Häresie

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F. v. Raumer, Bettelmönche
E. Winter, Ketzerschicksale

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Katharer
Cluniazenser
Patarener
Waldenser

Allgemeine Entwicklung
Arnaldo da Brescia
Edikt von Padua


Swie vil der ketzer lebene sî,
ir keiner stât dem andern bî;
geloubeten s' alle gelîche,
si twungen alliu rîche.

Die kristen strûchent sêre
nâch der ketzer lêre,
die hânt sô maneger hande leben.
man möhte den heiden fride geben,
unz man ez hie geslihte
und dar nâch jenez berihte.

Freidank, S. 36/37
Wie groß der Ketzer Zahl auch sei,
sie glauben all' verschiedenerlei.
Wär' aller Ketzer Glauben gleich,
sie unterwürfen jedes Reich.
26,4
Es zieht so manches Christen Sinn
zu ketzerischen Lehren hin,
die schillernd und verführerisch.
Macht lieber hier erst reinen Tisch,
dann wendet euch den Heiden zu;
jetzt laßt sie besser noch in Ruh'.
Freidank 26,8
[28.11.04]

Allgemeine Entwicklung

  Die Häresie beginnt im 10. Jh. in Bulgarien mit der Lehre der Bogomilen, die als neumanichäisch (s. Manichäismus) bezeichnet wird.
  Die Anhänger dieser Lehre lehnten den Reichtum und die irdischen Güter ab und betrachteten die Armut als höchste Tugend; einige von ihnen negierten auch das Privateigentum. Sie verwarfen ebenso den kirchlichen Kult, die Sakramente, die Reliquien, die Ikonen und das Kreuz; Kirchen und Klöster hielten sie für Fronhöfe des Teufels. Nach der Eroberung Bulgariens durch Byzanz nahmen die Bogomilen aktiv an den Aufständen gegen die Machthaber teil. Deshalb und wegen ihrer Lehre wurde das Anathema (der Kirchenbann) gegen sie ausgesprochen, sie wurden ins Gefängnis geworfen, deportiert, ihre Führer auf dem Scheiterhaufen verbrannt und ihr Eigentum konfisziert. [Grigulevic, S. 64 f.] Ihre größte Verbreitung erreichten sie im 12./13. Jh. in Bulgarien und Bosnien und hielten sich bis zum Ende des 14. Jh. auf dem Balkan und in Kleinasien. [VoL 2, S. 317]
  Im 11. Jh. erhob sich eine neue Welle häretischer Bewegungen in Italien und Frankreich, die in erster Linie gegen das Papsttum und die kirchliche Hierarchie gerichtet war und die Rückkehr zu den Traditionen des Urchristentums predigte. Die Häretiker forderten die strenge Einhaltung des biblischen Gebots: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." Ihre Anhänger waren Bauern und Handwerker. [Grigulevic, S. 65]
  So trat zu Beginn des 11. Jh. in einem Dorf der Champagne ein Bauer namens Leuthard auf, der in der Kirche das Kruzifix zerschlug, die Zehntzahlung für überflüssig erklärte und Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen in Büchern des Alten Testaments äußerte. Als der zuständige Bischof gegen ihn vorging, brachte er sich selbst um. 1022 entdeckte man Häretiker, unter denen sich diesmal auch gebildete Geistliche befanden, in Orléans und Toulouse; die Anhänger dieser Bewegung "bekannten sich offensichtlich zur Lehre der Manichäer" [Grigulevic, S. 67]), die verbrannt wurden. Drei Jahre später mußte sich eine Synode in Arras mit Ketzern auseinandersetzen, denen ein Italiener die Lehren übermittelt hatte. Sie lehnten ebenfalls die kirchlichen Sakramente ab, kritisierten die Habsucht des Klerus und wollten entsprechend den apostolischen Normen der Welt entsagen sowie von ihrer Hände Arbeit leben. (Eine Häresie ähnlichen Charakters verbreitete sich ebenso in Deutschland, und zwar im Raum von Köln und Bonn [Grigulevic, S. 67]). In den vierziger Jahren des 11. Jh. faßte man erneut ketzerische Bauern in der Champagne. Außerdem wurden 1028 in Oberitalien in der Burgsiedlung Monteforte bei Turin Ketzer entdeckt, die überwiegend adliger Herkunft waren. [AGM, S. 272] [17.3.00]

