Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt
Les dix années de Maître Eckhart à Strasbourg 1

Bericht von der Jahrestagung (der MEG ) - zu den Texten
30. März - 2. April 2006
von Eckhart Triebel
meg2006
Vorbemerkung
Donnerstag
Freitag

Samstag
Programm
Workshops; Eröffnung Vannier, Steer, Haas
Vorträge Rapp, Senner, Sturlese, Gottschall, Wackernagel, Kampmann
Erste Mitgliederversammlung der MEG
Vorträge Löser, Köbele, Vannier, Altmeyer, Steer

Das "Logo" der Konferenz

Programm

Vorbemerkung
Freitag
Samstag

Donnerstag, 30.03.2006
10.00 – 12.30

14.00 – 16.00

Forschungskonferenz
Interdisziplinäre Meister-Eckhart-Forschung: Perspektiven, Methoden, aktuelle Arbeiten von:
(Etat actuel des études eckhartiennes: Contributions de:)
Benoît Beyer de Ryke, Jean Devriendt, Florian Dieckmann, Bernd Ehlert, Konrad Goehl, Maxime Mauriege, Yves Meessen, Sebastian Milazzo, Isabelle Raviolo, Cornelia Rizek-Pfister, Tamar Tsopurashvili und Martina Wehrli-Johns
17.00 Eröffnung der Tagung / Ouverture du colloque (Temple Neuf)
• Prof. Dr. Marie-Anne Vannier, Tagungsleiterin (organisatrice)
• Prof. Dr. Georg Steer, Präsident der Meister-Eckhart-Gesellschaft
17:30 Meister Eckharts Durchbruch zur "ewigen Wahrheit"
(La percée d'Eckhart vers "la vérité éternelle")
• Prof. Dr. Alois M. Haas, Zürich
19.00 Empfang im Rathaus auf Einladung von Frau Fabienne Keller, Maire de Strasbourg, und Robert Grossmann, Président de la Communauté urbaine

Freitag, 31.3.2006 (Centre Culturel Saint-Thomas)
09.00 Le contexte historique et culturel du séjour d'Eckhart
(Der historische und kulturelle Kontext von Eckharts Aufenthalt)
• Prof. Dr. Francis Rapp, Strasbourg
09.30 Diskussion
10.00 Meister Eckharts Ordensauftrag in Straßburg
(Eckhart, représentant de son Ordre à Strasbourg)
• Dr. Walter Senner OP, Rom
10.30 Diskussion
11.00 Pause / Lesungen. Musik
11.30 Eckhart, Dietrich von Freiberg und die Cura monialium
(Eckhart, Thierry de Freiberg et la Cura monialium)
• Prof. Dr. Loris Sturlese, Lecce
12.00 Diskussion
12.30 Mittagspause
14.30 Nikolaus von Straßburg und Meister Eckhart
(Nicolas de Strasbourg et Maître Eckhart)
• Prof. Dr. Dagmar Gottschall, Lecce
15.00 Diskussion
15.30 Eckhart et les béguines à Strasbourg
(Eckhart und die Straßburger Beginen)
• Prof. Dr. Wolfgang Wackernagel, Genf
16.00 Diskussion
16.30 Pause / Lesungen. Musik
17.00 Eckharts Predigten und die Verurteilung freigeistiger Begarden und Beginen
(La prédication d'Eckhart et la condamnation des béguines et des desciples du libre esprit)
• Dr. Irmgard Kampmann, Bochum
17.30 Diskussion
17.00 Universitäts- und Nationalbibliothek: Handschriften mit Texten aus der Deutschen Mystik
(Exposition de manuscrits des mystiques rhénans)
18:30 Sitzung des erweiterten Vorstands der Meister-Eckhart-Gesellschaft
20.00 Mitgliederversammlung der Meister-Eckhart-Gesellschaft
(Assemblée generale de la Société Eckhart)

Samstag, 1.4.2006 (Centre Culturel Saint-Thomas)
09.00 Die in Straßburg entstandenen deutschen Predigten Eckharts
(Les sermons allemands d'Eckhart datant du séjour à Strasbourg)
• Prof. Dr. Freimut Löser, Augsburg
9.30 Diskussion
10.00 Locutio emphatica. Metapher und Begriff bei Meister Eckhart
(Locutio emphatica. Métaphore et concept chez Maître Eckhart)
• Prof. Dr. Susanne Köbele, Erlangen
10.30 Diskussion
11.00 Pause / Lesungen. Musik
11.30 Sein als Absolutheit – esse als abegescheidenheit
(L'être comme absolu - L'esse comme détachment)
• Dr. Andrés Quero-Sánchez, Regensburg
12.00 Diskussion
12.30 Mittagspause
13.30 Spaziergang : Auf den Wegen Eckharts und Taulers in Straßburg
(Promenade: sur les pas d'Eckhart et de Tauler à Strabourg)
15.00 La naissance de Dieu dans l'âme dans la prédication d'Eckhart à Strasbourg
(Die Gottesgeburt in der Seele in Eckharts Straßburger Predigt)
• Prof. Dr. Marie-Anne Vannier, Metz
15.30 Diskussion
16.00 Die Prävalenz des tätigen Lebens bei Meister Eckhart
(La prééminence de la vie active chez Maître Eckhart)
• Dr. Claudia Altmeyer, Saarlouis
16.30 Diskussion
17.00 Geld, Gott und Liebe. Die Sermones XXXVIII und XLVII,3
(L'argent, Dieu et l'amour. Les sermones XXXVIII et XLVII,3)
• Prof. Dr. Georg Steer, Eichstätt
17.30 Diskussion
Abschluss der wissenschaftlichen Tagung
18.30 Messe, gelesen von Mgr Joseph Doré, Erzbischof von Straßburg im Straßburger Münster
(Messe presidée par Mgr Joseph Doré, Cathédrale de Strasbourg)
21.00 Das Auge des Geistes: Konzert und Lesungen. Texte aus der deutschen Mystik, von Rémy Valléjo OP in der Kirche Saint Pierre le Jeunne
(L'œil de l'esprit. Concert et lecture de textes de la mystique rhénane. Eglise Saint-Pierre-le-Jeune - Réalisation: Rémy Valléjo)

