komenne ze sînem rehten vater, dem himel, wan ez muoz von nôt verleschen in der kelte der luft; doch wil ez bewîsen natiurlîche minne, die ez ze sînem wâren, himelschen vater hât.
Nun sagt Salomon, daß alle Wasser, das heißt alle Kreaturen, in ihren Ursprung fließen und zurücklaufen (Pred. 1,7). Darum ist es notwendig wahr, wie ich gesagt habe: Gleichheit und feurige Liebe ziehen hinauf und führen und bringen die Seele in den ersten Ursprung des Einen, das »Vater aller« ist »im Himmel und auf Erden« (vgl. Ephes. 4,6). So sage ich denn, daß Gleichheit, geboren vom Einen, die Seele in Gott zieht, wie er das Eine ist in seiner verborgenen Einung, denn das ist mit Eins gemeint. Dafür haben wir ein sichtbares Anschauungsbild: Wenn das materielle Feuer das Holz entzündet, so empfängt ein Funke Feuersnatur und wird dem lauteren Feuer gleich, das ganz unmittelbar unten am Himmel haftet. Sofort vergißt und gibt er auf Vater und Mutter, Bruder und Schwester auf Erden und jagt hinauf zum himmlischen Vater. Vater des Funkens hienieden ist das Feuer, seine Mutter ist das Holz, seine Brüder und Schwestern sind die anderen Funken; auf sie wartet das erste Fünklein nicht. Es jagt schnell hinauf zu seinem rechten Vater, welches der Himmel ist; denn, wer die Wahrheit erkennt, der weiß wohl, daß das Feuer, sofern es Feuer ist, nicht ein rechter, wahrer Vater des Funkens ist. Der rechte, wahre Vater des Funken und alles Feuerartigen ist der Himmel. Und fürder ist dies noch gar sehr zu beachten, daß dieses Fünklein nicht allein Vater und Mutter, Bruder und Schwester auf Erden verläßt; vielmehr verläßt, vergißt und verleugnet es auch sich selbst aus Liebesdrang, zu seinem rechten Vater, dem Himmel, zu kommen, denn es muß notgedrungen erlöschen in der Kälte der Luft; gleichviel will es die natürliche Liebe, die es zu seinem wahren, himmlischen Vater hat, bekunden.
Und als vor ist gesaget von îtelkeit oder blôzheit, daz, nâch dem als diu sêle durnehtiger, blœzer und ermer ist und minner hât der crêatûren und îteler ist aller dinge, diu niht got ensint, dar nâch nimet si got lûterlîcher und mê in gote und wirt vürbaz ein mit gote und sihet in got und got in sie von antlitze ze antlitze als in einem bilde überbildet, als sant Paulus sprichet, alsô spriche ich nû von glîchnisse und von der minne hitze: wan nâch dem, daz iht dem andern glîcher ist, dar nâch jaget ez mê dar zuo und ist sneller und ist im sîn louf süezer und wünniclîcher; und ie ez verrer kumet von im selben und von allem dem, daz jenez niht enist, dâ ez zuo jaget, und ie unglîcher ‹ez wirt› im selben und allem dem, daz jenez niht enist, dar nâch wirt ez ie glîcher dem, dar zuo ez jaget. Und wan glîchnisse vliuzet von dem einen und ziuhet und locket von der kraft und in der kraft des einen, dar umbe engestillet noch engenüeget niht noch dem, daz dâ ziuhet, noch dem, daz dâ gezogen wirt, biz daz sie +inein vereinet werdent. Dar umbe sprach unser herre in dem wîssagen Isaias und meinte, daz kein hôch glîchnisse und kein vride der minne engenüeget mir, biz daz ich selbe in mînem sune erschîne und ich selbe in der minne des heiligen geistes enbrant und enzündet wirde. Und unser herre bat sînen vater, daz wir mit im und in im ein würden, niht aleine vereinet.
Und wie vorhin vom Leersein oder Bloßsein gesagt wurde, daß die Seele, je lauterer, entblößter und ärmer sie ist und je weniger Kreaturen sie hat und je leerer an allen Dingen sie ist, die Gott nicht sind, um so reiner Gott und um so mehr in Gott erfaßt und mehr eins mir Gott wird und in Gott schaut und Gott in sie von Antlitz zu Antlitz, wie in einem Bilde überbildet, wie Sankt Paulus sagt, - ganz so sage ich's nun auch von der Gleichheit und vom Feuer der Liebe: denn, in dem Maße, in dem etwas einem andern mehr gleicht, in dem Maße jagt es zu diesem hin, ist es schneller und ist ihm sein Lauf beglückender und wonnevoller; und je weiter es von sich selbst und von allem dem wegkommt, was jenes nicht ist, zu dem es hinjagt, und je ungleicher es sich selbst und allem dem wird, was jenes nicht ist, in dem Maße wird es beständig dem gleicher, zu dem es hinjagt. Und da Gleichheit aus dem Einen fließt und durch die Kraft und in der Kraft des Einen zieht und lockt, drum wird Ruhe noch Genüge weder dem, das zieht, noch dem, das gezogen wird, bis daß sie in Eins vereint werden. Darum sagte unser Herr im Propheten Jesaia dem Sinne nach, daß keine hohe Gleichheit und kein Friede der Liebe mir genügt, bis daß ich selbst in meinem Sohne offenbar werde und ich selbst in der Liebe des Heiligen Geistes entbrannt und entzündet werde (vgl. Is. 62,1). { Und unser Herr bat seinen Vater, daß wir mit ihm und in ihm Eins würden, nicht nur vereint.
Dirre rede und dér wârheit hân wir ein offenlich bilde und bewîsunge in der natûre, ouch ûzerlîche: swenne daz viur würket und enzündet und enbrennet daz holz, sô machet daz viur alsô kleine daz holz und im selben unglîch und benimet im gropheit, kelte, swærheit und wezzericheit und machet daz holz im selben, dem viure, glîch mê und mê; doch gestillet noch geswîget noch genüeget niemer weder viure noch holze an keiner wermde noch hitze noch glîchnisse, biz daz viur gebirt sich selben in daz holz und gibet im sîne eigen natûre und ouch ein wesen sîn selbes, alsô daz allez ein viur glîche eigen ist, ungescheiden, weder minner noch mê. Und dar umbe, ê diz her zuo kome, sô ist dâ iemer ein rouch, ein widerkriec, ein prasteln, ein arbeit und ein strît zwischen viure und holze. Sô aber alliu unglîcheit wirt benomen und abegeworfen, sô gestillet daz viur und geswîget daz holz. Und ich spriche mê in der wârheit, daz diu verborgen kraft der natûre hazzet verborgenlîche glîchnisse, als verre ez in im treget underscheit und zweiunge, und suochet in im daz ein, daz si in im und durch ez selbe aleine minnet, als der munt in dem und an dem wîne suochet und minnet den smak oder die süezicheit. Hæte wazzer den smak, den der wîn hât, sô minnete der munt den wîn niht mê dan daz wazzer.
Für dieses Wort und diese Wahrheit haben wir ein sichtbares Bild und ein anschauliches Zeugnis auch äußerlich in der Natur. Wenn das Feuer seine Wirkung tut und das Holz entzündet und in Brand setzt, so macht das Feuer das Holz ganz fein und ihm selbst ungleich und benimmt ihm Grobheit, Kälte, Schwere und Wässerigkeit und macht das Holz sich selbst, dem Feuer, mehr und mehr gleich; jedoch beruhigt, beschwichtigt noch begnügt sich je weder Feuer noch Holz bei keiner Wärme, Hitze oder Gleichheit, bis daß das Feuer sich selbst in das Holz gebiert und ihm seine eigene Natur und sein eigenes Sein übermittelt, so daß es alles ein Feuer ist, beiden gleich eigen, unterschiedslos ohne Mehr oder Weniger } [vgl. Proc. col. I. n. 15]. Und deshalb gibt es, bis es dahin kommt, immer ein Rauchen, Sich-Bekämpfen, Prasseln, Mühen und Streiten zwischen Feuer und Holz. Wenn aber alle Ungleichheit weggenommen und abgelegt ist, so wird das Feuer still und schweigt das Holz. { Und ich sage weiterhin wahrheitsgemäß, daß die verborgene Kraft der Natur im Geheimen die Gleichheit, insoweit sie Unterschiedenheit und Zweiung in sich trägt, haßt } [vgl. Proc. col. I. n. 16] und in ihr das Eine, das sie in ihr und allein um seiner selbst willen liebt, sucht, so wie der Mund im und am Weine den Geschmack oder die Süßigkeit sucht und liebt. Wenn Wasser den Geschmack, den der Wein hat, besäße, so würde der Mund den Wein nicht mehr als das Wasser lieben.
Und dar umbe hân ich gesprochen, daz diu sêle in glîchnisse hazzet und ennimet niht glîchnisse als in ir und durch sie, sunder si minnet sie durch daz ein, daz in ir verborgen ist und wâr »vater« ist, ein begin âne allen begin, »aller« »in himel und in erde«. Und dar umbe spriche ich: alle die wîle daz noch glîchnisse wirt vunden und erschînet zwischen viure und holze, sô enist niemer wârer lust noch swîgen noch rast noch genüegede. Und dar umbe sprechent die meister: gewerden des viures ist mit widerkriege, mit andunge und unruowe und in der zît; aber geburt des viures und lust ist sunder zît und sunder verre. Lust und vröude endünket nieman lanc noch verre. Allez, daz ich nû gesprochen hân, daz meinet, daz unser herre sprichet: »sô diu vrouwe gebirt daz kint, sô hât si leit und pîn und trûricheit; sô aber daz kint geborn ist, sô vergizzet si leides und pîn«. Dar umbe sprichet ouch und manet uns got in dem êwangeliô, daz wir biten den himelschen vater, daz unser vröude volkomen werde, und sant Philippus sprach: »herre, wîse uns den vater, sô benüeget uns«; wan vater meinet geburt und niht glîchnisse und meinet daz ein, in dem geswîget glîchnisse und ist gestillet allez, daz begirde ze wesene hât.
{ Und aus diesem Grunde habe ich gesagt, daß die Seele in der Gleichheit die Gleichheit haßt und sie nicht an sich und um ihrer selbst willen hebt; sie liebt sie vielmehr um des Einen willen, das in ihr verborgen ist und wahrer »Vater« ist, ein Beginn ohne jeden Beginn, »aller« »im Himmel und auf Erden« } [vgl. Proc. col. I. n. 17]. Und darum sage ich: Solange noch Gleichheit zwischen Feuer und Holz gefunden wird und in Erscheinung tritt, gibt es nimmer wahre Lust noch Schweigen noch Rast noch Genügen. Und darum sagen die Meister: Das Werden des Feuers vollzieht sich mit Widerstreit, mit Erregung und Unruhe und in der Zeit; die Geburt des Feuers aber und die Lust ist ohne Zeit und ohne Ferne. Lust und Freude dünkt niemand lang noch fern. Alles, was ich nun gesagt habe, meint unser Herr, da er spricht: »Wenn die Frau das Kind gebiert, so hat sie Leid und Pein und Traurigkeit; wenn aber das Kind geboren ist, so vergißt sie Leid und Pein« (Joh. 16,21). Darum sagt auch und ermahnt uns Gott im Evangelium, daß wir den himmlischen Vater bitten, daß unsere Freude vollkommen werde, und { Sankt Philippus sprach: »Herr, weise uns den Vater, so genügt es uns« (Joh. 14,8) } [vgl. Proc. col. I. n. 18]; denn »Vater« besagt Geburt und nicht Gleichheit und besagt das Eine, in dem die Gleichheit zum Schweigen kommt und alles das still wird, was Begierde nach Sein hat.
Nû mac der mensche offenlîche bekennen, war umbe und wâ von er ungetrœstet ist in allem sînem leide, ungemache und schaden. Daz kumet alles und aleine dâ von, daz er verre von gote ist und niht ledic der crêatûre, gote unglîch und kalt an götlîcher minne.
Nun kann der Mensch offen erkennen, warum und woher er in allem seinem Leide, Ungemach und Schaden ungetröstet ist. Das kommt stets und nur daher, daß er fern von Gott ist und nicht ledig der Kreatur, Gott ungleich und kalt an göttlicher Liebe.
Noch ist aber ein ander sache; swer die merken und bekennen wölte, sô würde er billîche getrœstet an ûzerlîchem schaden und leide.
Ein mensche vert einen wec oder tuot ein werk oder læzet ein ander werk, sô geschihet im ein schade: er brichet ein bein, einen arm oder verliuset ein ouge, oder er wirt siech. Wil er danne alles gedenken: hætest dû einen andern wec gevarn oder ein ander werk getân, sô enwære dir daz niht beschehen, sô blîbet er ungetrœstet und wirt von nôt leidic. Und dar umbe sol er gedenken: wærest dû einen andern wec gevarn oder hætest dû ein ander werk getân oder gelâzen, dir wære vil lîhte ein vil grœzer schade und leit beschehen; und sô würde er billîche getrœstet.
Noch setze ich aber ein anderz: dû hâst verlorn tûsent mark, sô soltû niht klagen die tûsent mark, die verlorn sint. Dû solt gote danken, der dir hât gegeben tûsent mark, die dû verliesen mohtest, und ouch læzet dich durch die tugent der gedult üeben êwic leben verdienen, daz manic tûsent menschen niht enhânt.
Noch aber gibt's etwas anderes: wer das beachten und erkennen wollte, der würde zu Recht getröstet bei äußerem Schaden und Leid.
Ein Mensch zieht einen Weg hin oder verrichtet ein Werk oder unterläßt ein anderes und dabei widerfährt ihm ein Schaden: er bricht ein Bein, einen Arm oder verliert ein Auge, oder er wird krank. Will er dann beständig denken: Wärest du einen andern Weg gezogen oder hättest du ein anderes Werk verrichtet, so wäre dir das nicht widerfahren, so bleibt er ungetröstet und wird notwendig leidbedrückt. Und deshalb soll er denken: Wärest du einen andern Weg gezogen oder hättest du ein anderes Werk verrichtet oder unterlassen, so wäre dir leichtlich ein viel größerer Schaden und Kummer widerfahren; und auf solche Weise würde er zu Recht getröstet.
Und wieder ein anderes will ich annehmen: Du hast tausend Mark verloren; dann sollst du nicht die tausend Mark beklagen, die verloren sind. Du sollst Gott danken, der dir tausend Mark gegeben hat, die du verlieren konntest, und der dich durch die Übung der Tugend der Geduld das ewige Leben verdienen läßt, was vielen tausend Menschen nicht vergönnt ist.
Noch aber ein anderz, daz den menschen getrœsten mac. Ich setze, daz ein mensche hât êre und gemach besezzen manic jâr und verliuset daz nû von gotes verhencnisse; sô sol der mensche wîslîche gedenken und gote danken. Sô er des schaden gewar wirt und des ungemaches, daz er nû hât, sô allerêrst weiz er, waz nutzes und gemaches er vor hâte, und sol gote danken des gemaches, des er sô manic jâr sich hât genietet und nie rehte bekante, daz im sô wol was, und enzürne niht. Er sol gedenken, daz der mensche nâch natiurlîcher wârheit niht von im selben enhât dan bôsheit und gebresten. Allez, daz guot ist und güete, daz hât im got gelihen und niht gegeben. Wan, swer bekennet wârheit, der weiz, daz got der himelsche vater, dem sune und dem heiligen geiste gibet allez, daz guot ist; aber der crêatûre engibet er kein guot, sunder er verlîhet ez ir ze borge. Diu sunne gibet dem lufte hitze, aber lieht gibet si im ze borge; und dar umbe, alzehant sô diu sunne undergât, sô verliuset der luft daz lieht, aber diu hitze blîbet im, wan diu ist dem lufte gegeben alsam ze eigene. Und dar umbe sprechent die meister, daz got, der himelsche vater, ist des sunes vater und niht herre, noch des heiligen geistes herre. Aber got-vater-sun-und-heiliger-geist ist ein herre und ein herre der crêatûren, und sprechen wir, daz got was êwiclîche vater; aber mit der zît, dô er geschuof die crêatûren, sô ist er herre.
