Meister Eckeharts 1
Rechtfertigungsschrift vom Jahre 1326

- II. Liste -
übersetzt von Otto Karrer
karrer2
Vorbemerkung
Die 59 Artikel
Anmerkungen
Tabelle

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Inhalt
Verfahrensweise

Tabelle

Art.Proc. col.Art.Proc. col.Art.Proc. col.Art.Proc. col.Art.Proc. col.Art.Proc. col.
Vor
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56
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59 ... 74
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30
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119 120
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127 128
129 130 131
132 133
134 135 136
137 138
139 ... 145
Notandum 146 147 148 149 150 151 152 153 154 1
2
59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 
139 140 141 142 143 144 145 

Proc. Col. n.
Bulle
Votum, n.
"
Verteidigung

7
27
4,22

8

17
27
4,22

18

55
11
21,79
21,81
58

79
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6,30

80

87
21
18,66
23,89
88

89
8
15,58
15,59
90

100
9
16,61
16,63
101

106
26
6,32

107

127
28
5,26
5,28
128
 

Auszüge aus
Predigten
Pr.
Q 1
Q 2
Q 3
Q 4
Q 5a
n.
123
121
119
102, 104, 106
55, 56, 57, 59, 75, 76, 77, 79, 81, 83
Pr.
Q 6
Q 7
Q 8
Q 9
Q 10
n.
89, 91, 93, 95, 98, 100
112
116, 117
127
129, 132, 134, 136, 137, 139
Pr.
Q 11
Q 12
Q 13
Q 14
Q 15
n.
9, 11, 19, 21, 23
31, 33, 35, 36, 38, 40, 42, 44, 45, 47
5, 7
29, 85, 87
108, 110, 111

[8.4.11]

Vorbemerkung zur 2. Liste

1  Die folgenden Artikel sind in einer Schriftrolle enthalten, die mir übermittelt wurde, nachdem ich die oben angeführten Artikel bereits beantwortet hatte.
  Wie bei den früheren Artikeln, so ist auch bei den folgenden zu bemerken, daß sie durchgängig entweder irrig oder falsch sind in dem Sinne, den ihre Kritiker unterschieben, hingegen, gesunden und frommen Sinnes verstanden, eine schöne und nützliche Wahrheit des Glaubens und der sittlichen Lehre enthalten. Sie sind ein Zeugnis für die Geistesbeschränktheit oder auch Bosheit der Gegner, ja sogar für ihre offenbare Gotteslästerung und Häresie, wenn man sich hartnäckig darauf versteift, weil ihr Standpunkt der Lehre Christi, der Evangelien, der Heiligen und Lehrer widerstreitet.
[Vgl. I n. 150]
2  So, wenn sie sagen, daß der Mensch nicht mit Gott geeint werden könne.
[Vgl. I n. 150, II n. 37]
  Oder wenn sie behaupten, daß das Geschöpf aus sich selbst kein Nichts, sondern wenigstens ein geringes Etwas sei, ungefähr wie wenn wir sagen, daß der Meerestropfen im Verhältnis zum Meere etwas Geringes sei.
[Vgl. II n. 107]
(3)  Ebenso [drittens], wenn sie behaupten, daß Gott die Welt in einem anderen Jetzt geschaffen habe als im Jetzt der Ewigkeit, da doch jede Tätigkeit Gottes sein ewiges Wesen ist. Sie wissen nicht, was Augustin (Confessionum I) über Gott sagt: 'Du bist immer derselbe, und alles Morgige und Künftige, alles Gestrige und Vergangene wirst du heute tun und hast es heute getan. Wenn einer das nicht versteht, was kann ich dafür?' Soweit Augustin. Und im XI. Buch sagt er: 'So flattert ihr Herz im vergangenen und künftigen Wechsel der Dinge und ist in Torheit befangen. Wer wird es erreichen, daß er den Glanz der stehenden Ewigkeit begreife?'.
[Vgl. II n. 151]
(4)  Desgleichen [viertens], wenn sie sagen, daß das äußere Werk dem inneren Akt etwas an sittlicher Güte hinzufüge.
[Vgl. I n. 124, II n. 151]
(5)  Und [fünftens], wenn sie glauben, daß der hl. Geist und seine Gnade einem Menschen gegeben werde, der nicht Gottes Sohn ist, da doch der hl. Geist nur ausgeht vom Sohne. Röm. 8 und Gal. 4: 'Nun ihr also Söhne Gottes seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in eure Herzen gesandt'.
[Vgl. II n. 10]
  Was mehr? So verhält es sich fast mit allem, was sie bekritteln, z. B. wenn ich sage: 'Gott ist das Sein' was sie fälschlicherweise für falsch halten.

Antwort auf die Artikel der zweiten Liste

Erster Artikel
3  Der erste Artikel dieser Nachtragsrolle, aus der Predigt 'Ich sah auf dem Berge Sion ein Lamm stehen', lautet folgendermaßen: "Der Mensch soll Gott nicht ähnlich, sondern eins mit ihm sein."
4  Hierzu wäre zu sagen: Die Geschöpfe außer dem Menschen sind geschaffen nach dem Urbild und Gleichnis von etwas, was in Gott oder Gott zugehörig [ist], der Mensch aber nach dem Bilde und Gleichnis der ganzen göttlichen Wesenheit selbst. Daher soll der Mensch Gott überhaupt dankbar sein und soll in Hingabe seines Herzens sich zu ihm wieder hinwenden; denn 'zu dem Orte, wovon sie ausgegangen, kehren heim die Ströme', Eccli. 1. Nun geht aber der Mensch nach dem Bilde des göttlichen Wesens, das eins ist, aus. Ferner, die Wurzel der Ähnlichkeit ist die Einheit selbst, und um ihretwillen gefällt, mundet und erfreut die Ähnlichkeit und mißfällt die Unähnlichkeit. Darum soll der tugendliche Mensch nirgend stehen bleiben und sich mit nichts zufrieden geben als in Gott allein, der einer ist und das Eine.
[Vgl. I n. 134]

Zweiter Artikel
5  Der zweite Artikel lautet: "Der himmlische Vater zeugt in mir seine Ähnlichkeit, und von dieser Ähnlichkeit kommt uns die heilige Liebe, die da ist der hl. Geist".
[Vgl. I nn. 72, 149; Predigt Q 13; Auszüge auch in: I nn. 59, 137, II n. 7]
6  Wer dies leugnet, kennt sich schlecht aus in den hl. Schriften und somit in der Wahrheit; er weiß wenig von Gott und hat wenig von Gott.

Dritter Artikel
7  "Es ist eine Kraft in der Seele", "wenn die Seele ganz so wäre, so wäre sie ungeschaffen".
[Bulle 27, Votum 4; Vgl. II n. 17; Predigt Q 13; Auszüge auch in: I nn. 59, 137, II n. 5]
8  Sollte das heißen oder meinen, daß gleichsam ein Teil der Seele ungeschaffen und unschaffbar sei, so wäre es ein Irrtum. Wenn es aber so verstanden wird, wie es bereits oben erklärt wurde, so ist es eine schöne Wahrheit, sittlich erbauend, fromm und zur Gottesliebe entflammend.
[Vgl. I n. 137, II nn. 18, 26]

Vierter Artikel
9  Der vierte Artikel, aus der Predigt: 'Elisabeth ward die Zeit erfüllt, da sie gebären sollte', lautet so: "Wird etwas (anderes) in dir gezeugt oder geboren als der Sohn, oder ist eines anderen Bild in dir als der Sohn, so hast du nicht den heiligen Geist, noch wird (Hds.: wirkt) Gnade in dir".
[Vgl. Predigt Q 11; Auszüge auch: nn. 11, 19, 21, 23]
10  Auch hier ist zu sagen: wer dies verneint, kennt sich schlecht aus. Denn nur vom Sohne geht aus der hl. Geist. Willst du also den hl. Geist besitzen - die Geistesgaben, die Liebe, die 'durch den Geist in unsere Herzen ausgegossen ist' -: so sei ein Sohn. (Das lateinische) filius kommt vom (griechischen) philos: lieb. Wirke also aus Liebe, was du tust, nicht aus Furcht. [Ebenso zweitens]. Filius wird erklärt [qui 'fi(t a)lius'] als, der 'ein anderer wird', nicht ein anderes. Liebe also nicht ein anderes. Nicht etwas von Gott Verschiedenes oder ihm Fremdes. Denn alles, was einer liebt, steht zu ihm im Vaterschaftsverhältnis und zeugt sich in ihm. Ferner [drittens], 'der Sohn Gottes hat nichts, wohin er sein Haupt lege'. Sieh also zu, daß du nichts Irdisches besitzest, um darin zu ruhen, und du bist Sohn. Und so ergibt sich hier noch manches, was den Menschen vortrefflich zu einem heiligen, frommen Leben aneifern kann.
[Vgl. II (5), nn. 66, 115]

Fünfter Artikel
11  Der fünfte Artikel lautet: Im Menschen findet sich "eine Kraft, die ist so hoch und so edel, daß sie Gott nimmt in seinem bloßen eigenen Sein oder Wesen", nicht in seinem Kleide, wie er barmherzig oder die Wahrheit ist, "sie nimmt ihn in seinem innersten Mark, so wie er in seiner Bloßheit ist".
[Vgl. Predigt Q 11; Auszüge auch: nn. 9, 19, 21, 23]
12  Ich bemerke hierzu: Gott bietet sich dem Verstand als Wahrheit, dem Willen als Güte, dem Wesen der Seele aber senkt er sich ein und eint sich ihm, sofern er Gott und sofern er das Sein oder Wesen ist.
[Vgl. I n. 147]

Sechster Artikel
13  Der sechste Artikel: Außerhalb dieser Seelenkraft wirkt Gott nichts. Alles, was er gibt, das gibt er in ihr, und wenn Gott uns sich selbst gäbe außerhalb dieser Kraft, so könnten wir ihn nicht aufnehmen, noch hätten wir einen reinen Geschmack von ihm.
14  '0 ihr, die ihr trägen Herzens seid, den Schriften zu glauben', Luc. 24. Wer könnte denn bezweifeln, daß ein heiliger Mensch an Gott weder Geschmack hätte, noch in ihm seine Befriedigung fände, wenn er ihn erkännte oder aufnähme wie ein Lasttier oder ein bloßes Sinnenwesen?

Siebter Artikel
15  Diese Kraft hat einerlei Wirken mit Gott; alles tut sie, alles schafft sie mit Gott.
16  Das ist dem Wortlaut nach falsch. Denn das Geschöpf ist nicht Schöpfer, sondern das Schaffen kommt Gott allein zu. Wahr indessen ist, daß die Einigung des ewigen Wortes mit dem Menschen Christus so innig war, daß die beiderseitigen Titel und Eigenschaften wechselweise vertauschbar sind, so daß jener Mensch oder jener Knabe die Himmel schuf, wie man auch von ihm sagt, daß er gestorben sei, und wie er wirklich gestorben ist.
[Vgl. Prol. gen. n. 16 Anm. 9]

Achter Artikel
17  "Eine ungeschaffene Kraft ist in der Seele, daß, wenn die Seele ganz so wäre, sie ungeschaffen und unschaffbar wäre".
[Bulle 27, Votum 4; Vgl. II n. 7]
18  Es ist falsch, daß irgend ein Stück oder Teil der Seele unschaffbar sei. Aber da die Seele nach dem Bilde und nach dem Geschlechte Gottes, Apg. 17, also geistig ist, so ist freilich wahr, daß, wenn sie reiner Intellekt wäre, wie es Gott allein ist, sie sowohl ungeschaffen als auch nicht mehr Seele wäre. So wäre auch der Mensch, wenn er ganz Seele wäre, unsterblich doch wäre er dann kein Mensch mehr. Nun aber ist, absolut gesprochen, wahr, daß der Mensch sterblich ist. Die genannte Wahrheit soll den Menschen zur Gottinnigkeit ermuntern, zur Gottesliebe und Dankbarkeit dafür, daß er ihn 'nach seinem Bilde schuf' und ihn 'nach seinem Urbilde ausstattete', Eccli. 13, als vernünftiges Wesen, so daß er mit Verstand begabt ist nach Art des reinen Intellekts. Den Sohn aber, den er naturhaft zeugt, den hat er nicht nur nach seinem Urbild, sondern mit seinem eigenen Wesen ausgestattet, daß er 'Gott von Gott', Ungeschaffener vom Ungeschaffenen etc. ist, also reiner Intellekt vom reinen Intellekt, nach Tob. 4: 'Er zeugte den Sohn und gab ihm seinen Namen'.
[Vgl. I nn. 123, 132, 137, II nn. 8, 26, 43]

Neunter Artikel
19  "Nichts ist Wahrheit, es habe denn in sich alle Wahrheit beschlossen".
[Vgl. Predigt Q 11; Auszüge auch: nn. 9, 11, 21, 23]
20  Man muß sagen, daß dies verneinen Ignoranz ist. Denn eine halbe Wahrheit ist eben nicht die Wahrheit. Überdies, Gott ist die Wahrheit, Joh. 14, und er ist in allem ganz und ist notwendig entweder überhaupt nicht oder in einem jeden. Freilich muß man in solchen Dingen 'geistig denken und nicht zu bildhaftem Werk der Phantasie herabsinken', wie Boethius sagt.
[Vgl. I n. 125, II n. 51]