Vorbemerkung
Remarque préliminaire

  Wir reisten schon am Mittwoch zur Überbrückung der 770 km Berlin - Straßburg an und hatten für die Gesamtdauer der Konferenz im Centre Culturel St. Thomas gebucht und fanden es auch ohne besondere Mühe. Das Centre befindet sich im Europaviertel direkt neben einer Großbaustelle, so dass wir am Donnerstagmorgen von einer Geräuschkulisse geweckt wurden, die uns sehr vertraut vorkam, da in Berlin direkt neben unserer Wohnung seit 2003 der zweitgrößte Bahnhof Berlins in Form einer gestrandeten Titanic heranwächst.
  Der erste (und leider auch zweite) Eindruck des Centre culturel war ernüchternd. Unser Zimmer (Nr. 58) befand sich in dem einzigen Altbau auf dem Gelände und war geschmackvoll und mit viel Liebe zum Detail eingerichtet worden. Keine Blumenvase versperrte den Blick auf farblich nicht näher bestimmbare Tapeten. An der Wand links neben den beiden Betten (vom Bett aus betrachtet) hing ein schlichtes schwarzes Kreuz, flankiert von in unterschiedlicher Höhe angebrachten kleinen goldenen Prägebildchen (vielleicht 8x8 cm) in breiten dunklen Holzrahmen. Vom Bett aus betrachtet wirkte das rechte Bildchen wie Jesus auf dem Esel beim Einritt in Jerusalem. Die nähere Betrachtung zeigte, dass es sich um einen Stierkampf handelte. In dem linken Motiv steht Don Quichotte hinter Sancho Pancha. An der Wand gegenüber der Betten befand sich ein drittes dieser Bildchen mit dem Aufdruck: Barcelona. Als letztes erfreute uns ein Fotoposter von giftigen Digitalis purpurea in der Abenddämmerung. Die Einrichtung bestand aus den erwähnten Betten (die wir als erstes zusammenschoben), zwei kleinen Tischen, zwei Stühlen, zwei Nachttischchen, zwei Schreibtischlampen und einem großen Schrank. Der Raum war somit ganz der Meditation gewidmet, dessen Thema durch die fünf Artefakte an den Wänden vorgegeben war.
  Um acht Uhr abends wird das Haupttor geschlossen, weshalb wir den Raum schnell wieder verließen und uns auf den Weg ins Zentrum machten. Am nächsten Morgen kamen wir zu spät zum Frühstück (eine Handyuhr waren noch nicht auf Sommerzeit umgestellt) und erhielten Weißbrot, eingepackte Butter, eingepackten Streichkäse und eingepackte Marmelade in zwei Sorten wie auch bei den folgenden Frühstücken, die zwischen 7.45 und 8.30 zu absolvieren waren. Eckhart war in der Bulle In agro dominico wegen des Satzes verurteilt worden: Item, Deum ipsum quis blasphemando Deum laudat. Desgleichen: Wer Gott selbst lästert, lobt Gott. Bei diesem Frühstück geschah uns etwas Äquivalentes: wir kamen zuspät - und erhielten eingepackten Honig. Den gab es bei den folgenden, regulären Frühstücken leider nicht mehr. Aber wir wollten 'Gott' nicht noch einmal 'lästern' ...
  Der Donnerstag (30.3.) begann dann mit den Workshops, bei denen ich nicht anwesend war, da meine Frau an diesem Tag Geburtstag hatte und wir noch ein wenig gemeinsam von Strasbourg mitbekommen wollten, bevor ich mich alleine zu Maître Eckhart begab. Deshalb gebe ich die Zusammenfassungen der Vorträge in den beiden Tagungssprachen nach den Kopien.
  Die offizielle Eröffnungsveranstaltung ereignete sich - bei draußen regnerischem Wetter - am Donnerstagnachmittag in der Kirche Temple Neuf. An dieser Stelle befand sich bis 1870 das Dominikanerkloster, in dem Eckhart sich möglicherweise zwischen 1314 und 1322 (1323/1324) aufhielt, und auch die bis dahin zweitgrößte Bibliothek Frankreichs mit 200.000 Büchern. Das Kloster und damit die Bücherei wurden durch die Deutschen im deutsch-französischen Krieg 1870/71 in Brand geschossen. Der Temple Neuf wurde dann 1874-77 wieder aufgebaut, aber die Bibliothek, die Handschriften von Meister Eckhart enthielt, war ein für allemal vernichtet (mit Bücherverbrennungen kennen wir uns aus).
  Die Eröffnungsreden an diesem 30. März 2006 von Marie Vannier und Georg Steer gebe ich wieder wie sie mir als Kopien vorliegen: beide auf deutsch, d.h.: ich kenne weder Vanniers französischen noch die französische Übersetzung von Steers Text.
  Den Vortrag von Alois M. Haas habe ich in eine eigene Datei ausgegliedert, da die 16 Seiten mit Anmerkungen diesen Rahmen hier gesprengt hätten.
  Der Freitag (31.3.) war für mich persönlich der wichtigste und ertragreichste Tag der Tagung. Hier gebe ich die 'Abstracts' zweisprachig (nach den verteilten Kopien) und den eigenen Notizen (auf deutsch). Am Abend fand die erste Mitgliederversammlung der Meister-Eckhart-Gesellschaft statt. Von dieser berichte ich mit Hilfe meiner Notizen in Form eines Gedächtnisprotokolls.
  Vom Samstag (1. April) konnte ich nur noch den ersten Beitrag von Löser mitnehmen. Dieser ist zunächst dokumentiert durch die 'Abstracts' in deutsch und französisch. Neben dem, was ich gehört habe, gibt es auch noch eine französische Übersetzung des Vortrages, die dem französisch-sprechenden Publikum mehr an die Hand gibt als mein Bericht: da muß die deutschsprachige Gemeinde halt auf den Tagungsband 2006 wahrscheinlich bis zum Jahre 2007 warten, bis sie Lösers Beitrag in der Qualität lesen kann wie sie den französisch verstehenden Eckhart-Interessierten bereits hiermit zur Verfügung steht.
  Vom Rest der Tagung und den sich daran anschließenden Veranstaltungen, die wir leider nicht mehr mitbekamen, da wir einen Tag früher als vorgesehen nach Berlin zurückmussten, erfahren Sie - soweit vorhanden - aus den ausgegebenen Kopien in beiden Sprachen.

Freitag
Vendredi 31 Mars
Centre Culturel Saint-Thomas

Francis Rapp
Walter Senner
Loris Sturlese
Dagmar Gottschall
Wolfgang Wackernagel
Irmgard Kampmann
Mitgliederversammlung

  Diesmal erschienen wir rechtzeitig zum Frühstück und diesmal gab es leider keinen Honig (s. Vorbemerkung). Vom Frühstücks- zum Tagungsraum waren es nur einige Schritte und hier erfuhren alle, dass der Plan sich geändert hatte: die Besichtigung der Handschriften wurde auf 17 Uhr vorverlegt, weshalb alles gerafft werden mußte, was sich dann als 'running gag' durch die Veranstaltung zog.
  Den ersten Vortrag hielt Francis Rapp auf französisch. Es war vorgesehen, dass alle Texte in der jeweils anderen Sprache über Kopfhörer mitverfolgt werden konnten. Dies ist jedoch, soweit ich das für diesen Tag beobachten konnte, nur sporadisch geschehen. Gleich beim ersten Vortrag sollte Löser die deutsche Übersetzung von der extra dafür aufgestellten Kabine aus vortragen. Ihm stand aber nur die rudimentäre Fassung von Rapp selbst zur Verfügung (der sich entschuldigte, dass ihm die Zeit für eine vollständige Übersetzung gefehlt habe). In der Realität sah das so aus, dass Rapp seinen Text vortrug und Löser immer mal wieder einen oder mehrere Sätze der Übersetzung las, die u.a. ich im Kopfhörer hörte. Löser merkte an, dass er KEINE Simultanübersetzung bringen werde, sondern sich an das halten würde, was auf seinen Seiten stand.