Noch ein Weiteres, was den Menschen trösten kann: Ich setze den Fall, daß ein Mensch Ehre und Gemach manches Jahr besessen hat und dies nun durch Gottes Fügung verliert; so soll der Mensch sich weise bedenken und Gott danken. Wenn er des Schadens und des Ungemachs, das er nun hat, inne wird, dann weiß er erst, wieviel Vorteil und Geborgenheit er vorher hatte, und er soll Gott danken für die Geborgenheit, die er so manches Jahr genoß, ohne doch je recht zu erkennen, daß er wohl daran war, und er grolle nicht. Er soll bedenken, daß der Mensch seinem natürlichen Sein nach von sich selbst nichts als Bosheit und Gebresten hat. Alles, was gut und Gutheit ist, das hat ihm Gott geliehen und nicht zu eigen gegeben. Denn wer die Wahrheit erkennt, der weiß, daß Gott, der himmlische Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geiste alles, was gut ist, übergibt; der Kreatur aber gibt er kein Gut, sondern er leiht es ihr (nur) auf Borg. Die Sonne gibt der Luft Wärme, Licht aber gibt sie ihr auf Borg; und darum: sobald die Sonne untergeht, so verliert die Luft das Licht, die Wärme aber bleibt ihr, denn die ist der Luft als zu eigen gegeben. Und darum sagen die Meister, daß Gott, der himmlische Vater, des Sohnes Vater und nicht Herr noch auch des Heiligen Geistes Herr ist. Aber Gott-Vater-Sohn-und-Heiliger-Geist ist ein Herr, und zwar ein Herr der Kreaturen. Und wir sagen, daß Gott ewig Vater war; aber von dem Zeitpunkt an, da er die Kreaturen schuf, ist er Herr.
Nû spriche ich: sît dem mâle dem menschen allez daz, daz guot oder trœstlich oder zîtlich ist, im ze borge gelihen ist, waz hât er danne ze klagenne, sô, der ez im gelihen hât, ez wider nemen wil? Er sol gote danken, der ez im verlihen hât sô lange. Ouch sol er im danken, daz er im ez alzemâle niht wider ennimet, daz er im hât verlihen; und wære ouch billich, daz got allez daz, daz er im gelihen hât, wider næme, sô der mensche zürnet umbe daz, daz er im des ein teil nimet, daz doch sîn nie enwart und des er nie herre enwart. Und dar umbe sprichet gar wol Jeremias, der wîssage, dô er was in grôzem lîdenne und klagenne: manicvaltic sint gotes barmherzicheit, daz wir niht alzemâle ze nihte werden. Swer mir hæte gelihen sînen rok, kürsen und mantel, næme der wider sînen mantel und lieze mir den rok und die kürsen in dem vroste, ich solte im vil billîche danken und vrô sîn. Und sol man daz sunderlîche merken, wie grœzlîche unreht ich hân, sô ich zürne und klage, swanne ich iht verliuse; wan, als ich wil, daz daz guot, daz ich hân, sî mir gegeben und niht gelihen, sô wil ich herre sîn und wil gotes sun natiurlîche sîn und volkomen und enbin doch noch niht gotes sun von gnâden; wan eigenschaft gotes sunes und des heiligen geistes ist: sich glîche halten in allen dingen.
Nun sage ich: Sintemalen dem Menschen alles das, was gut oder tröstlich oder zeitlich ist, ihm auf Borg geliehen ist, was hat er dann zu klagen, wenn der, der es ihm geliehen hat, es zurücknehmen will? Er soll Gott danken, der es ihm so lange geliehen hat. Auch soll er ihm danken, daß er es ihm nicht insgesamt wieder wegnimmt, was er ihm geliehen hat; und es wäre doch auch nur billig, daß Gott ihm alles das, was er ihm geliehen hat, wieder wegnähme, wenn der Mensch zornig wird darüber, daß er ihm ein Teil dessen, was nie sein und dessen Herr er nie ward, wieder nimmt. Und darum spricht Jeremias, der Prophet, ganz recht, da er in großem Leiden und Klagen war: »Mannigfaltig sind Gottes Erbarmungen, daß wir nicht gänzlich zunichte werden!« (Klag. 3,22). Wenn einer, der mir seinen Rock, Pelzrock und Mantel geliehen hätte, seinen Mantel zurücknähme und mir den Rock und den Pelzrock im Frost ließe, so sollte ich ihm sehr zu Recht danken und froh sein. Und man soll insonderheit erkennen, wie sehr ich unrecht habe, wenn ich zürne und klage, so ich irgend etwas verliere; denn, wenn ich will, daß das Gute, das ich habe, mir zu eigen gegeben und nicht (nur) geliehen sei, so will ich Herr sein und will Gottes Sohn von Natur und in vollkommenem Sinne sein und bin doch noch nicht (einmal) Gottes Sohn von Gnaden; denn Eigenschaft des Sohnes Gottes und des Heiligen Geistes ist es, sich gleich zu verhalten in allen Dingen.
Ouch sol man wizzen, daz âne zwîvel ouch natiurlîchiu menschlîchiu tugent sô edel und sô kreftic ist, daz ir kein ûzerlîchez werk ze swære ist noch grôz genuoge, daz si sich dar ane und dar inne bewîsen müge und sich darîn bilden. Und dar umbe ist ein inner werk, daz noch zît noch stat besliezen noch begrîfen enmac, und in dem selben ist, waz götlich und gote glîch ist, den noch zît noch stat besliuzet - er ist allenthalben und alle zît glîche gegenwertic - und ‹ist› ouch dar ane gote glîch, den kein crêatûre volkomenlîche enpfâhen mac, noch gotes güete enmac in sich bilden. Und dâ von sô muoz etwaz innigers und hœhers sîn und ungeschaffen, âne mâze und âne wîse, dâ sich der himelsche vater ganze înbilden und îngiezen und bewîsen müge: daz sint der sun und der heilige geist. Ouch enmac daz inner werk der tugent als wênic ieman gehindern, als man got niht hindern enmac. Daz werk glenzet und liuhtet tac und naht. Ez lobet und singet gotes lop und einen niuwen gesanc, als Dâvît sprichet: »singet gote einen niuwen sanc«. Des lop ist von der erde, und daz werk enminnet got niht, daz ûzer, daz zît und stat besliuzet, daz enge ist, daz man hindern mac und betwingen, daz müede wirt und alt von zît und von üebunge. Diz werk ist got minnen, guot und güete wellen, dâ allez daz, daz der mensche wil und wölte tuon mit lûterm ganzen willen in allen guoten werken, hât iezent getân, dar ane ouch glîch gote, von dem schrîbet Dâvît: allez, daz er wolte, daz hât er iezent getân und geworht.
{ Auch soll man wissen, daß zweifellos schon natürliche menschliche Tugend so edel und kräftig ist, daß ihr kein äußeres Werk zu schwer noch groß genug ist, sich daran und darin erweisen und sich darein einformen zu können. Und darum gibt es ein inneres Werk, das weder Zeit noch Raum umschließen noch umfassen kann, und in demselben ist etwas, das göttlich und Gott gleich ist, den (ja ebenfalls) weder Zeit noch Raum umschließt - er ist allenthalben und allzeit gleich gegenwärtig -, und es ist auch darin Gott gleich, daß ihn keine Kreatur vollkommen in sich aufzunehmen noch Gottes Gutheit in sich einzuformen vermag. Und deshalb muß es etwas Innerlicheres und Höheres und Ungeschaffenes geben, ohne Maß und ohne Weise, in das der himmlische Vater sich ganz einzuprägen und einzugießen und in dem er sich zu offenbaren vermag: das sind der Sohn und der Heilige Geist. Auch vermag jemand das innere Werk der Tugend so wenig zu hindern, wie man Gott hindern kann. Das Werk glänzt und leuchtet Tag und Nacht. Es lobt und singt Gottes Lob und einen neuen Gesang, } wie David spricht: »Singet Gott einen neuen Gesang« (Ps. 95,1). Dessen Lob ist irdisch und das Werk liebt Gott nicht, das äußerlich ist, das Zeit und Raum umschließt, das eng ist, das man hindern und bezwingen kann, das müde wird und alt durch Zeit und Ausübung. { Jenes Werk aber ist: Gott lieben } [vgl. Proc. col. I. n. 19], ist Gutes und die Gutheit wollen, wobei alles das, was der Mensch mit lauterem und ganzem Willen in allen guten Werken tun will und tun möchte, (damit) bereits jetzt getan hat, auch darin Gott gleichend, von dem David schreibt: »Alles, was er wollte, das hat er jetzt getan und gewirkt« (Ps. 134,6).
Dirre lêre hân wir ein offenbâre bewîsunge an dem steine: des ûzer werk ist, daz er nider valle und lige ûf der erde. Daz werk mac gehindert werden, und envellet er niht alle zît noch âne underlâz. Ein ander werk ist noch inniger dem steine, daz ist neigunge niderwert, und daz ist im anegeborn; daz enkan im noch got noch crêatûre benemen noch nieman. Daz werk würket der stein âne underlâz tac und naht. Daz er tûsent jâr dâ obenân læge, er enneigete weder minner noch mê dan in dem êrsten tage.
Für diese Lehre haben wir ein anschauliches Zeugnis am Steine: dessen äußeres Werk ist es, daß er niederfällt und auf der Erde aufliegt. Dieses Werk kann gehindert werden, und er fällt nicht jederzeit noch ohne Unterlaß. Ein anderes Werk (aber) ist dem Stein noch inniger: das ist die Neigung niederwärts, und dies ist ihm angeboren; das kann ihm weder Gott noch Kreatur noch irgendwer benehmen. Dies Werk wirkt der Stein ohne Unterlaß Tag und Nacht. Und wenn er tausend Jahre da oben läge, er würde nicht weniger noch mehr niederwärts neigen als am ersten Tage.
Rehte alsô spriche ich von der tugent, daz si hât ein innigez werk: wellen und neigen ze allem guoten und îlen und widerkriegen von allem dem, daz bœse und übel ist, güete und gote unglîch. Und ie daz werk bœser ist und gote unglîcher, ie der widerkriec grœzer ist; und ie daz werk grœzer ist und gote glîcher, ie ir daz werk lîhter, williger und lustiger ist. Und alliu ir klage und leit ist, ob leit in sie gevallen möhte, daz diz lîden durch got alze kleine ist und al ûzer werk in der zît alze kleine, daz si sich niht ganze eröugen noch volle bewîsen noch darîn bilden enmac. Sich üebende wirt si kreftic, und von milte wirt si rîche. Si enwölte niht geliten noch überliten hân leit und lîden; si wil und wölte alle zît âne underlâz lîden durch got und durch woltât. Alliu ir sælicheit ist lîden, niht geliten-hân, durch got. Und dar umbe sprichet unser herre gar merklîche: »sælic sint, die dâ lîdent durch die gerehticheit«. Er ensprichet niht: »die geliten hânt«. Ein solich mensche hazzet geliten-hân, wan geliten-hân enist niht lîden, daz er minnet; ez ist ein vürganc und ein verlust lîdennes durch got, daz er aleine minnet. Und dar umbe spriche ich, daz ein solich mensche ouch hazzet noch-lîden-suln, wan daz ouch niht lîden enist. Doch hazzet er minner lîden-suln dan gelitenhân, wan geliten-hân ist verrer und unglîcher lîdenne, wan ez zemâle vergangen ist. Daz man aber lîden sol, daz enbenimet niht alzemâle lîden, daz er minnet.
Genau so sage ich von der Tugend, sie habe ein inneres Werk: ein Streben und Neigen zu allem Guten und ein Fliehen und Widerstreben weg von allem dem, was böse und übel ist, der Gutheit und Gott ungleich. Und je böser das Werk ist und Gott unähnlicher, um so größer ist das Widerstreben; und je bedeutender und Gott ähnlicher das Werk ist, um so leichter, lieber und lustvoller ist ihr das Werk. Und ihre ganze Klage und ihr Leid ist es - dafern Leid sie überhaupt befallen kann -‚ daß dieses Leiden um Gottes willen und alles äußere Werk in der Zeit viel zu klein ist, als daß sie sich ganz darin offenbaren und voll erweisen und darin erbilden kann. Durch Übung wird sie kräftig, und durch Freigebigkeit wird sie reich. Sie möchte nicht Leid und Leiden (schon) gelitten und überstanden haben; sie will und möchte allzeit ohne Unterlaß leiden um Gottes und des Wohltuns willen. Ihre ganze Seligkeit liegt im Leiden, nicht im Gelitten-haben, um Gottes willen. Und darum sagt unser Herr gar beherzigenswert: »Selig sind, die da leiden um der Gerechtigkeit willen« (Matth. 5,10). Er sagt nicht: »die gelitten haben.« Ein solcher Mensch haßt das Gelitten-haben, denn Gelittenhaben ist nicht das Leiden, das er liebt; es ist ein Überschreiten und ein Verlust des Leidens um Gottes willen, das allein er liebt. Und darum sage ich, daß ein solcher Mensch auch das Erst-noch-leidenwerden haßt, denn auch das ist nicht Leiden. Indessen haßt er weniger das Leiden-werden als das Gelitten-haben, denn das Gelittenhaben ist dem Leiden ferner und unähnlicher, da es gänzlich vergangen ist. Wenn aber jemand (erst noch) leiden wird, so beraubt ihn dies nicht völlig des Leidens, das er liebt.
Sant Paulus sprichet, daz er gotes durch got enbern wolte, umbe daz gotes êre gebreitert würde. man sprichet, daz sant Paulus diz spræche in der zît, dô er noch niht volkomen enwas. Ich wæne aber, daz diz wort kæme von einem volkomenen herzen. man sprichet ouch, daz er meinte, daz er eine wîle von gote wolte gescheiden sîn. Ich spriche, daz ein volkomen mensche als ungerne wölte sich von gote scheiden eine stunde als tûsent jâr. Doch wære ez gotes wille und gotes êre, daz er gotes enbære, sô wære im als lîht tûsent jâr oder joch êwiclîche als ein tac, ein stunde.
Sankt Paulus sagt, daß er Gottes um Gottes willen entbehren wolle (Röm. 9,3), auf daß Gottes Ehre gemehrt würde. Man sagt, Sankt Paulus habe dies in der Zeit geäußert, da er noch nicht vollkommen war. Ich hingegen meine, daß dies Wort aus einem vollkommenen Herzen kam. Man sagt auch, er habe gemeint, daß er (nur) für eine Weile von Gott geschieden sein wollte. Ich (aber) sage, daß ein vollkommener Mensch sich gleich ungern für eine Stunde wie für tausend Jahre von Gott trennen möchte. Wäre es jedoch Gottes Wille und Gottes Ehre, daß er Gott entbehrte, so fielen ihm tausend Jahre oder gar die Ewigkeit so leicht wie ein Tag, eine Stunde.