Zehnter Artikel
21  "Wo immer wir uns finden mögen, es sei in Können oder in Unvermögen, in Liebe oder in Leide, wozu immer wir uns geneigt finden, des sollen wir ausgehen in der Wahrheit. Erschließen wir Gott alles, so erschließt er uns herwieder alles oder offenbart uns alles, was er hat, und verbirgt uns in der Wahrheit ganz und gar nichts von dem, was er aufbringen kann: sei es Weisheit (oder Wahrheit) oder Heimlichkeit (Hds.: Heiligkeit) oder Gottheit".
[Vgl. Predigt Q 11; Auszüge auch: nn. 9, 11, 19, 23]
22  Das ist ganz und gar wahr. Denn es muß die natürliche Neigung des Menschen sich bloß machen von der Liebe zur Welt, um mit Gott eins zu werden in heiliger Liebe. Denn, wie Augustinus in der LXXXIII [quaestionum] sagt: Volle Begierde, nach Irdischem nämlich, keine Liebe; geringe Begierde, große Liebe; keine Begierde, vollkommene Liebe. Und weiter, es steht fest, daß Gott sich ganz gibt, wem immer er sich gibt; gottwidrig wäre es, von Gott Halbes oder Unvollkommenes zu erhoffen. [Aber es] ist wahr, daß nicht alle alles aufnehmen.
[Vgl. II n. 58]

Elfter Artikel
23  Wer nichts sucht - daß der nichts findet, wem mag er das klagen? Er fand, was er suchte. Wer etwas sucht oder meint außer Gott, der sucht und meint nichts, [19] und darum empfängt er, um was er bittet, indem er nichts empfängt. Aber wer nichts sucht und nichts meint als Gott allein, dem erschließt oder eröffnet und gibt Gott alles, was er verborgen hat in seinem göttlichen Herzen, daß es ihm so eigen wird, wie es Gottes eigen ist, weder minder noch mehr, sofern er Gott allein meint ohne ein Mittleres".
[Vgl. Predigt Q 11; Auszüge auch: nn. 9, 11, 19, 21]
24  Das ist wahr, fromm und sittlich erbauend und geht aus dem bereits Gesagten hervor. [20] Wenn es am Schluß heißt, daß Gott sich dem göttlichen Menschen so zu eigen gibt wie sich selbst, so ist dies eine emphatische Redeweise, etwa wie wenn es heißt: 'Gott, mein Gott, zu dir erwach' ich in der Morgenfrühe'. Es wären ja die Werke Gottes in uns nicht unser, wenn nicht Gott unser, in uns wäre. Denn keinerlei Wirken ist unser, es sei denn das Prinzip unseres Wirkens oder Werkes unser, in uns. Nun heißt es aber, bei Isaias: 'Alle unsere Werke hast du uns gewirkt'. 'Unsere', sagt er, und 'uns'.
[Vgl. II nn. 30, 35]
25  Man sollte sich doch vergegenwärtigen, daß die hl. Schrift wie auch der Prediger sich häufig und durchaus entsprechend einer solchen emphatischen Redeweise bedienen, wie sie das Herz dem Redner eingibt; und die Zuhörer werden desto mehr zur Liebe der Tugend und zur Gottesliebe angeeifert. Vergleiche das Wort des Hieronymus: 'O Träne, dein ist die Macht und die Herrschaft: die Schranken des Richters scheust du nicht, Schweigen gebietest du den Anklägern deiner Freunde; keinen gibt es, der dir den Eintritt versagte, wenn du allein kommst, und nicht allein gehst du wieder noch leer aus'. Mehr quälst du den Teufel als die höllische Pein. 'Was mehr? Du besiegst den Unbesiegbaren, du bindest den Allmächtigen, du ziehst den Sohn der Jungfrau hernieder'.
[Vgl. II n. 30]

Zwölfter Artikel
26  Es ist eine ungeschaffene Kraft in der Seele etc., wie oben.
[Vgl. II nn. 8, 18]

Dreizehnter Artikel
27  "Alle Kreaturen sind nichts in sich selbst."
28  Dies verneinen heißt nichts wissen und Gott lästern; sonst wäre ja Gott nicht der Schöpfer, noch wäre die Schöpfung geschaffen. Denn die Schöpfung ist aus nichts, im Gegensatz zum bloß Geformten. Joh. 1: 'Alles durch ihn Gemachte ist und ohne ihn ist nichts Gewordenes'.
[Vgl. I n. 150, II n. 80]

Vierzehnter Artikel
29  "Alles muß sich erfüllen an dem wahrhaft demütigen Menschen. Ein demütiger Mensch und Gott sind nicht zwei, sondern eins." Gott kann es nicht anders als sich ergießen in einen wahrhaft demütigen Menschen. "Der demütige Mensch hat es nicht nötig, Gott um etwas zu bitten; er kann über Gott verfügen. Der demütige Mensch ist Gottes so mächtig, wie er selbst, Gott nämlich, mächtig ist über sich selbst. Wenn dieser Mensch in der Hölle wäre, so müßte Gott zur Hölle kommen, und die Hölle müßte das Himmelreich sein. Gott muß notwendig so tun. Er muß es tun, weil eines solchen Menschen Sein eins ist mit dem göttlichen Sein und sein Sein das göttliche Sein ist"
[Vgl. Anm. zu Bulle 13]; Predigt Q 14; Auszüge auch in: I nn. 55, 57, II nn. 85, 87]
30  Ich kann nur sagen, daß dies gänzlich wahr, sittlich erbauend und fromm ist, wenn auch emphatisch ausgedrückt, wie das, was oben über die Träne gesagt ist. Wenn es heißt: 'Ein demütiger Mensch und Gott sind nicht zwei, sondern eins', so ergibt sich das aus dem, was bei Joh. 17 der Heiland für uns vom Vater erbittet. Denn der demütige Mensch als solcher ist mit der Demut nicht zweierlei. Zwei besagt ja eine Teilung und ist die Wurzel der Teilung. Wie aber könnte der Demütige von der Demut, der Weiße von der Weiße geschieden und ohne Weiße sein? Wo immer daher in der Hölle ein Demütiger wäre, da wäre notwendig auch die Demut. Es steht auch fest, daß durch dasselbe, wodurch Gott Gott ist, der (göttliche) Mensch analogerweise göttlich ist. Denn es ist keiner göttlich ohne Gott, sowie etwas nicht weiß sein kann ohne Weiße.
[Vgl. I n. 82, II nn. 24, 25, 43, 92, 142]

Fünfzehnter Artikel
31  Der fünfzehnte Artikel, entnommen aus einer Predigt, die mit den Worten anhebt: 'Wer mich hört, wird nicht zuschanden werden', lautet folgendermaßen: "Der Mensch, der da so ausgegangen wäre, daß er der eingeborene Sohn wäre, dem wäre eigen, was dem eingeborenen Sohne eigen ist. [21] Gott wirkt alle seine Werke darum, daß wir der eingeborene Sohn seien".
[Vgl. Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 33, 35, 36, 38, 40, 42, 44, 45, 47]
32  Antwort: Das ist wahr. Das Werk der Natur und der Schöpfung ist hingeordnet auf das Werk der Gnade und Wiederherstellung. Und ferner, umsonst wären wir Gottes Söhne, wenn nicht durch ihn (und in ihm), der wahrhaft Gottes Sohn von Natur ist, da er 'der Erstgeborene unter vielen Brüdern' und 'der Erstgeborene aller Kreatur' ist.
[Vgl. II nn. 61, 62]
33  Und weiter heißt es: "Gott eilt so sehr, zu einem guten Menschen zu kommen, als wollte ihm sein göttlich Wesen oder sein göttliches Sein zerbrechen, daß er uns offenbare allen den Abgrund seiner Gottheit".
[Vgl. Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 35, 36, 38, 40, 42, 44, 45, 47]
34  Dies ist wahr, wenn auch emphatisch ausgedrückt. Sagen doch auch die Heiligen oft, daß die Sünde des Menschen Gott derart leid tue, als ob sie ihn mehr schädigen oder betrüben könnte als den Sünder selbst. Auch steht fest, daß einem inneren Verhältnis zufolge die Gerechtigkeit selbst jedes Unrecht am meisten verabscheut. So verschmäht und verabscheut es auch die Demut weil es ihr Wesen ist am allermeisten, stolz zu sein, mehr als ein beliebiger Demütiger. Denn dieser verschmäht das Stolze nur zufolge seiner Teilnahme an der Demut, nicht vermöge der Demut an sich. Und 'propter quod unumquodque, illud magis' (d. h., was vom Abgeleiteten einigermaßen gilt, gilt von der Erstursache im höchsten Sinn).
35  Wenn es aber am Schlusse des Artikels heißt: 'Der göttliche Mensch wird nichts anderes, als was Gott ist', so ist dies falsch und verkehrt.
[Vgl. II n. 24; Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 33, 36, 38, 40, 42, 44, 45, 47]

Sechzehnter Artikel
36  "Dieweilen du einen Menschen weniger lieb hast als dich selbst, hast du dich selbst nie lieb in der Wahrheit." "Ein guter Mensch liebt [22] alle Menschen wie dich selbst." "Nun sprechen etliche Leute: Ich habe meinen Freund lieber, von dem mir gut geschieht, denn einen anderen Menschen. Hoc non est rectum et est imperfectum - So weit ist das nicht richtig, es ist unvollkommen [23] Hätte ich einen anderen Menschen so recht lieb wie mich selber, was immer ihm dann geschehe, zu liebe oder zu leide, es wäre Tod oder Leben: es wäre mir also lieb, daß es an mir geschehe wie an ihm, und das wäre rechte Freundschaft (Hds. Vernünftigkeit). Dazu spricht Sankt Paulus: 'Ich wollte ewiglich geschieden sein von Gott um meines Freundes willen' und um Gottes willen. (Nun merket:) Einen Augenblick von Gott geschieden sein, das wäre für einen vollkommenen Menschen so unbekömmlich wie ewiglich geschieden sein, und von Gott geschieden sein ist höllische Pein".
[Vgl. II n. 39; Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 33, 35, 38, 40, 42, 44, 45, 47]
37  Ich erkläre: das alles ist wahr, nach (1) Kor. 12 [im Text: 13]: 'Wenn ein Glied verherrlicht wird, freuen sich mit ihm alle Glieder. Nun aber seid ihr Christi Leib und Glieder vom Gliede', und (1) Kor. 3: 'Alles ist euer, sei es diese Welt, sei es Leben oder Tod oder Gegenwart oder Zukunft: alles ist euer, ihr aber seid Christi'. Der Grund davon ist, daß die heilige Liebe alles in dem Einen und den Einen, Gott, in allem lieb hat. Auch bleibt bestehen, daß die Höllenstrafe darin besteht, von Gott getrennt zu sein, so wie Gott schauen dem Wesen nach, ihn besitzen, mit ihm vereint sein, den wesenhaften Lohn ausmacht. Um alles in der Welt aber würde die Liebe Gott nicht lassen, wie nicht in Ewigkeit, so nicht einmal für einen einzigen Augenblick.
[Vgl. I n. 130, II nn. 2, 39, 141]

Siebzehnter Artikel
38  Der siebzehnte Artikel, ausgehend vom Pauluswort: 'Ich wollte ewiglich geschieden sein von Gott' etc. besagt: "Das sagte er in ganzer Vollkommenheit; er möchte es anders nicht in Wahrheit gesprochen haben." Und da "Paulus Gott um Gottes willen ließ, da ließ er all das, was er von Gott nehmen konnte, und alles, was Gott ihm geben konnte. Und da blieb ihm Gott nicht nach Art eines Empfangens oder eines Gewinnens, sondern daraus [24], wie Gott in sich selber ist"
[Vgl. Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 33, 35, 36, 42, 44, 45, 47]
39  Man muß sagen, daß dies wahr ist, wie aus dem bereits Gesagten hervorgeht.
[Vgl. II nn. 36, 37]

Achtzehnter Artikel
40  "In den gottgeeinten Menschen fällt kein Leiden, so wenig als es in das göttliche Wesen fallen kann."
[Vgl. Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 33, 35, 36, 38, 42, 44, 45, 47]
41  Das ist richtig, nach Prov. (12,21): 'Nicht traurig machen wird den Gerechten, was ihm auch begegnen mag.' Vgl. hierzu meine Bemerkungen oben in der ersten Sammlung.
42  Wenn aber hier beigefügt wird: "Es ist etwas in der Seele, das Gott so verwandt ist, daß es eins ist und nicht vereint. Es ist eins, es hat mit nichts etwas gemein",
[Vgl. Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 33, 35, 36, 38, 40, 44, 45, 47]
43  so muß man sagen, daß dies wahr ist, nach dem Wort: 'Seines Geschlechtes sind wir', Apg. 17; und Joh. 16 heißt es: 'In der Welt werdet ihr Bedrängnis haben', nachdem gesagt war: 'In mir Frieden', und Joh. 17 betet der Sohn, daß wir eins seien, wie er selbst mit dem Vater eins sei. In diesem Sinn ist zu verstehen, was mir hier [iste articulus] vorgehalten wird.
[Vgl. II nn. 18, 30]
44  Wenn es weiter heißt: "Es ist etwas Geschaffenes in der Seele", so ist dies bereits mehrfach erläutert worden.
[Bulle 27, Votum 4; Vgl. I nn. 92, 106, 108, 137, II nn. 8, 18, 26; Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71; II nn. 31, 33, 35, 36, 38, 40, 42, 45, 47]

Neunzehnter Artikel
45  "Das Auge, darinnen ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darinnen mich Gott sieht. Mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Gesicht oder Schauen und ein Erkennen und ein Lieben".
[Vgl. Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 33, 35, 36, 38, 40, 42, 44, 47]
46  Muß man sagen, daß dies wahr ist. [25] Damit stimmt überein, was Augustinus (De Trinitate 1. IX c. 12) über den vom Erkenntnissubjekt und -objekt gemeinsam erzeugten Sproß lehrt. Und der Apostel sagt: 'Dann werde ich erkennen, wie auch ich erkannt bin' (1) Kor. 13.
[Vgl. I n. 133, II nn. 88, 131]

Zwanzigster Artikel
47  "Der Mensch, der in Gottes Liebe steht, der soll sich selbst tot sein und allen geschaffenen Dingen und seiner selbst so wenig achten als eines jenseits des Meeres. Der Mensch bleibt in der Gleichheit (des Gemütes) und in der Einigkeit".
[Vgl. Predigt Q 12; Auszüge auch in: I nn. 51, 52, 65, 67, 68, 71, II nn. 31, 33, 35, 36, 38, 40, 42, 44, 45]
48  Man muß sagen, daß dies durchaus wahr ist, je nachdem einer mehr oder weniger in der [Nächsten-] Liebe [caritate] bleibt.