Patarener
  Die Empörung über das Verhalten der kirchlichen Hierarchen, deren Käuflichkeit und Lasterhaftigkeit zeigte sich auch in der Bewegung der Patarener in Mailand. [Grigulevic, S. 69] Diese von der breiten Masse der Stadtbevölkerung getragene Bewegung war 1057 durch das Wirken zweier Geistlicher, des Ariald und des hochadligen Capitane Landolf, ausgelöst worden. [AGM, S. 271] Die Pataria verurteilten die Simonie sowie die Anhäufung von Reichtümern durch die Kirche, und sie forderten die Ehelosigkeit des Klerus. Sie vertrieben den Erzbischof und schlossen die Kirchen. Am Anfang unterstützte der Papst Alexander II. sie (im Rahmen der kirchlichen Reformbestrebungen), später wandte er sich ab. Der Diakon Ariald wurde vom Klerus ergriffen und umgebracht. Die Patarener wurden verfolgt und aus Mailand vertrieben (1075). [Grigulevic, S. 69]
  Bei der Unterdrückung dieser Bewegungen fanden erstmalig Massenhinrichtungen von Häretikern durch Verbrennung statt. 1022 in Orléans waren es zehn Ketzer, in Köln und Bonn in unbekannter Zahl und 1034 in Mailand der Gerardo de Monteforte und viele seiner Anhänger. Im 11. Jh. wurde die Hinrichtung von Ketzern in den Ländern Europas zu einer gewohnten Erscheinung. [Grigulevic, S. 68]
  Wenn die dualistische Ketzerei während der zweiten Hälfte des 11. Jh. im Einflußbereich der römischen Kirche offenbar an Bedeutung verlor, so hängt das wahrscheinlich mit der Popularität der Forderungen nach einer Kirchenreform in jenen Jahrzehnten zusammen. [AGM, S. 272] [17.3.00]

Cluniazenser
  Die Reformbestrebungen wurden dabei von einzelnen Klöstern und Äbten unterstützt wie z.B. durch die Cluniazenser (so benannt nach dem Kloster Cluny, gegründet um 910, in Frankreich), die sich gegen die weltliche Investitur kirchlicher Hierarchen wandten, die diese zu Vasallen (s.a. Lehnswesen) weltlicher Herren machte; sie verurteilten die Simonie, die nach einem Ausdruck des Papstes Gregor VII. die Kirche zu einer Prostituierten im Dienste des Teufels machte. Sie prangerten die Verwilderung der Sitten und die Gier nach weltlichen Reichtümern bei den Klerikern und Mönchen an und forderten eine Reform der Klöster auf der Grundlage einer strengen Regel, deren Unabhängigkeit von der weltlichen Feudalität (vom Eigenkirchenwesen) und der lokalen Weltgeistlichkeit, die strenge Einhaltung der Ehelosigkeit der Mönche, Demut, Gehorsam und den Verzicht auf persönliches Eigentum. Die cluniazensische Reform wurde vom hohen Adel unterstützt, der seinerseits die ihr zugehörigen Klöster seinem Einfluß unterzuordnen suchte. So gerieten viele reformierte Klöster in Abhängigkeit von örtlichen Herren, die sie mit Boden- und Waldschenkungen bedachten. [Grigulevic, S. 69 f.]
  Gegen Ende des Jahrhunderts entstanden neue Mönchsorden wie die Prämonstratenser, die Zisterzienser oder die Karthäuser, wobei letztere sich durch strenge Regeln auszeichneten, insbesondere der Karthäuserorden. [Grigulevic, S. 70]