Ouch ist daz inner werk dar ane götlich und gotvar und smacket götlîche eigenschaft, daz, ze glîcher wîse alsam alle crêatûren, ob joch tûsent werlte wæren, eines hâres breite niht bezzer enist dan got eine, alsô spriche ich und hân ez dâ vor gesaget, daz diz ûzer werk noch sîn menge noch sîn grœze noch sîn lenge noch sîn wîte niht alzemâle mêret die güete des innern werkes; ez hât sîne güete in im selben. Dar umbe enkan daz ûzer werk niemer kleine gesîn, ob daz inner grôz ist, und daz ûzer enmac niemer grôz sîn noch guot, ob daz inner kleine oder niht enist wert. Daz inner werk hât in im beslozzen alle zît alle grœze, alle wîte und lenge. Daz inner werk nimet und schepfet allez sîn wesen niergen dan von und in gotes herzen; ez nimet den sun und wirt sun geborn in des himelschen vaters schôze; daz ûzer werk niht alsô, sunder ez nimet sîne götlîche güete mittels des innigen werkes, ûzgetragen und ûzgegozzen in einem nidervalle der gekleideten gotheit mit underscheide, mit menge, mit teile, daz allez und dem glîch und ouch glîchnisse selbe gote verre und vremde sint. Sie haftent und behaftent und gestillent in dem, daz guot ist, daz erliuhtet ist, daz crêatûre ist, blint alzemâle güete und liehtes in in selben und des einen, in dem got gebirt sînen eingebornen sun und in im alle, die gotes kint sint, geborn süne. Dâ ist ûzvluz und ursprunc des heiligen geistes, von dem aleine, alsam er gotes geist und geist got selber ist, enpfangen wirt der sun in uns, und ist ûzvluz von allen den, die gotes süne sint, nâch dem, daz sie minner oder mê lûterlîche von gote aleine geborn sint, nâch gote und in gote überbildet und entriuwet aller menge, der man doch und noch vindet in den obersten engeln natiurlîche, noch, der ez wol bekennen wil, entriuwet der güete, der wârheit und allem dem, daz, joch in einem gedanke und in einem namen aleine, einen wân oder einen schaten keines underscheides lîdet, und getriuwet dem einen, blôz allerleie menge und underscheides, in dem ouch verliuset und wirt enblœzet aller underscheide und eigenschaft und ist ein und sint ouch ein got-vater-sun-und-heiliger-geist. Und daz ein machet uns sælic, und ie wir dem einen verrer sîn, ie minner wir süne und sun sîn und der heilige geist minner volkomenlîche in uns entspringet und von uns vliuzet; und dar nâch wir næher sîn dem einen, dar nâch sîn wir wærlîcher gotes süne und sun und ouch vliuzet von uns got-der-heilige-geist. Daz meinet, daz unser herre, gotes sun in der gotheit, sprichet: swer dâ trinket von dem wazzer, daz ich gibe, in dem entspringet ein brunne des wazzers, daz dâ springet in daz êwige leben, und sprichet sant Johannes, daz er daz spræche von dem heiligen geiste.
Auch ist das innere Werk darin göttlich und gottartig und verrät göttliche Eigenheit, daß, gleichwie alle Kreaturen, selbst wenn es tausend Welten gäbe, nicht um Haaresbreite den Wert Gottes allein übersteigen würden, - so sage ich und habe es schon vorhin gesagt, daß jenes äußere Werk, sein Umfang und seine Größe, seine Länge und seine Weite um ganz und gar nichts die Gutheit des inneren Werkes mehrt; es hat seine Gutheit in sich selbst. Darum kann das äußere Werk niemals klein sein, wenn das innere groß ist, und das äußere niemals groß oder gut, wenn das innere klein oder nichts wert ist. Das innere Werk hat allzeit alle Größe, alle Weite und Länge in sich beschlossen. Das innere Werk nimmt und schöpft sein ganzes Sein nirgends als von und in Gottes Herzen; es nimmt den Sohn und wird als Sohn geboren in des himmlischen Vaters Schoß. Nicht so das äußere Werk: vielmehr empfängt dies seine göttliche Gutheit vermittels des inneren Werkes als ausgetragen und ausgegossen in einem Abstieg der mit Unterschied, mit Menge, mit Teil umkleideten Gottheit: dies alles (aber) und dem Ähnliches, wie auch die Gleichheit selbst sind Gott fern und fremd. (Denn) dies alles haftet und verharrt und beruhigt sich in dem, was (einzeln) gut ist, was erleuchtet ist, was Kreatur ist, ganz und gar blind für die Gutheit und das Licht an sich und für das Eine, in dem Gott seinen eingeborenen Sohn gebiert und in ihm alle die, die Gottes Kinder, geborene Söhne sind. Da (d. h. in dem Einen) ist der Ausfluß und Ursprung des Heiligen Geistes, von dem allein, sofern er Gottes Geist und Gott selbst Geist ist, der Sohn in uns empfangen wird, und (da) ist (auch) dieser Ausfluß (des Heiligen Geistes) aus allen denen, die Gottes Söhne sind, je nachdem sie minder oder mehr rein nur von Gott allein geboren sind, nach Gott und in Gott überbildet und aller Menge entrückt, die man doch und selbst noch in den obersten Engeln ihrer Natur nach findet, ja selbst noch, will man's recht erkennen, entrückt der Gutheit, der Wahrheit und allem dem, was, und sei's nur im Gedanken und in der Benennung eine Ahnung oder einen Schatten irgendeines Unterschieds leidet, und anvertraut (nur) dem Einen, das frei ist von jederart Menge und Unterschied, in dem auch Gott-Vater-Sohn-und-Heiliger-Geist alle Unterschiede und Eigenschaften verliert und ihrer entblößt wird und Eins ist und sind. Und dieses Eine macht uns selig, und je ferner wir dem Einen sind, um so weniger sind wir Söhne und Sohn, und um so weniger vollkommen entspringt in uns und fließt von uns der Heilige Geist; hingegen, je nachdem wir dem Einen näher sind, um so wahrhaftiger sind wir Gottes Söhne und Sohn und fließt auch Gott, der Heilige Geist von uns aus. Das ist gemeint, wenn unser Herr, Gottes Sohn in der Gottheit, spricht: »Wer da von dem Wasser trinkt, das ich gebe, in dem entspringt ein Quell des Wassers, das da ins ewige Leben springt« (Joh. 4,14), und Sankt Johannes spricht, er habe dies vom Heiligen Geist gesagt (Joh. 7, 39).
Der sun in der gotheit nâch sîner eigenschaft engibet niht anders dan sun-wesen, dan got-geborn-wesen, brunnen, ursprunc und ûzvluz des heiligen geistes, der minne gotes, und vollen, rehten, ganzen smak des einen, des himelschen vaters. Dar umbe sprichet des vaters stimme von dem himel ze dem sune: »dû bist mîn geminter sun, in dem ich geminnet und behegelich bin«, wan âne zwîvel, got enminnet nieman mit genüegede und lûterlîche, der niht gotes sun enist. Wan minne, der heilige geist, urspringet und vliuzet von dem sune, und der sun minnet den vater durch in selben, den vater in im selben und sich selben in dem vater. Dar umbe sprichet vil wol unser herre, daz »sælic sint die armen in dem geiste«, daz ist: die niht enhânt eigens und menschlîches geistes und blôz koment ze gote. Und sant Paulus sprichet: »got hât ez uns geoffenbâret in sînem geiste«.
Der Sohn in der Gottheit gibt seiner Eigenheit gemäß nichts anderes als Sohn-Sein, als Gottgeboren-Sein, Quell, Ursprung und Ausfluß des Heiligen Geistes, der Liebe Gottes, und vollen, rechten, ganzen Geschmack des Einen, des himmlischen Vaters. Drum spricht des Vaters Stimme vom Himmel herab zum Sohn: »Du bist mein geliebter Sohn, in dem ich geliebt und wohlgefällig bin« (Matth. 3‚17), denn zweifellos liebt niemand, der nicht Gottes Sohn ist, Gott genugsam und lauter. Denn die Liebe, der Heilige Geist, entspringt und fließt aus dem Sohn, und der Sohn liebt den Vater um seiner selbst willen, den Vater in ihm selbst und sich selbst in dem Vater. Sehr recht sagt darum unser Herr: »Selig sind die Armen im Geiste« (Matth. 5‚3), das heißt: die nichts von eigenem und menschlichem Geist haben und entblößt zu Gott kommen. Und Sankt Paulus spricht: »Gott hat es uns geoffenbart in seinem Geiste« (Kol. 1,8).
Sant Augustînus sprichet, daz der allerbeste die geschrift vernimet, der blôz alles geistes suochet sin und wârheit der geschrift in ir selben, daz ist: in dem geiste, dar inne si geschriben ist und gesprochen ist: in gotes geiste. Sant Pêter sprichet, daz alle die heiligen liute hânt gesprochen in dem geiste gotes. Sant Paulus sprichet: nieman enmac bekennen und wizzen, waz sî in dem menschen, dan der geist, der in dem menschen ist, und nieman enmac wizzen, waz gotes geist und in gote ist, dan der geist, der gotes und got ist. Dar umbe sprichet gar wol ein geschrift, ein glôse, daz nieman enmac vernemen noch lêren kan sant Pauli schrift, er enhabe danne den geist, in dem sant Paulus sprach und schreip. Und daz ist alles und alliu mîn klage, daz grobe liute, die gotes geistes ledic sint und niht enhânt, nâch irm groben menschlîchen sinne wellent urteilen, daz sie hœrent oder lesent in der schrift, diu gesprochen und geschriben ist von dem und in dem heiligen geiste, und engedenkent niht, daz geschriben ist: »daz unmügelich ist bî den liuten, daz ist mügelich bî gote«. Und ouch gemeinlîche und natiurlîche: daz unmügelich ist der undern natûre, daz ist gewonlich und natiurlich der obern natûre.
Sankt Augustinus sagt, daß der die Schrift am besten versteht, der alles Geistes entblößt, Sinn und Wahrheit der Schrift in ihr selbst, d. h. in dem Geiste sucht, darin sie geschrieben und gesprochen ist: in Gottes Geist. Sankt Peter sagt, daß alle die heiligen Leute im Geiste Gottes gesprochen haben (2 Petr. 1,21). Sankt Paulus sagt: Niemand vermag zu erkennen und zu wissen, was in dem Menschen sei, als der Geist, der im Menschen ist, und niemand vermag zu wissen, was Gottes Geist und in Gott ist, als der Geist, der Gottes und Gott ist (1 Kor. 2,11). Drum sagt eine Schrift, eine Glosse, sehr recht, daß niemand Sankt Pauls Schrift verstehen noch lehren kann, er habe denn den Geist, in dem Sankt Paulus sprach und schrieb. Und dies ist immerfort und meine ganze Klage, daß grobsinnige Leute, die Gottes Geistes bar sind und nichts davon besitzen, nach ihrem groben menschlichen Verstand beurteilen wollen, was sie hören oder lesen in der Schrift, die gesprochen und geschrieben ist vom und im Heiligen Geiste, und nicht bedenken, daß geschrieben steht: »Was unmöglich ist bei den Menschen, das ist möglich bei Gott« (Matth. 19,26). Und (es gilt) auch gemeinhin und im natürlichen Bereich: Was der untern Natur unmöglich ist, das ist der obern Natur gewohnt und naturgemäß.
Dâ von nû nemet doch noch, daz ich nû gesprochen hân, daz ein guot mensche, gotes sun in gote geborn, minnet got durch in selben und in im selben, und vil ander wort, diu ich vor gesprochen hân. Baz ze vernemenne sô sol man wizzen, als ich ouch mê gesprochen hân, daz ein guot mensche, von güete und in gote geborn, tritet in alle die eigenschaft götlîcher natûre. Nû ist ein eigenschaft an gote nâch Salomônes worten, daz alliu dinc got würket durch sich selben, daz ist, daz er niht ûz im anesihet warumbe dan durch sich selben; er minnet und würket alliu dinc durch sich selben. Dar umbe, sô der mensche minnet in selben und alliu dinc und würket alliu sîniu werk niht umbe lôn, umbe êre oder umbe gemach dan durch got und gotes êre aleine, daz ist ein zeichen, daz er gotes sun ist.
Darüber nehmt nun doch noch hinan, was ich vorhin gesagt habe: daß ein guter Mensch, als Gottes Sohn in Gott geboren, Gott um seiner selbst willen und in ihm selbst liebt, und viele andere Worte, die ich im voraufgehenden gesprochen habe. Um es noch besser zu verstehen, muß man wissen, daß, wie ich denn auch öfter gesagt habe, ein guter Mensch, von der Gutheit und in Gott geboren, in alle Eigenart göttlicher Natur eintritt. Nun ist es nach Salomons Worten eine Eigentümlichkeit Gottes, daß Gott alle Dinge um seiner selbst willen wirkt, das heißt, daß er auf kein Warum außerhalb seiner selbst als vielmehr nur auf das Um-seiner-selbst-willen schaut; er liebt und wirkt alle Dinge um seiner selbst willen. Wenn daher der Mensch ihn selbst und alle Dinge liebt und alle seine Werke wirkt nicht um Lohn, um Ehre oder um Gemach, sondem nur um Gott und Gottes Ehre willen, so ist das ein Zeichen, daß er Gottes Sohn ist.
Noch vürbaz: got minnet durch sich selben und würket alliu dinc durch sich selben, daz ist: er minnet durch minne, und er würket durch würken; wan âne zwîvel: got enhæte sînen eingebornen sun in der êwicheit nie geborn, enwære geborn niht gebern. Dar umbe sprechent die heiligen, daz der sun alsô êwiclîche geborn ist, daz er doch âne underlâz noch wirt geborn. Ouch enhæte got die werlt nie geschaffen, ob geschaffen-wesen niht enwære geschaffen. Dar umbe: got hât alsô geschaffen die werlt, daz er sie noch âne underlâz schepfet. Allez, daz vergangen ist und waz zuokünftic ist, daz ist gote vremde und verre. Und dar umbe: swer von gote geborn ist gotes sun, der minnet got durch in selben, daz ist: er minnet got durch minnengot und würket alliu sîniu werk durch würken. Got der enwirt minnennes und würkennes niemer müede, und ouch im ist allez ein minne, daz er minnet. Und dar umbe ist wâr, daz got ist diu minne. Und dar umbe sprach ich dâ oben, daz der guote mensche wil und wölte alle zît lîden durch got, niht geliten hân; lîdende hât er, daz er minnet. Er minnet lîden durch got und lîdet durch got. Dar umbe und dar ane sô ist er gotes sun, nâch gote und in got gebildet, der minnet durch sich selben, daz ist: er minnet durch minne, würket durch würken; und dar umbe minnet got und würket âne underlâz. Und gotes würken ist sîn natûre, sîn wesen, sîn leben, sîn sælicheit. Alsô wærlîche: dem gotes sune, einem guoten menschen, sô vil er gotes sun ist, durch got lîden, durch got würken ist sîn wesen, sîn leben, sîn würken, sîn sælicheit, wan alsô sprichet unser herre: »sælic sint, die dâ lîdent durch die gerehticheit«.