Francis Rapp, Le contexte historique et culturel du séjour d'Eckhart

- voie le Text -

  Die folgenden Notizen sind nur als Stichworte zu verstehen: 1444 fand die erste Volkszählung statt, die eine Bevölkerung von ca. 15-20.000 Menschen ergab. Damit hatte Straßburg etwa soviel Einwohner wie Lübeck und halb so viele wie Köln (mit 30.000). Das Gebiet der Stadt umfasste 100 Hektar innerhalb des Festungsgürtels. Der Lebensunterhalt wurde hauptsächlich von Handwerkern erarbeitet; das erste Kaufhaus entstand 1358. Exportiert wurde u.a. Tuch und Wein (Transithandel nach Osten und Süden). Ebenso wurden Bankgeschäfte getätigt. Die jüdische Gemeinde (ca. 300 Mitglieder) war die wohlhabendste im Reich. Nachdem es bereits 1313 und 1315 ein erstes Auftreten der Pest gegeben hatte, wurden die Juden mit dem großen Auftreten des Schwarzen Todes 1349 vernichtet. Dazu ein treffendes Zitat eines Zeitgenossen: "die Schuldzettel haben die Scheiterhaufen angezündet".
  Das Stadtbanner zeigte die Madonna mit ausgebreiteten Armen und Jesuskind. Der Rat der Stadt bestand aus 24 Ratsherren, gebildet von Patriziat und 'Parvenus'. 1277 wurde mit der Fassade des Münsters begonnen. Zum Domkapitel hatte nur der Uradel Zugang - 1327 (??) waren von 45 Mitgliedern 14 aus dem Elsaß und keiner aus Straßburg selbst. 1308 war die Ernte gering ausgefallen; es gab einen Aufstand der Handwerker, der jedoch brutal niedergeschlagen wurde. 1317 verfügte der Bischof: kein Priester darf eine nicht genügend dotierte Pfründe antreten. Ein Jahr später, 1318, kam es zu den ersten Maßnahmen gegen die Beginen.
  Soweit die wenigen Daten, die ich mitbekam. Zu der anschließenden Diskussion habe ich mir keine Notizen gemacht.

Walter Senner OP, Meister Eckharts Straßburger Ordensauftrag (s.a. Erfurt 2003)

- voie le Text -

  Zunächst stellt Senner fest, dass nur drei Dokumente existieren, die Eckhart mit Straßburg in Verbindung bringen. Diese beziehen sich auf die Jahre 1314 (vid Acta Echardiana n. 38), 1316 (Acta n. 39) und 1322 (Acta n. 40) [cf. Koch]:

  1314: Eckhart erscheint an 2. Stelle in der Zeugenliste nach dem Bischof, außerdem vor den Prioren der Dominikanerklöster aus Straßburg und Colmar und an fünfter Stelle dem zweimaligen Provinzial der Teutonia, Egno de Stoffen. Dabei wird er magistro Eckehardo, professori sacre theologie genannt und nicht als Vikar bezeichnet. Diese Nennung an zweiter Stelle wirft einige Fragen auf.
  1316: Hier wird Eckhart als Vikar des Ordensmeisters benannt: fratris Eckehardi, vicarii magistri generalis ordinis antedicti.
  1322: Hier heißt es Echardus, magister in theologia, et Mattheus de Vinstingen, ordinis nostri, in monasterio vestro infrascriptas, vicarii ex parte mea missi post generale capitulum Viennense. Senner hält es für möglich, dass Eckhart zu diesem Zeitpunkt schon kein Vikar mehr war. Warum nach dem Generalkapitel überhaupt zwei Vikare ernannt worden waren, ist nicht bekannt.
  Was ist eigentlich ein Vikar? Allgemein bedeutet es Stellvertreter. Eine konkrete Beschreibung der Tätigkeit sucht man sowohl in den Konstitutionen des Ordens als auch bei Humbert von Romans vergeblich. Grundsätzlich kann man drei Arten unterscheiden:

  1. ein vom Generalkapitel eingesetzter Vikar,
  2. Einsetzung eines Vikars in kommissarischer Funktion, z.B. wenn ein Provinzial abgesetzt wurde und jemand die Geschäfte bis zur Wahl eines neuen Provinzial übernehmen muß - so Eckharts Auftrag in Böhmen 1307 (Anmerkung Senners als anderes Beispiel: Berengar von Landora wurde zurückgetreten, weil er gegen die Politik Philipp des Schönen und Papst Clemens V. bzgl. der Templer wandte) oder
  3. der Generalmeister ernennt einen Vikar, den er mit besonderen Aufgaben betreut. Dieser soll dann die notwendigen Maßnahmen treffen.
  Die Vollmachten Eckharts bzgl. seines Vikariats sind unbekannt. Am letzten Werktag vor [Freitag,] dem 29. Juni 1313 war das Semester in Paris beendet. 1314 war er dann bereits als Vikar des Berengar eingesetzt. Eckharts Aufenthalt in Paris 1311/13 diente dem Erhalt des 2. Lehrstuhls an der Universität für die Dominikaner. Sein Aufenthalt war 1313 turnusmäßig beendet, weshalb keine Rede davon sein kann, dass er abgeschoben worden wäre.
  Straßburg war nicht der "Amtssitz" Eckharts. 1317 wird Berengar von Landora als apostolischer Vikar des Papstes eingesetzt und hat somit die Oberaufsicht über den Orden. 1322 wird Eckhart zum zweiten Mal zum Vikar ernannt unter Hervaeus Natalis. Gab es zwischen 1317 und 1322 eine Auszeit oder eine Neubestellung?

  In Anbetracht der verkürzten Zeit konnte Senner nicht alle Punkte ansprechen, die er in der Zusammenfassung notiert hatte. Und ich konnte hier nicht alle Punkte notieren, die er ansprach. Die Diskussion war relativ kurz und dann gab es eine Pause. Zeit, einen Kaffee zu trinken und sich die Beine zu vertreten.