  Anfang des 12. Jahrhunderts predigten in Südfrankreich Peter von Bruis und Heinrich der Mönch, die die kirchlichen Sakramente, die Kindertaufe, die Verehrung des Kreuzes und das Alte Testament ablehnten. Zu dieser Zeit lehrte der Theologe Peter Abälard in Paris, der in seiner Schrift "Sic et non" ("Ja und Nein", 1122) der Vernunft den Vorrang vor dem Glauben gab und das Recht der Gläubigen verkündete, auch kirchliche Autoritäten anzuzweifeln. Das rief Bernhard von Clairvaux auf den Plan, der in einem Bericht nach Rom über ihn schrieb, daß

"dieser sich gottlos in Bezug auf den Glauben ausgedrückt hat; er untergräbt die Unerschütterlichkeit des Glaubens und die Reinheit der Kirche; er überschreitet die Grenzen, die unsere Väter gesetzt haben, wenn er vom Glauben, den Sakramenten und der heiligen Dreifaltigkeit schreibt und über sie urteilt (...) In seinen Büchern zeigt er sich als Vater der Lüge und als Schöpfer verdrehter Lehren; er erweist sich als Häretiker nicht so sehr in seinen Verirrungen als vielmehr in der Hartnäckigkeit bei der Verteidigung seiner Fehler. Er ist ein Mensch, der seinen Glauben verletzt und die Kraft des christlichen Kreuzes und die Weisheit des Wortes vernichtet".


  Zwei französische Synoden, abgehalten in Soissons (1121) und Sens (1140), verurteilten Abälard. Papst Innozenz II. verpflichtete ihn als Häretiker zu "ewigem Schweigen" und zur Einschließung in ein Kloster; er ordnete an, daß seine Bücher, "wo immer sie auch gefunden würden", dem Feuer übergeben werden sollten. (Hervorhebung von mir). [Grigulevic, S. 78 f.] [17.3.00]

