Die Seligkeit tat ihren Mund der Weisheit auf und sprach: »Selig sind die Armen im Geiste, das Himmelreich ist ihrer«
(Matth. 5, 3). Alle Engel und alle Heiligen und alles, was je geboren ward, das muß schweigen, wenn diese ewige Weisheit des Vaters spricht; denn alle Weisheit der Engel und aller Kreaturen, das ist ein reines Nichts vor der grundlosen Weisheit Gottes. Diese Weisheit hat gesprochen, daß die Armen selig seien.
Nun gibt es zweierlei Armut. Die eine ist eine äußere Armut, und die ist gut und sehr zu loben an dem Menschen, der sie mit Willen auf sich nimmt aus Liebe zu unserm Herrn Jesus Christus, weil der sie selbst auf Erden gehabt hat. Von dieser Armut will ich nicht weiter sprechen. Indessen, es gibt noch eine andere Armut, eine innere Armut, die unter jenem Wort unseres Herrn zu verstehen ist, wenn er sagt: »Selig sind die Armen im Geiste«.
Nun bitte ich euch, ebenso
(arm) zu sein, auf daß ihr diese Rede verstehet; denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit: Wenn ihr dieser Wahrheit, von der wir nun sprechen wollen, nicht gleicht, so könnt ihr mich nicht verstehen.
Etliche Leute haben mich gefragt, was
(denn) Armut in sich selbst und was ein armer Mensch sei. Darauf wollen wir antworten.
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Quelle: Stachel, S. 141
"Textfragment ..: 'Aber ich bitte euch der Liebe Gottes willen .. Und diesen Sinn verstehen etliche Leute nicht wohl noch recht' (Textabweichungen" von der kritischen Edition).
München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 455 f. 13r |
Bischof
Albrecht sagt, das sei ein armer Mensch, der an allen Dingen, die Gott je erschuf, kein Genügen habe, - und das ist gut gesagt. Wir aber sagen es noch besser und nehmen Armut in einem
(noch) höheren Verstande: Das ist ein armer Mensch, der
nichts will und
nichts weiß und
nichts hat. Von diesen drei Punkten will ich sprechen, und ich bitte euch um der Liebe Gottes willen, daß ihr diese Wahrheit versteht, wenn ihr könnt. Versteht ihr sie aber nicht, so bekümmert euch deswegen nicht, denn ich will von so gearteter Wahrheit sprechen, wie sie nur wenige gute Leute verstehen werden.
Zum ersten sagen wir, daß der ein armer Mensch sei, der nichts will. Diesen Sinn verstehen manche Leute nicht richtig: es sind jene Leute, die in Bußübung und äußerlicher Übung an ihrem selbstischen Ich festhalten, was diese Leute jedoch für groß erachten. Erbarm's Gott, daß solche Leute so wenig von der göttlichen Wahrheit
[1] erkennen! Diese Menschen heißen heilig auf Grund des äußeren Anscheins, aber von innen sind sie Esel, denn sie erfassen nicht den
(genauen) eigentlichen Sinn göttlicher Wahrheit. Diese Menschen sagen zwar
(auch), das sei ein armer Mensch, der nichts will. Sie deuten das aber so: daß der Mensch so leben müsse, daß er seinen
(eigenen) Willen nimmermehr in irgend etwas erfülle, daß er
(vielmehr) danach trachten solle, den allerliebsten Willen Gottes zu erfüllen. Diese Menschen sind wohl daran, denn ihre Meinung ist gut; darum wollen wir sie loben. Gott möge ihnen in seiner Barmherzigkeit das Himmelreich schenken. Ich aber sage bei der göttlichen Wahrheit, daß diese Menschen keine
(wirklich) armen Menschen sind noch armen Menschen ähnlich. Sie werden als groß angesehen in den Augen
(nur) der Leute, die nichts Besseres wissen. Doch ich sage, daß sie Esel sind, die nichts von göttlicher Wahrheit verstehen. Wegen ihrer guten Absicht mögen sie das Himmelreich erlangen; aber von der Armut, von der ich jetzt sprechen will, davon wissen sie nichts.