Loris Sturlese, Meister Eckhart und die Cura monialium. Kritische Anmerkungen zu einem forschungsgeschichtlichen Mythos (s.a. Erfurt 2003)

- voie le Text -

  Auch Sturlese widmet sich den drei Dokumenten und führt dazu aus:

1314: Die Schenkung der Immobilie geht an den Dominikaner Hugo persönlich. Nach dem Tode der Schwestern soll er die Miete erhalten. Am Schluß gibt es noch eine Sicherheitsklausel: sollten die Oberen im Orden Hugo die Miete vorenthalten, ist die Schenkung nichtig und das Wohnhaus geht an eine Frauenkirche. Eckhart ist nicht als Vikar anwesend, sondern als Professor. Vielleicht wohnte er nichtmal in Straßburg, sondern in Köln.
1316: Auch Sturlese geht der Frage nach dem Wesen eines Vikars nach und kommt zu den selben Ergebnissen wie Senner (s.o.). Möglicherweise wirkte Eckhart nur als Interimsvikar (s.o. die 2. Variante) zwischen dem abgesetzten Provinzial Egno von Stoffen und seinem Nachfolger. Von 'cura monialium' ist jedenfalls nicht die Rede.
1322: Einsetzung als Vikare erst nach dem Generalkapitel (Ende Mai). Dies ist das einzige Dokument, dass Eckhart mit der cura monialium in Verbindung bringt. Aber auch hier handelt es sich wieder einmal vorrangig um Verwaltungsaufgaben.

  Von den bisher bekannten 220 Predigten können nur zwei (!) definitiv als vor Frauen (Nonnen) gehalten festgestellt werden. D.h., die verbleibenen 218 wurden vor seinen Mitbrüdern oder Laien (sprich: dem gemeinen Volk) gehalten. Und was die Betreuung der Frauen betrifft: das war die Aufgabe des jeweiligen Kaplans.
  Aus dem Prozeß, der Bulle In agro dominico und dem weiteren Verlauf geht eindeutig hervor, dass Meister Eckhart vor allem anderen seine Predigt in der Alltagssprache des ihm zuhörenden Volkes mißbilligt wurde. Sturlese zieht das Resumee, dass es sich bei dem die gesamte Literatur durchziehenden Motiv der cura monialium, also der Frauenseelsorge Eckharts nur um eine Hypothese handelt, die bis heute nicht bewiesen ist und anscheinend auch nur auf einem einzigen Dokument beruht.

  In der folgenden Diskussion wurde angemerkt, dass es ja nicht so war, dass jemand von aussen (z.B. Eckhart) einfach in die Nonnenklöster einmarschierte und dort eine Predigt hielt, sondern dass die Nonnen dafür bezahlen mussten, wenn sie sich von einem Prediger predigen lassen wollten. Sturlese nahm das dankbar als Hinweis an. Dass sich nun Senner zu Wort meldete, nimmt nicht weiter wunder. Gerade hatte er sich noch in seinem Vortrag um eine differenzierende Sichtweise innerhalb des bisherigen Konzepts bzgl. Eckharts Straßburger Aufenthalt bemüht, und da kommt Sturlese und wirft mal eben die ganze bisherige Betrachtungsweise um und fragt: gab es die cura monialium Eckharts tatsächlich? War er vielleicht garnicht in Straßburg, sondern z.B. die ganzen Jahre ab Juli 1313 in Köln und nur auf Stippvisite in der Stadt und im oberdeutschen Raum? Ein kühner Gedanke! Ich glaube, er verdient es, weiter gedacht zu werden.
  Senner merkt zum Datum 1314 an, dass ein Magister normalerweise nach dem Prior erscheint (in der Zeugenreihenfolge), es sei denn, er übe eine Funktion aus. Das bezieht sich auf den professori sacre theologie. Außerdem fragt er (vorbeugend) an: was hat Eckhart in der Teutonia (Köln, aber auch Straßburg) zu suchen? Warum, frage ich jetzt, geht er nicht nach Erfurt zurück?
  Schließlich fällt die Frage: Was bedeutet das alles für 'Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt'? Gab es das überhaupt? Oder öffnet sich hier ein schwarzes Loch?

  Dann ging es zum Mittagessen und wir fanden uns am Tisch mit einigen Leuten vom ERMR wieder, darunter Jean Devriendt , der meinte, jetzt würde es wohl zu einer heftigen Auseinandersetzung kommen (bzgl. der These Sturleses). Kam es aber nicht. [22.4.06]

Dagmar Gottschall, Nikolaus von Straßburg und Meister Eckhart

  Gottschall stellt fest: Eckhart hatte mit der Frauenseelsorge nichts zu tun. Das sei bei Tauler und Seuse nicht viel anders gewesen. Im Gegensatz dazu Nikolaus von Straßburg. Dieser sei zwischen 1280 und 1290 geboren. Erstmalig in einer Urkunde von 1318 verhandelte er im Auftrag der Stadt und der Dominikaner mit dem Domkapitel der Stadt Basel. 1321-1323 Studium in Paris, 1324 Ansprache "Vom goldenen Berg" auf einem Provinzialkapitel in Löwen. Seit dem 1. August 1325 wirkt er als Visitator in Köln.
  Seine Texte sind lediglich aus der Ausgabe von Pfeiffer bekannt, wo es sich um maximal 17 Predigten handelt, von denen ihm acht zugewiesen werden. Von diesen hielt er zwei in Dominikaner- und sechs in Schwesternklöstern.
  Die Art der Predigt sollte sich ja je nach Adressat = Publikum unterscheiden: ist es eine rein weibliche, männliche oder gemischte Zuhörerschaft. Dabei läßt sich aus den Anreden in Nikolaus' Predigten nichts ableiten. Ein Vergleich der Art, wie Nikolaus und Eckhart predigten, zeigt, dass Nikolaus sich wesentlich konkreter dem vorgegebenen Thema widmet als Eckhart. Außerdem spricht er in jeder Predigt vom Fegefeuer. Gottschall hebt besonders Nikolaus' Rede vom "goldenen Schatz" hervor, ein Thema, dass sich bei Eckhart nur in den Erfurter Reden zeigt.
  Nach Gottschall lehren beide dasselbe, predigen aber sozusagen komplementär, wobei Nikolaus' Predigten bodenstämmiger sind: er beharrt auf der kirchlichen Vermittlung - nicht ich und Gott, sondern der Weg führt über die Beichte und die Kirche zu Gott. Nikolaus' Publikum ist gemischt und rekrutiert sich eher aus dem städtischen Patriziat.