Arnaldo da Brescia
  Ein Schüler und Anhänger Abälards, der Italiener Arnaldo da Brescia (~1100-1155) trat in seiner Heimat mit einer scharfen Kritik an der kirchlichen Hierarchie hervor, wofür ihn das 2. Lateranische Konzil 1139 verurteilte und zur Flucht zwang. 1147 wirkte er wieder in Rom, wo vier Jahre zuvor eine Erhebung gegen die päpstliche Stadtherrschaft ausgebrochen und ein Senat eingesetzt worden war, als Prediger und Agitator gegen die Ausübung weltlicher Besitz- und Herrschaftsrechte durch die Kirche und forderte, daß dem Papst die weltliche Macht genommen und die Kirchengüter zugunsten der Kommune konfisziert werden sollten. Außerdem sollte das Episkopat (das Amt des Bischofs bzw. das Bischofstum als solches bzw. eine Gruppe von ihnen) abgeschafft und die Geistlichkeit enteignet werden. Daraufhin verhängte Papst Hadrian IV. das Interdikt über Rom. Von Kaiser Friedrich I. Barbarossa gefangengenommen, wurde er an Hadrian ausgeliefert und gehängt. Seine Leiche wurde verbrannt und die Asche im Tiber verstreut.
  Zeitgleich berichtete der Probst Everwin von Steinfeld über Häretiker in Lüttich und Köln, die die kirchlichen Sakramente und teilweise auch die Ehe ablehnen. In einem 1143/44 verfaßten Brief berichtete er außerdem, daß es bei ihnen eine Einteilung in als Prediger wirkende "Erwählte" (electi), die häufig auch als "Vollendete" (perfecti) bezeichnet werden, in "Gläubige" (credentes) und "Hörer" (auditores) gab.
  Für das Jahr 1163 ist in Köln erstmals der Name Catari bezeugt, der vom griechischen katharoi (die Reinen) abzuleiten ist und mit dem sich diese dualistisch orientierten Menschen selbst bezeichneten. (Daraus entstand dann die Bezeichnung "Ketzer" als Sammelbegriff für alle Glaubensrichtungen, die sich von der Weltkirche abwandten. Ich verwende ihn hier nur als Begriff, nicht als Wertung). Diese verbreiteten sich seit der Mitte des 12. Jh. vor allem in Südfrankreich und in den oberitalienischen Städten. Daneben bildete sich im burgundischen Raum eine neue ketzerische Strömung heraus, die Waldenser, welche die kirchlichen Lehren vom Fegefeuer und vom Nutzen der Fürbitten für Tote ablehnten. Sie verwarfen auch jede Eidesleistung und das Töten und damit auch die gerichtlich verhängte Todestrafe. Außerdem wiesen sie die dualistischen Lehren der Katharer zurück, denen sie gleichzeitig ein Abweichen vom apostolischen Armutsideal und deren kaufmännische Aktivitäten vorwarfen. Auf Grund der starken Stellung der Katharer und der Ausbreitung der Waldenser erreichten die gegen die Kirche gerichteten ketzerischen Strömungen um 1200 einen Höhepunkt ihres Einflusses. [AGM, S. 280]
  In der Auseinandersetzung mit den häretischen Volksbewegungen beschritt der Papst Innozenz III. neue Wege. Dabei verband er die Entschlossenheit zu harter Gewaltanwendung gegen die Ketzer mit Flexibilität und Bemühungen, gewisse Grundpositionen der Ketzer, so vor allem das Armutsideal, in entschärfter Form zu akzeptieren und für die Stärkung des Ansehens der Kirche zu nutzen. Den Weg direkten kriegerischen Vorgehens beschritt er, als er im Jahre 1208 zum Kreuzzug gegen die Albigenser in der Grafschaft Toulouse aufrief. Der mit äußerster Grausamkeit geführte Kreuzzug vermochte das Katharertum im Languedoc zwar nicht auszuschalten, doch verlor es in der folgenden Zeit an Anziehungskraft und Anhang. [AGM, S. 285]
  In dem Krieg, der bis 1229 dauerte, töteten die Kreuzfahrer im Languedoc über eine Million friedlicher Einwohner; sie verwandelten dessen blühende Städte und Dörfer in Ruinen. Die Katharer wurden im wahrsten Sinne des Wortes von der Erde ausradiert. [Grigulevic, S. 101]