Einundzwanzigster Artikel
49  Der einundzwanzigste Artikel, aus der Predigt: 'Als Herodes gestorben war', lautet so: Der Intellekt allein ist frei.
50  Es handelt sich hier um eine Streitfrage unter den Lehrern; doch scheint es mir richtiger, die Freiheit sei dem Intellekt virtuell und gleichsam wurzelhaft inne, dem Willen aber formell. Folglich wäre alle Freiheit des Willens vom Intellekt bedingt und käme von ihm her. 'Die rationalen Vermögen sind aber in gegensätzlicher Weise bezogen'; der Intellekt gehört wesenhaft zu dem Rationalen, der Wille aber als Begehren fügt sich dem Rationalen durch Teilnahme bei, wie es beim Philosophen heißt: 'Der Wille ist in der Vernunft'.

Zweiundzwanzigster Artikel
51  Der zweiundzwanzigste Artikel, aus der Predigt 'Er hat Gott gefallen', lautet nach einigem Vorhergehendem folgendermaßen: Das ist gänzlich eine Wahrheit; denn alles, was wahr ist, ist wahr in einer Wahrheit, und es ist auch nur eine.
52  Das ganze ist wahr, wie schon oben dargelegt wurde.
[Vgl. I n. 87, II n. 20]

Dreiundzwanzigster Artikel
53  Hundert Menschen sind eine gezählte Vielheit, tausend Engel sind eine Vielheit ohne Zahl, aber die drei Personen in der Dreifaltigkeit sind weder eine Vielheit, noch sind sie gezählt. Wären sie eine Vielheit, so wären sie nicht eins.
54  Dies ist wahr, nach jener Stelle bei I Joh. (5,7): 'Und diese drei sind eins'. Denn das Prinzip der Zahl ist Beschränkung, das der Vielheit Verneinung. In Gott aber fällt weder Beschränkung noch Verneinung; denn er ist die Fülle des Seins.
[Vgl. I n. 117, II nn. 2, 74, 107]

Vierundzwanzigster Artikel
55  Der vierundzwanzigste Artikel, aus der Predigt: 'Darin zeigt sich die Liebe Gottes, der seinen eingeborenen Sohn in die Welt sandte', lautet so: Da der Sohn Gottes die menschliche Natur annahm, "gab er mir all das zu eigen, was er selbst in sich hat". Denn die menschliche Natur ist allen Menschen gemeinsam und gleicherweise eigen und gleich verwandt. Und weiter: Er gab mir alles das, was er seinem Sohn je gab; nichts nehme ich aus.
[Bulle 11, Votum 21; Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 56, 57, 59, 75, 76, 77, 79, 81, 83]

Fünfundzwanzigster Artikel
56  "In allem, was der Vater seinem eingeborenen Sohne je gab in der menschlichen Natur, darin hatte er früher mich im Auge als jenen Menschen (Christus) und meinte mich mehr und gab mir früher als ihm; denn er gab es ihm meinetwegen." Und weiter: "Alles, was er ihm in seiner menschlichen Natur gab, das ist mir nicht fremder oder äußerlicher noch entfernter oder geschiedener denn ihm selbst".
[Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 57, 59, 75, 76, 77, 79, 81, 83]

Sechsundzwanzigster Artikel
57  Gott gibt nur Ganzes und gibt alles. "Gott kennt nicht Weniggeben; er muß entweder das Ganze geben oder er muß ganz und gar nichts geben. Er gibt alles, weder Stücke noch Teile, sondern sein Geben ist gänzlich einfach und vollkommen".
[Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 59, 75, 76, 77, 79, 81, 83]
58  Meine Erklärung zu diesen drei Artikeln ist die: Sie alle sind wahr, sittlich erbauend und zur Herzenshingabe und Liebe Gottes und zur Dankbarkeit ermunternd, gemäß jener Stelle Röm. 8: 'Mit ihm hat er uns alles gegeben', und Röm. 5: 'Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch die Einwohnung des hl. Geistes, der uns gegeben ist.' Er gibt ja allen alles, wenn auch nicht alle alles empfangen; er gibt gleichmäßig, wir aber empfangen ungleichmäßig, wie schon oft gesagt.
[Vgl. II nn. 22, 67]