Mehr noch: Gott liebt seiner selbst wegen und wirkt alle Dinge um seiner selbst willen, das heißt: er liebt um der Liebe, und er wirkt um des Wirkens willen; denn zweifellos hätte Gott seinen eingeborenen Sohn in der Ewigkeit nie geboren, wäre das Geborenhaben nicht dem Gebären gleich. Darum sagen die Heiligen, daß der Sohn so ewiglich geboren ist, daß er doch ohne Unterlaß noch geboren wird. Auch hätte Gott die Welt nie geschaffen, wenn Geschaffen-sein nicht mit Erschaffen eins wäre. Drum: Gott hat die Welt in der Weise geschaffen, daß er sie immer noch ohne Unterlaß erschafft. Alles, was vergangen und was zukünftig ist, das ist Gott fremd und fern. Und darum: Wer von Gott als Gottes Sohn geboren ist, der hebt Gott um seiner selbst willen, das heißt: er hebt Gott um des Gott-Liebens willen und wirkt alle seine Werke um des Wirkens willen. Gott wird des Liebens und Wirkens nimmer müde, und auch ist ihm, was er liebt, alles eine Liebe. Und darum ist es wahr, daß Gott die Liebe ist. Und darum habe ich oben gesagt, daß { der gute Mensch allzeit um Gottes willen leiden will und möchte, nicht gelitten haben; leidend (= indem er leidet) hat er, was er liebt. Er liebt das Um-Gottes-willen-Leiden und leidet Gottes wegen. Deshalb und darin ist er Gottes Sohn, nach Gott und in Gott gebildet, der um seiner selbst willen liebt, das heißt: er liebt um der Liebe, er wirkt um des Wirkens willen; und darum liebt und wirkt Gott ohne Unterlaß. Und Gottes Wirken ist seine Natur, sein Sein, sein Leben, seine Seligkeit. Ganz so in Wahrheit ist für den Gottessohn, für einen guten Menschen, soweit er Gottes Sohn ist, das Leiden um Gottes willen, das Wirken um Gottes willen sein Sein, sein Leben, sein Wirken, seine Seligkeit, denn so spricht unser Herr: »Selig sind, die da leiden um der Gerechtigkeit willen« (Matth. 5,10) } [vgl. Proc. col. I. n. 20].
Noch spriche ich vürbaz ze dem dritten mâle, daz ein guot mensche, als verre er guot ist, hât gotes eigenschaft niht aleine dar ane, daz er minnet und würket allez, daz er minnet und würket, durch got, den er dâ minnet und durch den er würket, sunder er minnet und würket ouch durch sich selben, der dâ minnet; wan, daz er minnet, daz ist got-vater-ungeborn, der dâ minnet, ist got-sun-geborn. Nû ist der vater in dem sune und der sun in dem vater. Vater und sun sint ein. Von dem, wie daz innigeste und daz oberste der sêle schepfet und nimet gotes sun und gotes-sun-werden in des himelschen vaters schôze und herzen, daz suoche nâch dem ende dis buoches, dâ ich schrîbe »von dem edeln menschen, der ûz vuor in ein verrez lant nemen an sich ein rîche und wider ze komenne«.
Überdies sage ich weiterhin zum dritten, { daß ein guter Mensch, soweit er gut ist, Gottes Eigenheit hat nicht allein darin, daß er alles, was er liebt und wirkt, liebt und wirkt um Gottes willen, den er da liebt und um dessentwillen er wirkt, sondern er, der da liebt, liebt und wirkt auch um seiner selbst willen; denn, was er liebt, das ist der ungeborene Gott-Vater, wer da liebt, ist der geborene Gott-Sohn. Nun ist der Vater im Sohn und der Sohn im Vater. Vater und Sohn sind Eins } [vgl. Proc. col. I n. 21; Bulle 20, Votum 17]. Darüber, wie das Innerste und das Oberste der Seele Gottes Sohn und das Gottes-Sohn-Werden in des himmlischen Vaters Schoß und Herzen schöpft und empfängt, das suche hinter dem Schluß dieses Buches, wo ich schreibe »Vom edlen Menschen, der auszog in ein fernes Land, um ein Reich zu empfangen und wiederzukommen« (Luk. 19,12) [3].
Ouch sol man aber wizzen, daz in der natûre îndruk und învluz der obersten natûre und der hœhsten ist einem ieglîchen wünniclîcher und lustlîcher dan sîn selbes eigen natûre und wesen. Daz wazzer vliuzet von sîner eigenen natûre niderwert ze tal, und ouch liget sîn wesen dar ane. Doch von îndrucke und von învluzze des mânen in dem himel obenân sô verzîhet und vergizzet ez sîner eigenen natûre und vliuzet ze berge in die hœhe, und ist im der ûzvluz vil lîhter dan der vluz niderwert. Dâ bî sol der mensche wizzen, ob im reht wære, daz im wünniclich und vrœlich wære, sînen natiurlîchen willen ze lâzenne und ze verzîhenne und alzemâle +ûzzegânne in allem dem, daz got den menschen lîden wil. Und daz meinet nâch einem guoten sinne, daz unser herre sprach: »swer wil komen ze mir, der sol sîn selbes ûzgân und verzîhen und sol sîn criuze ûfheben«, daz ist: er sol abelegen und abetuon allez, daz criuze und leit ist. Wan sicher: swer sîn selbes verzigen hæte und wære ganze sîn selbes ûzgegangen, dem enmöhte niht criuze wesen noch leit noch lîden; ez wære im allez ein wunne, ein vröude, ein herzeliep, und der kæme und volgete wærlîche gote. Wan, als got niht enmac betrüeben noch leidic gemachen, als wênic möhte den menschen iht riuwic oder leidic gemachen. Und dar umbe: daz unser herre sprichet: »swer wil ze mir komen, der verzîhe sîn selbes und hebe ûf sîn criuze und volge mir«, daz enist niht aleine ein gebot, als man gemeinlîche sprichet und wænet: ez ist ein gelübede und ein götlîchiu lêre, wie dem menschen allez sîn lîden, alliu sîniu werk, allez sîn leben wünniclich und vrœlich wirt, und ist ein lôn mê dan ein gebot. Wan der mensche, der sôgetân ist, hât allez, daz er wil, und enwil niht übels, und daz ist sælicheit. Dar umbe sprichet aber unser herre wol: »sælic sint, die dâ lîdent durch die gerehticheit«.
Man soll überdies wiederum wissen, daß in der Natur der Eindruck und Einfluß der obersten und höchsten Natur einem jeglichen (Wesen) wonnesamer und lustvoller ist denn seine eigene Natur und Wesensart. Das Wasser fließt infolge seiner eigenen Natur niederwärts zu Tal, und darin liegt auch sein Wesen. Jedoch unter dem Eindruck und Einfluß des Monds oben am Himmel verleugnet und vergißt es seine eigene Natur und fließt bergan in die Höhe, und dieser Ausfluß ist ihm viel leichter als der Fluß niederwärts. Daran soll der Mensch erkennen, ob er recht daran sei: daß es ihm wonnesam und erfreulich wäre, seinen natürlichen Willen zu lassen und zu verleugnen und sich völlig seiner selbst zu entäußern in allem, von dem Gott will, daß es der Mensch leidet. Und dies ist in rechtem Sinne gemeint, wenn unser Herz sprach: »Wer zu mir kommen will, der muß sich seiner selbst entäußern und sich verleugnen und muß sein Kreuz aufheben« (Matth. 16,24), das heißt: er soll ablegen und abtun alles, was Kreuz und Leid ist. Denn sicherlich: Wer sich selbst verleugnet und sich gänzlich seiner selbst entäußert hätte, für den könnte nichts Kreuz noch Leid noch Leiden sein; es wäre ihm alles eine Wonne, eine Freude, eine Herzenslust, und ein solcher käme und folgte Gott wahrhaft. Denn so wie Gott nichts zu betrüben noch in Leid zu versetzen vermag, ebensowenig könnte einen solchen Menschen irgend etwas bekümmern oder in Leid bringen. Und wenn daher unser Herr sagt: »Wer zu mir kommen will, der verleugne sich selbst und hebe sein Kreuz auf und folge mir«, so ist das nicht nur ein Gebot, wie man gemeinhin sagt und wähnt: es ist (vielmehr) eine Verheißung und eine göttliche Anweisung, auf welche Weise dem Menschen sein ganzes Leiden, sein ganzes Tun, sein ganzes Leben wonnevoll und freudig wird, und es ist eher ein Lohn als ein Gebot. Denn der Mensch, der so geartet ist, hat alles, was er will, und will nichts Schlechtes, und das ist Seligkeit. Deshalb wiederum spricht unser Herr mit Recht: »Selig sind, die da leiden um der Gerechtigkeit willen« (Matth. 5,10).
Ouch, daz unser herre, der sun, sprichet: »verzîhe sîn selbes und hebe ûf sîn criuze und kome ze mir«, daz meinet: werde sun, als ich sun bin, geborngot, und daz selbe ein, daz ich bin, daz ich schepfe înwesende, inneblîbende in des vaters schôze und herzen. Vater, sprichet ouch der sun, ich wil, daz, der mir volget, der ze mir kumet, daz der sî, dâ ich bin. Nieman enkumet eigenlîche ze dem sune, als er sun ist, dan der sun wirt, und nieman enist, dâ der sun ist, der in des vaters schôze und herzen ist ein in einem, dan der sun ist.
Zudem, wenn unser Herr, der Sohn, spricht: »der verleugne sich selbst und hebe sein Kreuz auf und komme zu mir«, so meint er dies: Werde Sohn, wie ich Sohn bin, geborener Gott, und (werde) dasselbe Eine, das ich bin, das ich innewohnend, innebleibend in des Vaters Schoß und Herzen schöpfe. Vater, spricht der Sohn, ich will, daß, wer mir folgt, wer zu mir kommt, dort sei, wo ich bin (vgl. Joh. 12,26). Niemand kommt im eigentlichen Sinne zum Sohn, insofern dieser Sohn ist, als der, der (selbst) Sohn wird, und niemand ist dort, wo der Sohn ist, der in des Vaters Schoß und Herzen Eins in Einem ist, als der, der Sohn ist.
»Ich«, sprichet der vater, »sol sie leiten in ein einœde und dâ sprechen ze irm herzen«. Herze ze herzen, ein in einem minnet got. Allez, daz dem vremde und verre ist, daz hazzet got. Ze ein locket und ziuhet got. Ein suochent alle crêatûren, joch die nidersten crêatûren suochent ein, und daz ein bevindent die obersten; gezogen über natûre und überbildet suochent sie ein in einem, ein in im selben. Dar umbe vil lîhte sprichet der sun: in der gotheit sune in dem vater, dâ ich bin, dâ sol wesen, der mir dienet, der mir volget, der ze mir kumet.
»Ich«, spricht der Vater, »will sie geleiten in eine Einöde und dort zu ihrem Herzen sprechen« (Hosea 2,14). Herz zu Herzen, Eins in Einem, das liebt Gott. Alles, was dem fremd und fern ist, das haßt Gott; zum Einen lockt und zieht Gott. Das Eine suchen alle Kreaturen, selbst die niedersten Kreaturen suchen das Eine, und die obersten nehmen dieses Eine wahr; über (ihre) Natur hinausgezogen und überbildet suchen sie das Eine im Einen, das Eine in ihm selbst. Darum will der Sohn wohl sagen: In der Gottheit Sohn im Vater, wo ich bin, da soll sein, wer mir dient, wer mir folgt, wer zu mir kommt.
Noch ist aber ein ander trôst. man sol wizzen, daz aller natûre unmügelich ist, daz si iht breche, verderbe oder ouch rüere, in dem si niht enmeine ein bezzer guot dem selben, daz si rüeret. Ir engenüeget niht, daz si ein glîch guot mache; si wil alles ein bezzerz machen, als wie? Ein wîser arzât der enberüeret niemer den siechen vinger des menschen, daz er dem menschen wê tuo, ob er niht den vinger selben oder den menschen alzemâle bezzer machen und im lieber tuon enmöhte. Mac er den menschen und ouch den vinger bezzern, daz tuot er; enist des niht, er snîdet den vinger abe, daz er den menschen bezzer. Und daz ist vil bezzer, den vinger verliesen aleine und den menschen behalten, dan beidiu vinger und mensche verderbe. Wæger ist ein schade dan zwêne, sunderlîche, dâ der eine unglîche grœzer wære dan der ander. Ouch sol man wizzen, daz der vinger und diu hant und ein ieglich gelit natiurlîche den menschen, des ez ein gelit ist, vil lieber hât dan sich selben und sich gerne und unbedâht vrœlîche gibet in die nôt und in den schaden vür den menschen. Ich spriche sicherlîche und in der wârheit, daz diz gelit sich selben alzemâle nihtes niht enminnet dan durch daz und in dem, des ez ein gelit ist. Dar umbe wære vil billich, und natiurlîche wære uns reht, daz wir uns selben nihtes niht enminneten dan durch got und in gote. Und wære daz alsô, sô wære uns allez daz lîht und wunne, daz got von uns und in uns wölte, sunderlîche, sô wir gewis wæren, daz got unglîche minner mac gelîden neheinen gebresten noch schaden, ob er niht ein vil grœzer gemach dar inne wiste und meinte. Wærlîche, der des gote niht getrûwete, daz ist alzemâle billich, daz er lîden und leit habe.
Noch gibt es aber einen weiteren Trost. Man muß wissen, daß es der gesamten Natur unmöglich ist, irgend etwas zu zerbrechen, zu verderben oder auch (nur) zu berühren, ohne daß sie damit für das, was sie anrührt, etwas Besseres anstrebt. Ihr genügt es nicht, daß sie ein gleich Gutes schaffe; sie will stets ein besseres machen. Wieso? Ein weiser Arzt berührt niemals den kranken Finger des Menschen, so daß er dem Menschen weh tut, wenn er nicht den Finger selbst oder den gesamten Menschen in einen besseren Zustand zu versetzen und ihm Erleichterung zu schaffen vermöchte. Vermag er den Menschen und auch den Finger zu bessern, so tut er's; ist dem nicht so, so schneidet er den Finger ab, auf daß er den Menschen bessere. Und es ist viel besser, den Finger allein preiszugeben und den Menschen zu erhalten, als daß sowohl der Finger wie der Mensch verderbe. Besser ist ein Schaden als zwei, insonderheit, wenn der eine ungleich größer wäre als der andere. Auch soll man wissen, daß der Finger und die Hand und ein jegliches Glied von Natur aus den Menschen, dessen es ein Glied ist, viel lieber hat als sich selbst und sich gern und unbedenklich freudig in Not und Schaden begibt für den Menschen. Ich sage zuversichtlich und wahrheitsgemäß, daß ein solches Glied sich selbst durchaus nicht liebt, es sei denn um dessen willen und in dem, von dem es ein Glied ist. Drum wäre es gar billig und wäre für uns naturgemäß das Rechte, daß wir uns selbst keinesfalls liebten, wenn nicht um Gottes willen und in Gott. Und wäre dem so, so wäre uns alles das leicht und eine Wonne, was Gott von uns und in uns wollte, zumal, wenn wir gewiß wären, daß Gott ungleich weniger irgendein Gebresten oder einen Schaden zu dulden vermöchte, wenn er nicht einen viel größeren Gewinn darin erkennte und anstrebte. Wahrlich, wenn jemand darin zu Gott nicht Vertrauen hegt, so ist es nur zu billig, daß er Leiden und Leid hat.
Noch ist ein ander trôst. Sant Paulus sprichet, daz got kestiget alle, die er ze sünen nimet und enpfæhet. Ez gehœret dar zuo, sol man sun sîn, daz man lîde. Wan gotes sun in der gotheit und in der êwicheit niht lîden enmohte, dar umbe sante in der himelsche vater in die zît, daz er mensche würde und lîden möhte. Wiltû danne gotes sun wesen und enwilt doch niht lîden, sô hâst dû gar unreht. in der wîsheit buoche stât geschriben, daz got prüevet und versuochet, wer gereht sî, als man ein golt prüevet und versuochet und brennet in einem eitoven. Ez ist ein zeichen, daz der künic oder ein vürste einem ritter wol getrûwet, sô er in sendet in den strît. Ich hân gesehen einen herren, der etwanne, sô er hâte einen ze gesinde enpfangen, daz er den sante ûz bî naht und reit in danne selber ane und vaht mit im. Und ez geschach eines, daz er vil nâhe getœtet wart von einem, den er alsô versuochen wolte; und den kneht hâte er dar nâch vil lieber dan vor.