Wenn einer mich nun fragte, was denn aber das sei: ein armer Mensch, der nichts will, so antworte ich darauf und sage so: Solange der Mensch dies noch an sich hat, daß es sein Wille ist, den allerliebsten Willen Gottes erfüllen zu wollen, so hat ein solcher Mensch nicht die Armut, von der wir sprechen wollen; denn dieser Mensch hat
(noch) einen Willen, mit dem er dem Willen Gottes genügen will, und das ist nicht rechte Armut. Denn, soll der Mensch wahrhaft Armut haben, so muß er seines geschaffenen Willens so ledig sein, wie er's war, als er
(noch) nicht war. Denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit: Solange ihr den Willen habt, den Willen Gottes zu erfüllen, und Verlangen habt nach der Ewigkeit und nach Gott, solange seid ihr nicht richtig arm. Denn nur das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts begehrt.
Als ich
(noch) in meiner ersten Ursache stand, da hatte ich keinen Gott, und da war ich Ursache meiner selbst. Ich wollte nichts, ich begehrte nichts, denn ich war ein lediges Sein und ein Erkenner meiner selbst im Genuß der Wahrheit. Da wollte ich mich selbst und wollte nichts sonst; was ich wollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich, und hier stand ich Gottes und aller Dinge ledig. Als ich aber aus freiem Willensentschluß ausging und mein geschaffenes Sein empfing, da hatte ich einen Gott; denn ehe die Kreaturen waren, war Gott
(noch) nicht »Gott«: er war vielmehr, was er war. Als die Kreaturen wurden und sie ihr geschaffenes Sein empfingen, da war Gott nicht in sich selber Gott, sondern in den Kreaturen war er Gott
(1),[2].
Nun sagen wir, daß Gott, soweit er
(lediglich) »Gott« ist, nicht das höchste Ziel der Kreatur ist. Denn so hohen Seinsrang hat
(auch) die geringste Kreatur in Gott. Und wäre es so, daß eine Fliege Vernunft hätte und auf dem Wege der Vernunft den ewigen Abgrund göttlichen Seins, aus dem sie gekommen ist, zu suchen vermöchte, so würden wir sagen, daß Gott mit alledem, was er als »Gott« ist, nicht
(einmal) dieser Fliege Erfüllung und Genügen zu schaffen vermöchte. Darum bitten wir Gott, daß wir »Gottes« ledig werden und daß wir die Wahrheit dort erfassen und ewiglich genießen, wo die obersten Engel und die Fliege und die Seele gleich sind, dort, wo ich stand und wollte, was ich war, und war, was ich wollte. So denn sagen wir: Soll der Mensch arm sein an Willen, so muß er so wenig wollen und begehren, wie er wollte und begehrte, als er
(noch) nicht war. Und in dieser Weise ist der Mensch arm, der nichts will.
Zum andern Male ist das ein armer Mensch, der nichts weiß. Wir haben gelegentlich gesagt, daß der Mensch so leben sollte, daß er weder sich selber noch der Wahrheit noch Gott lebe
(2). Jetzt aber sagen wir's anders und wollen weitergehend sagen: Der Mensch, der diese Armut haben soll, der muß so leben, daß er nicht
(einmal) weiß, daß er weder sich selber noch der Wahrheit noch Gott lebe. Er muß vielmehr so ledig sein alles Wissens, daß er nicht wisse noch erkenne noch empfinde, daß Gott in ihm lebt, - mehr noch: er soll ledig sein alles Erkennens, das in ihm lebt. Denn, als der Mensch
(noch) im ewigen Wesen Gottes stand, da lebte in ihm nicht ein anderes; was da lebte, das war er selber. So denn sagen wir, daß der Mensch so ledig sein soll seines eigenen Wissens, wie er's tat, als er
(noch) nicht war, und er lasse Gott wirken, was er wolle, und der Mensch stehe ledig.
Alles, was je aus Gott kam, das ist gestellt auf ein lauteres Wirken. Das dem Menschen zubestimmte Wirken aber ist: Lieben und Erkennen. Nun ist es eine Streitfrage, worin die Seligkeit vorzüglich liege. Etliche Meister haben gesagt, sie liege in der Liebe, andere sagen, sie liege in der Erkenntnis und in der Liebe, und die treffen's
(schon) besser. Wir aber sagen, daß sie weder in der Erkenntnis noch in der Liebe liege; es gibt vielmehr ein Etwas in der Seele, aus dem Erkenntnis und Liebe ausfließen; es selbst erkennt und liebt nicht, wie's die Kräfte der Seele tun. Wer dieses
(Etwas) kennen lernt, der erkennt, worin die Seligkeit liegt. Es hat weder Vor noch Nach, und es wartet auf nichts Hinzukommendes, denn es kann weder gewinnen noch verlieren. Deshalb ist es auch des Wissens darum, daß Gott in ihm wirke, beraubt; es ist vielmehr selbst dasselbe, das sich selbst genießt in der Weise, wie Gott es tut.