Siebenundzwanzigster Artikel
59  Gott gibt nichts außer sich (außerhalb seiner). Immer gibt er von Ewigkeit, nicht in der Zeit. Gott hat mit der Zeit nichts zu schaffen, sondern er gibt allein und wirkt von Ewigkeit.
[Vgl. II nn. 73, 74; Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 57, 75, 76, 77, 79, 81, 83]
60  Auch dies ist wahr. Jeremias (31) heißt es: 'Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt', und die Glosse dazu lautet: 'Er hat uns erwählt vor der Erschaffung der Welt'. Ebenso wahr ist freilich, daß wir in der Zeit empfangen.
[Vgl. II n. 67]
61  Zur Klarstellung der vier obengenannten Artikel und zahlreicher anderer in der hl. Schrift sei bemerkt: [Zum ersten, daß] Gott der Eine, weil das Erste Sein weder dem Sein nach noch in etwas anderem, was aus dem Sein sich ergibt, von etwas abhängt. Vielmehr ist alles, was neben oder nach ihm ist, von ihm abhängig, sowohl im Sein, wie in allem, was damit zusammenhängt. Sonst wäre das Erste Sein nicht 'reich aus sich selbst', wie es im Buch De causis heißt [26] Von Gott also ist alles Sein, das der Naturdinge wie auch das geistige oder intellegible Sein in Kunst und Natur. Das ist auch der Grund, weshalb bei Joh. 13 die Wahrheit spricht: 'Ihr nennt mich Meister', hinsichtlich des geistigen Seins der Erkenntnis und Lehre, 'und Herr' mit Bezug auf das Sein der Naturdinge. 'Und ihr habt recht', d. h. ihr sagt die Wahrheit; wofür er den Grund anführt, da er spricht: 'Denn ich bin es', ich bin das Sein selbst. Und vielleicht heißt es deshalb Ex. 3 sehr bezeichnenderweise zweimal: 'Ich bin' 'Ich bin, der ich bin': des doppelten Seins wegen, das beides von ihm ist. Demgemäß erklärt sich auch passend Gen. 1: 'Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde', indem man unter 'Himmel' das geistige, intellegible Sein, unter 'Erde' das stoffliche Sein, das Werk der Natur versteht. Oder aber man faßt als 'Himmel' das Werk der Wiedergeburt und der Gnade, als 'Erde' das Werk der Schöpfung und der Natur.
[Vgl. II nn. 32, 62, 97, 130]
62  Für einen zweiten Grundsatz gehe ich aus von Röm. 13: 'Alles, was von Gott ist, ist wohlgeordnet.' So ist das Werk der natürlichen Schöpfung hingeordnet auf das Werk der Wiedergeburt und Gnade, das Stoffliche auf das Formhafte, die Materie auf die Form, das Passive auf das Tätige, das Weibliche auf das Männliche. Vergl. (1.) Kor. 11: 'Der Mann ist nicht des Weibes wegen geschaffen, sondern das Weib des Mannes wegen'. Daher wird bezeichnenderweise der 'Himmel' vorausgestellt: 'Im Anfang' heißt es, 'schuf Gott Himmel (und Erde)'; und bei Joh. 13 spricht der Herr: 'Ihr nennt mich Meister und Herr'. Gewiß ist richtig, daß beides zugleich, der Zeit und der Wirkung nach, geschieht und ist, gemäß dem Wort: 'Die zwei werden in einem Fleische sein', Mann und Weib, tätiges und passives Prinzip, Himmel und Erde. 'Die zwei', heißt es: sonst könnte nicht von Ordnung die Rede sein, denn Ordnung setzt eine Mehrheit voraus; aber 'in einem Fleische', das ist nach Wirkung und Zeit zusammenfallend. Daher sagt Thomas (Quodlibet VI quaestione ultima) mit weisem Bedacht, daß der Wasserhimmel und das gesamte All der Natur sich hinordne auf den Feuerhimmel. Denn was von Einem ist, das zielt auch notwendig auf Eines. Nun aber teilt in einem System das Höhere immer seinen Einfluß dem Untergeordneten mit. Denn 'das Erste ist reich durch sich selbst', worauf auch Augustinus (Confessionum 1. XII) hindeutet, wo er zum Psalmwort: 'Der Himmel des Himmels dem Herrn' die Erklärung gibt: 'Die Erde und alles, was wir wahrnehmen, ist Erde im Vergleich zu jenem Himmel, den wir nicht wahrnehmen'.
[Vgl. II nn. 32, 61, 74]
63  Aus dem Gesagten folgt drittens, daß das Werk der Wiedergeburt und Gnade seinen Widerschein hat im Werk der Natur und Schöpfung.
[Vgl. II n. 67]
64  Nach diesen Vorbemerkungen ist zu sagen: Wir sehen in der Natur, daß eine jede besondere Wirkursache auf ein ihm ähnliches Besonderes geht, die Gattung aber, in der die Wurzel und der Grund für das besonders Wirkende ist, geht auf das, was ihr nach der Gattung und Natur ähnlich ist, und übt auch dementsprechend ihre geheime Wirksamkeit. Bei der Erzeugung des Besonderen hat sie es auf die Gattung abgesehen. So zeugt auch in der Gottheit der Vater nicht einen Vater, sondern den Sohn, der mit ihm ein Gott ist der Natur nach, weil die göttliche Natur das Prinzip der Zeugung im Vater ist. Daher ist auch im Bereich des Geschöpflichen das Weib als solches außerhalb des Zieles der individuellen Natur und ist insofern ein Zufälliges; aber gewollt ist es vom Sinn der allgemeinen Natur, von der den Himmeln innewohnenden Gewalt [nach] Avicenna.
[Vgl. II n. 99]
65  Daraus ergibt sich alles, was in den vier obengenannten Artikeln gesagt ist: daß das Wort in erster Meinung die menschliche Natur annahm, die individuelle Natur aber, in Christus nämlich, um der menschlichen Gattung in ihrer Gesamtheit willen. Indem er die menschliche Natur als solche annahm, hat er in diesem Akt und durch ihn die Gnade der Sohnschaft und der Kindesannahme allen Menschen erteilt, mir und dir und einem jeden von uns, die wir in demselben Sinne und in derselben Weise Anteil haben an der gleichen Natur, nach dem Worte: 'Das Wort ist Fleisch geworden', in Christus nämlich, 'und hat in uns gewohnt', und vorher: 'Er gab ihnen Macht, Söhne Gottes zu werden', 'auf daß er selbst der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern', Röm. 8.
[Vgl. I nn. 130, 139]
66  Also die den Menschen von Natur eigene, nicht eine unvernünftige Natur hat er angenommen. Willst du demnach das fleischgewordene Wort in dir wohnen haben, willst du Gottes Sohn werden, willst du dieser der Menschennatur erteilten Gnade teilhaft sein, so sei Mensch: lebe nach der Vernunft, nach dem Geiste, nicht nach dem Fleische; denn 'was aus dem Fleische geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geiste geboren ist, das ist Geist', Joh. 3. 'Wer nämlich nach dem Fleische lebt, der erntet die Früchte des Fleisches'. Denn 'wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben; wenn aber nach dem Geiste, werdet ihr leben. Denn die vom Geiste Gottes getrieben werden, die sind Söhne Gottes'. 'Der Geist selbst nämlich gibt Zeugnis unserem Geiste, daß wir Söhne Gottes sind; wenn aber Söhne, so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi; die er dazu bestimmt hat, dem Bilde seines Sohnes ähnlich zu werden, auf daß er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern', Röm. 8. 'Denn nicht Fleisch und Blut offenbart' heißt es Matth. 16, 'sondern der Vater im Himmel'. 'Vater', heißt es; denn nur der Vater als solcher kennt den Sohn oder die Söhne und offenbart sich ihnen. Je mehr du Sohn, ähnlich dem Bilde Christi, sein wirst, um so mehr wirst du es erfahren. Sei also Sohn und du wirst sehen. 'Gib mir einen Liebenden', und er weiß, was es mit der Liebe ist, sagt Augustinus. Und der Erlöser: 'Wer alles verläßt, wird es hundertfach wieder erhalten'. Gewiß verläßt einer nicht alles, wenn er das Hundertfache dafür erwartet und hofft.
[Vgl. II n. 10]
67  Aus dem Gesagten geht auch hervor, daß Gott 'allen im Überfluß gibt', allen alles gibt, zeitlos gibt, 'in ewiger Liebe' 'uns in ihm erwählt hat vor der Erschaffung der Welt'. Wir aber empfangen in der Zeit, wenn wir leben und als Söhne leben. Bedeutungsvoll sagt daher der Apostel: 'Er hat uns in ihm erwählt', im Sohne nämlich, 'auf daß wir heilig und unbefleckt seien.' Sei also heilig und unbefleckt, und du wirst sehen, [daß] weder Gott Vater noch Sohn etwas mit der Zeit gemein [haben]. Die Zeugung geschieht nicht in der Zeit, sondern ist Ziel und Ende der Zeit. 'Im Vergangenen und Zukünftigen flattert unruhig dein Herz durch die wechselnden Erscheinungen der Dinge und ist eitel, und umsonst versuchst du das Ewige zu verkosten'. 'In göttlichen Dingen gilt es, geistig zu denken', wie oben gesagt. Es hat also Gott, das fleischgewordene Wort, in Christo die menschliche Natur angenommen, die allen Menschen gemein ist, da er 'will, daß alle Menschen gerettet werden'. Durch die Gemeinsamkeit der Natur, in der das Werk der Gnade seinen Widerschein hat, wie oben gesagt wurde, hat er geheimnisvoll unser Heil gewirkt. Was er also ihm (dem Gottmenschen) gab, das gab er mit ihm auch jedem beliebigen Menschen. Denn was sollte wohl der vorenthalten, der seinen eingeborenen göttlichen Sohn und den hl. Geist, in dem doch alles gegeben ist, wesenhaft gab?.
[Vgl. I n. 125, II nn. 2, 58, 60, 63]
68  Endlich ist zu merken, daß Gott in erster Meinung Mensch wurde, d. h. die menschliche Natur annahm, nicht eine menschliche Person: um uns zu lehren, daß wir, um Söhne Gottes zu sein, im Nächsten das, was dem Menschen als solchem zukommt, lieb haben sollen, nicht diesen oder jenen Menschen, und nicht, was dem oder jenem oder mir selbst besonders ist, nach Matth. 20: 'Nimm weg, was dein ist', und 'er kam in sein Eigentum et sui' [, id est sui ipsorum] 'eum non receperunt': die sich persönlich lebenden haben ihn nicht aufgenommen [???]. Zu jenen also kam er, die sich ihm zu eigen gegeben haben, die nicht suchen, was das Ihre ist, sondern was Gottes ist.
[Vgl. II n. 72]
69  'Du sollst', sagt der Erlöser, 'deinen Nächsten lieben wie dich selbst'. Sicherlich, wenn du deinen Vater, deine Mutter, deine Brüder und Schwestern liebst, weil sie dein Vater, deine Mutter, deine Brüder und Schwestern sind, so bist du 'mit Sündenstricken gebunden'. 'Ein dreifacher Strick wird schwer zerrissen', Prov. 5 (Eccli. 4). Der erste Strick besteht darin, daß du das Deine liebst; der Zweite darin, daß du deinen Vater auf Erden liebst, dessen Sohn du bist; der dritte, daß du den Nächsten nicht liebst 'wie dich selber'. Denn du bist nicht deine Mutter, dein Bruder, deine Schwester; du sollst sie also lieben, weil sie Menschen sind; denn auch du bist ein Mensch.
70  Das Wort nahm zuerst den Menschen an, die menschliche Natur als solche; den bestimmten Menschen aber, das bestimmte Adamskind, nahm er an um der allgemeinen Menschennatur willen; so hat er sie gereinigt von der Erbschuld, die die Natur verdirbt, nicht aber von der persönlichen Sünde, die in uns die einzelne Person angeht und sie befleckt, was passend erklärt scheint durch Ezech. 18: 'Der Sohn wird nicht mehr die Ungerechtigkeit des Vaters tragen'. 'Die Ungerechtigkeit', sagt er, d. h. die Sünde selbst; denn gar oft trägt ein Kind die Sündenstrafen seines Vaters nach dem Wort: 'Ich bin der Gott, der die Sünde des Vaters rächt an den Söhnen bis in das dritte und vierte Glied', Exodus 20.
71  Ein Beispiel des Gesagten findet sich in der Natur, wie oben erwähnt. Überdies bemerken wir in der Kunst folgendes: Der Baumeister meint zunächst und wesentlich das Haus als Ganzes; davon faßt er innerlich eine Idee, einen Entwurf und gibt ihm Form und lebt sich hinein. Die Teile des Hauses hingegen plant er erst in zweiter Linie und gleichsam nebenbei, obschon er diese zuerst in Wirklichkeit umsetzt.
[Vgl. I nn. 84, 119, II nn. 64, 99]
72  Willst du also den Nächsten lieben 'wie dich selbst', so 'nimm weg, was dein ist', wie oben gesagt. Dein ist, was dir persönlich ist; das Menschtum aber oder die menschliche Natur, die ist dir gemeinsam mit jedem Menschen. Gott selbst ist allem gemeinsam. Darum ist es auch er, der in allem geschaut, geliebt, gewonnen und uns geeint wird. 'Nimm weg' in den Geschöpfen 'dies und das', 'so wirst du Gott schauen', sagt Augustinus. 'Nimm weg was dein' ist. Dein ist die Sünde, dein ist die Lüge und überhaupt alles Böse, nach dem Wort: 'Jeder Mensch ist ein Lügner', im Psalm (115,11) und Röm. 3. Dein ist, was dir und keinem andern ist: 'Die Feinde des Menschen sind seine Hausgenossen', Matth. 10. Je mehr also etwas persönlich zu eigen ist, desto mehr ist es dem Menschen feind. Nimm weg, persönlich ist dieses und jenes. Ama, quia homo est, quod commune est. Liebe, was Mensch ist, was die Menschheit ist [27].
[Vgl. II nn. 68, 78, 94]
73  Wenn es aber heißt: 'Gott gibt nichts außer sich. Immer gibt er von Ewigkeit, nicht in der Zeit', '[sondern] er gibt allein und wirkt von Ewigkeit', so gestehe ich, daß ich den Kritiker dieses Artikels als Ignoranten betrachte. Augustinus (Confessionum I 1.) sagt über Gott: 'Alles Morgige und Künftige, alles Gestrige und Vergangene wirst du heute tun, hast du heute getan. Was kann ich dafür, wenn einer das nicht versteht?'.
[Vgl. II nn. 2, 59, 151]
74  Und wenn es weiter heißt: 'Gott hat mit der Zeit nichts zu schaffen', so ist dies wiederum wahr, denn Gott ist nicht in der Zeit, noch wird er berührt von der Zeit. Eius autem actio est ipsius substantia - sein Akt ist sein Wesen. Der eigentliche und tiefere Grund aber dafür, daß Gott nicht in der Zeit ist und nichts mit ihr zu schaffen hat, liegt darin, daß die Zeit kein Sein ist, "ut patet ex philosopho, commentatore et Augustino" [28] Gott ist also nicht in der Zeit, wie das Sein nicht im Nicht-Sein ist. Deus enim esse est - Gott ist [nämlich] das Sein [29] Das ist sogar der ganze Grund für das Nichtsein der Zeit: daß Gott, das Sein, nicht in der Zeit ist, wie er auch nicht im Bösen, im Mangel, in der Verneinung, in der Sünde ist, auch nicht in den Teilen als solchen, die als solche neben und außerhalb des Ganzen nicht sind. Derartiges aber, was kein Sein hat, wird durch Nichtwissen gewußt, gemäß Matth. (25,12): 'Ich kenne euch nicht' [und] (oder) wie es (von Gott) beim Psalmisten (14,4) heißt: 'Zu nichts wird vor seinem Angesicht der Frevler', das will sagen: der Frevler oder der Böse als solcher fällt nicht in den Bereich des göttlichen Wissens, 'vor sein Angesicht'. Es ist ja auch etwas eben dadurch nichts, daß es von Gott nicht angeschaut wird. So wie nichts heiß ist, was nicht von der Hitze erreicht wird, so ist nichts, was nicht vom Sein selbst erschaut wird.
[Vgl. I nn. 117, 120, II nn. 2, 54, 59, 62, 76]

Achtundzwanzigster Artikel
75  Gott schaut nichts Böses. "So oft ich sündige, so bin ich im Bösen, und so schaut mich Gott nicht und kennt mich nicht".
[Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 57, 59, 76, 77, 79, 81, 83]
76  Dies ist wahr und erhellt aus dem oben über die Zeit Gesagten, sowie aus dem, was im Kontext selbst folgt: weil Gott nämlich einzig und allein sich selbst schaut; in ihm aber ist kein Böses.
[Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 57, 59, 75, 77, 79, 81, 83]

Neunundzwanzigster Artikel
77  "Alle Werke Christi sind dem gerechten Menschen eigen, und alle Verdienste und Belohnungen der Heiligen sind mir so zu eigen, als ob ich selbst sie wirkte".
[Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 57, 59, 75, 76, 79, 81, 83]
78  Auch dies ist wahr im Sinn des Artikels: 'Ich glaube an eine Gemeinschaft der Heiligen'. Beim Psalmisten (118,65) heißt es: 'Genosse aller bin ich, die dich fürchten', und Augustinus lehrt es an vielen Stellen, und schließlich geht es auch aus den Beispielen im Kontext hervor.
[Vgl. II nn. 72, 116]

Dreißigster Artikel
79  "Alle Kreaturen sind ein bloßes Nichts. Keine Kreatur ist, die etwas wäre".
[Bulle 26, Votum 6; Vgl. II n. 106; Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 57, 59, 75, 76, 77, 81, 83]
80  Dies ist wahr, [wie oben bereits ausgeführt wurde, und] nach dem Worte: 'Alles durch ihn Gemachte ist, und ohne ihn ist das Gewordene nichts'.

Einunddreißigster Artikel
81  Wir sollen nichts wissen von einem äußeren 'Warum' oder 'Wofür', sei es Gott oder Geschöpf, sei es unser eigenes Ich, sei es ein äußeres Ding. Denn wozu immer wir anders denn von uns selbst, aus innerem Grunde, bewegt werden, das ist sittlich genommen, ein sündiges Tun.
[Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 57, 59, 75, 76, 77, 79, 83]
82  Antwort: Ich gestehe, daß dies wie so manches andere für Menschen von schwerem Begriff absurd erscheint; und dennoch ist es offenkundige Wahrheit, daß ein Werk nicht göttlich noch vollkommen ist, wenn nicht der Mensch innerlich aus Gott heraus tätig ist, nach dem Wort: 'Der Vater, der in mir bleibt, der tut die Werke', und wenn er nicht aus einer lebendigen inneren Zuständlichkeit wirkt, nach dem Worte: 'Der hl. Geist wird herabkommen in dich'. Beachte das 'In dich'!

Zweiunddreißigster Artikel
83  "Es sind etliche Leute, die haben Geschmack an Gott nach einer bestimmten Weise und nicht nach einer andern. Das ist durchaus nicht recht, denn wer Gott nehmen will, der muß ihn in allen Dingen auf gleiche Weise nehmen".
[Vgl. Predigt Q 5a; Auszüge auch in: I n. 61, II nn. 55, 56, 57, 59, 75, 76, 77, 79, 81]
84  Antwort: Der Artikel ist wahr. Denn der Gottesliebe Grund ist Gott, und 'eine Weise ohne Weise'.
[Vgl. II n. 122]

Dreiunddreißigster Artikel
85  "David spricht: 'Heute habe ich dich gezeugt'. Was ist Heute? Die Ewigkeit. Ich habe mich dich und dich mich ewiglich gezeugt"
[Vgl. Predigt Q 14; Auszüge auch in: I nn. 55, 57, II nn. 29, 87]
86  Antwort: Ich bemerke, daß dies ein Wort Augustinus' ist, und die Lehrer erkennen den Ausspruch an: 'Gott hat sich als Gott gezeugt'. Man muß es nur recht verstehen.
[Vgl. I n. 81]

Vierunddreißigster Artikel
87  "Der edle Mensch ist nicht damit zufrieden, daß er der eingeborene Sohn sei, den der Vater ewig zeugt; er möchte auch Vater sein und Zutritt erlangen zu jener Ähnlichkeit der ewigen Vaterschaft und ihn zeugen, von dem ich ewig gezeugt bin".
[Bulle 21, Votum 18; Vgl. Predigt Q 14; Auszüge auch in: I nn. 55, 57, II nn. 29, 85]
88  Antwort: Ich sage nichts anderes, als was Augustinus (De Trinitate IX c. 12) ausführt, daß zwischen dem Erkenntnis-Objekt und -Subjekt ein beiden gemeinsamer Sproß entsteht, desgleichen zwischen Denkendem und Gedachtem, Liebendem und Geliebtem - weshalb der Mensch sich bestreben soll, Gott zu erkennen, wenigstens häufig über ihn nachzusinnen und ihn zu lieben.
[Vgl. I n. 133, II nn. 46, 92]

Fünfunddreißigster Artikel
89  Der fünfunddreißigste Artikel, aus der Predigt: 'Die Gerechten werden leben in Ewigkeit', lautet so: "(Wer sind die, die Gott ehren? ..,) die nicht nach Gut noch Ehre noch [Bequemlichkeit] noch Lust noch Nutzen noch Innigkeit noch Heiligkeit noch Lohn noch Himmelreich trachten und sich alles dieses entäußert haben, alles Ihrigen - an diesen Leuten hat Gott Ehre [im wesentlichen nach Quint].
[Bulle 8, Votum 15; Vgl. Predigt Q 6; Auszüge auch in: I nn. 53, 54, 64, II nn. 91, 93, 95, 98, 100]
90  Antwort: Das ist durchaus wahr, und es verneinen, beweist Unwissenheit und Verkehrtheit. Denn der Vollkommene hat durchaus in nichts sonst sein Genüge und ruht in keinem Gewinn und keiner Gabe Gottes, sondern Gott in seinem Wesen ist ihm Lohn genug, nach (2) Kor. (3,5): 'Unser Genüge ist aus Gott', und Gen. 15 'Ich will dein Lohn sein', und Exodus 33: 'Wenn nicht du vorangehst, so führe uns nicht aus dem Lande' und jenem, dem gesagt wurde: 'Ich will dir alles Gute zeigen'.

