Artikel Die Frauen in der Kirchengeschichte |
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[30.11.04] |
Hildegard von Bingen OSB
* 1098, † Kloster Rupertsberg bei Bingen 17.9.1179
Mystikerin. - Trat als Benediktinerin ins Kloster Disibodenberg an der Nahe ein und gründete zwischen 1147 und 1150 das Kloster Rupertsberg bei Bingen. Hatte schon in ihrer Kindheit Visionen, die sie ab 1141 in mittellateinischer Sprache niederschrieb. [VoL 5, S. 337] Im "Scivias" (lat. "Wisse die Wege") beschreibt sie, wie sie in einer "unio mystica" (mystische Einheit) mit Gott dessen "lux vivens" (lebendes Licht) voll seliger Freude erfährt. Ihre ausdrucksstarken Bilder der Visionen erinnern an die Offenbarung des Johannes. Neben geheimnisvollen, oft schwer verständlichen Schilderungen stellt sie auch ihre Glaubensansichten dar. Sie spricht sich z.B. für die Ständeordnung aus. [E2J, S. 69]
Neben diesen mystischen Schriften entstanden homiletisch-exegetische und historische Abhandlungen, 70 selbstvertonte geistliche Lieder, außerdem naturkundliche Bücher, vor allem das in zwei Teilen überlieferte "Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum", das die wichtigste Quelle naturkundlicher Kenntnisse des frühen Mittelalter in Mitteleuropa ist. [VoL 5, S. 337] [17.3.00]
Eleonore von Aquitanien (Aliénor)
* 1122 (?), † 31. März 1204 in Poitiers, Fontevrault
Königin von Frankreich und England. - Erbtochter Wilhelms X., Herzog von Aquitanien, aus dem Hause Poitou, und der Aénor de Châtellerault; Ehen: 1. 1137 mit Ludwig VII., König von Frankreich (geschieden: 1152), 2. 1152 mit Heinrich Plantagenêt, Graf von Anjou, Maine und Touraine, Herzog von der Normandie, dem späteren König Heinrich II. von England; Kinder: von 1: Marie († 1198), verheiratet mit Heinrich, Graf von Champagne; Alix († nach 1195), Frau von Theobald, Graf von Blois; von 2: Wilhelm († 1156); Heinrich († 1183); Mathilde († 1189), Ehefrau von Heinrich dem Löwen; Richard I. Löwenherz († 1199); Geoffrey († 1186); Eleonore († 1214), Frau von Alfons VIII. von Kastilien; Johanna († 1199), Frau von 1. Wilhelm II. von Sizilien, 2. Raimund VI. von Toulouse; Johann (Ohneland, † 1216).
Wilhelm X. hatte im westfranzösischen Raum eine Reihe großer Herrschaften in seinem Besitz und herrschte darüber hinaus als Oberlehnsherr über weitere Territorien. Die Bedeutung des Erbes Englands lag zum einen in der strategischen Rolle dieser weiträumigen Gebiete für das Königreich Frankreich wie für das große Fürstentum Anjou, zum anderen in seinen reichen wirtschaftlichen Ressourcen.
Wilhelm X. verstarb 1137 auf der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela; vor seinem Aufbruch hatte er seine aquitanische Herrschaft und die Sorge um seine Tochter Eleonore seinem Lehnsherrn, König Ludwig VI. von Frankreich, anvertraut. König Ludwig vermählte Eleonore mit seinem Sohn, der noch im gleichen Jahr als Ludwig VII. die Nachfolge antreten sollte. Aquitanien wurde nicht der Krondomäne einverleibt, sondern in der Person Königs Ludwigs VII., der den Titel des Dux Aquitanorum annahm, mit Frankreich vereinigt. Ludwig machte von seiner Herzogswürde hauptsächlich Gebrauch, indem er die Ansprüche seiner Gattin auf Toulouse durchzusetzen versuchte (1141).
1152 wurde die Ehe wegen zu naher Verwandtschaft geschieden. Einige Zeitgenossen behaupten, Ludwigs Persönlichkeit habe sich geändert, nachdem er 1143 in Vitry eine Kirche, in der Flüchtlinge Asyl gesucht hatten, in Brand stecken ließ. 1143-49 hatten Ludwig und Eleonore gemeinsam am 2. Kreuzzug teilgenommen; das Gerücht einer Liebesbeziehung der Königin zu ihrem Onkel Raimund I. von Antiochia kam auf. Darüber hinaus wurde ihr später auch ein Verhältnis mit Sultan Saladin angedichtet; obwohl letzteres zweifellos reine Erfindung ist, gibt es doch Aufschluß über Eleonores Ruf bei der Nachwelt.