  Innozenz III. war sich jedoch auch bewußt, daß Mittel und Wege gefunden werden mußten, die am Ideal der vita apostolica orientierte Laienbewegung wenigstens teilweise in die Kirche zu integrieren. So drängte er schon vor Beginn des Albigenserkreuzzuges darauf, daß die in Südfrankreich mit der Ketzerbekämpfung beauftragten Legaten selbst die Form apostolischer Wanderpredigt übernehmen, d.h. in ärmlicher Kleidung ohne die Machtsymbole der kirchlichen Hierarchie, auftreten sollten. Mit dieser Methode erzielten der spanische Bischof Diego von Osma und sein Begleiter Dominikus Erfolge. Letzterer wirkte weiter im Languedoc und begann um 1215 in Toulouse eine Gemeinschaft von Predigern zu organisieren. Innozenz III. bestätigte noch kurz vor seinem Tode 1216 den damit Gestalt gewinnenden neuen Mönchs- und Klerikerorden unter der Bedingung, daß dieser die traditionelle Augustinerregel akzeptiere. So entstand der Orden der Dominikaner, dessen offizielle Bezeichnung Ordo praedicatorum (Orden der Prediger) deutlich auf seine Hauptaufgabe hinweist. [AGM, S. 285 f.]
  Eine besondere Rolle übernahmen Dominikaner- und auch Franziskanermönche, als Papst Gregor IX. in den Jahren von 1231 bis 1233 die Ketzerverfolgung zentralisierte, indem er selbst Inquisitoren ernannte, die über die Grenzen von Diözesen hinweg Häretiker aufspüren und überführen sollten. Die Mönche der Bettelorden eigneten sich besonders, da sie sich auf Grund ihrer direkten Unterstellung unter die Kurie als ein hervorragendes Instrument einer straff zentralisierten Verfolgung erwiesen. Für diese neue Form der Inquisition waren das Prozeßgeheimnis, das Verschweigen der Namen von Zeugen gegenüber den Angeklagten und das Fehlen jeder Berufungsmöglichkeit charakteristisch. Hinzu kam, daß Papst Innozenz IV. 1252 bei Ketzerprozessen ausdrücklich die Anwendung der Folter erlaubte. Gesteigert wurde die Wirksamkeit der Inquisition noch dadurch, daß inzwischen weltliche Herrscher für in kirchlichen Prozessen überführte Ketzer gesetzlich die Todesstrafe durch Verbrennen angeordnet hatten, so König Peter II. von Aragón 1197 und Kaiser Friedrich II. 1224 in einer für die Lombardei gültigen Anordnung. [AGM, S. 287]
  Trotz dieser Verfolgungen konnten die Ketzerbewegungen nicht völlig ausgeschaltet werden. Vor allem die Waldenser fanden nach wie vor großen Anhang. Zusätzlich traten Gruppierungen auf - wie z.B. die Apostelbrüder - die sich auf die ursprünglichen Ideale des Franz von Assisi beriefen. So blieben ketzerische Bewegungen während des ganzen 13. Jh. eine Herausforderung für die Kirche und mittelbar für die feudale Herrschaftsordnung, ohne diese jedoch in ihrem Bestand gefährden zu können. Durch die brutale Bekämpfung der Ketzer gelang es der Kirche jedoch während des Hochmittelalters, im wesentlichen ihre ideologische Führungsrolle zu behaupten. [AGM, S. 287 f.]
  Abschließend bleibt zu sagen: Die Inquisition wurde formell erst nach der Zerschlagung der Katharer errichtet, als diese in Wirklichkeit keine Gefahr mehr für die Kirche darstellten.
  Im 13. Jahrhundert gab es keinen Winkel im katholischen Europa mehr, wo nicht die Scheiterhaufen rauchten, auf denen man vermeintliche oder wirkliche Ketzer verbrannte. Gegen Ende des Jahrhunderts war der Einflußbereich der römisch-katholischen Kirche mit einem Netz von Inquisitionstribunalen überzogen. Ihre Tätigkeit geschah ohne Unterbrechung wie die Wirkung der Naturgesetze, was den Häretikern die Hoffnung nahm, Zeit zu gewinnen und sich zu verbergen, indem sie von einem Lande in ein anderes übersiedelten. Die Inquisition stellte eine überregionale Polizei dar in einer Epoche, "wo die internationalen Verbindungen noch ganz mangelhaft waren. Die Inquisition hatte einen langen Arm und ein unfehlbares Gedächtnis, so daß wir das geheime Grauen wohl verstehen können, daß sie sowohl durch die Geheimhaltung ihrer Tätigkeit als auch durch ihre fast übernatürliche Wachsamkeit der Menschheit einflößte ... Ein einziger glücklicher Fang, ein einziges durch die Folter erpreßtes Geständnis konnte die Spürhunde auf die Spur von Hunderten von Menschen bringen, die sich bis dahin in voller Sicherheit wähnten, und jedes neue Opfer erweiterte den Kreis der Denunzianten. So lebte der Ketzer beständig auf einem Vulkane, der ihn in jedem Augenblicke verschlingen konnte ... Für die menschliche Furcht war die päpstliche Inquisition fast allgegenwärtig, allwissend und allmächtig" (Henry Charles Lea). [Grigulevic, S. 105.106.108 f.] [17.3.00]