Sechsunddreißigster Artikel
91  "Gottes Sein ist mein Leben, oder Gottes Wesen ist mein Leben, Gottes Wesenheit meine Wesenheit".
[Vgl. Predigt Q 6; Auszüge auch in: I nn. 53, 54, 64, II nn. 89, 93, 95, 98, 100]
92  Ich gestehe, daß dies dem Wortlaut nach falsch und irrig ist. Wahr indessen und erbaulich und fromm ist, daß das ganze Sein eines gerechten Menschen, sofern er gerecht ist, von Gottes Sein ist, wenn auch das Analogieverhältnis bestehen bleibt. Ferner, sicherlich ist niemand wahrhaft göttlich, ohne daß Gott in ihm ist. Steht doch fest, daß niemand gerecht ist, außer durch die Gerechtigkeit, wie nichts weiß ist als durch die Weiße. Vergl. das Wort: 'Christus ist mein Leben', und 'Ich lebe, doch nicht ich, es lebt in mir Christus.' Deshalb soll der Mensch trachten, gerecht zu sein und gerecht zu handeln. Darüber wurde schon früher gehandelt.
[Vgl. I nn. 82, 114, II n. 30]

Siebenunddreißigster Artikel
93  "Die gerechte Seele soll bei Gott sein und neben Gott, recht gleich daneben, nicht unten noch oben. Wer sind die, die also gleich sind? Die nicht gleich sind, in denen keinerlei Bild oder Form ist, die sind alle Gott ähnlich, denn dem göttlichen Sein ist nichts ähnlich, Gottes Wesen ist nichts ähnlich; in ihm ist weder Bild noch Form. Den Seelen, die also gleich sind, gibt der Vater [Gleichheit] und enthält ihnen nichts vor, das er ihnen nicht gäbe. Was immer der Vater aufbringen kann, das gibt er (dieser Seele) [an Gleichem], sofern sie in Gleichheit steht, sich selbst nicht mehr gehörend denn einem andern: Sie darf sich selbst nicht näher sein denn einem andern. Ihre eigene Ehre, ihren Nutzen, und alles, was ihr ist, des darf sie nicht mehr begehren noch achten denn eines Fremden. Was immer jemandes ist, das soll ihr nicht fremd oder fern sein [30], es sei Schlimmes oder Gutes" [31].
[Vgl. Predigt Q 6; Auszüge auch in: I nn. 53, 54, 64, II nn. 89, 91, 95, 98, 100]
94  Antwort: Der Sinn leuchtet aus obigem ein. Steht doch fest, daß wer Gott liebt, sich selbst verleugnen, was sein ist, hintansetzen und den Nächsten lieben muß wie sich selbst, derart gleichförmig dem göttlichen Willen, daß er alles, was Gott will, auch selber wolle, sei es dies oder jenes, in gleicher Weise. Denn wenn er ungleich liebt, so liebt er schon nicht mehr Gott allein und den göttlichen Willen und nicht Gott in allem und alles in Gott.
[Vgl. II n. 72]

Achtunddreißigster Artikel
95  "Der Vater zeugt seinen Sohn in der Seele in derselben Weise, wie er ihn in der Ewigkeit zeugt und nicht anders. Er muß es tun, es sei ihm lieb oder leid".
[Vgl. Predigt Q 6; Auszüge auch in: I nn. 53, 54, 64, II nn. 89, 91, 93, 98, 100]
96  Man muß sagen, daß dies wahr ist. Denn weder einen andern Sohn zeugt der Vater, noch auf andere Weise in mir als in der Ewigkeit. In Gott nämlich gibt es weder anderes noch auf andere Weise, und er hat keinen anderen Sohn in der Ewigkeit als den einen, der 'der Erstgeborene ist unter vielen Brüdern', 'die umgewandelt sind in dieses gleiche Bild', den Sohn, der nicht in viele zerteilt ist, sondern die vielen in sich vereint, da er selber Gott und somit einer in allen ist, auch dem Wesen nach.
97  Und wenn es heißt: 'Er muß es tun', so ist dies wahr, wenn auch emphatische Redeweise, um Gottes Güte und Liebe zu preisen, der ganz und gar gut ist durch sein Wesen, und dessen Güte ihm nicht gestattet, ohne Samen zu sein, wie Dionysius sagt, weshalb er sowohl sich selbst wie auch alles Seine hingibt, nach dem Wort: 'Mit ihm hat er uns alles gegeben', Röm. 8, wenn anders wir der Aufnahme fähig sind. Offb. 3: 'Ich stehe vor der Türe und klopfe an', und Is. 3(0): 'Der Herr wartet, daß er sich euer erbarme'. Denn ihm ist Geben wesentlich und so recht eigen, nach dem Artikel: 'Das Erste ist reich durch sich selbst'. Vergl. Matth. 23: 'Wie oft wollte ich deine Küchlein versammeln, du aber hast nicht gewollt', mit der Erklärung Augustinus zu der Stelle.
[Vgl. II n. 61]

Neununddreißigster Artikel
98  "Der Vater zeugt seinen Sohn ohne Unterlaß. Und ich spreche mehr: er zeugt mich als seinen Sohn und denselben Sohn." [Und weiter:] "Darum ist der himmlische Vater in Wahrheit mein Vater, denn ich bin sein Sohn und nicht ein anderer. Weil der Vater ein Werk wirkt, darum wirkt er mich als seinen eingeborenen Sohn ohne jeden Unterschied" [Quint] [Bulle 22, Votum 19] "Wir werden völlig transformiert in Gott und verwandelt auf ähnliche Weise, wie in dem Sakrament Brot verwandelt wird in unseres Herren Leib: wie viele der Brote auch wären, so wird doch nur ein Leib Christi." "Alles, was in das andere verwandelt wird, das wird eins mit ihm. Also werde ich verwandelt in ihn, daß er mich wirkt (als) sein eines, nicht ähnliches Sein. Bei dem lebendigen Gott: es ist wahr, daß hier kein Unterschied ist".
[Bulle 10, Votum 20; Vgl. I nn. 53, 54, 132; Predigt Q 6; Auszüge auch in: I nn. 53, 54, 64, II nn. 89, 91, 93, 95, 100]
99  Antwort: Alles Gesagte, der Vorstellung meiner Gegner nach falsch und ungereimt, ist dennoch wahr, im rechten Sinn verstanden. Derselbe Sohn ist Gott selbst, in einem jeden einzelnen von uns, und alles gibt er uns mit ihm und in ihm. Er ist es, durch den er alles wirkt, und 'nichts ohne ihn'. Ein Beispiel aus der Natur ist oben schon angeführt. Auch das Beispiel mit dem Altarsakrament leuchtet ein, wenn auch kein Vergleich gepreßt werden darf - denn im Sakrament des Altars wird ein Ganzes in ein Ganzes verwandelt, was bei uns nicht der Fall ist. Es folgt also daraus nicht, daß wir Gott seien, wie in Christus, dem Erstgeborenen, der Mensch Gott ist. Er ist das Bild und die Ähnlichkeit Gottes des Vaters, wir aber sind nach dem Bilde und nach der Ähnlichkeit und sind geschaffen.
[Vgl. I n. 142, II n. 71.136]

Vierzigster Artikel
100  (Ich dachte neulich) "ob ich etwas von Gott nehmen oder begehren wollte; ich will es mir gar sehr überlegen. Denn wenn ich von Gott empfangend wäre, so wäre ich unter ihm oder unterhalb seiner, wie ein Diener oder Knecht, und er wie ein Herr im Geben [32] So aber sollen wir nicht sein in dem ewigen Leben".
[Bulle 9, Votum 16; Vgl. Predigt Q 6; Auszüge auch in: I nn. 53, 54, 64, II nn. 89, 91, 93, 95, 98]
101  Antwort: Klar ist, daß im ewigen Leben Gott 'alles in allem' (1.) Kor. 15 sein wird. Noch mehr: wir Gläubigen sind alle mit Christus dem Erstgeborenen ein Leib (1.) Kor. 12. Eines Ganzen aber und seiner Teile Sein und Wirken ist eins. 'Wenn eines leidet, leidet alles mit', wenn eines sich freut, 'freuen sich alle.' Augustinus wagt sogar zu dem Wort: 'Ich heilige mich für sie', Joh. 17, die Erklärung: 'weil sie Ich sind [in praesenti]'. [33] Ein vollkommener Mensch ruht nicht außer und unter Gott. Er ist kein Knecht, Joh. 15: 'Nun nenne ich euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde'. Die Liebe kennt keine Rangstufung, wie Bernhard sagt, entweder findet oder schafft sie Ebenbürtige. Nach [dem Philosophen] (Aristoteles) gibt es zwischen Knecht und Herr keine Liebe. Denn Herr ist die Bezeichnung der Überordnung, Knecht die der Unterordnung. Deshalb heißt Gott 'unser Vater', 'Herr' aber in Bezug auf die Dinge, die unter dem Menschen sind. Matth. 11: 'Ich preise dich Vater, Herr des Himmels und der Erde.'

Einundvierzigster Artikel
102  Der einundvierzigste Artikel, aus der Predigt: 'Jede vorzügliche Gabe' lautet so: "Die Menschen, die sich Gott lassen und seinen Willen suchen mit allem Fleiße, was immer Gott den Menschen gibt, das ist das beste." (Sei dessen gewiß, so wahr Gott lebt, daß) "es vonnot das allerbeste sein muß und daß es keine Weise sonst geben könnte, die besser wäre. Wie es auch sei, daß dir ein anderes besser schiene oder besser wäre so wäre es dir doch nicht so gut. Denn Gott will diese und keine andere Weise." "Es sei Siechtum, Armut, oder was immer es sei, was Gott über dich eintreten läßt oder nicht läßt [34], das ist (dir) das allerbeste, es sei Andacht oder Innigkeit und was immer du habest oder nicht habest".
[Vgl. Predigt Q 4; Auszüge auch in: I nn. 50, 66, 73, 74, II nn. 104, 106]
103  Antwort: Man muß sagen, wer anders denkt, der liebt nicht wahrhaft Gott allein in allem und alles in ihm und ist auch nicht vollkommen gleichförmig dem göttlichen Willen, zumal etwas eben dadurch gut ist, daß Gott es will, und böse, daß er es nicht will. Augustinus sagt (Confessionum X): 'Dein bester Diener', Herr, 'ist jener, der nicht so sehr darauf achtet, das von dir zu hören, was er selber gern wollte, als vielmehr das zu wollen, was er von dir hört' [35].