Noch gibt es einen anderen Trost. Sankt Paulus sagt, daß Gott alle die züchtigt, die er zu Söhnen annimmt und empfängt (vgl. Hebr. 12,6). Es gehört, wenn man Sohn sein soll, dazu, daß man leide. Weil Gottes Sohn in der Gottheit und in der Ewigkeit nicht leiden konnte, darum sandte ihn der himmlische Vater in die Zeit, auf daß er Mensch würde und leiden könnte. Willst du denn Gottes Sohn sein und willst doch nicht leiden, so hast du gar unrecht. Im Buch der Weisheit steht geschrieben, daß Gott prüft und erprobt, wer gerecht sei, wie man Gold prüft und erprobt und brennt in einem Schmelzofen (vgl. Weish. 3,5/6). Es ist ein Zeichen, daß der König oder ein Fürst einem Ritter wohl vertraut, wenn er ihn in den Kampf sendet.
Ich hân gesehen einen herren, der etwanne, sô er hâte einen ze gesinde enpfangen, daz er den sante ûz bî naht und reit in danne selber ane und vaht mit im. Und ez geschach eines, daz er vil nâhe getœtet wart von einem, den er alsô versuochen wolte; und den kneht hâte er dar nâch vil lieber dan vor.
Ich habe einen Herrn gesehen, der bisweilen, wenn er jemand in sein Gesinde aufgenommen hatte, diesen bei Nacht aussandte und ihn dann selbst anritt und mit ihm focht. Und es geschah einst, daß er beinahe getötet ward von einem, den er auf solche Weise erproben wollte; und diesen Knecht hatte er danach viel lieber als vorher.
Man liset, daz sant Antônius in der wüeste sunderlîche eines mâles grœzlîche in lîdenne was von den bœsen geisten, und dô er überwunden hâte sîn leit, dô erschein im ouch ûzerlîche unser herre vrœlîche. Dô sprach der heilige man: »ach, lieber herre, wâ wære dû iezent, dô ich in sô grôzer nôt was?« Dô sprach unser herre: »ich was alhie, als ich nû bin. Ich wolte aber und mich luste ze schouwenne, wie vrom dû wærest.« Ein silber oder ein golt ist wol reine; doch, sô man dar ûz wil machen ein vaz, dar ûz der künic trinken sol, sô brennet man daz sunderlîche mê dan ein anderz. Dar umbe ist von den aposteln geschriben, daz sie sich vröuweten, daz sie des wirdic wæren, smâcheit durch got ze lîdenne.
Man liest, daß Sankt Antonius in der Wüste einmal besonders schwer zu leiden hatte von den bösen Geistern; und als er sein Leid überwunden hatte, da erschien ihm unser Herr auch äußerlich sichtbar und fröhlich. Da sprach der heilige Mann: »Ach, lieber Herr, wo warst du eben, als ich in so großer Not war?« Da sprach unser Herr: »Ich war ganz so hier, wie ich es jetzt bin. Ich hatte aber den Wunsch, und es gelüstete mich zu schauen, wie fromm du wärest.« Ein Stück Silber oder Gold ist wohl rein; doch, wenn man daraus ein Gefäß machen will, aus dem der König trinken soll, so brennt man es ausnehmend stärker als ein anderes. Darum steht von den Aposteln geschrieben, sie hätten sich gefreut, daß sie würdig waren, Schmach um Gottes willen zu erdulden (Apg. 5,41).
Gotes sun von natûre wolte von gnâden mensche werden, daz er durch dich lîden möhte, und dû wilt gotes sun werden und niht mensche, daz dû niht enmügest noch endürfest lîden durch got noch durch dich selben.
Gottes Sohn von Natur wollte aus Gnade Mensch werden, auf daß er um deinetwillen leiden könnte, und du willst Gottes Sohn werden und nicht Mensch, damit du nicht leiden mögest noch brauchst um Gottes noch um deiner selbst willen.
Ouch, wölte der mensche wizzen und gedenken, wie grôze vröude in der wârheit got selbe nâch sîner wîse und alle engel und alle, die got wizzent und minnent, hânt in gedult des menschen, sô er durch got lîdet leit und schaden, wærlîche, er solte sich durch daz aleine billîche trœsten. Ein mensche gibet doch sîn guot und lîdet ungemach, daz er sînen vriunt ervröuwen müge und im eine liebe bewîsen.
Wollte der Mensch sich auch bewußt halten und bedenken, wie große Freude fürwahr Gott selbst nach seiner Weise und alle Engel und alle, die Gott kennen und lieben, an der Geduld des Menschen haben, wenn er um Gottes willen Leid und Schaden erduldet, wahrlich, durch das allein schon müßte er sich von Rechts wegen trösten. Ein Mensch gibt doch sein Gut hin und leidet Ungemach, auf daß er seinen Freund erfreuen und ihm etwas Liebes erweisen könne.
Ouch sol man aber gedenken: hæte ein mensche einen vriunt, der durch sîn willen in lîdenne wære und in leide und in ungemache, sicherlîche, ez wære gar billich, daz er bî im wære und in trôste mit sîn selbes gegenwerticheit und mit trôste, den er im getuon möhte. Dâ von sprichet unser herre von einem guoten menschen in dem salter, daz er mit im ist in dem lîdenne. Bî dem worte mac man nemen siben lêre und sibenerleie trôste.
Auch soll man wiederum bedenken: Hätte ein Mensch einen Freund, der um seinetwillen im Leiden wäre und in Schmerz und in Ungemach, so wäre es gewiß gar billig, daß er bei ihm wäre und ihn tröstete mit seiner eigenen Gegenwart und mit (aller) Tröstung, die er ihm bereiten könnte. Daher sagt unser Herr im Psalter von einem guten Menschen, daß er mit ihm sei im Leiden (Ps. 33,19). Diesem Worte kann man sieben Lehren und siebenerlei Trostgründe entnehmen.
Ze dem êrsten, daz sant Augustînus sprichet, daz gedult in lîdenne durch got ist bezzer, tiurer und hœher und edeler dan allez, daz man dem50 menschen wider sînen willen genemen mac; daz ist allez ûzerlich guot. Weiz got, man envindet nieman, der dise werlt minnet, sô rîchen, der niht williclîche und gerne enwölte lîden grôzen smerzen und lite ouch vil lange, daz er dar nâch möhte gewaltiger herre sîn dirre werlt.
Zum ersten, was Sankt Augustinus sagt: daß Geduld im Leiden um Gottes willen besser, wertvoller und höher und edler ist als alles, was man dem Menschen gegen seinen Willen wegnehmen kann; das ist alles (bloß) äußerliches Gut. Weiß Gott, man findet (gleichviel) keinen noch so Reichen, der diese Welt liebt und nicht willig und gern großen Schmerz erleiden wollte und auch sehr lange erduldete, wofern er danach gewaltiger Herr dieser ganzen Welt sein könnte.
Ze dem andern mâle ennime ich niht aleine bî dem worte, daz got sprichet, daz er ist mit dem menschen in sînem lîdenne, sunder ich nime ez ûz und in dem worte und spriche alsô: ist got mit mir in lîdenne, waz wil ich danne mê, waz wil ich danne anders? Ich enwil doch niht anders, ich enwil niht mê dan got, ob mir reht ist. Ez sprichet sant Augustînus: »der ist gar gîtic und unwîse, dem niht engenüeget an gote«, und sprichet anderswâ: »wie mac dem menschen genüegen an gotes gâben ûzerlîche oder innerlîche, sô im niht engenüeget an gote selben?« Dar umbe sprichet er aber anderswâ: herre, wîsest dû uns von dir, sô gip uns einen andern dich, wan wir enwellen niht wan dich. Dar umbe sprichet daz buoch der wîsheit: mit gote, der êwigen wîsheit, sint mir komen zemâle mit einander alliu guot. Daz meinet nâch einem sinne, daz niht guot enist noch enmac guot gesîn, waz kumet âne got, und allez, daz kumet mit gote, daz ist guot und dâ von aleine guot, daz ez mit gote kumet. Ich wil gotes geswîgen. Benæme man allen crêatûren aller dirre werlt daz wesen, daz got gibet, sô bliben sie blôz niht, ungenæme, unwert und hezzeclich. Vil anders edels sinnes hât daz wort inne, wie allez guot mit gote kumet, daz nû ze lange würde ze sprechenne.
Zum zweiten leite ich es nicht nur aus jenem Worte, das Gott spricht, er sei mit dem Menschen in seinem Leiden, ab, sondern ich entnehme es (unmittelbar) aus und in dem Worte und sage so: Ist Gott mit mir im Leiden, was will ich dann mehr, was will ich dann sonst noch? Ich will doch nichts anderes, ich will nichts weiter als Gott, wenn es recht mit mir steht. Sankt Augustinus spricht: »Der ist gar gierig und unweise, dem es an Gott nicht genügt«, und er sagt anderswo: »Wie kann es dem Menschen an Gottes äußeren oder inneren Gaben genügen, wenn es ihm an Gott selbst nicht genügt«. Darum sagt er wiederum an anderer Stelle: »Herr, weisest du uns von dir, so gib uns einen andern Dich, denn wir wollen nichts als dich.« Darum sagt das Buch der Weisheit: »Mit Gott, der ewigen Weisheit, sind mir miteins alle Güter zusammen zugekommen« (Weish. 7,11). Das bedeutet in einem Sinne, daß nichts gut ist noch gut sein kann, was ohne Gott kommt, und alles, was mit Gott kommt, das ist gut und nur deshalb gut, weil es mit Gott kommt. Von Gott will ich schweigen. Benähme man allen Kreaturen dieser ganzen Welt das Sein, das Gott gibt, so blieben sie ein bloßes Nichts, unerfreulich, wertlos und hassenswert. Noch manch anderen köstlichen Sinn birgt das Wort, daß mit Gott alles Gute kommt, was auszuführen nun zu lang würde.
Ez sprichet unser herre: ich bin mit dem menschen in lîdenne. Dar ûf sprichet sant Bernhart: herre, bist dû mit uns in lîdenne, sô gip mir lîden alle zît, umbe daz dû alle zît bî mir sîst, daz ich dich alle zît habe.
Es spricht unser Herr: »Ich bin mit dem Menschen im Leiden« (Ps. 90,15). Dazu sagt Sankt Bernhard: »Herr, bist du mit uns im Leiden, so gib mir allzeit zu leiden, auf daß du allzeit bei mir seiest, auf daß ich dich allzeit besitze.«
Ze dem dritten mâle spriche ich: daz got mit uns ist in lîdenne, daz ist, daz er mit uns lîdet selbe. Wærlîche, der die wârheit bekennet, der weiz, daz ich wâr spriche. Got der lîdet mit dem menschen, jâ, er lîdet nâch sîner wîse ê und unglîche mê dan der dâ lîdet, der durch in lîdet. Nû spriche ich: wil danne got selber lîden, sô sol ich gar billîche lîden, wan, ist mir reht, sô wil ich, daz got wil. Ich bite alle tage, und got heizet mich biten: »herre, dîn wille gewerde«, und doch, sô got wil lîden, sô wil ich von lîdenne klagen; dem ist gar unreht. Ouch spriche ich sicherlîche, daz got sô gerne mit uns und durch uns lîdet, sô wir aleine durch got lîden, daz er lîdet sunder lîden. Lîden ist im sô wünniclich, daz lîden enist im niht lîden. Und dar umbe, wære uns reht, sô enwære ouch uns lîden niht lîden; ez wære uns wunne und trôst.
Zum dritten sage ich: Daß Gott mit uns im Leiden ist, heißt, daß er selbst mit uns leidet. Fürwahr, wer die Wahrheit erkennt, der weiß, daß ich wahr spreche. Gott leidet mit dem Menschen, ja, er leidet auf seine Weise eher und ungleich mehr, als der da leidet, der um seinetwillen leidet. Nun sage ich: Will denn Gott selbst leiden, so soll ich gar billigerweise (auch) leiden, denn, steht es recht mit mir, so will ich, was Gott will. Ich bitte alle Tage, und Gott heißt's mich bitten: »Herr, dein Wille geschehe!« Und doch, wenn Gott (das) Leiden will, so will ich über das Leiden klagen; das ist gar unrecht. Auch sage ich für gewiß, daß Gott so gern mit uns und für uns leidet, wenn wir allein um Gottes willen leiden, daß er leidet ohne Leiden. Leiden ist ihm so wonniglich, daß Leiden für ihn nicht Leiden ist. Und darum, wäre es recht um uns bestellt, so wäre auch für uns Leiden nicht Leiden; es wäre uns Wonne und Trost.
Ze dem vierden mâle spriche ich, daz vriundes mitlîden minnert natiurlîche diz lîden. Mac mich danne trœsten eines menschen lîden, daz ez mit mir hât, sô sol mich vil mê trœsten gotes mitlîden.
Zum vierten sage ich, daß Freundes Mitleiden naturgemäß dies (eigene) Leiden mindert. Vermag mich denn also eines Menschen Leiden, das er mit mir empfindet, zu trösten, so wird mich um vieles mehr Gottes Mitleiden trösten.
Ze dem vünften mâle: solte und wölte ich lîden mit einem menschen, den ich minnete und der mich minnete, sô sol ich gerne und gar billîche mit gote lîden, der dâ mit mir lîdet und durch mich lîdet von minne, die er ze mir hât.
Zum fünften: Sollte und wollte ich mit einem Menschen, den ich lieben und der mich lieben würde, leiden, so soll ich gern und gar billigerweise mit Gott leiden, der da mit mir und um meinetwillen leidet aus Liebe, die er zu mir hegt.
Ze dem sehsten mâle spriche ich: ist, daz got vor lîdet, ê dan ich lîde, und lîde ich durch got, wærlîche, sô wirt mir lîhte trôst und vröude allez mîn lîden, swie grôz daz ist und manicvalt. Ez ist natiurlîche wâr: sô der mensche tuot ein werk durch ein anderz, sô ist daz, durch daz er ez tuot, næher sînem herzen, und daz er tuot, ist verrer von sînem herzen und enrüeret daz herze niemer dan durch daz, dar umbe und durch daz er ez tuot. Der dâ bûwet und houwet daz holz und bicket den stein dar umbe und durch daz, daz er ein hûs mache wider hitze des sumers und wider vrost des winters, des herze ist ze dem êrsten und alzemâle daz hûs und enhouwete niemer den stein, noch entæte die arbeit dan durch daz hûs. Nû sehen wir wol, sô der sieche mensche trinket den süezen wîn, sô dünket in und sprichet, daz er bitter sî, und ist wâr, wan der wîn verliuset alle sîne süezicheit in der bitterkeit der zungen ûzerlîche, ê dan der wîn kome inwendic, dâ diu sêle bekennet und urteilet den gesmak. Alsô ist, und unglîche mê und wærlîcher, sô der mensche würket alliu sîniu werk durch got, sô ist dâ got daz mittel und daz næheste der sêle, und enmac niht die sêle und daz herze des menschen rüeren, daz niht enverliese durch got und durch gotes süezicheit und enmüeze von nôt verliesen sîn bitterkeit und lûter süeze werden, ê dan ez des menschen herze iemer müge rüeren.