Suger von Saint Denis bemühte sich bis zu seinem Tod (1151), Ludwigs und Eleonores Ehe zu erhalten. Sein Hauptmotiv für die Ehescheidung dürften dynastische Erwägungen gewesen sein; sie hatte lediglich zwei Töchter, aber keinen Sohn geboren.
An Bewerbern um Eleonores Hand und Land fehlte es nicht. Bereits knapp zwei Monate später heiratete sie in 2. Ehe Heinrich Plantagenêt. Er war um einige Jahre jünger als sie; diese soll dem Gerücht zufolge bereits ein Verhältnis mit Heinrichs Vater, Geoffroy von Anjou, unterhalten haben, und es hatte bereits das Projekt einer Heirat zwischen Heinrich und der ältesten Tochter Eleonors aus der Ehe mit Ludwig, Marie, existiert. Angeblich war es Eleonore, die die Initiative zur Heirat ergriff; Heinrich mag eingewilligt haben, weil er nicht zulassen konnte, daß ein anderer Bewerber die Partie machte. Da Heinrich nicht die offizielle Genehmigung von seiten seines Lehnsherrn, Ludwig, eingeholt hatte, nahm der französische König dies zum Anlaß, die Territorien des Plantagenêt anzugreifen. Doch wurde Ludwig schließlich genötigt, der Heirat zuzustimmen. 1154 wurde Eleonores Gatte als Heinrich II. König von England.
Wie schon Ludwig VII. verfolgte auch Heinrich II. Englands Ansprüche auf Toulouse (1159, 1162), und 1173 erkannte Raimund V. von Toulouse Heinrichs Oberherrschaft an, wodurch sich Raimund dem Treueid gegenüber dem König von Frankreich entzog. In Aquitanien übte Heinrich seine Herzogswürde kraftvoller aus, als es seinerzeit Ludwig getan hatte. Dies erregte namentlich im Poitou Widerstand; dortige Gruppierungen versuchten, den päpstlichen Legaten davon zu überzeugen, daß die Ehe Heinrichs mit Eleonore ungültig sei. Das Herzogtum Gascogne wurde dagegen für eine spätere Abtretung an Kastilien vorbereitet; es sollte als Mitgift bei der Heirat von Eleonores Tochter Eleonore mit Alfons VIII. dienen (allerdings sollte die Mitgift erst nach dem Tode Eleonores übertragen werden).
Ein Bruch zwischen Eleonore und Heinrich II. erfolgte, als die Königin 1173 die Revolte ihrer Söhne unterstützte. Die Gründe für ihre Parteinahme gegen Heinrich sind nicht klar. Vielleicht fühlte sie sich - wie ihre Söhne - von der Machtausübung ausgeschlossen; möglicherweise war sie auch über den Ehebruch ihres Mannes, der in dieser Zeit im Bann von Rosamund Clifford stand, erbost. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurde sie bis zum Ende der Regierung Heinrichs II. unter Bewachung gestellt. 1175 dürfte Heinrich eine Scheidung erwogen haben, doch blieb Eleonore weiterhin Königin und spielte als solche ihre Rolle in der Öffentlichkeit. 1185 bediente sich der König ihrer, um seinen Sohn Richard in die Botmäßigkeit zurückzubringen; diesem wurde befohlen, Aquitanien an seine Mutter zurückzuerstatten.
Mit Heinrichs Tod und Richards Thronfolge kehrte Eleonore als Königinmutter ins politische Leben zurück. 1190 geleitete sie Berenguela von Navarra, die von ihr favorisierte Braut Richards, zu diesem nach Messina. 1192 trug sie dazu bei, die Rebellion Prinz Johanns in England während der Kreuzfahrt Richards zu unterdrücken. In ihrem Namen wurde das Lösegeld für den von Kaiser Heinrich VI. gefangengehaltenen Richard erhoben. Nach Richards gewaltsamem Tod (1199) setzte sie die Nachfolge Johanns gegen ihren Enkel, Arthur I. von Bretagne, durch. Während Arthur Eleonore in Mirabeau belagerte, geriet er in Gefangenschaft und wurde an Johann ausgeliefert. Eleonore blieb fast bis zu ihrem Tod politisch aktiv. Ihr Tod im Jahr 1204 beraubte Johann seines Anhangs im Poitou, während Alfons VIII. von Kastilien in die Gascogne einrückte, um die Mitgift seiner Frau, gemäß der Vereinbarung von 1170, in Besitz zu nehmen.