Zweiundvierzigster Artikel
104  "Der Mensch soll den Nächsten lieben wie sich selbst," "nicht daß man ihn lieben soll zu dem Gute oder im Hinblick auf denselben Gott, im Hinblick auf den man sich selbst liebt, sondern man soll ihn so sehr lieben wie sich selbst, auf jede Weise".
[Vgl. Predigt Q 4; Auszüge auch in: I nn. 50, 66, 73, 74, II nn. 102, 106]
105  Die Lösung [geht] aus dem Gesagten [hervor]. Wer nämlich Gott allein in allem und alles in ihm liebt, der hat in dem einen kein Mehr oder Weniger, nach Matth. 10: 'Wer mehr liebt', 'ist meiner nicht wert'. Und weiter, wer Gott aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, mit dem ganzen Gemüte, mit all seinen Kräften liebt, für den gibt es sicherlich nichts, was er etwa außer Gott lieben könnte, wo es, im Bereich des Geschöpflichen, ein Mehr oder Weniger gibt. Denn in Gott ist kein 'Mehr' oder 'Weniger', wohl aber in der Kreatur. Daher heißt es bei Markus (12,30): 'du sollst deinen Nächsten lieben gleichwie dich selbst'. 'Gleichwie', heißt es, das bedeutet: ebenso sehr wie, und dieses Wort wird häufig bei Augustinus angeführt.
[Vgl. I n. 145]

Dreiundvierzigster Artikel
106  "Alle Kreaturen sind ein bloßes Nichts." "Was nicht Sein hat, das ist nicht; alle Kreaturen haben kein Sein [nulla creaturarum habet esse]: denn ihr Sein schwebt an der Gegenwärtigkeit Gottes. Kehrte sich Gott einen Augenblick ab, sie würden zunichte. Ich sprach gelegentlich und es ist auch wahr: Wer all die Welt nähme mit Gott, der hätte nicht mehr, als wenn er Gott allein hätte".
[Bulle 26, Votum 6; Vgl. II n. 79; Predigt Q 4; Auszüge auch in: I nn. 50, 66, 73, 74, II nn. 102, 104]
107  Antwort: Man kann nur sagen, dies leugnen heißt Gott lästern und verleugnen. Wenn nämlich das Geschöpf ohne Gott irgend ein Sein hätte, und wäre es noch so wenig, dann wäre Gott nicht Ursache aller Dinge, und das Geschöpf wäre gar nicht geschaffen. Denn Schöpfung ist Empfang des Seins aus nichts. Und weiter: Zwei besagt eine Teilung und ist die Wurzel aller Teilung [Rursus, duo divisionem dicit et radix est omnia divisionis]. Wenn somit Gott geteilt ist und mit irgend einem anderen eine Zweiheit ausmacht, dann ist dies Zweite kein Sein; denn Gott ist das Sein und ist unmittelbare Ursache alles Seins. Sodann, Gott ist der eine ohne Eins [deus est unus sine numero - Gott ist Eins ohne (jenseits der) Zahl] und ist über die Zahl erhaben, weshalb er nicht in eine Zahl eingehen kann mit einem Zählbaren. Da zeigt sich auffallend die Verstandeskürze und Beschränktheit derer, die obiges beanstanden. Zudem wäre Gott, wenn es nach ihnen geht, gar nicht das unendliche Gut, denn unendlich ist das, außerhalb dessen nichts ist. Endlich wäre dann das Geschöpf gar nicht gering zu achten, sondern liebenswert, weil in sich selbst und aus sich selbst gut.
[Vgl. I nn. 145, 150, II nn. 2, 30, 54, 111]

Vierundvierzigster Artikel
108  "Die Tugend, die der vollkommene Mensch hat, hat ihre Wurzel im Grunde der Gottheit versenkt und gepflanzt, wo allein sie ihr Sein und ihr Wesen hat".
[Vgl. Predigt Q 15; Auszüge auch in: I n. 56, II nn. 110, 111]
109  Antwort: Das ist wahr, nach dem Psalmwort: 'Der König der Tugenden ist der König der Herrlichkeit.' Thomas lehrt dasselbe I II, indem er die Tugenden einteilt in bürgerliche, reinigende, die der geläuterten Seele und vorbildliche. Und das ist auch, was der Apostel meint mit den Worten: 'In der Liebe verwurzelt und gegründet', und 'Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den hl. Geist', Röm. 5.
[Vgl. I n. 134, II n. 138]

Fünfundvierzigster Artikel
110  "Alles muß sich erfüllen in einem demütigen Menschen".
[Vgl. Predigt Q 15; Auszüge auch in: I n. 56, II nn. 108, 111]
Lösung wie früher.

Sechsundvierzigster Artikel
111  "Alle geschaffenen Dinge sind nichts in sich selbst".
[Bulle 26, Votum 6; Vgl. Predigt Q 15; Auszüge auch in: I n. 56, II nn. 108, 110]
Die Lösung wurde früher gegeben.

Siebenundvierzigster Artikel
112  Der nächste Artikel, aus der Predigt: 'Des Volkes, das in dir ist, wirst du dich erbarmen', lautet so: "Mein Leib ist mit meiner Seele vereinigt in einem Sein, nicht wie in einem Werk, wie meine Seele, die sich mit dem Auge einigt in einem Werk, nämlich daß ich sehe. Aber auch die Speise, die ich esse, die wird ein Sein mit meiner Natur, nicht nur vereint in einem Werke. Und das versinnbildlicht im Beispiel die große Einigung, die wir mit Gott haben sollen in einem Sein, nicht nur in einem Werk. Darum bat der Pharisäer unseren Herrn, daß er mit ihm esse".
[Vgl. Q 7, Predigt; I n. 70]
113  Antwort: Das ist wahr, fromm und erbauend, gemäß dem Wort Augustinus: 'Wachse, und du wirst mich verzehren: du wirst mich nicht in dich verwandeln wie die Speise deines Fleisches, sondern du wirst in mich verwandelt werden' [36]
[Vgl. I n. 148]

Achtundvierzigster Artikel
114  Der nächste Artikel, enthalten in der Predigt: 'Sie sind umgekommen durchs Schwert', lautet so: "Gott erkennt nichts denn allein Sein, er weiß nichts denn Sein." "Gott liebt nichts denn sein Sein, er denkt nichts als (sein) Sein".
[Vgl. Predigt Q 8; Auszüge auch in: nn. 116, 117]
115  Antwort: Es ist allgemein anerkannt, daß Gott alles in sich selbst und vermöge seiner Wesenheit erkennt und liebt, weshalb wir Sorge tragen sollen, die Liebe zu haben, durch die wir in Gott bleiben und Gott in uns; sodann daß wir Söhne Gottes seien, nach dem Wort: 'Er gab ihnen Macht, Söhne Gottes zu werden'. Denn der Sohn ist im Vater, und der Vater im Sohn. [Filius] Sohn hängt zusammen mit [philos] Freund, weil der Sohn aus Liebe, nicht aus Furcht handelt. Ferner, Sohn ist, wer außer Gott 'nichts hat', 'wo er sein Haupt hinlege', nach dem Beispiel der Taube, von der im 1. Buch Moses (8,9) erzählt wird, und gemäß dem Psalmisten (15,2): 'Mein Gott bist du, da du meiner Güter nicht bedarfst' - oder nach anderer Übersetzung: 'da mir nicht wohl ist ohne dich'. Desgleichen, Sohn ist, wer ein anderer wird, nicht ein anderes, und der nicht etwas von Gott Geschiedenes oder Gott Fremdes zum Vater hat, gemäß dem Wort: 'Ihr sollt niemand Vater nennen auf Erden: denn einer ist euer Vater' [37].
[Vgl. II n. 10]
116  Wenn der Artikel an zweiter Stelle sagt: "Ich sage: alle Kreaturen sind ein Sein" - so hat dies einen üblen Klang und ist, so gefaßt, falsch. Wahr ist, daß sie derart eins sind im Sein, wie sie eins sind in Gott, der das Sein ist, von dem alles ist und unmittelbar Sein hat. Daher soll der Mensch Sorge tragen, das Böse zu meiden, das ein Verlust an Sein ist und mithin Verlust an Wahrem und Gutem und somit außerhalb Gottes und der Gemeinschaft der Heiligen.
[Vgl. II nn. 78, 118; Predigt Q 8; Auszüge auch in: II nn. 114, 117]

Neunundvierzigster Artikel
117  "Ein Leben mag noch so gering sein, faßt man es, sofern es Sein ist, so ist es edler als alles, was je Leben gewann." [Quint] Und weiter unten: "Ich sprach zuweilen, daß ein Holz besser ist denn Gold. Das lautet gar wunderlich. Ein Stein ist edler, sofern er Sein hat, denn Gott und seine Gottheit ohne Sein, wenn man ihm das Sein wegnehmen könnte".
[Vgl. Predigt Q 8; Auszüge auch in: II nn. 114, 116]
118  Antwort: Unwissend ist, wer das verneint. Denn ohne Sein ist alles nichts, und sicherlich gäbe es weder einen Gott ohne Sein, noch wäre es dann Gott. Daher soll der Mensch gewissenhaft darauf achten, daß er die Sünde und das Böse meide, das ein Seinsverlust ist, wie oben gesagt.
[Vgl. II n. 116]

Fünfzigster Artikel
119  Der fünfzigste Artikel, entnommen aus der Predigt: 'Nun weiß ich wahrlich, daß Gott seinen Engel gesandt hat', lautet folgendermaßen: "Alles, was ist, ist Gott".
[Vgl. Predigt Q 3]
120  Antwort: Das ist falsch und verkehrt. Aber wahr ist, daß 'aus ihm, durch ihn und in ihm alles ist'. Und Tob. 10: 'Die in dir, dem Einen, alles besitzen'. Darum ist alles verächtlich außer Gott, er selbst aber liebenswert in allem und alles in ihm.

Einundfünfzigster Artikel
121  Der nächste Artikel, aus der Predigt: 'Jesus kam in ein Städtchen', lautet so: "Ich habe gelegentlich" von diesem Städtchen gesagt, "es sei eine Kraft in dem Geiste, die sei allein frei. Bisweilen habe ich gesagt, es sei eine Hütte des Geistes oder der Seele, bisweilen habe ich gesagt, es sei ein Licht des Geistes oder der Seele, bisweilen habe ich gesagt, es sei ein Fünklein. Ich sage aber jetzt, es ist weder dies noch das. Dennoch ist es etwas, was erhaben über dies und das, erhaben über Himmel und Erde ist. Darum nenne ich es nun in einer edleren Weise, als ich es je nannte - und es widersetzt sich doch auch dieser edlen Weise und ist darüber erhaben. Es ist von allen Namen frei, und von allen Formen bloß und ledig und frei zumal, wie Gott ledig und frei ist in sich selber. Es ist gar eins und einfältig, wie Gott einer und einfältig ist, daß man in keiner Weise da[hinein] zu lugen [vermag]".
[Vgl. Q 2, Predigt; I n. 69]
122  Antwort: Ich habe zu bemerken, daß in dieser Predigt, die mir schon vor langem einmal vorgehalten wurde, sich vieles findet, was ich niemals gesagt habe. Auch ist viel Sinnloses, Dunkles, Wirres und gleichsam Schlaftrunkenes darin, weshalb ich es ganz und gar von mir wies. Was aber die Sache anbelangt, die hier berührt wird, so ist wahr, daß Gott als die Wahrheit und in der Hülle des Wahren in den Verstand eingeht, als Gutheit und in der Hülle des Guten in den Willen, nach seiner bloßen Wesenheit endlich, die 'über alle Namen' erhaben 'ist', sich einsenkt in die bloße Wesenheit der Seele selbst, für die es auch ihrerseits keinen rechten Namen gibt und die höher ist als Verstand und Wille, wie eben das Wesen höher ist als die Kräfte. Und dieses (Wesen der Seele) ist das Städtlein, das Jesus betritt, als zwar mehr nach dem Sein als nach dem Wirken: indem er der Seele ein göttliches, gottförmiges Sein verleiht durch die Gnade, die sich auf das Wesen und Sein richtet, nach dem Wort: 'Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin.' Und das ist wahrhaft eine sittlich erbauende Lehre; denn sie leitet den Menschen an, allem zu entsagen und sich alles zu entblößen, arm zu werden, keine Liebe zum Irdischen zu haben und, sofern einer wahrhaft ein Jünger Christi sein will, Gott zu lieben ohne Weise und ohne Eigenschaft, sofern sie eine Weise in sich beschlösse.
[Vgl. Predigt Q 2; I nn. 69, 147, II nn. 12, 84, 124, 126, 128]

Zweiundfünfzigster Artikel
123  Der nächste Artikel, aus der Predigt: 'Jesus betrat den Tempel und trieb alle Verkäufer hinaus', sagt folgendes über die Vollkommenheit, zu der die Seele oder der Mensch in diesem Leben gelangen könne: "Dann ist der äußere Mensch gehorsam seinem inneren Menschen bis zu seinem Tod und ist dann in stetem Frieden, in dem Dienste Gottes allezeit".
[Vgl. Predigt Q 1; I n. 63]
124  Antwort: S. oben. Wer dies verneint, 'hat den Sinn eines Jünglings', wie der Philosoph sagt, und hat sich nicht selbst verleugnet.
[Vgl. II n. 126]

Dreiundfünfzigster Artikel
125  Der nächste Artikel, aus der Predigt: 'Ich will reines Wasser über euch ausgießen', lautet so: Die Seele geht aus sich selbst, und Gott tritt in sie ein, und da zeugt Gott seinen eingeborenen Sohn, da zeugt die Seele eine Wiedergeburt in Gott, das ist der heilige Geist.
126  Die Lösung ist aus früher Gesagtem klar. Und es ist eine sittlich erbauende Wahrheit, regt es doch den Menschen, der nach Gottes Bild ist, zur Liebe Gottes an, besonders da zwischen Liebenden und Geliebten ein beiden gemeinsamer Sproß erzeugt wird: jene Liebe, die die heilige Liebe und der hl. Geist ist - die Liebe, mit der Gott Vater sich selbst, den Sohn und uns liebt. Darauf bezieht sich die Stelle bei (1) Joh. (4,19): 'Laßt uns Gott lieb haben, wie auch er uns zuerst geliebt hat'.
[Vgl. II n. 124]