  Damit nun keiner glaubt, das sei lange her, und könne heute nicht mehr passieren, hier ein Bericht aus dem Berliner TAGESSPIEGEL vom 14. Juli 1999:

Anglikaner wollen Ketzer-Verfahren einführen

  London (KNA). Die anglikanische Kirche von England will Ketzer-Verfahren wieder einführen. Der Häresie verdächtige Priester sollen nach einem Bericht der britischen Tageszeitung "Daily Telegraph" vom Dienstag (13.7.99) erstmals seit 150 Jahren wieder vor ein Kirchengericht gestellt werden können. Eine entsprechende Entscheidung habe die derzeit tagende Generalsynode der anglikanischen Kirche getroffen. Mit diesem Beschluß reagierte das höchste Leitungsgremium der Kirche auf Kritik, Priester und Bischöfe könnten "glauben und predigen, was sie wollen". Vor einigen Jahren hatte ein Bischof mit der Aussage, er glaube nicht an die Auferstehung, Aufsehen erregt.

Einige Gruppen

Albigenser
  Nach der Stadt Albi (Südfrankreich) benannte Gruppe der Katharer. Sie vertraten radikale dualistische Anschauungen des Neumanichäismus (so nahmen sie beispielsweise einen guten und einen bösen Gott an) und strenge asketische Forderungen, die vor allem für ihre "Apostel", die hierarchisch gegliederten Perfecti ("Vollkommene") galten. Die A. spielten seit dem Ende des 12. Jh. im Languedoc eine bedeutende Rolle; in den Albigenserkriegen (1209-1229), zu denen Innozenz III. aufgerufen hatte, wurden sie grausam ausgerottet. [VoL 1, S. 196]
  Nach dem Ende des Mordens wurden auf einer Regionalsynode in Toulouse 1229 folgende Verfügungen erlassen:

  Dies geschah im Jahre des Herrn 1229 unter der Obhut und mit dem Wissen und Segen von Papst Gregor IX. (Vgl. Edikt von Padua).

Apostelbrüder
  An die ursprünglichen Ideale des Franz von Assisi knüpfte auch diese sich seit 1260 in Oberitalien entwickelnde Gruppierung an. Begründer war der aus einem Dorf bei Parma stammende Gerhard Segarelli, der seinen kärglichen Besitz unter die Armen verteilte und zugleich als Bußprediger auftrat. Er und seine Anhänger spitzten das Armutsideal weiter zu und nahmen nur zum direkten Verzehr bestimmte Lebensmittel als Spende an. Zuerst toleriert, wurde die vorwiegend in den städtischen Unterschichten verwurzelte Gemeinschaft 1285 von Papst Honorius IV. verboten. Seit den neunziger Jahren ging die Inquisition gegen sie vor. Segarelli wurde eingekerkert und 1300 verbrannt. Darauf übernahm Dolcino die Führung. In zwei 1300 und 1303 verfaßten Sendschreiben kündigte er eine unmittelbar bevorstehende Vernichtung der verderbten, zur "babylonischen Hure" gewordene Kirche an: "alle Prälaten der Kirche sowie die übrigen Kleriker vom höchsten bis zum niedersten, ebenso alle Mönche und Nonnen ..., alle Brüder und Schwestern des Dominikaner- und Franziskanerordens ... und auch Papst Bonifaz VIII." würden getötet werden. Als die Inquisition die Verfolgung intensivierte, verschanzte sich Dolcino mit seinen Anhängern Anfang 1305 auf einem steilen Bergipfel, der erst im März 1307 von einem Kreuzfahreraufgebot gestürmt werden konnte, wobei mehrere hundert Apostelbrüder getötet wurden. Dolcino, der mit rund 140 seiner Anhänger in Gefangenschaft geriet, wurde grausam zu Tode gemartert. [AGM, S. 288 f.] [17.3.00]