Eleonores Wirkung auf Zeitgenossen und Nachwelt kann nicht allein mit dem reichen Erbe, dessen Trägerin sie war, erklärt werden. Es war ihre Persönlichkeit, welche die Mitwelt beeindruckte. Gervasius von Canterbury faßt das Urteil über sie zusammen: »Erat prudens femina valde, nobilibus orta natalibus, sed instabilis«. J. S. Critchley, [LdM III, Sp. 1805 f.] [9.2.07]
2. Eleonore und die höfische Literatur
Als Enkelin des »ersten Troubadours«, Wilhelms IX., mußte Eleonore, so scheint es, ein lebhaftes Interesse an der neuen höfischen Literatur bezeugt haben und diese zunächst nach Nordfrankreich, dann an den englisch-angevinischen Hof verpflanzt haben. Dies war lange die gängige Vorstellung der Kritik. Sie stützte sich z.B. auf Andreas Capellanus, der von Liebeshöfen berichtet, in denen auch Eleonore drei Urteile fällt. Andreas ist jedoch nicht als historische Quelle aufzufassen, sondern als »curiale« Satire auf die »höfische« Minne. Weiter berichtet die »vida« (Anfang 13. Jahrhundert) des Bernart de Ventadorn von einer Liebesbeziehung Eleonores mit dem Troubadour, und Layamon (Anfang 13. Jahrhundert) sagt, Wace habe seinen »Brut« (1155) Eleonore gewidmet.
Das Interesse für genealogische Literatur hat aber keine poitevinalen, sondern eine normannisch-angevinische Tradition. Es war wohl Heinrich II., der es gut fand, daß die neue Königin sich mit der Vorgeschichte bekanntmachte. Von Eleonores Biographie ausgehend, die auf ein leidenschaftliches und nicht untragbares Liebesleben schließen ließ, ist in der Kritik bis in die neueste Zeit auch immer behauptet worden, ein großer Teil der höfischen Literatur (Wilhelmsepik, »Girart de Roussillon«, »Tristan«, »Erec« und natürlich die Troubadourlyrik) sei für Eleonore geschrieben worden oder sei gar Auftragsdichtung. Der »glänzende« Hof der englischen Königin schien ein genügendes Argument dafür zu liefern, daß sie als ebenso glänzende Mäzenatin die höfische Literatur förderte. Beweise dafür fehlen. Inwieweit Eleonore am Mäzenatentum Heinrichs II. teilhatte, ist von der Quellenlage her nicht zu entscheiden. M.-R. Jung, [LdM III, Sp. 1807 f.] [9.2.07]
Maria von Oignies
* 1177 in Nivelles, † 23.6.1213 in Oignies
Begine. - Aus einer wohlhabenden Brabanter Familie. Mit 14 Jahren verheiratet, veranlaßte sie ihren Mann Johannes zu ehelicher Enthaltsamkeit und zum Verkauf des Besitzes zugunsten der Armen. Einige Jahre lang pflegte das Paar die Aussätzigen in Willambroux. 1207 zog sich Maria mit Einverständnis ihres Mannes in eine Einsiedelei bei dem Priorat von Oignies zurück. Jakob von Vitry [vgl. Paris] wurde unter ihrem Einfluß Augustinerchorherr und verfaßte zwei Jahre nach Marias Tod ihre in spiritueller Hinsicht bedeutsame, aber nur wenige biographische Daten liefernde Vita. Jakob preist Marias Askese, Gebetseifer, ständige Meditation über die Passion Christi, ihre Tränengabe und langen Ekstasen, will aber offensichtlich auch die Aufmerksamkeit der Amtskirche auf eine neue Form religiösen Lebens lenken, das Beginentum, das gleichzeitig durch hohe Spiritualität und starkes karitatives Engagement gekennzeichnet ist. Ohne je kanonisiert zu werden, genoß Maria stets große Verehrung. G. Barone, [LdM VI, Sp. 280]
[Jakob von Vitry] entfaltete unter dem Einfluß Marias eine intensive Predigertätigkeit. Das war keineswegs so selbstverständlich, wie es uns vielleicht heute erscheint. Geistliche sahen ihre Hauptaufgabe durchweg in der Feier der Messe, in welcher die Predigt keinen Platz hatte .. Besonders war die Auseinandersetzung mit den Albigensern zu führen .. Maria war eine der wenigen Frauen, die in ihrer Zeit die Bedeutung der Predigt erkannten .. Sie selbst unterwarf sich dem mittelalterlichen Verbot der Frauenpredigt, darf aber für sich in Anspruch nehmen, Jakob von Vitry zum wichtigsten Prediger seiner Zeit gemacht zu haben. Unter Tränen hat sie ihn, der zunächst unwillig war, gemahnt, das Amt der Predigt, das ihr selbst verwehrt war, zu übernehmen.