Vierundfünfzigster Artikel
127  Der nächste Artikel, aus der Predigt: 'Wie ein Morgenstern mitten im Nebel', lautet so: "Gott ist weder Gut noch Besser noch Bestes. Der da spräche, daß Gott gut wäre, der redete so unrecht, wie wenn er das Weiße schwarz hieße".
[Bulle 28, Votum 5; Vgl. Q 9, Predigt]
128  Antwort: Ja gewiß ist Gott, weil 'über alle Namen', womit wir ihn nennen könnten, darüber erhabener als Weiß über Schwarz. Und es ist nützlich, dies den Leuten zu erklären und vorzustellen, um ihnen die Erhabenheit Gottes nahezubringen, auf daß 'in seinem Namen sich beugen die Knie aller, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind'.
[Vgl. II n. 122]

Fünfundfünfzigster Artikel
129  Der nächste Artikel, aus der Predigt: 'In jenen Tagen gefiel Gott', lautet folgendermaßen: "Sankt Augustinus spricht: Gott ist der Seele näher, als sie sich selbst ist. Die Innigkeit oder Nähe Gottes und der Seele hat in Wahrheit keinerlei Unterscheidung [37] Denn jene selbe Erkenntnis oder Erkanntes, darin Gott selbst sich erkennt, die ist (eigentlich) jedes (des) abgeschiedenen Geistes Erkenntnis oder Erkennen oder Erkanntes".
[Vgl. II n. 131; Predigt Q 10; Auszüge auch in: II nn. 132, 134, 136, 137, 139]
130  Antwort: Wer immer von Gott geschieden ist, ist geschieden von dem Sein, von dem unmittelbar alles Sein ist.
[Vgl. II n. 61]
131  Und wenn es heißt: Gott erkennt sich selbst und wir ihn, so ist das nichts anderes, was der Apostel sagt: 'Dann werde ich erkennen, wie auch ich erkannt bin', (1.) Kor. 13, und was der Psalmist (35,10)sagt: 'In deinem Lichte werden wir schauen das Licht.' Denn alles erkennt man in seinem eigenen Bilde, nicht in einem fremden.
[Vgl. II nn. 46, 129]

Sechsundfünfzigster Artikel
132  "Der Mensch, der die rechte Meinung hat in allen seinen Werken - der Anfang seiner Meinung ist Gott selber und der Akt seiner Meinung ist dasselbe und ist lauter göttlicher Natur und endet sich in göttlicher Natur in ihm selber".
[Vgl. Predigt Q 10; Auszüge auch in: II nn. 129, 134, 136, 137, 139]
133  Antwort: Ja wahrlich, eines jeden guten Werkes und rechten Meinens Ziel und Ausgang ist nichts anderes als das lautere göttliche Wesen selbst. Wenn es aber heißt, daß der Akt dieser Meinung das göttliche Wesen selbst ist, so ist das nicht gut gesagt, sowohl weil der Akt vom Objekt verursacht ist und nichts sich selbst verursachen kann, als auch darum, weil der Akt das Geschöpf angeht; Gott aber Schöpfer ist.

Siebenundfünfzigster Artikel
134  "Die Seele wird wiedergeboren in Gott. So oft diese Geburt geschieht, so oft gebiert sie den eingeborenen Sohn. Darum sind der Söhne viel mehr, die die Jungfrauen gebären, als andere Frauen gebären; denn sie gebären über der Zeit in der Ewigkeit. Wie viele der Söhne auch sind, die die Seele gebiert in der Ewigkeit, so ist ihrer doch nicht mehr denn ein Sohn; denn es geschieht über der Zeit in dem Tag der Ewigkeit".
[Vgl. Predigt Q 10; Auszüge auch in: II nn. 129, 132, 136, 137, 139]
135  Antwort: Ich kann nur sagen, daß die Wahrheit dieser Behauptungen hervorgeht aus Gal. 4 und Is. (54,1): 'Mehr Kinder hat die Einsame als des Mannes Frau'. Origenes lehrt darüber schön und verständlich in der Glosse zu: 'Inventa est conjuratio', Jer. 11, und Augustinus an einer Stelle: 'Sofern wir solchermaßen das Ewige erkennen, sind wir bereits nicht mehr in der Welt', und an einer anderen Stelle sagt er, daß die 'gut getanen Werke' in Gott [facta] 'Söhne sind', Kinder und Sprößlinge der [geheiligten] Seele [partus et proles sunt animae sanctae]."
136  Und wenn es heißt: 'Wie viele der Söhne auch sind, die die Seele gebiert in der Ewigkeit, so ist ihrer doch nicht mehr denn ein Sohn', so muß man sagen, daß sicherlich sowohl die Werke als auch deren Träger durch den einen Sohn, der Gott ist, Söhne Gottes sind. Er 'das Bild', wir Söhne 'nach dem Bilde'. Er die Ähnlichkeit, wir 'nach der Ähnlichkeit'. Er Sohn der Natur nach, wir durch Annahme, 'umgestaltet in jenes nämliche Bild', 'auf daß er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern'. Er 'der Erbe', wir 'Miterben', sofern wir Söhne und Glieder seiner selbst sind, weshalb er der einzige Erlöser ist.
[Vgl. I n. 130, II n. 99; Predigt Q 10; Auszüge auch in: II nn. 129, 132, 134, 137, 139]

Achtundfünfzigster Artikel
137  "Dem Menschen ist gar recht, der in Tugenden lebt; denn ich sprach vor acht Tagen, daß die Tugenden in Gottes Herz seien."
[Vgl. Predigt Q 10; Auszüge auch in: II nn. 129, 132, 134, 136, 139]
138  Das ist wahr, wie oben von den vorbildlichen Tugenden auseinandergesetzt wurde.
[Vgl. I n. 134, II n. 109]

Neunundfünfzigster Artikel
139  "Der Mensch soll so leben, daß er eins sei mit dem eingeborenen Sohne und daß er der eingeborene Sohn sei. Zwischen dem eingeborenen Sohne und der Seele ist (dann) kein Unterschied." [e1]
[Vgl. Predigt Q 10; Auszüge auch in: nn. 129, 132, 134, 136, 137]
140  Antwort: Der Artikel enthält dreierlei: Erstens, 'daß der Mensch so leben soll, daß er eins sei in dem eingeborenen Sohne', ist wahr. Denn der Mensch soll in der Liebe leben. 'Wer aber in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott' (1.) Joh. 4, und weiter (1. Joh.) 5: 'daß wir in seinem wahren Sohn seien'.
141  Zweitens wird ausgesagt, daß 'er selbst der eingeborene Sohn sei'. Wenn das dahin verstanden wird, daß ich Gott sei, so ist es falsch. Wenn es aber richtig verstanden wird, nämlich daß ich er - weil ein Glied von ihm - bin, so ist es wahr, wie Augustinus häufig lehrt. [Oder] die Stelle: 'Ich heilige mich für sie' Joh. 16 (17,19), [wo] er sagt: 'Weil sie Ich sind'.
[Vgl. I nn. 130, 132, II n. 37]
142  Drittens besagt der Artikel, daß 'zwischen dem eingeborenen Sohne und der Seele kein Unterschied' sei. Man muß sagen, daß dies wahr ist. Denn wie könnte wohl etwas weiß sein, wenn es von der Weiße verschieden oder geschieden wäre? Und wiederum, Materie und Form sind eins im Sein, Leben und Wirken, und doch ist darum die Materie nicht die Form oder umgekehrt. Ebenso verhält es sich hier: Obgleich die heilige Seele mit Gott eins ist, nach Joh. 17: 'Auf daß sie in uns eins seien, so wie auch wir eins sind', so ist doch das Geschöpf nicht der Schöpfer, noch ist der gerechte Mensch Gott.
[Vgl. II n. 30]
143  Auch darf man nicht glauben, daß die Gerechten jedesmal durch einen anderen Gottessohn Gottes Söhne seien, sondern sie sind es so, wie alle Guten durch ein und dieselbe Güte gut sind, unter Wahrung des Analogieverhältnisses. Und so wie Gott wesenhaft einer ist in allem, so ist auch Gott Sohn in allen angenommenen Söhnen, und diese sind durch ihn und in ihm Söhne, in analoger Weise, wie oben vielfach dargetan wurde.
[Vgl. I nn. 82, 114, 129, 137]
144  Ein Beispiel dessen liegt vor bei den Bildern, die von dem einen Angesicht des Beschauers in vielen Spiegeln entstehen: auch da sind alle jene Bilder - sofern sie eben Bilder sind von dem einen Urbild, das das Angesicht des Beschauers selbst ist. Und keines von ihnen entstand noch bleibt vorhanden außer durch dieses Urbild und in ihm, weshalb der Apostel bedeutungsvoll sagt: 'Wir sind Miterben Christi', Röm. 8. Er nämlich ist, was er war, Erbe, und 'bleibt im Hause ewiglich', Joh. 8, weil er der Sohn von Natur ist. So bleibt auch das Urbild oder die Gestalt vor den Spiegeln immer, solange ihre Natur bleibt. Denn von Natur bedeutet von Geburt aus und zufolge der Geburt. Daher sind wir Erben des Reiches, nicht insofern wir viele und unterschiedliche Söhne sind, sondern sofern wir von ihm, durch ihn und in ihm, dem Sohne, sind, nach Joh. 8: 'Wenn der Sohn euch frei macht, werdet ihr wahrhaft frei sein', und Joh. 17: 'Ich in ihnen und du in mir, auf daß sie vollendet seien in eins'.
145  Man darf also nicht meinen, daß zwei verschiedene Söhne seien: auf der einen Seite der Sohn, durch den Christus Sohn ist, auf der anderen Seite der, durch den wir Söhne Gottes heißen und sind, sondern dasselbe und derselbe Sohn, der Christus von Natur ist, sind wir analogerweise, die Söhne Gottes, und indem wir ihm, dem Erbenden anhangen, sind wir seine Miterben. Auch darf man nicht glauben, daß er, der Gott und Gottes Sohn ist, gleichsam etwas außer uns oder von uns Geschiedenes sei, zu dem wir uns so verhielten, wie die Spiegelbilder zum Urbild, sondern er selbst, weil einziger, ungeteilter Gott, ist seiner Wesenheit nach einem jeden von uns zuinnerst und zunächst: 'In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir', Apg. 17 [38]
  Explicit.

Notandum


146  Zum Schluß möchte ich bemerken: Wie in jedem einzelnen der Artikel, die ich gepredigt, gelehrt und geschrieben habe, die Unwissenheit und Beschränktheit derer zum Vorschein kommt, die solches zu entstellen trachten, so erhellt auch aus den obigen Erklärungen die Wahrheit dessen, was ich gesagt und geschrieben habe.
147  Der Irrtum der Gegner liegt zunächst darin, daß sie alles, was sie nicht verstehen, für verkehrt halten und wiederum das Verkehrte für eine Ketzerei - während doch nur das hartnäckige Festhalten an einem Irrtum die Ketzerei und den Ketzer ausmacht, wie das Recht und die Lehrer sagen.
[Vgl. I nn. 106, 128]
148  Zweitens, daß sie, mit dem Anspruch, als Inquisitoren gegen die Häresie zu gelten, sich an meine Schriften heranmachen und Dinge beanstanden, die ganz und gar natürlich sind.
149  Drittens, daß sie als Ketzereien bekritteln, was der hl. Thomas ganz offen in den Lösungen zu gewissen Beweisgängen ausführt - die sie freilich nicht kennen oder nicht in Erinnerung haben, so über die Unterscheidung und den Begriff der Univoca, Aequivoca, Analoga und ähnliches.
[Vgl. I nn. 109, 110]
150  Viertens, daß sie mir als Unrecht entgegenhalten, was ich als Zitate Ciceros [Tullii], Senecas [und] der Glosse Origenes' anführe, z. B. über den göttlichen Samen in der Seele und über die Stelle 1 Joh. 3: 'Wer aus Gott geboren ist, sündigt nicht, weil ja sein Same', Gottes nämlich, 'in ihm bleibt'.
[Vgl. I n. 102]
151  Fünftens, daß sie verschiedenes als irrig beanstanden, was allgemeine Sentenz der Lehrer ist, z. B. daß der äußere Akt aus sich keinerlei sittliche Güte besitzt und mithin zur Güte des inneren Aktes nichts hinzufügt, es sei denn per accidens (aus besonderem Umstand). Desgleichen, indem sie meinen, es gebe für Gott zweierlei Jetzt der Ewigkeit, eines, in dem er sei, ein anderes, in dem er schaffe, unbeschadet der Wahrheit, daß die Welt in der Zeit geschaffen ist; denn sie wissen nicht, was Augustinus über Gott sagt: 'Alles Morgige und darüber, alles Gestrige und zurück wirkst du heute, hast du heute gewirkt. Was kann ich dafür, wenn einer das nicht versteht?'.
[Vgl. I nn. 94, 120, 124, II nn. 2, 73]
152  Sechstens, daß sie selbst in ihrer Kritik gewisse falsche, häretische Ansichten aufstellen, z. B. daß der Mensch nicht könne mit Gott geeint werden, im Widerspruch mit der Lehre Christi und des Evangeliums, Joh. 17: 'Du Vater, in mir und ich in dir, auf daß auch sie in uns eins seien'.
[Vgl. I n. 98, 129]
153  Siebentens, daß sie behaupten, das Geschöpf oder die Welt sei in sich, außer Gott betrachtet, nicht ein Nichts, was gegen das Evangelium ist, Joh. 1: 'Alles durch ihn Gemachte ist, und ohne ihn ist das Gewordene ein Nichts'. Zudem ist es offenbare Gotteslästerung zu sagen, daß die Welt in sich und aus sich kein Nichts, sondern wenigstens ein geringes Etwas sei.
[Vgl. I n. 150]
154  Achtens, daß sie die Lehre bekritteln, wonach ein gottförmiger Mensch die Werke Gottes wirke, im Widerspruch zur Lehre Christi und des Evangeliums, Joh. 14: 'Wer an mich glaubt, der wird die Werke, die ich tue, auch tun und wird Größeres tun als dies'. Desgleichen, indem sie von gottförmigen Menschen leugnen, daß durch die Liebe, wenn aus Liebe gewirkt, Sein erhalte, was ohne Liebe nichts ist; im Widerspruch zur Lehre des Apostels 1 Kor. 13.
[Vgl. I nn. 94, 135]
  Das möge für jetzt genügen.