So quitt und ledig also, sage ich, soll der Mensch stehen, daß er nicht wisse noch erkenne, daß Gott in ihm wirke, und so kann der Mensch Armut besitzen.
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Quelle: Stachel, S. 167
"Textfragment .. mit einer Passage: 'Zum dritten Punkt .. etc. .. (Abweichungen vom kritischen Text)."
München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 455 f. 18r |
Die Meister sagen, Gott sei ein Sein und ein vernünftiges Sein und erkenne alle Dinge. Ich aber sage: Gott ist weder Sein noch vernünftiges Sein noch erkennt er dies oder das. Darum ist Gott ledig aller Dinge - und
(eben) darum ist er alle Dinge. Wer nun arm im Geiste sein soll, der muß arm sein an allem eigenen Wissen, so daß er von nichts wisse, weder von Gott noch von Kreatur noch von sich selbst. Darum ist es nötig, daß der Mensch danach begehre, von den Werken Gottes nichts zu wissen noch zu erkennen. In dieser Weise vermag der Mensch arm zu sein an eigenem Wissen.
Zum dritten ist das ein armer Mensch, der nichts hat. Viele Menschen haben gesagt, das sei Vollkommenheit, daß man nichts an materiellen Dingen der Erde
(mehr) besitze, und das ist wohl wahr in dem Sinne: wenn's einer mit Vorsatz so hält. Aber dies ist nicht der Sinn, den ich meine.
Ich habe vorhin gesagt, das sei ein armer Mensch, der nicht
(einmal) den Willen Gottes erfüllen will, der vielmehr so lebe, daß er seines eigenen Willens und des Willens Gottes so ledig sei, wie er's war, als er
(noch) nicht war. Von dieser Armut sagen wir, daß sie die höchste Armut ist. — Zum zweiten haben wir gesagt, das sei ein armer Mensch, der
(selbst) vom Wirken Gottes in sich nichts weiß. Wenn einer des Wissens und Erkennens so ledig steht, so ist das die reinste Armut. - Die dritte Armut aber, von der ich nun reden will, die ist die äußerste: es ist die, daß der Mensch nichts hat.
Nun gebt hier genau acht! Ich habe es
(schon) oft gesagt, und große Meister sagen es auch: der Mensch solle aller Dinge und aller Werke, innerer wie äußerer, so ledig sein, daß er eine eigene Stätte Gottes sein könne, darin Gott wirken könne
(3). Jetzt aber sagen wir anders. Ist es so, daß der Mensch aller Dinge ledig steht, aller Kreaturen und seiner selbst und Gottes, steht es aber noch so mit ihm, daß Gott in ihm eine Stätte zum Wirken findet, so sagen wir: Solange es das noch in dem Menschen gibt, ist der Mensch
(noch) nicht arm in der eigentlichsten Armut. Denn Gott strebt für sein Wirken nicht danach, daß der Mensch eine Stätte in sich habe, darin Gott wirken könne; sondern das
(nur) ist Armut im Geiste, wenn der Mensch so ledig Gottes und aller seiner Werke steht, daß Gott, dafern er in der Seele wirken wolle, jeweils selbst die Stätte sei, darin er wirken will, — und dies täte er
(gewiß) gern. Denn, fände Gott den Menschen so arm, so wirkt Gott sein eigenes Werk und der Mensch erleidet Gott so in sich, und Gott ist eine eigene Stätte seiner Werke; der Mensch
(aber) ist ein reiner Gott-Erleider in seinen
(= Gottes) Werken angesichts der Tatsache, daß Gott einer ist, der in sich selbst wirkt. Allhier, in dieser Armut erlangt der Mensch das ewige Sein
(wieder), das er gewesen ist und das er jetzt ist und das er ewiglich bleiben wird.
Es gibt ein Wort Sankt Pauls, in dem er sagt: »Alles, was ich bin, das bin ich durch die Gnade Gottes«
(1 Kor. 15, 10). Nun aber scheint diese
(meine) Rede
(sich) oberhalb der Gnade und oberhalb des Seins und oberhalb der Erkenntnis und des Willens und alles Begehrens
(zu halten) - wie kann denn
(da) Sankt Pauls Wort wahr sein? Darauf hätte man dies zu antworten: daß Sankt Pauls Worte wahr seien. Daß die Gnade in ihm war, das war nötig, denn die Gnade Gottes bewirkte in ihm, daß die »Zufälligkeit« zur Wesenhaftigkeit vollendet wurde. Als die Gnade endete und ihr Werk vollbracht hatte, da blieb Paulus, was er war.