Auch später entzog sich der gelehrte Theologe niemals dem Bannkreis Marias, auch dann nicht, als er zum Bischof von Accon in Palästina erhoben wurde, am verhängnisvollen Kreuzzug von Damiette (1218-1221 - s. Honorius III.) teilnahm und sich 1229 als Kardinalbischof von Tusculum in den Umkreis des Papstes begab. Sein Leitbild war und blieb Maria von Oignies, deren radikaler und mystischer Lebensernst dem eher zurückhaltenden Kirchenmann unauslöschlich eingeprägt blieb. In der ihr gewidmeten Biographie bediente Jakob sich der bekannten Elemente traditioneller Heiligenbiographien. So schrieb er ihr bestimmte Erlebnisse und Visionen zu. Die Hostie schaut sie als Christuskind; im dunklen Wald wird sie von einem wunderbaren Licht geleitet; Sterne halten nachts den Regen von ihr ab, Engelsgesang vertreibt die Dämonen des Schlafes; ihren Gewändern entströmt Weihrauchduft; Engel stützen sie links und rechts, als sie - vom Fasten entkräftet - ein Muttergottesheiligtum aufsucht. [usw.] [Beyer, S. 111 f.] [17.11.04]
Hedwig von Schlesien (Jadwiga)
* um 1178/80, † 14.10.1243 in Trebnitz bei Breslau
Heilige (kanonisiert: 26. März 1267). - Tochter Bertholds V., Grafen von Andechs, und dessen 2. Gemahlin Agnes, Tochter Dedos von Rochlitz, Markgrafen von Meißen; oo um 1190/92 Heinrich I., Herzog von Schlesien. Tante der Elisabeth von Thüringen. Kinder: Heinrich II., Herzog von Niederschlesien († 1241), Gertrud, Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters in Trebnitz, und fünf weitere. Nach 20jähriger Ehe legte Hedwig zusammen mit ihrem Mann das Keuschheitsgelübde, aber kein Ordensgelübde ab und zog sich in das bereits 1202 von ihr gegründete Zisterzienserinnenkloster in Trebnitz zurück. Zu dem reich ausgestatteten Kloster gehörte auch das in Urkunden wiederholt erwähnte und archäologisch gut erforschte Dorf Zawonia in der Nähe von Trebnitz. Dem Angriff der Mongolen 1241 (Schlacht bei Liegnitz, Tod ihres Sohnes Heinrich) entgingen Hedwig und der Konvent in Krossen a. d. Oder.
- Bereits 1267 wurde Hedwig von Clemens IV. wegen ihres umfangreichen karitativen Werkes heiliggesprochen. Die feierliche Erhebung ihrer Gebeine erfolgte am 17. Aug. 1267, die Translation in die von ihrem Enkel Wladyslaw, Erzbischof von Salzburg, errichtete Kapelle am 25. Aug. 1267. Im 14. Jh. verbreitete sich der Heiligenkult Hedwigs rasch, ausgehend zum einen von den Zisterzienserinnen, zum anderen von der Piastendynastie.