  Diskussion. Senner weist als erster Redner darauf hin, dass Nikolaus gegen die 'gelehrten Pfaffen' war und ebenso gegen Seuses Horologium (das auch Eckhart glossierte). Nikolaus ist thomistisch gesprägt. In seinem etwas längeren Beitrag merkt er u.a. an, dass Hermann de Summa verbotenerweise einen Siegelring besitzt und damit private Geschäfte tätigte. Außerdem sei Nikolaus deshalb angeklagt worden [vid. Leben], damit die Ankläger Eckharts nicht im Kerker verschwänden; also Flucht nach vorn.
  Löser hat mit dem Ausdruck "vernünftig" predigen (den Gottschall gebraucht hatte) ein Verständnisproblem. Und dann fragt er, worin eigentlich Eckharts Singularität (in seiner Predigtweise) bestanden habe. Gottschall fragt ihrerseits, wem Eckhart gepredigt habe. Nach Bemerkungen von Palmer, Steer und Hasebrinck fragt Gottschall nach dem Bildungsstand des Eckhartschen Publikums. Wer kann denn sowas verstehen? Schließlich meldet sich Langer zu Wort, der u.a. anmerkt, dass einem da die einzelne Predigt nicht weiterhilft, sondern Antworten nur im Kontext spezifizierbar seien. [22.4.06]

Wolfgang Wackernagel, Eckhart et les béguines à Strasbourg

- voie le Text -

  Der Vortrag wurde auf französisch gehalten und leider nicht - wie ich gehofft hatte - übersetzt. Nachdem ich eine Weile zugehört, aber kaum etwas verstanden hatte, gab ich es auf und machte eine Pause. Nachdem ich dann wieder im Raum war, bekam ich noch soviel mit, dass es um die Verbindung der Albigenser mit den Katharern und der Mechthild von Magdeburg mit den Dominikanern ging und die Überlegung Wackernagels, inwieweit der Name 'Beginen' sich von 'Beginn' ableitet, wozu er aus dem Granum sinapis zitierte und dem Anfang des Johannes-Evangeliums 'In dem Beginn war das Wort'.

  In der Diskussion nahm Frau Wehrli-Johns dazu Stellung und stellte fest, dass eine Verbindung zwischen Albigensern und Beginen historisch nicht möglich ist. Diese wurde erst 1326 hergestellt. 1321 wurde der letzte 'Anführer' (Bischof) der Katharer verbrannt. Allerdings könnte Eckhart im Rahmen seiner Teilnahme am Generalkapitel in Toulouse 1304 mit den Katharern in Kontakt gekommen sein. [23.4.06]

  Damit war mein persönliches Tagungsprogramm für diesen Tag beendet. Den Vortrag von Irmgard Kampmann, Eckharts Predigten und die Verurteilung freigeistiger Beginen und Begarden, habe ich nicht mehr gehört. Die Zusammenfassung können Sie hier lesen.
  Da sich inzwischen herausgestellt hatte, dass wir nicht - wie ursprünglich vorgesehen - bis Sonntag bleiben konnten, sondern schon am Samstag würden abreisen müssen, beschlossen wir, wenigstens noch ein paar Stunden von Strasbourg mitzunehmen. Frau Kampmann möge uns das nachsehen.

Erste Mitgliederversammlung
der Meister-Eckhart-Gesellschaft

Tagesordnung
  1. Bericht des Vorstands über die Aktivitäten und die Entwicklung der Gesellschaft seit der Gründung
  2. Kassenbericht
  3. Bericht der Rechnungsprüfer
  4. Entlastung des Vorstands
  5. Satzungsangelegenheiten: Internationalisierung der Funktionsbezeichnungen (Vorstand - Präsidium, Vorsitzender - Präsident, stv. Vorsitzender - Vizepräsident)
  6. Jahrestagungen 2007/2008
  7. Anträge
  8. Verschiedenes

  Die Veranstaltung sollte eigentlich um 20 Uhr beginnen, aber es dauerte dann noch einige Zeit, bis sowohl der Vorstand als auch alle sonstigen Interessierten (ob Mitglieder oder nicht) anwesend waren, wobei die Anzahl der Teilnehmer wesentlich geringer war als bei den Vorträgen zuvor. Nachdem nun alle eingetroffen waren, konnte die Versammlung beginnen.

TOP 1: Vor dem Bericht bat der Vorsitzende, Herr Steer, die Anwesenden, zur Ehrung des am 5. August 2005 im Alter von fast 100 Jahren verstorbenen Mitglieds der Gesellschaft, Prof. Raymond Klibansky, um eine Gedenkminute, woraufhin wir uns erhoben und, naja, gefühlte 25 Sekunden stehen blieben.
  Steer berichtete nun ausführlich, was ich hier nur in Stichworten wiedergeben kann: Die Meister-Eckhart-Gesellschaft (im folgenden MEG) hat zur Zeit 157 Mitglieder, wobei einige davon erst an diesem Abend dazukamen, von denen 47 anwesend waren. Initiator der MEG sei Karl-Heinz Witte, der sich an ihn gewandt hatte. Erstaunlicherweise hätten alle Angeschriebenen positiv reagiert und überhaupt sei die Resonanz auf die Gründung überwältigend gewesen. So lüde zum Beispiel die Universität Leyden zur Abhaltung einer Tagung. Das entscheidene Moment sei der "Gedanke der Freiheit", die offene und freie Diskussion.
  Und natürlich seien die in den Zielen der MEG genannten Punkte nur möglich durch die Finanzierung von Sponsoren. So wurden z.B. die Kosten für die Referenten dieser Tagung von der Stadt Strasbourg übernommen. Dann kam Steer auf die neu gegründete Meister-Eckhart-Stiftung zu sprechen. Die Einrichtung dieser Stiftung wurde von der HypoVereinsbank München übernommen, die die Stiftung mit einem Startkapital ausgestattet hat. Mit diesem Geld, das ansonsten nicht angetastet wird, will die Bank jährliche Überschüsse zwischen 7 und 13% erzielen. Diese Einnahmen dienen einzig und allein dazu, der Gesellschaft die finanzielle Durchführung ihrer Satzungsziele zu ermöglichen. Allerdings reicht das Grundkapital noch lange nicht aus, dass die Gesellschaft von dem erwirtschafteten Gewinn in der Breite arbeiten kann wie sie es gerne möchte. Weitere Sponsoren sind also erforderlich und jederzeit willkommen.
  Begreiflicherweise gab es zu dieser Stiftung einige Fragen aus dem Publikum. Wie es gesichert sei, dass die Stiftung keinen Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der MEG nähme, woraus sich die Stiftung zusammensetze etc. Die wesentlichen Fragen wurden dabei von Paul J. Kohtes gestellt, der sich in diesem Metier auskennt, da er selbst die Identity Foundation ins Leben gerufen hat und sich auch mit einem erheblichen Beitrag als Sponsor der MEG hervortat. Allerdings wirkte er bzgl. der Antworten nicht recht zufrieden, denn auf die letzte Frage Steers an ihn nach einigem hin- und her, ob ihm die Antworten genügten, meinte Kohtes nur, mehr werde er heute wohl nicht mehr zu hören bekommen.
  Es scheint noch nicht alles ganz klar zu sein, da Steer mal von vier und mal von fünf Vorstandsmitgliedern sprach. Zunächst sind im Vorstand Steer von Seiten der Gesellschaft und einer von der HypoVereinsbank, wobei in der verteilten Begleitbroschüre Michael Ziegele als 'Erb- und Stiftungsberater' genannt wird. Außerdem sollen zwei von der Bank bestellte Wissenschaftler dabei sein. Die fünfte Person ist noch unklar bzw. nicht genannt. Steer wies ausdrücklich darauf hin, dass hiermit ein Modell vorläge, dass der Gesellschaft zu 100 Prozent zu Gute käme. Als Vergleich verwies er auf die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft), die bis zu 50% der Gelder Jahr für Jahr abschreiben müsse, weil Projekte nicht zu Ende geführt würden oder aus anderen Gründen.
  Daneben meldete sich die Anselm-von-Canterbury-Stiftung zu Wort, die darauf hinwies, dass selbige einen Anteil an der Abtei Beuron (Benediktiner) im oberen Donautal in Form des Gregorius-Hauses mit 40 Zimmern, einem Veranstaltungssaal, einer Bibliothek mit 20.000 Bänden und dem Zugriff auf die Klosterbibliothek mit 400.000 Bänden habe. Dort könnten Arbeitsgruppen oder Tagungen stattfinden und es eigne sich auch für einzelne Wissenschaftler, die dort für einige Zeit unterkommen könnten (z.B. gefördert durch Stipendien). Beuron sei ein sehr ruhiger Ort mit 120 Einwohnern, von denen die Hälfte Mönche seien. Dieser Beitrag ist leider in der Diskussion über die Stiftung ein wenig untergegangen.