Zum sechsten sage ich: Ist es so, daß Gott früher leidet, ehe ich leide, und leide ich um Gottes willen, so wird mir leichtlich zu Trost und Freude all mein Leiden, wie groß und mannigfaltig es auch ist. Es ist von Natur aus wahr: Wenn der Mensch ein Werk um eines anderen (Werkes) willen verrichtet, so ist das (Ziel), um dessentwillen er es tut, seinem Herzen näher, und das, was er tut, ist seinem Herzen ferner und berührt das Herz nur im Hinblick auf das, zu dessen Ende und um dessentwillen er es tut. Wer da baut und das Holz zuhaut und den Stein metzt darum und zu dem Ende, daß er ein Haus gegen die Hitze des Sommers und den Frost des Winters herstelle, dessen Herz(ensanliegen) ist zum ersten und ganz und gar das Haus, und er würde nimmer den Stein behauen und die Arbeit verrichten, wenn nicht des Hauses wegen. Nun sehen wir wohl, wenn der kranke Mensch den süßen Wein trinkt, so dünkt ihn und sagt er, daß er bitter sei, und es ist wahr; denn der Wein verliert alle seine Süßigkeit draußen in der Bitterkeit der Zunge, ehe er nach innen kommt (dorthin), wo die Seele den Geschmack wahrnimmt und beurteilt. So ist, und zwar in ungleich höherem und wahrerem Sinne, wenn der Mensch alle seine Werke um Gottes willen wirkt, Gott dabei das Vermittelnde und das der Seele Nächstliegende, und nichts vermag die Seele und das Herz des Menschen zu berühren, das nicht durch Gott und Gottes Süßigkeit seine Bitterkeit verlöre und notwendig verlieren und lautere Süße werden müßte, ehe es des Menschen Herz je zu berühren vermöchte.
Ouch ist daz ein ander zeichen und glîchnisse: die meister sprechent, daz under dem himel ist viures vil al umbe und umbe, und dar umbe enmac kein regen noch wint noch allerleie stürme noch ungewitter von unden dem himel sô nâhe komen, daz in joch iht rüeren müge; ez wirt allez verbrant und verderbet von des viures hitze, ê dan ez an den himel kome. Alsô spriche ich: allez, daz man lîdet und würket durch got, daz wirt allez süeze in gotes süezicheit, ê dan ez ze des menschen herzen kome, der durch got würket und lîdet. Wan daz meinet daz wort, daz man sprichet »durch got«, wan ez enkumet an daz herze niemer dan durch gotes süezicheit vliezende, in der ez verliuset sîne bitterkeit. Ouch wirt ez verbrant von dem hitzigen viure der götlîchen minne, diu des guoten menschen herze al umbe in ir beslozzen hât.
Auch gibt's ein anderes Zeugnis und Gleichnis: Die Meister sagen, daß unter dem Himmel Feuer sei, weithin ringsum, und darum kann kein Regen noch Wind noch irgendwelche Stürme noch Ungewitter von unten her dem Himmel so nahe kommen, daß es ihn auch nur zu berühren vermöchte; es wird alles verbrannt und vernichtet von der Hitze des Feuers, eh denn es an den Himmel komme. Ganz so, sage ich, wird alles, was man leidet und wirkt um Gottes willen, süß in Gottes Süßigkeit, ehe es zum Herzen des Menschen kommt, der um Gottes willen wirkt und leidet. Denn dies eben meint das Wort, wenn man sagt »um Gottes willen«, da denn nichts je an das Herz gelangt denn im Durchfluß durch Gottes Süßigkeit, in der es seine Bitterkeit verliert. Auch wird es verbrannt von dem heißen Feuer der göttlichen Liebe, die des guten Menschen Herz ringsum in sich beschlossen hält.
Nû mac man offenbârlîche bekennen, wie billîche und in vil wîse ein guot mensche allenthalben getrœstet wirt in lîdenne, an leide und würkenne. Ein wîse ist, ob er lîdet und würket durch got; ein ander wîse, ob er ist in götlîcher minne. Ouch mac der mensche bekennen und wizzen, ob er alliu sîniu werk durch got würket und ob er sî in gotes minne; wan sicherlîche, swâ sich der mensche leidic und sunder trôst vindet, alsô verre enwas sîn werk niht durch got aleine, sich! und alsô verre enist er niht alles in götlîcher minne. Ein viur, sprichet künic Dâvît, kumet mit gote und vor gote, daz brennet al umbe und umbe allez, daz got wider im vindet und im unglîch ist, daz ist leit, untrôst, unvride und bitterkeit.
Nun kann man deutlich erkennen, wie füglich und auf wie vielerlei Weise ein guter Mensch allenthalben getröstet wird im Leiden, im Leid und im Wirken. Auf eine Weise ist's, wenn er leidet und wirkt um Gottes willen; auf eine andere Weise, wenn er in göttlicher Liebe steht. Auch kann der Mensch erkennen und wissen, ob er alle seine Werke um Gottes willen wirkt und ob er in Gottes Liebe stehe; denn sicherlich, soweit sich der Mensch leidvoll und sonder Trost findet, soweit geschah sein Wirken nicht um Gottes willen allein. Sieh, und insoweit steht er auch nicht beständig in göttlicher Liebe. »Ein Feuer«, spricht König David, »kommt mit Gott und vor Gott (her), das verbrennt ringsum alles, was Gott wider sich findet« (vgl. Ps. 96,3) und ihm ungleich ist, das ist: Leid, Untrost, Unfrieden und Bitterkeit.
Noch ist daz sibende in dem worte, daz got mit uns ist in lîdenne und mitlîdet mit uns: daz uns krefticlîche sol trœsten gotes eigenschaft dâ von, daz er daz lûter ein ist sunder alle zuovallende menge underscheides, joch in gedanken; daz allez, daz in im ist, got selbe ist. Und, wan daz wâr ist, sô spriche ich: allez, daz der guote mensche lîdet durch got, daz lîdet er in gote, und got ist mit im lîdende in sînem lîdenne. Ist mîn lîden in gote und mitlîdet got, wie mac mir danne lîden leit gesîn, sô lîden leit verliuset und mîn leit in gote ist und mîn leit got ist? Wærlîche, als got wârheit ist und swâ ich wârheit vinde, dâ vinde ich mînen got, die wârheit: alsô ouch, noch minner noch mê, sô ich vinde lûter lîden durch got und in gote, dâ vinde ich got mîn lîden. Swer daz niht enbekennet, der klage sîne blintheit, niht mich noch die götlîche wârheit und minniclîche milticheit.
Noch bleibt der siebente (Trostgrund) in dem Worte, daß Gott mit uns ist im Leiden und mit uns mitleidet: daß uns Gottes Eigenart kräftig zu trösten vermag in Ansehung dessen, daß er das lautere Eine ist ohne jede hinzutretende Vielheit eines Unterschieds, und sei's nur eines gedanklichen, - daß alles, was in ihm ist, Gott selbst ist. Und da dies wahr ist, so sage ich: Alles, was der gute Mensch um Gottes willen leidet, das leidet er in Gott, und Gott ist mit ihm leidend in seinem Leiden. Ist mein Leiden in Gott und leidet Gott mit, wie kann mir dann das Leiden ein Leid sein, wenn das Leiden das Leid verliert und mein Leid in Gott und mein Leid Gott ist? Wahrhaftig, so wie Gott die Wahrheit ist und, wo immer ich Wahrheit finde, ich meinen Gott, die Wahrheit, finde, ebenso auch, nicht weniger und nicht mehr, finde ich, wenn ich lauteres Leiden um Gottes willen und in Gott finde, mein Leiden als Gott. Wer das nicht erkennt, der klage seine Blindheit an, nicht mich noch die göttliche Wahrheit [s. P. 43] und liebenswerte Güte.
Nâch dirre wîse sô lîdet durch got, sît ez sô grœzlîche nütze ist und sælicheit. »Sælic sint«, sprach unser herre, »die dâ lîdent durch die gerehticheit«. Wie mac der güete-minnende got daz lîden, daz sîne vriunde, guote liute, niht alle zît âne underlâz in lîdenne ensint? Hæte ein mensche einen vriunt, der kurze tage lîden möhte, daz er dâ von grôzen nutze, êre und gemach verdienen und lange besitzen solde, wölte er daz hindern oder wære sîn wille, daz ez von iemanne gehindert würde, man enspræche niht, daz er sîn vriunt wære oder daz er in liep hæte. Dar umbe: vil lîhte got enmöhte enkeine wîs lîden, daz sîne vriunde, guote liute, iemer sunder lîden enwæren, ob sie niht enmöhten unlîdende lîden. Alle güete des ûzerlîchen lîdennes kumet und vliuzet von güete des willen, als ich vor geschriben hân. Und dar umbe: allez, daz der guote mensche lîden wölte und bereit ist und begert ze lîdenne durch got, daz lîdet er vor gotes angesiht und durch got in gote. Künic Dâvît sprichet in dem salter: ich bin bereit in allem ungemache, und mîn smerze ist mir alle zît gegenwertic in mînem herzen, in mîner angesiht. Sant Jeronimus sprichet, daz ein reine wahs, daz wol weich ist und guot, dar ûz und dâ von ze würkenne, waz man sol und wil, hât in im beslozzen allez, daz man dâ von gewürken mac, aleine ouch ûzerlîche nieman dâ von iht würke. Ouch hân ich dâ oben geschriben, daz der stein niht minner swære enist, sô er niht nider enliget ûzerlîche ûf der erde; alliu sîniu swære ist volkomen in dem, daz er nider neiget und bereit ist in im selben nider ze vallenne. Alsô hân ich ouch dâ oben geschriben, daz der guote mensche hât iezent getân in himelrîche und in ertrîche allez, daz er tuon wolte, ouch glîch dar ane gote.
In dieser Weise also leidet um Gottes willen, da es so überaus heilsam und die Seligkeit ist! »Selig sind«, sprach unser Herr, »die da leiden um der Gerechtigkeit willen« (Matth. 5,10). Wie kann der die Güte liebende Gott es zulassen, daß seine Freunde, gute Menschen, nicht beständig ohne Unterlaß im Leiden stehen? Hätte ein Mensch einen Freund, der wenige Tage zu leiden auf sich nähme, auf daß er dadurch großen Nutzen, Ehre und Gemach verdienen und auf lange Zeit besitzen dürfte, und wollte er das verhindern, oder wäre es sein Wunsch, daß es von (sonst) jemand verhindert würde, so würde man nicht sagen, daß er jenes Freund wäre oder daß er ihn lieb hätte. Darum könnte wohl leichtlich Gott in keiner Weise dulden, daß seine Freunde, gute Menschen, je ohne Leiden wären, wenn sie nicht ohne Leiden zu leiden vermöchten. Alle Gutheit des äußeren Leidens kommt und fließt aus der Gutheit des Willens, wie ich oben geschrieben habe. Und darum: Alles, was der gute Mensch leiden möchte und zu leiden bereit ist und begehrt um Gottes willen, das leidet er (tatsächlich) vor Gottes Angesicht und um Gottes willen in Gott. König David spricht im Psalter: »Ich bin bereit zu allem Ungemach, und mein Schmerz ist mir allzeit gegenwärtig in meinem Herzen, vor meinem Angesicht« (Ps. 37,18). Sankt Hieronymus sagt, daß ein reines Wachs, das ganz weich ist und gut dazu, alles daraus zu bilden, was man soll und will, alles das in sich beschlossen hält, was man daraus bilden kann, wenngleich auch äußerlich sichtbar niemand irgend etwas daraus bildet. Auch habe ich oben geschrieben, daß der Stein nicht weniger schwer ist, wenn er nicht äußerlich sichtbar auf der Erde aufliegt; seine ganze Schwere liegt vollkommen darin, daß er niederwärts strebt und in sich selbst bereit ist, abwärts zu fallen. So habe ich denn auch oben geschrieben, daß der gute Mensch bereits jetzt im Himmel und auf Erden alles das getan hat, was er tun wollte, auch darin Gott gleichend.
Nû mac man bekennen und wizzen gropheit der liute, die gemeinlîche wunder hânt, sô sie sehent guote liute smerzen lîden und ungemach, und vellet in dicke ein gedank în und ein wân, daz ez sî durch ir heimlîchen sünde, und sprechent ouch underwîlen: ach, ich wânde, daz der mensche gar guot wære. Wie ist, daz er sô grôz leit und ungemach lîdet, und ich wânde, im engebreste niht? Und ich spriche mit in: sicherlîche, wære ez leit und wære ez in leit und ungelücke, daz sie lîdent, sô enwæren sie niht guot noch âne sünde. Sint sie aber guot, sô enist in daz lîden niht leit noch ungelücke, sunder ez ist in ein grôz gelücke und sælicheit. »Sælic«, sprach got, diu wârheit, »sint alle, die dâ lîdent durch die gerehticheit«. Dar umbe sprichet daz buoch der wîsheit, daz »der gerehten sêlen sint gote in sîner hant«. »Tumbe liute dunket und wænent, daz sie sterben und verderben«, »doch sie sint in vride«, in wunne und in sælicheit. Sant Paulus, dâ er schrîbet, wie vil der heiligen hânt geliten manigerleie grôze pîn, dâ sprichet er, daz diu werlt des unwirdic was, und daz wort hât in im, der im rehte tuot, drîerhande sinne. Einer ist, daz disiu werlt ist unwirdic vil guoter liute gegenwerticheit. Ein ander sin ist bezzer und sprichet, daz güete dirre werlt ist unmære und unwert; got ist aleine wert, dar umbe sint sie gote wert und gotes wert. Der dritte sin ist, den ich nû meine, und wil sprechen, daz disiu werlt, daz sint die liute, die dise werlt minnent, sint des unwert, daz sie leit und ungemach lîdent durch got. Dâ von ist geschriben, daz die heiligen aposteln sich des vröuweten, daz sie wirdic wâren, daz sie durch gotes namen pîn liten.
Nû sî der rede genuoc, wan ich in dem dritten teile dis buoches schrîben wil manigerleie trôst, wie sich ouch trœsten sol und mac ein guot mensche an sînem leide, wie man daz vindet an den werken, niht aleine an den worten guoter und wîser liute.
Nun kann man erkennen und einsehen die Grobsinnigkeit der Leute, die es gemeinhin wundernimmt, wenn sie gute Menschen Schmerz und Ungemach erleiden sehen und ihnen dabei oft der Gedanke und der Wahn einfällt, daß es von der heimlichen Sünde jener herkomme, und sie sagen denn auch bisweilen: »Ach, ich wähnte, daß jener Mensch gar gut sei. Wie kommt es, daß er so großes Leid und Ungemach erduldet, und ich glaubte doch, an ihm sei kein Fehl!« Und ich stimme ihnen zu: Gewiß, wäre es (wirkliches) Leid und wäre es für sie Leid und Unglück, was sie erdulden, so wären sie nicht gut noch ohne Sünde. Sind sie aber gut, so ist ihnen das Leiden kein Leid noch Unglück, sondern es ist ihnen ein großes Glück und (ist ihnen) Seligkeit. »Selig«, sprach Gott, die Wahrheit, »sind alle, die da leiden um der Gerechtigkeit willen« (Matth. 5,10). Drum heißt es im Buche der Weisheit, daß »der Gerechten Seelen in Gottes Hand sind. Törichte Leute [s. P. 43] deucht's und sie wähnen, daß jene sterben und verderben, doch sie sind in Frieden« (Weish. 3,1), in Wonne und in Seligkeit. An der Stelle, wo Sankt Paulus schreibt, wie viele Heiligen mancherlei große Pein erduldet haben, da sagt er, daß die Welt dessen nicht würdig war (Hebr. 11,36ff.). Und dieses Wort hat, wenn man's recht versteht, dreierlei Sinn. Der eine ist der, daß diese Welt des Daseins vieler guter Menschen gar nicht wert ist. Ein zweiter Sinn ist besser und besagt, daß die Gutheit dieser Welt verachtenswert und wertlos erscheint; Gott allein ist wert, drum sind sie für Gott wert und Gottes wert. Der dritte Sinn ist der, den ich jetzt meine, und will besagen, daß diese Welt, das heißt die Leute, die diese Welt lieben, nicht wert sind, daß sie Leid und Ungemach um Gottes willen leiden. Darum steht geschrieben, daß die heiligen Apostel sich darüber freuten, daß sie würdig waren, für Gottes Namen Pein zu erdulden (Apg. 5,45).