Hagiographie (Hedwig-Codex): Ein einzigartiges Zeugnis der polnischen Hagiographie und eine der wichtigsten Quellen zur Piastengenealogie ist die »Vita major St. Hedwigis«, die Ende des 13. Jh. von einem anonymen Autor (wohl Franziskaner) verfaßt wurde, der zwei früheren Viten der Hedwig eine Genealogie hinzufügte (illustriert; sog. "Codex Ostrowski", heute J. P. Getty-Museum, Kalifornien). Im 15. Jh. entstand zusammen mit einer deutschen Übersetzung eine zweite illustrierte Fassung. Zahlreiche Hss. mit dem Text der »Vita major« bildeten die Grundlage späterer Hagiographien und Predigtvorlagen. Dargestellt wird Hedwig als Matrone mit Herzogshut über dem Kopftuch. Häufigstes Attribut Kirchenmodell, daneben auch Marienstatuette oder Schuhe. T. Dunin-Wasowicz, [LdM IV, Sp. 1985 f.] [17.11.04]
Klara von Assisi OFM
* 1193/94 in Assisi, † 11.8.1253
Ordensgründerin. - Tochter des Edelmannes Favarone di Offreduccio und seiner Gattin Ortolana. Klara entschloß sich 1211/12 aufgrund wiederholter Begegnungen mit Franziskus von Assisi zu einem Leben nach den Forderungen des Evangeliums, verließ heimlich ihr Elternhaus und wurde in Portiunkula von Franziskus in einer Art »Einkleidungszeremonie« unter seine Gefährten aufgenommen. Nach kurzem Aufenthalt in zwei nahegelegenen Benediktinerinnenklöstern ließ sie sich bei der von Franziskus wiederhergerichteten Kirche S. Damiano nieder, wo sie - seit 1215 als Äbtissin — die Leitung einer sich hier bald ausbildenden Frauengemeinschaft, der u. a. ihre Mutter Ortolana und die Schwestern Agnese und Beatrice beitraten, übernahm. Klara, der sicherlich ursprünglich eine weitgehendere Teilnahme an Bettelarmut, Heimatlosigkeit und Predigt der Minderbrüder vorgeschwebt hatte, als sie zu realisieren war, bemühte sich in S. Damiano, wo sie bis zu ihrem Tode in Abgeschiedenheit und Kontemplation lebte, ihre Vita religiosa soweit wie möglich nach dem Vorbild des hl. Franziskus und in Anlehnung an seinen Orden zu führen. Sie bestand daher gegenüber Papst, Kardinalprotektoren und Orden auf einem Leben in vollkommener Armut und einer weitgehend den Forderungen des hl. Franziskus entsprechenden Regel.
Die altissima paupertas wurde ihr 1215/16 von Innozenz III. durch das Privilegium paupertatis, das Gregor IX. am 17. Sept. 1228 bestätigte, gestattet. Ihre an die von Franziskus den Frauen von S. Damiano wohl schon 1212/13 gegebenen kurzen schriftlichen Anweisungen, die Forma vivendi, anknüpfende Regel wurde jedoch erst am 9. Aug. 1253 von Innozenz IV., der sie am Tage zuvor an ihrem Sterbebett besucht hatte, bestätigt. Die 1218 zur Integration und Koordination der frühen franziskanisch beeinflußten Frauenfrömmigkeit von Kardinal Ugolino von Ostia aufgestellten, entsprechend den Forderungen des IV. Laterankonzils auf der Benediktinerregel basierenden Constitutiones Hugolinianae und die am 6. August 1247 von Innozenz IV. allen Franziskanerinnenklöstern vorgeschriebene, stärker an der Regula bullata der Franziskaner orientierte Regel wurden in S. Damiano nur soweit befolgt, als sie der ursprünglichen Forma vivendi entsprachen. Das Vorbild Klaras und der übrigen pauperes moniales (sorores, dominae reclusae) von S. Damiano führte schon früh zur Gründung weiterer franziskanischer Frauengemeinschaften und veranlaßte schon bald zahlreiche bereits bestehende Frauenkonvente zur Annahme einer franziskanischen Lebensweise, so daß Urban IV. am 18. Oktober 1263 von einem Klarissenorden (Ordo S. Clarae) sprechen konnte, in dem freilich schon damals mehrere Observanzen nebeneinander bestanden.
Über Leben und Frömmigkeit der Hl. unterrichten neben ihren eigenen, im allgemeinen als echt angesehenen Schriften - Regel von 1253, Segen, Testament und Briefe an Agnes von Böhmen und Ermentrud von Brügge - die in umbr. Fassung überlieferten Kanonisationsakten und die auf ihnen beruhende, wohl Thomas von Celano zuzuschreibende Legenda S. Clarae Virginis, die selbst wiederum Grundlage für eine Reihe jüngerer lateinischer und volkssprachiger Viten und Legenden wurde. K. Elm, [LdM II, Sp. 2122 f.].