So denn sagen wir, daß der Mensch so arm dastehen müsse, daß er keine Stätte sei noch habe, darin Gott wirken könne. Wo der Mensch (noch) Stätte (in sich) behält, da behält er noch Unterschiedenheit. Darum bitte ich Gott, daß er mich Gottes quitt mache; denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott, sofern wir Gott als Beginn der Kreaturen fassen. In jenem Sein Gottes nämlich, wo Gott über allem Sein und über aller Unterschiedenheit ist, dort war ich selber, da wollte ich mich selber und erkannte mich selber (willens), diesen Menschen (= mich) zu schaffen. Und darum bin ich Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist, nicht aber meinem Werden nach, das zeitlich ist. Und darum bin ich ungeboren, und nach der Weise meiner Ungeborenheit kann ich niemals sterben. Nach der Weise meiner Ungeborenheit bin ich ewig gewesen und bin ich jetzt und werde ich ewiglich bleiben. Was ich meiner Geborenheit nach bin, das wird sterben und zunichte werden, denn es ist sterblich; darum muß es mit der Zeit verderben. In meiner (ewigen) Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge; und hätte ich gewollt, so wäre weder ich noch wären alle Dinge; wäre aber ich nicht, so wäre auch »Gott« nicht: daß Gott »Gott« ist, dafür bin ich die Ursache; wäre ich nicht, so wäre Gott nicht »Gott« [3].
Dies zu wissen ist nicht not.
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Ein großer Meister sagt, daß sein Durchbrechen edler sei als sein Ausfließen, und das ist wahr
[4]. Als ich aus Gott floß, da sprachen alle Dinge: Gott ist. Dies aber kann mich nicht selig machen, denn hierbei erkenne ich mich als Kreatur. In dem Durchbrechen aber, wo ich ledig stehe meines eigenen Willens und des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selber, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder »Gott« noch Kreatur, bin vielmehr, was ich war und was ich bleiben werde jetzt und immerfort. Da empfange ich einen Aufschwung, der mich bringen soll über alle Engel. In diesem Aufschwung empfange ich so großen Reichtum, daß Gott mir nicht genug sein kann mit allem dem, was er als »Gott« ist, und mit allen seinen göttlichen Werken; denn mir wird in diesem Durchbrechen zuteil, daß ich und Gott eins sind. Da bin ich, was ich war, und da nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin da eine unbewegliche Ursache, die alle Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine Stätte
(mehr) in dem Menschen, denn der Mensch erringt mit dieser Armut, was er ewig gewesen ist und immerfort bleiben wird. Allhier ist Gott eins mit dem Geiste, und das ist die eigentlichste Armut, die man finden kann.
Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar.
Daß wir so leben mögen, daß wir es ewig erfahren, dazu helfe uns Gott. Amen.
Anmerkungen Quint
1 "Was Eckhart .. ausführt, betrifft die vorgeschöpfliche Existenz des Menschen als Idee im actus purus des göttlichen Seinsgrundes, in dem die Idee des einzelnen Menschen wesenseins ist mit der Gottheit, in der 'ich' also auch keinen 'Gott' hatte und kannte" [S. 509, Anm. 22].
2 "Der Rv. .. konnte von mir bisher nicht eindeutig auf eine bekannte Textstelle Eckharts bezogen werden. Nur ähnlich dürften etwa folgende Stellen sein: DW 1 S. 80,19 ff. (Q 5a) ..; 92,1 ff. (Q 5b) ..; 128,9f. (Q 8) .." [S. 511, Anm. 27].
3 "Worauf sich der Rv. .. bezieht, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen" [angeführt sind mögliche Stellen aus Vab (5, 403,2ff.), Q 5a (1, 80,8f.), Q 18 (1, 296,8 ff.) und Q 81 (3, 396,6f.); S. 513, Anm. 44] (s. Predigten).
Eigene
1 Zu "göttliche Wahrheit": Vgl. Q 10 , Q 31, Q 43 (s. Predigt 43), Q 55 und Q 77 sowie im Trostbuch.
2 Flasch (s. u.) übersetzt: "Aber als die Geschöpfe entstanden und ihr geschaffenes Wesen empfingen, da war Gott nicht mehr Gott in sich selbst, sondern er war Gott in den Geschöpfen" (S. 173).