Beginen und Begarden
  traten seit etwa 1170 auf. Der Name leitet sich wohl aus dem mittelhochdeutschen Wort "beggan" (bitten, betteln, beten) ab. Ursprünglich sammelten sich Frauen, die sich besonders dem Armutsideal verpflichtet fühlten, in Gemeinschaften zusammenlebten und sich bevorzugt der Krankenpflege widmeten. Das Leben in den Konventen vereinbarte das christliche monastische Leben mit der Möglichkeit, jederzeit die Gemeinschaft verlassen zu können. U.a. bedingt durch die Kreuzzüge nahm die Anzahl in ganz Europa soweit zu, daß die Kirche reagieren mußte, vor allem, als ihre Frömmigkeit der Kirche fremde, mystische Formen annahm, die mit dem Begriff "Streben nach der unio mystica" unscharf umrissen werden können. Neben den seßhaften Gemeinschaften entstanden besonders in der zweiten Hälfte des 13. Jh. immer mehr Gruppen von umherwandernden Beginen und Begarden, die nicht nur der Kirche, sondern auch den Städten ein Dorn im Auge waren. Hinzu kam, das sie oft Glaubensvorstellungen anhingen, die mit denen der römisch-katholischen Kirche nichts oder nur wenig zu tun hatten. Sie waren denn auch ein Hauptthema des Konzils von Vienne, auf dem zunächst die umherschweifenden Gruppen verboten wurden. Dies führte einerseits zu einer stärkeren Verfolgung der Beginen (und nicht wenige wurden ermordet), sowie andererseits zu einer Flucht der Konvente unter den Schutz der Bettelorden und dabei besonders unter den der Dominikaner, wobei sie häufig in Dominikanerinnenklöster umgewandelt wurden. Der Anschluß an den Orden war auch schon in der Vergangenheit geschehen: in Deutschland zwischen 1245 und 1251 waren es 32 Konvente gewesen. Ende des 14. Jh. gab es allein in Straßburg 85 Gemeinschaften, die meist unter der geistlichen Leitung der Prediger standen (in Köln gab es derer 169). [Trusen, S. 24]
  Wie verbreitet die Beginen und Begarden waren, zeigt sich schon daran, das sie allein für Köln und Umgebung im Jahre 1240 auf zweitausend geschätzt wurden. Ihre Gesamtzahl am Ende des 13. Jh. dürfte in ganz Europa in die Hunderttausende (andere schätzen über eine Million) gegangen sein.

Brüder und Schwestern des freien Geistes
  Libertinistische christliche Gemeinschaften, die seit der Mitte des 13. Jh. zunächst in Süddeutschland, dann auch in Frankreich und in den Niederlanden auftraten und das ganze 14. Jh. über bestanden. Sie verwarfen die christliche Lehre von Schöpfung und Erlösung und propagierten die "Freiheit des Geistes", die von der Auffassung abgeleitet wurde, die menschliche Seele stehe jenseits von Gut und Böse. [VoL 2, S. 434]
  Nach Lea haben ihre Lehren den Ursprung in den Spekulationen von Amalrich von Bena und Ortlieb von Straßburg vom Beginn des 13. Jh. "Alles, was ist, ist Gott. In der Laus ist ebensoviel Gottheit wie in dem Menschen oder in irgendeinem anderen Geschöpf. Alles geht von ihm aus und kehrt zu ihm zurück. Da also die Seelen beim Tode zu Gott zurückkehren, so gibt es weder ein Fegefeuer noch eine Hölle, und aller äussere Kultus ist nutzlos. So wurde mit einem Schlage die Wirksamkeit aller priesterlichen Handlungen und aller Sakramente vernichtet. [Daß das dem Papst äußerst übel aufstieß, zeigt seine Reaktion auf die Sätze 16 ff. in seiner Bulle In agro dominico von 1329.] Um ihre Verachtung für die Sakramente zu bezeigen, war ihnen kein Ausdruck zu stark, und sie äusserten wohl, die Eucharistie schmecke ihnen wie Mist. Da der Mensch von Natur Gott ist, so hat er alles, was göttlich ist, in sich, und jeder kann mit Recht behaupten, daß er selbst das Universum geschaffen habe. Einer von den Anklagepunkten, die gegen Meister Eckhart erhoben wurden, war der, daß er erklärt habe, sein kleiner Finger habe die Welt erschaffen [s. seine Erklärung dazu]. Ja, noch mehr, der Mensch vermag sich so mit Gott zu vereinigen, daß er alles tun kann, was Gott tut. Er braucht also keinen Gott. Er kann nicht sündigen. Alles, was er tut, ist sündlos. In diesem Zustande der Vollkommenheit klagt er über nichts, freut sich über nichts, ist frei von jeder Tugend und allen tugendhaften Handlungen. Niemand ist gezwungen, für sein Brot zu arbeiten. Da alles Gemeingut ist, so kann jeder nehmen, was er braucht oder wünscht." Übrigens nannten sie sich selbst Illuminaten, die "Erleuchteten". [Lea, 2, S. 404]). [17.3.00]