Anmerkungen
  Bei den folgenden Stellen handelt es sich entweder um eine Übersetzung Karrers, wobei sich nicht immer die lateinische Entsprechung dazu finden läßt, oder es sind Anmerkungen von ihm [meine eigenen habe ich mit 'Anm.' gekennzeichnet]:

19  "und wer um etwas (außer Gott) bittet, dem wird nichts"
20  "Wer Gott sucht, also das, was wahrhaft ist, der findet ihn wahrhaft. Wer aber in Gott sucht, was er nicht ist, der findet ihn nicht, weil er sucht, was nicht ist; er sucht also nichts und findet nichts. Es sucht aber in Gott, was er ist, wer ihn rein in sich selbst und lauter um seiner selbst willen sucht. Gott ist ja um keines fremden Zweckes willen. Wer also Gott um irgend eines fremden Zweckes willen sucht, der sucht gewiß, was nicht ist, d. i. das reine Nichts. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wenn er nichts findet." (Dieser Zusatz ist nachträglich in die Hs. eingefügt - s. Acta n. 46 - L. Sturlese, [Sturlese, Responsio, S. 323, zu Z. 19]).
21  "Was immer Gott wirkt und lehrt, das wirkt er alles in seinem Sohne."
22  "Hds. hast du dich selber lieb, so liebst du"
23  "[Ich spreche:] ihnen ist unrecht, es ist unvollkommen. [...]"
24  "in seinem lauteren Sein"
25  "Gottes 'Auge' ist seine Wesenheit, und nur durch diese kann ihn (mein Auge) schauen; und das Schauen Gottes ist seine Wesenheit, ohne die niemand ihn schauen kann."
26  "Gott ist das Sein, ganz und gar das erste, reine, vollkommene, unendliche. Ihm kommt es zu, daß er in allem und überall und in den Teilen von allem derjenige ist, von dem alles, durch den alles, in dem alles ist."
27  "'habe lieb': Menschengut ist das Allgemeine"
28  "Anm.: patet = es ist offenbar. Ut kann wie heißen; gemeint sind Aristoteles und Averroes; ex heißt aus. Karrer: 'wie aus dem Philosophen (Aristoteles), seinem Ausleger (Averroes) und Augustinus erhellt'. Da ziehe ich die lateinische Fassung vor. Sie hört sich einfach schöner an."
29  "Anm.: An dieser Stelle muß ich Denifle Recht geben, wenn er sagt, daß Eckhart unsauber argumentiert."
30  "Hds. das soll auch ihr wieder sein, Fremdes und Fernes"
31  "Alle Liebe dieser Welt ist gebaut auf Eigenliebe. Hättest du diese gelassen, so hättest du die ganze Welt gelassen."
32  "Hds. so wäre ich unter Gott wie ein Knecht unter seinem Herrn hinsichtlich des Gebens"
33  "Desgleichen, des einen Leibes Haupt ist Christus, und was dem Haupte zukommt, kommt allen Gliedern zu, und was einem Gliede zukommt, kommt jedem Gliede zu. Auf den vorliegenden Fall angewandt:"
34  "Hds. verhängt oder nicht verhängt oder was dir Gott gibt oder nicht gibt"
35  "Der Wille Gottes kann in jedweder Sache nicht besser gesucht und bewahrt, nicht wahrhafter und sicherer gefunden werden als - in Gottes Willen selbst, gemäß diesem Artikel. Denn Gott wird nirgends sicherer gesucht, nirgends in diesem Leben unmittelbarer gefaßt, nirgends inniger ins eigene Wesen aufgenommen, nirgends sicherer und gerader als Zuflucht gefunden in einer Not, nirgends zuversichtlicher erfleht; nirgendwo kann der Mensch sicherer sterben und niemandem sich verläßlicher anheimgeben. Der Wille Gottes ist seine Macht, kraft deren er alles, was ihm gefällt, dem Flehenden gibt, was immer er will, wem, wann, wie und in welchem Maße er will. Er ist reich, weil er alles hat; weise, weil er alles weiß; treu, weil er dem, Hunger, geschehen der ihm fest vertraut, so tut wie sich selbst. Alles. was man in diesem Willen wahrhaft erbittet, wird aufs sicherste erhört. Denn der Wille Gottes ist Gott selbst in all seiner Güte. Wer sich in Gottes Willen gibt, hat seinen Platz über allem Geschaffenen und Schaifbaren und steht darum fest und gesichert in Gleichmut, weil in diesem Willen alles gleich ist. Er steht in Freiheit, steht in wahrem Frieden und Sicherheit, weil nichts Verwirrendes oder Drückendes hier nahen kann. 'Nicht wird dir nahen ein Übel, und Züchtigung wird nicht kommen in den Bereich deines Zeltes.'" (Dieser Zusatz ist nachträglich in die Hs. eingefügt - s. Acta n. 46 - L. Sturlese, [Sturlese, Responsio, S. 342/43, zu Z. 22]).
36  "Diese Einigung also soll der Mensch angelegentlich suchen und danach streben. Denn sie ist im Innersten und ist fest; die Einheit im Wirken jedoch ist hinieden gleichsam äußerlich im Vergleich zu dieser und ist nicht beständig. Der Grund davon ist: die Einheit beruht auf dem Sein, auf dem Einssein mit Gott, und dieses gründet auf Gott, der allein eigentlich und wahrhaft ist. Darum kann da auch keine Scheidung statthaben. Aber die Einigung im Werk beruht auf dem Sein des Geeinten, d. h. auf der Ähnlichkeit mit Gott, die nicht Gott selbst ist; und darum ist da keine bleibende Stätte, gemäß dem Wort: 'Der Knecht bleibt nicht im Hause, der Sohn aber bleibt immerdar.' Der 'Knecht' ist der Mensch, der in Gleichnis und durch Gleichnis wandelt, der 'Sohn' aber der Mensch, der mit Gottes Sohn eins geworden." (Dieser Zusatz ist nachträglich in die Hs. eingefügt - s. Acta n. 46 - L. Sturlese, [Sturlese, Responsio, S. 345, zu Z. 2]).
37  "Hds. Die nahet Gott, die ihn hat in der Wahrheit, in dem Leben, kein Unterschied ist"
38  "Paulus, der hl. Apostel und wahrhafte Christ, spricht das Wort: 'Ich lebe, nicht mehr ich, sondern es lebt in mir Christus.' 'Christ' heißt man von Christus. Wenn Paulus sich selbst lebte und dem Geschöpflichen, und wenn er selbst und das Geschöpf in ihm lebte, so wäre er freilich tot und lebte nicht wahrhaft. Denn das Geschöpfliche ist des Todes, nicht des Lebens Grund. Wenn er aber sich selbst tot war und alles Geschöpfliche in ihm gestorben, dann lebte Christus allein in ihm und war sein Leben. Darum sagte er treffend: 'Nicht mehr ich' etc. Das wahre Leben ist ein einiges Leben der Christen und zuinnerst jedem Gliedleben. Christus allein, das Leben des wahren Christen, ist ihm Zuinnerst und nicht geschieden oder abständig von ihm. Denn wie sollte Christus auf Entfernung von ihm in ihm leben und er in ihm? Es ist eine doppelte Lesart möglich: 'Vivo ego jam, (non ego)', d. h. 'nun lebe ich': Denn früher, da Christus, das Leben, von ihm entfernt war, da hatte er noch nicht gelebt; aber jetzt, da er in ihm war, lebte er durch ihn. Und die andere Lesart wäre: 'Vivo ego, jam non ego'; d.h. 'ich lebe, nicht mehr ich': nämlich nicht mehr der Sohn eines bloßen Menschen oder der Kreatur, sondern Gottes, darum ein Christ, der schon vergöttlicht ist und Christo innigst geeint, schon gewissermaßen Christus geworden durch die Gnade der Adoption. Weshalb auch Christus über Johannes zu Maria sagen konnte: 'Frau, siehe deinen Sohn!' Maria hatte keinen andern Sohn als Christus, wie auch in der Gottheit der Vater keinen andern Sohn hat noch haben kann; woraus sich als Sinn ergibt: Johannes, Marias Sohn, nicht ein anderer, nicht ein getrennter oder geschiedener gegenüber Christus, sondern durch Christus gewissermaßen Christus geworden. Und so bei jedem wahren Christen." (Dieser Zusatz ist nachträglich in die Hs. eingefügt - s. Acta n. 46 - L. Sturlese, [Sturlese, Responsio, S. 351, zu Z. 12/13]).

Eigene Anmerkung
  Diese wurde notwendig, weil mich Predigt 52 dazu zwingt. S. dort!

1  "Homo] in marg. add. Nota bene Sp, item add. Nota bene Sc, in marg. inf. not. Nota. Vera paupertas est simplex puritas animae quae nihil habet nec vult habere nisi deum pure in se, nihil extra ipsum nec aliquid cum ipso nec iuxta ipsum, eum solum et omnia in ipso, ab ipso et propter ipsum. Hic est proprius locus dei, quia non potest carere deo nec esse sine deo. Unde 'beati pauperes (beati pauperes sublin.) spiritu, quoniam ipsorum est regnum caelorum' (= Matth. 5,3). 'Est' dicit, non: 'erit'. Impossibile est verum pauperem esse sine deo. Vide, quod vera paupertas non solum [non solum] abicit, quod habet, sed etiam voluntatem habendi simpliciter. (seq. litura) Oculum habet ad solum deum pure in se, non ad aliquid aliud (seq. litura) omnino. Unde non quaeret mercedem aliquam, nec deum ipsum in ratione mercedis, sed deum in se pure et propter se tantum, unde nec in deo quaerit aliquid sui, sed solam gloriam dei. De ista, Sap. 'in simplicitate cordis quaerite ilium' (= Sap. 1,1), in corde sine plica. Propter quod optime dicitur: 'ermude: ere des germuedes' (..)" [Sturlese, Responsio, S. 351] - s. Acta n. 46
  "Die wahre Armut ist die einfaltige Lauterkeit der Seele, die nichts hat noch etwas haben will in sich außer Gott in ganzer Lauterkeit, nichts außer ihm noch irgend etwas in ihm noch bei ihm, ihn allein in ihm, von ihm und wegen ihm. Dies ist der eigentliche Ort Gottes, weil sie [die Armut] Gottes nicht entbehren noch ohne Gott sein kann. Daher 'Selig sind die Armen im Geiste, denn ihnen ist das Himmelreich'. 'Ist', sagt er, nicht 'wird sein'. Unmöglich ist, daß ein wahrer Armer ohne Gott sein kann. Und dies, weil die wahre Armut nicht nur wegwirft, was sie hat, sondern auch schlechterdings den Willen, (etwas) zu haben. Sie hat einzig den Willen zum alleinigen Gott in sich, nicht zu etwas anderem überhaupt. Und sie sucht nicht irgendwelchen Lohn, auch Gott selbst nicht hinsichtlich des Lohnes, sondern Gott ganz lauter in sich selbst und um seinetwillen so sehr, weshalb sie in Gott nicht irgend etwas des ihren sucht, sondern allein die Ehre Gottes. Darüber im Weisheitsbuch: 'In der Einfalt des Herzens sucht ihn' (Sap. 1,1) oder: 'In der Lauterkeit des Herzens', weswegen überaus treffend ermut 'ere des gemüetes' genannt wird." [Ruh, Eckhart, S. 157 f.] [19.1.08]

1  Diese Seite erscheint entgegen meiner sonstigen Gepflogenheit nicht als Kopie des Originals (s. Verfahrensweise). Karrers Übersetzung bildet die Grundlage dieser HTML-Edition, wobei ich mir einige Freiheiten erlaubt habe. Ich bin kein Lateiner. Der dargebotene Text möge also als 'Transitional' einer noch zu erfolgenden Übersetzung im Rahmen der lateinischen Werke verstanden werden.
  Die Angaben in eckigen Klammern zu den Predigten Q 1 bis Q 16a entstammen denen von Quint zu den einzelnen Predigten und von Sturlese nach seinem "Appendix IV. Die inkriminierten Stellen aus den Predigten und ihre Quellen" in LW V, S. 521-523 (s. Acta n. 48).
  Beide Listen sind so ansprechbar wie der Processus coloniensis I und II. Ein Verweis auf die erste Liste wie Proc. col. I. n. 14 entspricht dem Link http://www.eckhart.de/index.htm?karrer.htm#n14 und einer auf die zweite Liste wie Proc. col. II. n. 137 dem Link http://www.eckhart.de/index.htm?karrer2.htm#n137.