3 "Ich möchte einen Beleg dafür geben, wie falsch es ist, sich auf Quint zu verlassen, der 1941 aus Eckharts Schriften die Aufforderung zum "letzten Einsatz für den Gefolgschaftsherrn" herauslas (..) In Predigt 52 lehrt Eckhart, daß ich der Grund dafür bin, daß Gott Gott ist. Quint fand diesen Gedanken unverständlich und half sich, indem er die Vokabel "Gott" bei ihrem zweiten Vorkommen in Anführungszeichen setzte. Dieser Eingriff war ebenso unscheinbar wie dreist. Es heißt also bei Quint: Daß Gott "Gott" ist, dafür bin ich die Ursache. Das klingt unklar, suggeriert aber, daß ich nur die Vokabel "Gott" verursacht habe, nicht den lebendigen, wirkenden Gott. Eckharts Text kennt aber keine Anführungszeichen. Will man ihn original belassen, dann muß man ihn sagen lassen, was er gesagt hat: Ich bin der Grund dafür, daß Gott Gott ist."
Kurt Flasch, Wenn Gott nicht gerecht wäre. Philosoph des Christentums: Meister Eckharts Werke und Predigten, in: [MJ 14, S. 80].
4 Vgl. Haas, Durchbruch zur ewigen Wahrheit.
1 Die Übersetzung entspricht dem Abdruck in: Josef Quint, Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate, München 1963 [Quint, S. 303-309]. Quints Anmerkungen sind den Deutschen Werken, Bd. 2, entnommen. Seine Texteinschübe und Verweise auf Bibelstellen in () sind etwas eingerückt.
Edition
Pfeiffer, Nr. LXXXVII S. 280-284.
Quint, DW 2, S. 486-506.
Steer, Lectura Eckardi I, S. 168-180 (linke Seite).
Übersetzung: Büttner I S. 169 ff., 2.1934 S. 148 ff., Lehmann S. 178 ff., Schulze-Maizier S. 348 ff., Stachel S. 139-148, Quint (DW 2) S. 727-731 - (vgl. Bibliographie).
Flasch, Lectura Eckhardi I, S. 169-181 (rechte Seite).
Beschreibung
"Die Predigt ist in zwölf Hss. und im BT ganz, in einer Hs. fragmentarisch überliefert. Ein weiteres Fragment des Einleitungsteils hat Kurras, Ein Eckhart-Fragment .. nachgewiesen. (...) Ruh, Meister Eckhart, S. 158 f., liest die hsl. Armut-Notiz im Proc. Col. II (vgl. ed. Théry, S. 266, Anm. a), die vielleicht von der Hand Eckharts stammt (vgl. Colledge, A Meister Eckhart Autograph), als "Skizze" der vorliegenden Predigt, die nach ihm als eine der letzten anzusehen und vielleicht auf den Frühling 1327 zu datieren ist." [Largier, S. 1050 f.]. Die lateinische Edition der Anmerkung (Sturlese, LW 5) und die Übersetzung Ruhs findet sich unter Proc. col. II. n. 139 (Eigene Anmerkung).
BT = Tauler, Opera, Basel (BTa 1521, BTb 1522). Zu den Hss. s. Predigten.
Nach Steer besteht eine "stilistisch und gedankliche enge Verbindung" mit Predigt S 109 [DW 4,2, S. 757].
Datierung
In der 2. überarbeiteten Auflage seines Buches von 1989 findet sich die oben von Largier zitierte Datierung nicht mehr. Jetzt schreibt Ruh: "Ist sie [die Predigt], wie es scheint, in Köln oder auch schon früher gehalten und in schriftlicher Gestalt verbreitet worden, so bleibt es freilich erstaunlich, daß sie die Inquisitoren nicht als Anklagematerial herangezogen haben. Ein besseres konnten sie nicht finden" [Ruh, Eckhart, S. 158]. Flasch schreibt: "Als Eckhart um 1320 in Köln .. unsere Predigt hielt" [LE 1, S. 183].
Beide Forscher gehen davon aus, dass Eckhart diese Predigt in Köln hielt (auch wenn er sich nach gängiger Lehrmeinung "um 1320" in Straßburg aufgehalten haben soll) und es gibt keinen Grund, ihnen zu widersprechen. Die Frage ist nur, was hier unter 'Köln' zu verstehen ist: die Jahre 1324-26 (oder meinetwegen 1327) oder der gesamte Zeitraum ab der Rückkehr aus Paris 1313 bis zur Abreise nach Avignon 1327?
Wie dem auch sei, man kann wohl davon ausgehen, dass diese Predigt den "Kölner Predigten" zuzuordnen ist im Gegensatz zu den früheren, den "Erfurter Predigten".