Ikonographie: Dargestellt wird Klara in schwarzem oder braunem Wollgewand mit Strickgürtel und Kopftuch. Ihre Attribute sind Kreuz, Regelbuch, Äbtissinnenstab, Monstranz (als Hinweis auf die legendäre Besiegung der Sarazenen vor San Damiano und Assisi) und brennende Lampe (in Analogie zu den Klugen Jungfrauen). Erste Darstellungen finden sich in Hss., seit dem Ende des 13. Jh. auch in der Monumentalmalerei, zumeist in Zusammenhang mit der Franziskuslegende oder mit anderen Hl. des Franziskanerordens. Fresken in S. Francesco zu Assisi, um 1295; Fresko von Giotto in S. Croce zu Florenz; nur der hl. Klara gewidmete Fresken in S. Chiara zu Assisi, Ende 13. Jh.; Wandgemälde in der Minoritenkirche zu Köln, r. Hälfte 14. Jh.; Glasmalerei in der Kirche des Klarissenklosters Königsfelden/Schweiz, um 1325/30; Tafeln des Clarenaltars im Germ. Mus. zu Nürnberg, 14. Jh.; in der Barfüßerkirche zu Erfurt um 1410; zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter auf einem Tafelgemälde aus der Hospitalkapelle zu Darviken, im Hist. Mus. zu Stockholm, um 1500. G. Binding, [LdM II, Sp. 2124]. Kanonisation nach einem vom 24. bis 29. September 1253 geführten Heiligsprechungsprozeß am 15. August 1255 von Alexander IV., S. Chiara, Assisi (Translation 3. Oktober 1260). [16.9.04]
Elisabeth von Thüringen
* 1207 in Ungarn, † 16./17.11.1231 in Marburg a. d. Lahn
Heilige (heilig gesprochen 1235 durch Papst Gregor IX.). - Tochter König Andreas' II. von Ungarn (Arpaden) und seiner Gemahlin Gertrud (Andechs-Meranien), Nichte der Hedwig von Schlesien, Cousine der Agnes von Böhmen und Tante der Margareta von Ungarn. Im Zusammenhang einer Fürstenkoalition gegen Kaiser Otto IV. mit Ludwig (IV.), dem ältesten Sohn Landgrafs Hermanns I. von Thüringen (Ludowinger), verlobt, gelangte Elisabeth 1211 nach Thüringen; 1221 oo Landgraf Ludwig IV.; drei Kinder: Hermann (* 1222, 1238 Landgraf von Thüringen, † 1241), Sophie (* 1224, 1240 oo Herzog Heinrich II. von Brabant, † 1284), Gertrud (* 1227, † 1297, Meisterin in Altenberg).
Elisabeth wandte sich bereits zu Lebzeiten ihres Mannes den religiösen Armutsbewegungen ihrer Zeit zu. Starken Einfluß übten v.a. die von Westeuropa ausgehende religiöse Frauenbewegung (Beginen) und die 1224 erstmals in Thüringen auftretenden Franziskaner auf sie aus. Zu letzteren knüpfte sie unmittelbare Kontakte an, indem sie ihnen eine Kirche in Eisenach überließ und den Laienbruder Rodeger zu ihrem geistlichen Betreuer machte. Das Ziel einer radikalen Nachfolge Christi in Selbsterniedrigung, Buße, vollkommener Armut und Hinwendung zu den Armen suchte sie zu verwirklichen, soweit dies ihre Stellung als Landgräfin zuließ. Entgegen weitverbreiteter, jüngerer Tradition wurde sie hierin von ihrem Gemahl unterstützt. Besondere Verdienste erwarb sich Elisabeth während der Hungersnot von 1226, als sie in Abwesenheit ihres Mannes weit über das übliche Maß hinausgehende Hilfsmaßnahmen traf.
Entscheidend für ihren weiteren Lebensweg wurde die enge Bindung an den Kreuzzugsprediger und späteren Ketzerverfolger Konrad von Marburg, dem sie im Frühjahr 1226 Gehorsam und Ehelosigkeit bei vorzeitigem Tode ihres Mannes gelobte. Konrad von Marburg, der selbst der religiösen Armutsbewegung nahestand, übte als Seelenführer und Beichtvater stärksten Einfluß auf die junge Landgräfin aus, Als Elisabeth nach dem Kreuzfahrertod Ludwigs IV. (11. September 1227) im Winter 1227/28 unter Entzug ihrer Wittumsgüter die Wartburg verlassen mußte, übernahm Konrad als päpstlich bestellter Beschützer Elisabeths auch die Sachwaltung ihrer äußeren Angelegenheiten. Er erreichte, daß Elisabeth, die sich ihm gegenüber in einem erneuten Gelübde von ihrer Familie, ihrem Willen und aller Welt losgesagt hatte, von ihren landgräflichen Schwägern neben einer hohen finanziellen Abfindung die Möglichkeit zur Errichtung eines Hospitals in Konrads Heimatort, der landgräflichen Stadt Marburg, erhielt.