Nun sei's der Worte genug. Im dritten Teile dieses Buches nämlich will ich von mancherlei Trost schreiben, mit dem sich ein guter Mensch in seinem Leide gleichfalls trösten soll und kann, wie er ihn findet in den Werken, nicht nur in den Worten guter und weiser Menschen.
3.
Man liset in der künige buoche, daz einer dem künige Dâvît vluohte und im grôze smâcheit bôt. Dô sprach einer Dâvîdes vriunde, daz der den bœsen hunt ze tôde slahen wölte. Dô sprach der künic: nein! wan vil lîhte got wil und sol mir durch dise smâcheit mîn bestez tuon.
Man liest im Buch der Könige, daß einer dem König David fluchte und ihm schwere Schmähung zufügte. Da sagte einer der Freunde Davids, er wolle den bösen Hund totschlagen. Da sprach der König: »Nein! denn vielleicht will und wird Gott mir durch diese Schmähung mein Bestes bewirken« (2 Könige 16,5ff.).
Man liset in der veter buoche, daz ein mensche klagete einem heiligen vater, daz er was in lîdenne. Dô sprach der vater: wiltû, sun, daz ich got bite, daz er dir daz beneme? Dô sprach der ander: nein, vater, wan ez ist mir nütze; daz bekenne ich wol. Sunder bite got, daz er mir sîn gnâde gebe, daz ich ez willîche lîde.
Man liest im Buch der Väter, daß ein Mensch einem heiligen Vater klagte, daß er zu leiden habe. Da sprach der Vater: »Willst du, Sohn, daß ich Gott bitte, er möge dir's abnehmen?« Da sagte der andere: »Nein, Vater, denn es ist mir heilsam, das erkenne ich wohl. Bitte vielmehr Gott, er möge mir seine Gnade verleihen, auf daß ich's willig leide.«
Man vrâgete eines einen siechen menschen, warumbe er got niht enbæte, daz er in gesunt machete. Dô sprach der mensche, daz wölte er ungerne tuon durch drî sache: ein was, wan er wölte des gewis sîn, daz der minniclîche got niemer enmöhte daz gelîden, daz er siech wære, ez enwære sîn bestez. Ein ander sache was, wan ist der mensche guot, sô wil er allez, daz got wil, und niht, daz got welle, daz der mensche welle; dem wære gar unreht. Und dar umbe: wil er, daz ich siech sî - wan enwölte er sîn niht, sô enwære ez ouch niht -, sô ensol ich ouch niht wünschen gesunt wesen. Wan âne zwîvel, möhte daz gesîn, daz mich got gesunt machete âne sînen willen, mir wære unwert und unmære, daz er mich gesunt machete. Wellen kumet von minne, niht-wellen kumet von unminne. Vil lieber, bezzer und nützer ist mir, daz mich got minne und ich ouch siech sî, dan ob ich gesunt an dem lîbe wære und mich got niht enminnete. Daz got minnet, daz ist iht; waz got niht enminnet, daz enist niht, alsô sprichet daz buoch der wîsheit. Ouch hât daz die wârheit, daz allez, daz got wil, in dem selben und von dem selben, daz ez got wil, sô ist ez guot. Wærlîche, menschlîche ze sprechenne: mir wære lieber, daz mich ein rîcher, gewaltiger mensche, ein künic, minnete und mich doch ein wîle lieze âne gâbe, dan ob er mir alzehant hieze etwaz geben und mich niht enminnete ze wâre; sô er von minne mir nû zemâle niht engæbe und mir aber dar umbe nû niht engæbe, daz er mich dar nâch grœzlîcher und rîchlîcher begâben wölte. Nochdanne setze ich, daz der mensche, der mich minnet und mir nû niht engibet, niht gedenket mir noch ze gebenne; vil lîhte bedenket er sich her nâch baz und gibet mir. Ich sol gedulticlîche bîten, sunderlîche, als sîn gâbe von gnâden ist und unverdienet. Ouch sicherlîche: wes minne ich niht enahte und mîn wille sînem willen wider ist, aleine daz ich sîn gâbe hæte, sô ist daz gar billich, daz mir der niht engebe und mich ouch hazze und lâze mich in unsælden.
Man fragte einst einen kranken Menschen, warum er Gott nicht bäte, er möchte ihn gesund machen. Da sagte der Mensch, das wolle er aus drei Gründen ungern tun. Der eine wäre, daß er dessen gewiß zu sein glaube, der liebevolle Gott könnte niemals zulassen, daß er krank wäre, wenn nicht zu seinem Besten. Ein anderer Grund wäre der, daß der Mensch, falls er gut ist, alles will, was Gott will, und nicht, daß Gott wolle, was der Mensch will; (denn) das wäre sehr unrecht. Und darum: will er, daß ich krank sei - denn, wollte er's nicht, so wäre ich's auch nicht -‚ so soll ich auch nicht wünschen, gesund zu sein. Denn ohne Zweifel, könnte es sein, daß mich Gott gesund machte ohne seinen Willen, so wäre es mir wertlos und gleichgültig, daß er mich gesund machte. Wollen kommt vom Lieben, Nichtwollen kommt vom Nichtlieben. Viel lieber, besser und nützer ist es mir, daß Gott mich liebe und ich dabei krank bin, als wenn ich gesund am Leibe wäre und Gott mich nicht liebte. Was Gott liebt, das ist etwas; was Gott nicht liebt, das ist nichts, so sagt das Buch der Weisheit (Weish. 11,25). Auch liegt darin die Wahrheit, daß alles, was Gott will, eben darin und dadurch, daß Gott es will, gut ist. Wahrlich, um menschlich zu sprechen: Mir wäre es lieber, daß mich ein reicher, mächtiger Mensch, etwa ein König, liebte und mich doch eine Weile ohne Gabe ließe, als wenn er mir sogleich etwas geben ließe und mich dabei nicht liebte in aufrichtiger Weise; wenn er mir aus Liebe jetzt gar nichts gäbe, mir aber jetzt deshalb nichts schenkte, weil er mich hernach um so großartiger und reichlicher beschenken wollte. Und ich setze selbst den Fall, daß der Mensch, der mich liebt und mir nun nichts gibt, nicht vorhat, mir später etwas zu geben; vielleicht bedenkt er sich hernach eines Besseren und gibt mir. Ich werde geduldig abwarten, insbesondere, da seine Gabe von Gnaden ist und unverdient. Gewiß auch: Wessen Liebe ich nicht achte und wessen Willen der meine entgegen ist und bei wem ich es einzig nur auf seine Gabe abgesehen hätte, der tut ganz recht daran, daß er mir nichts gibt, mich überdies haßt und mich im Unglück läßt.
Diu dritte sache, war umbe mir unwert und unmære wære, daz ich got welle biten, daz er mich gesunt mache: wan ich enwil noch ensol den rîchen, minniclîchen, milten got umbe sô kleine niht biten. Wære, daz ich ze dem bâbeste kæme hundert oder zwei hundert mîle und sô ich danne kæme vor in und spræche: herre, heiliger vater, ich bin komen wol zwei hundert mîle swæres weges mit grôzer koste und bite iuch, dar umbe ich ouch her ze iu komen bin, daz ir mir gebet eine bône, wærlîche, er selbe und swer daz vernæme, spræche, und gar billîche, daz ich ein grôzer tôre wære. Nû ist daz ein gewissiu wârheit, daz ich spriche, daz allez guot, joch alle crêatûren, gegen gote ist minner dan ein bône gegen aller dirre lîplîchen werlt. Dar umbe versmâhete mir billîche, ob ich ein guoter, wîser mensche wære, daz ich wölte biten, daz ich gesunt wære.
Der dritte Grund, weshalb es mir minderwertig und zuwider wäre, Gott bitten zu wollen, daß er mich gesund mache, ist der: daß ich den reichen, liebevollen, freigebigen Gott um so Geringfügiges nicht bitten will und soll. Gesetzt, ich käme zum Papst über hundert oder zweihundert Meilen hin und spräche dann, wenn ich vor ihn träte: »Herr, Heiliger Vater, ich bin wohl zweihundert Meilen beschwerlichen Weges unter großen Kosten hergekommen und bitte Euch - aus welchem Grunde ich denn auch zu Euch hergekommen bin -‚ daß Ihr mir eine Bohne gebet!«‚ fürwahr, er selbst und jeder, der das vernähme, würde sagen, und zwar ganz mit Recht, ich sei ein großer Narr. Nun ist es aber gewisse Wahrheit, wenn ich sage, daß alles Gut, ja die gesamte Schöpfung gegen Gott weniger ist als eine Bohne gegen diese ganze körperliche Welt. Darum müßte ich es mit Recht verschmähen, wenn ich ein guter, weiser Mensch wäre, Gott bitten zu wollen, daß ich gesund würde.
Bî dirre rede spriche ich ouch: daz ist eines kranken herzen zeichen, sô ein mensche vrô oder leidic wirt umbe zergenclîchiu dinc dirre werlt. man sölte sich des sêre schamen von herzen vor gote und sînen engeln und vor den liuten, daz man des iemer gewar würde. man schamet sich sô vaste eines gebresten an dem antlitze, daz die liute sehent ûzerlîche. Waz wil ich langer reden? Diu buoch der alten ê und der niuwen und ouch der heiligen und ouch der heidenen sint des vol, wie vrome liute durch got und ouch durch natiurlîche tugent ir leben hânt gegeben und ir selbes williclîche verzigen.
In diesem Zusammenhang sage ich weiterhin: Es ist das Zeichen eines schwachen Herzens, wenn ein Mensch froh oder bekümmert wird um vergängliche Dinge dieser Welt. Man sollte sich dessen recht von Herzen schämen vor Gott und seinen Engeln und vor den Menschen, wenn man's bei sich bemerkte. Man schämt sich ja so sehr eines Gesichtsmakels, den die Leute äußerlich wahrnehmen. Was will ich (noch) länger reden? Die Bücher des Alten und des Neuen Testaments wie die der Heiligen und auch der Heiden sind voll davon, wie fromme Menschen um Gottes willen und auch aus natürlicher Tugend ihr Leben hingegeben und sich selbst willig verleugnet haben.
Ein heidenischer meister, Socrates, sprichet, daz tugende machent unmügelîchiu dinc mügelich und ouch lîht und süeze. Ouch enwil ich des niht vergezzen, daz diu sælige vrouwe, von der schrîbet daz buoch von den Machabeis, ûf einen tac vor irn ougen sach wunderlîche und ouch ze hœrenne unmenschlîche und griuslîche pîn, die man irn siben sünen anelegete und anetete, und daz vrœlîche anesach und enthielt sie und manete sie alle sunderlîche dar zuo, daz sie niht erschræken und williclîche lîp und sêle ûfgæben durch gotes gerehticheit. Dâ mite sî des buoches ein ende. Doch sô wil ich noch zwei wort sprechen.
Ein heidnischer Meister, Sokrates, sagt, daß Tugenden unmögliche Dinge möglich und zudem leicht und angenehm machen. Auch will ich dies nicht vergessen, daß jene fromme Frau, von der das Buch der Makkabäer berichtet, eines Tages vor ihren Augen entsetzliche und unmenschliche und grausenerregend anzuhörende Folter sah, die man ihren sieben Söhnen zufügte und antat, und dies frohen Mutes mit ansah und sie aufrecht erhielt und alle einzeln ermahnte, sich nicht zu erschrecken und willig Leib und Seele aufzugeben um der Gerechtigkeit Gottes willen. Dies sei der Schluß dieses Buches. Doch will ich noch zwei Worte hinzufügen.
Einez ist, daz wærlîche ein guot, götlîcher mensche sölte sich gar übel und grœzlîche schamen, daz in iemer leit bewegete, sô wir daz sehen, daz der koufman durch gewin eines kleinen geltes und ouch ûf ein ungewis sô verre landes, sô pînlîche wege, berge und tal, wiltnisse und mer, rouber, morder lîbes und guotes dicke vert und lîdet grôzen gebresten an spîse und trankes, slâfes und anders ungemaches und doch alles des vergizzet gerne und williclîche durch sô kleinen ungewissen nutz. Ein ritter in einem strîte wâget guot, lîp und sêle durch zergenclîche und vil kurze êre, und uns dunket sô grôz, daz wir ein kleine lîden durch got, die êwige sælicheit.
Das eine ist dies: daß ein guter, göttlicher Mensch sich gar heftig und gründlich schämen sollte, daß ihn je Leid erschütterte, wenn wir sehen, daß der Kaufmann zur Erlangung eines kleinen Gewinstes und zudem aufs Ungewisse oft so fern über Land, so beschwerliche Wege, über Berg und Tal, Wildnisse und Meere zieht, (bedroht) durch Räuber und Mörder an Leben und Habe, und große Entbehrung an Speise und Trank (und) Schlaf und andere Unbill erleidet und doch das alles gern und willig vergißt um so kleinen, ungewissen Nutzens willen. Ein Ritter wagt im Kampfe Gut, Leben und Seele um vergängliche und sehr kurze Ehre, und uns dünkt es so bedeutend, daß wir ein Geringes leiden um Gott und die ewige Seligkeit!
Daz ander wort, daz ich meine, daz maniger grop mensche sol sprechen, daz vil wort, diu ich an disem buoche und ouch anderswâ geschriben hân, niht wâr ensîn. Dem antwürte ich, daz sant Augustînus sprichet in dem êrsten buoche sîner bîhte. Er sprichet, daz got allez, daz noch zuokünftic ist, joch über tûsent und tûsent jâr, ob diu werlt als lange solte wern, hât iezent gemachet, und allez, daz vergangen ist manic tûsent jâr, sol noch hiute machen. Waz mac ich, ob ieman daz niht enverstât? Und sprichet aber anderswâ, daz sich der mensche alze blœzlîche minnet, der ander liute blenden wil, dar umbe daz sîn blintheit verborgen wese. Mir genüeget, daz in mir und in gote wâr sî, daz ich spriche und schrîbe. Der einen stapschaft sihet gestôzenen in ein wazzer, den dunket der stap krump sîn, aleine er gar reht sî, und kumet daz dâ von, daz daz wazzer gröber ist dan der luft sî; doch ist der stap beidiu in im reht und niht krump und ouch in des ougen, der in sihet in lûterkeit des luftes aleine.