TOP 2: Den Kassenbericht erläuterte der Schatzmeister, Rudolf K. Weigand, mit Hilfe von Folien. Auf die Einzelheiten will ich hier nicht weiter eingehen, da der Bericht im Protokoll enthalten sein wird. Er wies u.a. darauf hin, dass es Jahresbände der Tagungen geben wird und das noch in diesem Jahr der Tagungsband der Veranstaltung in Erfurt 2005 herausgegeben werden soll. Die MEG befindet sich zur Zeit in Verhandlungen mit dem Kohlhammer Verlag. Gedacht ist an einen freien Verkauf in Höhe von ca. 50 - 60 Euro, während der Band für die Mitglieder voraussichtlich zur Hälfte des Ladenpreises, also für etwa 25 - 30 Euro abgegeben werden kann.

TOP 3: Die Rechnungsprüfung hatten Senner und Löser vorgenommen. Senner zeigte sich erstaunt über die akkurate Führung und die geringen Ausgaben für den Vorstand selbst sowie die generell sparsame Haushaltung, merkte aber auch an, dass die Entlohnung der studentischen Hilfskräfte bei der Vorbereitung der Tagung 2005 mit 2,50 Euro pro Stunde doch sehr gering ausgefallen sei.

TOP 4: Der Vorstand wurde einstimmig entlastet.

TOP 5: Der Vorschlag der Internationalisierung der Funktionsbezeichnungen wurde einstimmig abgenommen.

TOP 6: Der erweiterte Vorstand der MEG hatte sich vor dieser Versammlung getroffen und einen Entschluß für 2007 gefasst, den Steer zur Diskussion stellte: In München war 2005 eine Augustinusoper zur Uraufführung gekommen. Diese wird im März 2007 ebenfalls in Würzburg aufgeführt werden. Nun sei die HypoVereinsbank (s. Stiftung) an Herrn Steer herangetreten und hätte angeboten, eine Tagung in Würzburg finanziell zu unterstützen, wobei diese Oper zum kulturellen Rahmenprogramm gehören würde. Außerdem würde die Oper von Augustinerbräu gesponsert, die auch die Meister-Eckhart-Tagung unterstützen wolle. Demzufolge wäre damit das Thema der Tagung vorgegeben: Eckhart und Augustinus.
  Das hörte sich alles sehr vernünftig an, weshalb es kaum Diskussionsbedarf gab. Bevor nun aber abgestimmt werden sollte, meldete ich mich und fragte, was denn mit Prag sei (weil schließlich war Eckhart ja 700 Jahre vorher in dieser Stadt gewesen um in der böhmischen Provinz nach dem Rechten zu sehen). Daraufhin ergriff Löser das Wort und bemerkte, dass das bisherige Modell, die Tagungen nach dem Lebensweg Eckharts auszurichten, verlassen werden müsse (worauf Steer schon hingewiesen hatte) aus den einfachen Gründen, da es nunmal nicht viele Orte gäbe, an denen Eckhart sich aufgehalten hatte und aber, viel wichtiger, vor Ort auch die Organisatoren zur Verfügung stehen müßten - und das sei mit Prag nicht unbedingt gegeben.
  Diesem Sachzwang mußte auch ich mich (leider) beugen und so wurde einstimmig beschlossen, die nächste Tagung in Würzburg voraussichtlich vom 23. bis 25. März stattfinden zu lassen.
  Für 2008 wurde noch kein Entschluß gefaßt. Zur Alternative stehen bisher: das Kloster Beuron (s. TOP 1)und das Angebot der Cusanus-Gesellschaft, die Tagung in Trier abzuhalten.

TOP 7: Anträge lagen dem Podium keine vor. Es wurde die Frage gestellt, was es mit dem Logo der MEG auf sich habe, da auch die Begleitbroschüre zu der Stiftung (s.o.) nämliches verwende. Ob es geschützt sei? Einstimmig wurde der Vorschlag angenommen, der Vorstand solle die Frage des Copyrights auf das Logo prüfen.
  Außerdem wurde nach der Definition des Begriffs 'Forschungskonferenz' gefragt, da es bei den Workshops anscheinend zu einem Durcheinander gekommen war. Steer stimmte zu, deren Organisation in Zukunft genauer zu beachten.