In ihrem Hospital (mit erstem Franziskuspatrozinium nördlich der Alpen) sah Elisabeth die beste Möglichkeit, als Witwe ihre religiösen Ziele zu verwirklichen. Nach ihrem Eintritt in den geistlichen Stand (Winter 1228) wirkte sie, ohne festere Bindung an einen geistlichen Orden, als soror in seculo im Dienst an den Armen und Kranken, wobei sie sich mit dem Hospitalpersonal niederer Herkunft auf eine Stufe stellte. In dem Streben nach vollkommener imitatio Christi nahm sie sich besonders der Aussätzigen (Aussatz) an, verrichtete niedrigste Arbeiten, verschenkte ihr gesamtes Vermögen an Geld und Schmuck den Armen und übte sich in Gehorsam, Askese und Kontemplation. Nach nur dreijährigem Wirken starb sie, bereits zu Lebzeiten im Rufe der Heiligkeit stehend, in tiefster Armut im Alter von 24 Jahren; sie wurde am 19. November (ihrem künftigen Festtag) in der Kapelle ihres Hospitals bestattet.
Leben und Wirken Elisabeths sind auf dem Hintergrund der großen religiösen Armutsbewegung des 12./13. Jh. zu sehen, die wesentlich von den weitreichenden sozialen Wandlungen der Zeit (z.B. Anwachsen des reichen städtischen Bürgertums, Anstieg der Massenarmut auf dem Lande und in den Städten) geprägt war und zu neuen Formen der Frömmigkeit (Semireligiosentum, Beginen, Bettelorden, z. T. auch häretische Strömungen) führte. Elisabeth steht in einer Reihe zahlreicher anderer Frauen häufig vornehmer Herkunft, die vornehmlich seit dem Beginn des 13. Jh. in ähnlicher Weise die unbedingte Nachfolge Christi im Nachvollzug seiner Leiden und seiner Armut anstrebten (Maria von Oignies, Klara von Assisi). Als eine der frühesten Vertreterinnen dieser neuen religiösen Strömungen in Deutschland, v.a. aber als Angehörige des europäischen Hochadels, die das Armutsideal in extremer Weise in eigener Person verwirklichte, erlangte sie bereits zu ihrer Zeit herausragende Bedeutung. [1. von drei Abschnitten] M. Werner, [LdM III, Sp. 1838 f.]. [15.9.04]
Mechthild von Magdeburg
* in Niedersachsen um 1207, † Helfta (= Eilsleben) um 1282
Mystikerin. - Lebte als Begine unter geistlicher Leitung der Dominikaner in Magdeburg. Gegen Ende ihres Lebens (um 1270) zog sie sich zu den Zisterzienserinnen ins Kloster Helfta zurück (wo sie die junge Gertud von Helfta kennenlernte). Von einzigartiger mystischer Begabung, trat sie als Kritikerin ihrer Zeit und der Kirche auf. [VoL 7, S. 495]
Mit ihren Offenbarungen "Fließendes Licht der Gottheit" verfaßte sie das erste deutschsprachige Werk vor Meister Eckhart. Sie gehört damit zu den Frauen, denen der Durchbruch zur volkssprachlichen Literatur zu verdanken ist (wie die Hadewijch im flämisch-niederländischen und Marguerite Porète im französischen Kulturraum). Niedergelegt wurden die Offenbarungen in einem niederdeutschen Idiom. Ihre ersten sechs Bücher enthalten eine Menge Kritik. Freimütig greift sie den Welt- und Ordensklerus an, auch die Dominikaner nimmt sie davon nicht aus. Dabei bedient sie sich einer von Leidenschaft geprägten, ausdrucksstarken Sprache. Ihre bitteren Anwürfe erregten beträchtliches Aufsehen und es blieb nicht aus, daß sie persönlich angefeindet wurde. [Beyer, S. 179 f.] [17.3.00]
Hadewijch
1. Hälfte [Mitte] des 13. Jh. [umstritten]