Katharer
  [zu griechisch katharós "rein"], größte Sekte des Mittelalter, oft ungenau Albigenser genannt. Vom Balkan verbreitete sich um 1140 die Bewegung der Katharer über Mittel-, West- und Süd-Europa. Durch apostolische Wanderpredigt und strenge Askese wirkte die Armutsbewegung der Katharer besonders auf Laien. In Anlehnung an die Bogomilen entwickelte sich die manichäisch-dualistisch strukturierte Lehre ("Neumanichäer"): Der Teufel, der böse Gott des A. T., liege in ständigem Kampf mit dem guten Gott des N. T. und seinem reinen Engel Christus. Die Trennung in "Vollkommene" (perfecti) und "Gläubige" (credentes) zeigt hierarchische Tendenzen. Nur die Reinen haben Heilsgewißheit. - Die katholische Kirche kämpfte mit Kreuzzügen gegen ihren Einfluß. Erst die Armutsbewegung der Dominikaner und Franziskaner konnte den Katharern wirksam entgegentreten, die seit etwa 1230 begannen, ihre Lehre scholastisch abzuschwächen, und deshalb bald an Bedeutung verloren. Kleine Gruppen hielten sich noch in Süd-Frankreich (bis 1330) sowie in Sizilien und Süd-Italien (bis 1412). [VoL 6, S. 254] [17.3.00]

Waldenser
  Anhänger der von Petrus Waldes († zwischen 1184 und 1218 - Reicher Lyoner Kaufmann; ließ die Bibel in die Volkssprache übersetzen) zwischen 1170 und 1176 innerhalb der katholischen Kirche Südfrankreichs gegründeten und nach dem Vorbild Jesu in Armut lebenden Laienbruderschaft. Wegen ihrer Praxis der Laienpredigt wurden die Waldenser schon 1184 von Papst Lucius III. exkommuniziert, der sogar Kaiser Friedrich I. Barbarossa für einen Kreuzzug gegen die Waldenser und andere radikale religiöse Gruppen gewann. [VoL 12, S. 309] [17.3.00]

Begriffe

Edikt von Padua
  Friedrich II. erließ 1224 in Padua ein Edikt über den Kampf gegen die Häresie (Gesetz für die Lombardei, s.o.). Dieses sah die Verhängung verschiedenster Strafen bis hin zur Todesstrafe für diejenigen Häretiker vor, die von der Kirche verurteilt und dem weltlichen Arm übergeben worden waren. Die weltlichen Behörden wurden verpflichtet, wenn die Kirche oder auch einfache eifernde Katholiken dies forderten, alle der Häresie Verdächtigen zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Die mit der Kirche Wiederversöhnten wurden gezwungen, an der Aufspürung anderer Häretiker teilzunehmen. Jene aber, die sich unter Strafandrohung von der Häresie losgesagt hatten, aber dann, nach ihrer "Gesundung", ihr ein zweites Mal verfallen waren, wurden zum Tode verurteilt. Die Beleidigung der göttlichen Majestät sei stärker als die der menschlichen, heißt es in dem Edikt.
  Da Gott die Kinder für die Sünden ihrer Väter strafe, um sie zu lehren, ihre Eltern nicht in dieser Beziehung nachzuahmen, wurden auch die Nachkommen der Häretiker bis zur zweiten Generation des Rechts beraubt, öffentliche Ämter oder auch Ehrenämter zu bekleiden. Eine Ausnahme wurde nur für Kinder gestattet, die ihre Eltern selbst angezeigt hatten. [Grigulevic, S. 102 f.] [15.11.04]