Das andere Wort, das ich (noch) sagen will, ist dies, daß mancher grobsinnige Mensch sagen wird, viele Worte, die ich in diesem Buche und auch anderswo geschrieben habe, seien nicht wahr. Dem antworte ich mit dem, was Sankt Augustinus im ersten Buche seiner »Bekenntnisse« sagt. Er bemerkt (dort), daß Gott alles, was noch zukünftig ist, selbst über tausend und aber tausend Jahre, dafern die Welt so lange bestehen sollte, (schon) jetzt gemacht hat, und daß er alles, was schon manches Jahrtausend vergangen ist, noch heute machen wird. Was kann ich dafür, wenn jemand das nicht versteht? [s. Prol. op. prop. n. 20] Und wiederum sagt er anderswo, daß der Mensch sich gar zu offensichtlich selbst liebe, der andere Leute blenden wolle, auf daß seine Blindheit verborgen bleibe. Mir genügt's, daß in mir und in Gott wahr sei, was ich spreche und schreibe. Wer einen Stab in Wasser getaucht sieht, den dünkt der Stab krumm, wenngleich er ganz gerade ist, und das kommt daher, daß das Wasser gröber ist als die Luft; gleichviel ist der Stab sowohl an sich wie auch in den Augen dessen, der ihn nur in der Lauterkeit der Luft sieht, gerade und nicht krumm.
Sant Augustînus sprichet: swer âne allerleie gedenke, allerleie lîphafticheit und bilde inne bekennet, daz kein ûzerlich sehen îngetragen enhât, der weiz, daz ez wâr ist. Der aber des niht enweiz, der lachet und spottet mîn, und ich erbarme mich über in. Aber sôgetâne liute wellent schouwen und smacken êwigiu dinc und götlîchiu werk und in dem liehte stân der êwicheit, und ir herze vliuget noch in gestern, noch in morgen.
Sankt Augustinus sagt: »Wer ohne vielfältige Begriffe, vielfältige Gegenständlichkeit und bildliche Vorstellungen innerlich erkennt, was kein äußeres Sehen eingetragen hat, der weiß, daß dies wahr ist. Wer aber davon nichts weiß, der lacht und spottet meiner; mich aber erbarmt es seiner. Indessen, solche Leute wollen ewige Dinge schauen und empfinden und göttliche Werke und im Lichte der Ewigkeit stehen, und dabei flattert ihr Herz noch im Gestern und noch im Morgen.«
Ein heidenischer meister, Senecâ, sprichet: man sol von grôzen und von hôhen dingen mit grôzen und mit hôhen sinnen sprechen und mit erhabenen sêlen. Ouch sol man sprechen, daz man sôgetâne lêre niht ensol sprechen noch schrîben ungelêrten. Dar zuo spriche ich: ensol man niht lêren ungelêrte liute, sô enwirt niemer nieman gelêret, sô enmac nieman lêren noch schrîben. Wan dar umbe lêret man die ungelêrten, daz sie werden von ungelêret gelêret. Enwære niht niuwes, sô enwürde niht altes. »Die gesunt sint«, sprichet unser herre, »die enbedürfen der arzenîe niht«. Dar umbe ist der arzât, daz er die siechen gesunt mache. Ist aber ieman, der diz wort unrehte vernimet, waz mac des der mensche, der diz wort, daz reht ist, rehte sprichet? Sant Johannes sprichet daz heilige êwangelium allen geloubigen und ouch allen ungeloubigen, daz sie geloubic werden, und doch beginnet er daz êwangelium von dem hœhsten, daz kein mensche von gote hie gesprechen mac; und ouch sint sîniu wort und ouch unsers herren wort dicke unrehte vernomen.
Ein heidnischer Meister, Seneca, spricht: »Man soll von großen und hohen Dingen mit großen und hohen Sinnen sprechen und mit erhabener Seele.« Auch wird man sagen, daß man solche Lehren nicht für Ungelehrte sprechen und schreiben solle. Dazu sage ich: Soll man nicht ungelehrte Leute (be-)lehren, so wird niemals wer gelehrt, und so kann niemand (dann) lehren oder schreiben. Denn darum belehrt man die Ungelehrten, daß sie aus Ungelehrten zu Gelehrten werden. Gäbe es nichts Neues, so würde nichts Altes. »Die gesund sind«, sagt unser Herr, »bedürfen der Arznei nicht« (Luk. 5,35). Dazu ist der Arzt da, daß er die Kranken gesund mache. Ist aber jemand, der dieses Wort unrecht versteht, was kann der Mensch dafür, der dieses Wort, das recht ist, recht äußert». Sankt Johannes verkündet das heilige Evangelium allen Gläubigen und auch allen Ungläubigen, auf daß sie gläubig werden, und doch beginnt er das Evangelium mit dem Höchsten, das ein Mensch über Gott hier auszusagen vermag; und oft sind denn auch seine sowie unseres Herrn Worte unrecht aufgefaßt worden.
Der minniclîche, milte got, diu wârheit, gebe mir und allen den, die diz buoch suln lesen, daz wir die wârheit in uns vinden und gewar werden. Âmen.
Der liebreiche, barmherzige Gott, die Wahrheit (selbst), gebe mir und allen denen, die dies Buch lesen werden, daß wir die Wahrheit in uns finden und gewahr werden. Amen.
Anmerkungen
1 Eckhart zitiert Seneca zweimal in diesem Text, einmal in der nachfolgenden Predigt, in Predigt Q 53, dreimal im Johannes-Kommentar und erstaunliche neunmal im Sapientia-Kommentar. Letzterer war sein erster nahezu vollständig ausgearbeiteter Kommentar in seiner Erfurter Zeit (ca. zwischen 1305 und 1310), was eine Datierung des Trostbuches zumindest in seiner ersten Bearbeitungsstufe (bis n. 51) ins Jahr 1308 unterstützt. [28.1.09]
2 Ergänzend möchte ich hinzufügen: "Meint nicht, daß ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und des Menschen Feinde [werden] seine eigenen Hausgenossen [sein]. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer sein Leben findet, wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden." (Matth. 10,34-39) [31.12.01]
3 Interessanterweise enden an genau dieser Stelle die Exzerpte aus dem Trostbuch, obwohl das Buch noch weiteren Text enthält und im letzten Drittel durchaus noch die eine oder andere zu beanstandene Stelle enthalten könnte. Stattdessen stammen die nächsten beiden Artikel der Liste (Proc. col. I. n. 22 und n. 23) aus der in diesem Absatz angesprochenen Predigt. Vielleicht könnte das ein Hinweis darauf sein, daß zum Zeitpunkt der Erstellung der Exzerpte aus dem Trostbuch dieses an dieser Stelle endete. Das wiederum würde bedeuten, daß Eckhart es erst im Winter 1325/26 beendet hätte (s.u. zur Datierung des Liber benedictus). [3.12.03]
Edition
Nicht in DW 5 berücksichtigt:
Pfeiffer, Traktat Nr. V, S. 419,1-448,22.
Strauch, Meister Eckharts Buch der göttlichen Tröstung und Vom edlen Menschen (Liber Benedictus), Berlin 1933
Josef Quint, Meister Eckharts Buch der göttlichen Tröstung und Von dem edlen Menschen (Liber "Benedictus") unter Benutzung bisher unbekannter Handschriften neu herausgegeben, Berlin 1952
Quint, DW 5, S. 1-105.
Übersetzungen: Büttner II S. 58 ff., 2.1934 S. 208 ff.; Lehmann, S. 97 ff.; Schulze-Maizier² S. 114 ff.; Quint, DW 5, S. 471-497; Insel 1987 - (vgl. Bibliographie). [3.12.03]
Lit.:
Beschreibung
Seit Franz Pfeiffer 1857 seine Edition des Textes der Hs. Ba2 als Traktat Nr. V veröffentlichte, ist Eckharts Trostbuch Gegenstand der Forschung und des allgemeinen Interesses.
Obwohl nur eine Hs. vorlag, kam Spamer 1909 zu dem Schluß, dass der Traktat echt sei (und er gestand den von Pfeiffer gebotenen 18 (21) Traktaten sonst nur noch den Reden das Prädikat echt zu - Zitat s. Werk). Quint verfügte zudem über die Hs. M (über die sonst wenig bekannt ist), die er zur Leithandschrift erkor und zur Korrektur Ba2 sowie die Fragment-Hss. G6 und Tr2 heranzog. Ge4, eine mittelniederländische Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert, war ihm zwar bekannt, aber für die Edition nicht relevant.
Nach Quint sind die Hss. Ba2 und M die einzigen Volltexte, die das BgT zusammen mit "Vom edlen Menschen" überliefern und zudem auf einer gemeinsamen Vorlage beruhen [DW 5, S. 2]. Keine der Hss. weist dem Text Meister Eckhart als Verfasser zu, die Echtheit ist aber gesichert durch die Auszüge in der 1. Liste der Responsio und Eckharts Antworten auf diese Auszüge. [28.11.09]
BgT | Proc. col. I |
n. 3
n. 4 n. 5 n. 6 n. 7 n. 11 n. 23 n. 24 n. 36 n. 37 n. 42 n. 50 n. 51 |
n. 2, n. 3, n. 4, n. 5
n. 6 n. 7 n. 8, n. 9 n. 10 n. 11 n. 12, n. 13 n. 14 n. 15, n. 16 n. 17, n. 18 n. 19 n. 20 n. 21; Bulle 20, Votum 17 |
Datierung
In der Responsio wird behauptet, dass Eckhart das Buch an die "Königin von Ungarn" gesandt habe [s. Proc. col. I n. 1] und Eckhart hat dem in seinen Antworten auf die Auszüge nicht widersprochen. Das muss nun nicht bedeuten, dass er das Buch (den "Liber Benedictus") ausschließlich für die Königin verfasste.
Agnes von Ungarn (1281 - 1364) bedurfte im Verlauf ihres langen Lebens mehrfach des Trostes, was seit 100 Jahren zu unterschiedlichen Datierungen führt. Adolf Spamer schrieb 1909: "möglicherweise ... kurz nach 1305, wo Agnes ... ihre schwägerin ... durch den tod verlor" [Spamer, Überl., S. 376]. Ein Jahr später, 1910, veröffentlichte Philipp Strauch seine Bearbeitung des Liber Benedictus und merkte an: "Aber auch die ermordung könig Albrechts (1308), des vaters der königin, oder der tod ihrer mutter Elisabeth, der 1313 erfolgte, konnte dies buch der tröstung in schwerem leid veranlassen" (S. 3). Drei weitere Autoren sehen das BgT "etwa 1314 oder wenig später" verfasst (Hammerich 1931, S. 98; Roos 1932, S. 233; Muschg 1935, S. 186 [in der Bibliographie von Niklaus Largier die Nrr. 1137, 1138 und 402] - Angaben nach DW 5, S. 6). Laut Kurt Ruh (1985 und 2.1989) gibt es triftige Gründe, das Buch nach dem 2. Parisaufenthalt anzusetzen, da es "für den, der gelernt hat, die Schriften Eckharts im biographischen Kontext zu lesen", es "keinen Zweifel darüber" geben kann, "daß die im Trostbuch vertretene Theologie das zweite Magisterium" voraussetzt. Als Anlaß erscheint ihm der Beginn "von Agnes' halbgeistlichem Leben nach der Überführung der Gebeine ihrer Mutter nach Königsfelden (1318) in Frage" zu kommen [Ruh, Eckhart, S. 117].
Am Ende des Buches schreibt Eckhart, "daß mancher grobsinnige Mensch sagen wird, viele Worte, die ich in diesem Buche und auch anderswo geschrieben habe, seien nicht wahr" (n. 81), auch "wird man sagen, daß man solche Lehren nicht für Ungelehrte sprechen und schreiben solle" (n. 83). Er erklärt: "Dazu sage ich: Soll man nicht ungelehrte Leute lehren, so wird niemals wer gelehrt, und so kann niemand lehren oder schreiben." Warum tut er das? Und wann? Weil ihn ein Priester in Straßburg angesprochen haben soll und ihm eine "freundschaftliche Warnung bezüglich seiner Predigten" gab (s. 1319)? Oder ist mit "diesem Buche und auch anderswo" nicht eher die 1. Liste der Kölner Ankläger gemeint? Wie kann das sein, wenn die 20 Auszüge doch aus eben dem Buch stammen, in dem Eckhart sich verteidigt? Und wieso enden die Auszüge nach 2/3 des Buches an genau der Stelle, wo Eckhart von der nachfolgenden Predigt spricht und werden dann noch um zwei Auszüge aus der Predigt ergänzt, als wäre sie der Schluß des Buches (s. Anm. 3)?
Eine sinnvolle Erklärung ergibt sich, wenn man von mehreren Bearbeitungsschritten ausgeht und die Kölner Ankläger ein Exemplar zur Verfügung hatten, dass mit n. 51 (Ed. bis S. 45,3) und der Predigt endete. Gestützt wird diese Überlegung durch die beiden Fragmenthss. So bietet G6 den Text vom Anfang bis Ed. S. 42,10 (n. 47 erste Zeile), wobei das letzte Wort "got-geborn-wesen" zu "got geborn werden" wird und der Satz angehängt: "Daz wir Nun alle kinder gottes werden des helf vns die Hailig Dryfaltigkait Amen" (Ed. S. 42 zu Z. 10). Tr2 nimmt drei Auszüge (Ed. 13,5 - 20,2; 22,12 - 33,10 und 45,6 - 59,19), wobei der dritte Auszug an der Stelle endet, wo Eckhart sagt: "Dâ mite sî des buoches ein ende" (n. 79). Tr2 ersetzt "des buoches" durch "disz" (Ed. S. 59 zu Z. 19). Diesen Satz hat Ba2 gestrichen. In Ba2 heißt es auch nicht: "das suche hinter dem Schluß dieses Buches, wo ich schreibe »Vom edlen Menschen, der auszog in ein fernes Land, um ein Reich zu empfangen und wiederzukommen«" (n. 51), sondern "daz suoche nâch dem ende dieser vorgesprochenen worten von dem edelen menscen" (Ed. S. 59 zu Z. 1-3). Es ist somit sehr wahrscheinlich, dass der Liber Benedictus in unterschiedlichen Bearbeitungen kursierte.
Das Exemplar, dass den Anklägern zur Verfügung stand, wird das Gleiche gewesen sein wie das, dass er an Agnes geschickt hatte (vielleicht in der Form von Ba2 bis n. 51) - und das kann 1308 (s. Anm. 1), 1313 oder auch 1318 geschehen sein. Eckhart schrieb danach weiter an dem Text bis n. 79 und erst als ihm die "0. Liste" vorgelegt wurde, fügte er noch die Absätze n. 80 bis n. 84 hinzu, womit das uns heute vorliegende Buch um den 26. September 1326 beendet worden wäre.
Abschließend möchte ich noch einmal Ruh zitieren: "Wenigstens in einer Art Fußnote möchte ich doch einem Zweifel Ausdruck geben, der immer stärker in mir umgeht und sich zur These verdichtet: Eckhart hat den 'Liber benedictus' nicht für die Königin Agnes, sondern für trostbedürftige Menschen seiner Lebenswelt geschrieben, Schwestern und Brüdern, denen er predigte. Es sei daran erinnert, daß es so ganz und gar nicht seiner Art entspricht, die Adressatin seiner Schrift, wie es hier geschieht, nur in (scheinbaren) Anspielungen erkennen zu lassen, von der Merkwürdigkeit zu schweigen, daß ein Dominikaner der Vorsteherin eines Klarissenklosters private Seelsorge angedeihen läßt." [Ruh, Mystik, S. 322]
1995 präzisierte er in einem kurzen Artikel: "Meine These ist: Eckhart hat den 'Liber Benedictus' nicht als Auftragwerk für die Königin Agnes von Ungarn verfaßt, vielmehr für den Menschen schlechthin, im besonderen für trostbedürftige Menschen seiner Lebenswelt, die Schwestern und Brüder, denen auch seine Predigt galt." [Ruh, Liber, S. 272].