TOP 8: Burkhard Hasebrink machte den Vorschlag, eine zukünftige Tagung unter das Motto zu stellen: Die Eckhart-Rezeption im 20. Jahrhundert (s. Wirkung). Eine junge Teilnehmerin der Workshops fragte, wie es um die Möglichkeit bestellt sei, von der Website der MEG aus einen Chat anzubieten. Darauf meldete sich Senner und wies darauf hin, dass eine seiner Erfahrungen mit dem Internet sei, auf eine öffentliche Auseinandersetzung zu verzichten, da sich zuviele Spinner zu Wort meldeten (sinngemäß) und er deshalb lieber darauf verzichte. Da konnte ich ihm nur zustimmen, weshalb auch ich mich zu Wort meldete. Witte nahm das zum Anlaß, mich dem Publikum vorzustellen, wofür ich ihm an dieser Stelle danken möchte. Ich bemerkte, dass man diese bekanntermaßen nervenden Spinner (ich kann nicht nur ein Lied davon singen) am einfachsten durch ein geschlossenes Forum ausschließen könnte, aber Witte hat eine andere Idee: für die Mitglieder der MEG wird eine mailing-Liste eingerichtet, so dass die Kommunikation von vornherein unter Ausschluß der Öffentlichkeit verläuft. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass er bisher erst von 60 Prozent aller Mitglieder über die Email-Adresse verfüge. Es wäre somit durchaus sinnvoll, diese dem Webmaster der Meister-Eckhart-Gesellschaft mitzuteilen.

  Damit war die erste Mitgliederversammlung beendet. Es wurde noch mitgeteilt, dass sich im Nebenraum einige zum Debattieren versammeln würden und dann hub der bekannte Auflösungsprozeß an. Bei dem Treffen im Nebenraum war dann u.a. Weigand anwesend, der mich fragte, wieviele Arbeitsstunden ich in dieses Projekt bereits investiert hätte. Da mußte ich erstmal nachdenken und meinte dann, so ca. 4.500. Inzwischen hatte ich Zeit, die Anzahl noch einmal zu überschlagen, und würde jetzt eher auf 10.000 und mehr schätzen. Dann kam es noch zu einer interessanten Diskussion über Nutzen oder Schaden der Wikipedia , wobei ich mich eindeutig für dieses Konzept aussprach, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen.

Samstag
Samedi 1er Avril
Centre Culturel Saint-Thomas


  Wie bereits bemerkt, konnte ich nur noch dem Vortrag von Löser folgen, dann ging es zurück nach Berlin. Die Abstracts der anderen Beiträge befinden sich hier.

Freimut Löser, Die in Straßburg entstandenen deutschen Predigten Eckharts (s.a. Erfurt 2003)

- voie le Text -

  Diesen - wie üblich - sehr informativen Vortrag kann ich leider nur in Stichworten, die einen kleinen Ausschnitt zeigen, wiedergeben.
  Zunächst einmal sei Skepsis gegenüber einer Chronologie der Predigten angesagt. Löser bezog sich dann auf die von Quint und Koch ermittelte relative Chronologie der Prr. 12, 13, 14, 15, 22 und 51 der Kölner Phase. Ruh hatte kurz vor seinem Tod Eckhart diese Predigten für Köln abgesprochen und sie nach Straßburg verlegt. Aber, meinte Löser, so sehr er Ruh auch schätze, aber hier habe er geirrt. Anhand von Diagrammen (aus denen hervorging, dass Pr. 13 auf 22 folgte, Pr. 14 auf 22 und 15, Pr. 22 auf 12 und Pr. 51 auf 13 und 22, was eine etwas andere Reihenfolge ergibt als bisher, nämlich: 12, 22, 13, (51), 15, 14, 51, wobei 11 hier nicht mitbetrachtet wurde) erläuterte er seine Argumentation (die man bitte im Tagungsband nachlesen möge) und folgerte: die Predigten wurden in Köln gehalten.
  Zu den Dokumenten aus Oetenbach (Acta n. 42) und Katharinental (Acta n. 41) merkte Löser an, dass im ersten Fall Schwester Elsbeth Eckhart nie leiblich gesehen hat und dass Schwester Anna Ramswag ihm drei Visionen gebeichtet hat. Von einer Antwort Eckharts ist aber keine Rede. Löser sieht keinen gangbaren Weg von den Texten Eckharts zu den Urkunden und wieder zurück.
  Dann kam er auf Spamer zu sprechen, der bereits 1909 die Überlieferung der Predigten in drei Gruppen einteilte: 1. eine süd- und südwestdeutsche, 2. eine mitteldeutsche und 3. die Überlieferung aus Melk. Die bedeutendste Eckhart-Handschrift (aus der Pfeiffer viele Predigten wiedergab) ist 1870 in Straßburg verbrannt. Übrigens war der früheste Eckhart (noch vor den Erfurter Reden) bereits in Straßburg bekannt. Interessanterweise befinden sich wichtige Handschriften nicht in Straßburg: so die umfänglichste elsässische Handschrift mit Texten der rheinischen Mystik aus dem Jahr 1441 in Salzburg und die ältesten Straßburger Texte nach der Sammlung von Daniel Sudermann in Berlin. In diesem Zusammenhang verwies Löser auf die Liste der in DW 4 benutzten Textzeugen auf den Seiten der MEG.
  Alle Straßburger Handschriften überliefern gemeinsam die Predigtgruppe 26, 25 und 27 - in dieser Reihenfolge. Diese drei haben alle den gleichen Schluß. Löser zieht daraus fünf Schlüsse:

  1. Wir Eckhartphilologen sind pedantisch.
  2. Und wir haben auch allen Grund dazu.
  3. Neue Entdeckungen helfen immer.
  4. Man sollte die Predigten weder isoliert betrachten noch isoliert edieren.
  5. Die Tatsache, dass wir Pedanten sind, führt uns zum Ziel, denn die neue Handschrift bestätigt, dass die Texte eine feste Gruppe bilden.
  Der Konnex der Texte spielt in einem bürgerlichen Umfeld: es geht um Geld. Kurz bezog er sich auf die Rückverweise und meinte, kein Redakteur würde Rückverweise einschmuggeln, sondern eher vorhandene entfernen, was bedeutet, dass die, die noch enthalten sind, auf Eckhart zurückgehen müssen. Und in Predigt 27 bezöge sich Eckhart auf eine lateinische Predigt (den Sermo II,1), die er am Dreifaltigkeitstag gehalten habe.
  Abschließend traf Löser elf Feststellungen bzw. Forderungen, die ich für die Punkte 1-6 und 9-11 nach seinem Skript gebe, dass er mir freundlicherweise zur Verfügung stellte und die Punkte 7 und 8 aus dem Französischen rückübersetzt (s. dort):
  1. Eckharts "Straßburger Predigten" habe ich nicht gefunden. Aber vielleicht – seien Sie mir an diesem Ort nicht böse – wollte ich ja auch nur zeigen, daß sie sich – wenigstens mit unseren Methoden – nicht finden lassen.
  2. Wir müssen uns vom Modell der "Lebensstationen" Eckharts – ich sage es bewußt sehr hart – verabschieden. Es hilft uns als Ordnungsraster und steht uns doch auch im Weg. Ich sehe jedenfalls keinen, frühe Predigten und späte Predigten, gar Kölner Predigten und Predigten aus der Straßburger Zeit zu unterscheiden. Das gilt auch für die Paradisus-Texte, nicht für die Reden. Letztlich bleiben sehr, sehr wenige Fixpunkte. Und was, was ist gewonnen, wenn wir beispielsweise die Predigten 25-27 nach Straßburg oder Köln lokalisieren. Es gehört, Kurt Ruh möge mir es verzeihen NICHT "zu den wichtigsten philologischen Aufgaben der Eckhart-Forschung, das Predigt-Werk chronologisch zu ordnen." Es gibt ganz andere und vordringliche, an deren Ende – vielleicht – Ruhs Wunsch zu verwirklichen ist.
  3. Eckharts Werk muß "re-liturgisiert" werden. Nur die liturgische Ordnung (und die Versehung der Texte mit allen erdenklichen liturgischen Informationen) wird die Predigten lesbar machen; so lesbar, wie sie dem mittelalterlichen Publikum lesbar (und erlebbar) waren.
  4. Eckharts Werk muß "re-philologisiert" werden. Die Antwort liegt nicht in inhaltlichen Parallelen. Wer beispielsweise behauptet, Eckharts Armutspredigt 52 gehöre zum Spätwerk, kann dies nicht inhaltlich begründen, sondern braucht streng philologische Beweise für seine Aussage.
  5. Eckharts Werk muß "re-manuskriptisiert" werden. Ein schreckliches Wort. Aber wahr. Nicht unseres Vorstellung von Eckhart darf das Bild prägen, sondern der Eckhart, der uns überliefert wird. In jeder Handschrift ein anderer, eigener, ernst zu nehmender.
  6. Eckharts Werk muß "re-regionalisert" werden. Ein Schlüssel für die Überlieferung liegt in ihrer regionalen Distribution. Es geht nicht an, daß wir uns – aus welchen Gründen immer – auf die Sammlung des Paradisus stürzen und ausgerechnet die rheinische Eckhart-Überlierung links liegen lassen.
  7. Eckharts Werk muß 'entpersonalisiert' werden. "Wer spricht?" fragte Foucault. Und er antwortet in Bezug auf den Tod eines Autors: "Es ist nicht wichtig, wer da spricht."
  8. Heute darf man die Frage stellen: "Wer schreibt?" Wer schreibt wann, wo, warum, mit welchen Quellen? Wer hat die Texte Meister Eckharts abgeschrieben? In welcher Reihenfolge? Aus welchem Grund?
  9. Eckharts Werk muß "re-kontextualisert" werden. Die Handschriften , deren Kurzbeschreibungen Wolfgang Klimanek ins Internet gestellt hat, enthalten vielmehr als die kritisch edierten Eckhart-Predigten. Sie enthalten jede Menge nicht kritisch edierte Texte, sie enthalten (ich weiß, wovon ich rede) Eckhart-Texte, die man bisher noch nicht kennt, und sie enthalten (ebenso spannend) Texte anderer Prediger. Die elsässische Gruppe der Eckhart-Predigten 25-27 wird in deren Handschriften beispielsweise von Texten des Nikolaus von Straßburg begleitet. Nur im Kontext der Überlieferung gesehen gewinnt Eckhart seinen Sinn. Handschriften als Steinbruch der Eckhart-Edition zu verwenden, wie Quint dies aus historischen Gründen tun MUSSTE, ist heute schlicht überholt.
  10. Eckharts Werke müssen in neue Überlieferungshorizonte eingebettet und die Textsorten müssen erweitert werden. Wir dürfen nicht länger nur nach der Predigt-Überlieferung im engeren Sinn suchen. Die Behandlung der "Mosaiktraktate" ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt aber viel mehr. Wer beispielsweise den Eckhart der Straßburger Zeit, den Eckhart im Dialog mit den dominikanischen Nonnen sucht, der wird ihn eher als in seinen deutschen Predigten in der sogenannten "Klosterkollazie" finden, in einem Text also, in dem ein Meister (in einigen Handschriften als Eckhart identifiziert) und sein junger Schüler in einem Nonnenkloster die Frauen unterweisen. Adolf Spamer, wie immer voraus, hat ihn 1912 ediert. Seither hat ihn wohl kaum jemand gelesen.
  11. Und für heute auch letztens: Eckharts Werke müssen endlich im Rahmen einer groß angelegten Überlieferungs- und Textgeschichte aller Handschriften beschrieben werden.
  Und dann wäre da noch die Predigt Pfeiffer Nr. 37: vom göttlichen Menschen, die im Verbund mit Eckhart-Predigten überliefert ist; sie ist noch nicht in die kritische Edition aufgenommen worden. Der Dialog: Minne - Vernunft verweist auf Straßburg.

  Nach der abschließenden kurzen Diskussion (in der Senner nachfragte, ob der Rückverweis tatsächlich auf den lateinischen Sermo oder vielleicht doch auf die Tagesperiskope bezogen sei, was Löser zwar für möglich, aber eher für unwahrscheinlich hielt), war es dann soweit:

  Wir mußten los. Glücklicherweise lachte uns die Sonne entgegen und so wurde es eine sehr angenehme Fahrt. Ich will nicht verhehlen, dass ich mit Freude die erste Raststätte nutzte, zumindest so was ähnliches wie einen Milchkaffee zu trinken.
  Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass - abgesehen von dem Gewinn, den die Vorträge auch für diese Site bedeuten - mir die Tagungsathmosphäre - wie schon in Erfurt 2003 und 2005 (wo ich allerdings nur sehr kurz anwesend sein konnte) - sehr gut gefallen hat. Allerdings könnten für meinen Geschmack die Diskussionen durchaus etwas länger dauern. Und dann habe ich mir vorgenommen, nach drei verpassten Gelegenheiten, nächstes Jahr auf jeden Fall auch in die Workshops hineinzuhören. Und schließlich und endlich stellen die Tagungen einen schönen Anreiz dar, Berlin für kurze Zeit zu entfliehen und andere Orte kennenzulernen und wer weiß, vielleicht führt die Reise ja doch noch mal nach Prag, Köln, Paris, Avignon oder zu einer der anderen möglichen Stationen Eckharts - da kann man eine Menge entdecken - warum nicht mal nach Piacenza oder Toulouse, Hamburg oder Neapel? [13.6.06]

  1 Dieser Bericht und die größtenteils zweisprachigen Texte sind auf zwei Dateien aufgeteilt, da eine Datei zu lang geworden wäre und ich der Meinung bin, dass sie auch getrennt sein sollen. In den Dateien wird jeweils auf die Texte resp. den Bericht verlinkt, sofern ein Bericht bzw. Text zur Verfügung steht.
  Die grünen Links im Header verweisen jeweils auf die andere Seite.