Mystikerin und Dichterin. - Bisher keine zuverlässigen Angaben zu ihrem Leben. Vermutlich war sie noch vor Entstehung der Beginenhöfe Führerin einer ohne feste Regeln zusammenlebenden Gemeinschaft von (flämisch - brabantischen) Beginen in Antwerpen. Ihr OEuvre (45 stroph. Gedichte, 31 Briefe in Prosa- und 16 in Reimform, ein Visionenbuch) wird als das Werk einer nicht im Klosterverband lebenden mulier religiosa betrachtet, das aufgrund seiner Verbundenheit mit der religiösen Frauenbewegung (ca. 1180-1270) der frühen Illiteratenliteratur zugeordnet werden kann. Hadewijch verfügt über gründliche Kenntnisse der nordfranzösischen Spiritualität des 12. Jh. (Zisterzienser und Viktoriner [Regularkanoniker der Abtei St.-Victor in Paris]), verarbeitet ihre Quellen jedoch auf sehr persönliche Weise. Vor dem Hintergrund eines asketischen, ehelosen Lebens, eucharistischer Frömmigkeit und des Strebens nach Selbsterkenntnis als Weg zur Gotteserkenntnis richtet sich ihr ganzes Interesse auf das Einswerden mit Gott und die Begleitung dieses Prozesses bei ihren Freundinnen. Hadewijchs Mystik beruht auf der Erfahrung einer intellektuellen und psychischen Spannung zwischen der persönlichen Nachfolge des Mensch gewordenen Gottessohnes, der für sie den in der Zeit erschienenen Archetyp des Göttlichen darstellt, und der Liebessehnsucht nach dem Mysterium des Göttlichen. Das Leben nach dem Tod betrachtet sie als eine nie endende Reise zum unermeßlichen Mysterium des Göttlichen. In ihren zahlreichen Ich-Fragmenten präsentiert sich Hadewijch als figurales Modell für die Angehörigen ihres Kreises.
Die lexikalische und stilistische Qualität ihrer Prosa, die Beherrschung der höfischen Registertechnik in der Lyrik und die Strukturierung des Visionenbuches als allegoria in factis (was Gott in einem historischen Moment mit Hadewijch tat, wird seine volle Bedeutung erst in einem neuen, von Gott gewollten Ereignis erlangen, das selbst wiederum auf ein ewiges heilbringendes Handeln Gottes hinweist; das erste Ereignis muß tropologisch, allegorisch und anagogisch erfüllt werden) stellen die Forschung vor Probleme. Hadewijch und Beatrijs von Nazareth erscheinen, da ältere geistliche Literatur im Mittelniederländischen kaum erhalten ist, eventuell nur bedingt zu Recht als Anfang einer literarischen Entwicklung, doch erstaunt nicht, daß am Beginn der volkssprachlichen geistlichen Literatur gerade Frauen stehen.
Hadewijchs Orthodoxie scheint während des Mittelalters nie bezweifelt worden zu sein. Im Kreis um Johannes von Ruusbroek genoß sie hohes Ansehen. Im 20. Jh. wurde sie mehrmals Zielscheibe heftiger Kritik: Einerseits wiederholt der Ketzerei beschuldigt, und zwar offensichtlich immer aus Unkenntnis lexikalisch - historischer Gegebenheiten, bezichtigte man sie andererseits wegen besonderer erotischer Fragmente der psychischen Labilität. Demgegenüber muß jedoch angeführt werden, daß Hadewijch wie andere unverheiratete Frauen ihrer Zeit ein entwickeltes Liebesleben besaß und daß die vielen Kommentare zum Hohelied den Sprachcode der mulieres religiosae beeinflußt haben. Ihre Werke waren auch in den Kreisen der Rheinländischen Gottesfreunde und der Devotio moderna weitverbreitet. Zu Hadewijchs Schule werden einige Gedichte und Prosawerke gerechnet. H. Vekeman, [LdM IV, Sp. 1819 f.]
Fest steht, daß sie einen weit verbreiteten Freundeskreis pflegte; ihre "Liste der Vollkommenen" enthält 56 Namen, darunter Beginen in Brabant und Flandern, Frauen in Köln, eine Klausnerin in Sachsen, Männer und Frauen in England und eine Freundin in Böhmen. In einer dunklen Notiz ist die Rede von einem "vergessenen Meisterlein", das, in Paris in einer Zelle hausend, mehr von ihr wisse als sie selber. Sie vergißt auch nicht, eine Begine zu erwähnen, die vom Großinquisitor getötet worden sein soll. Leider hat sich Hadewijch nicht dazu entschließen können, ausführlicher über ihr "internationales" Kontaktnetz zu berichten. Es habe ihr dafür an Ausdauer gefehlt, gibt sie selbst einmal zu.
Ansonsten erhalten wir nur wenige Aufschlüsse über ihr äußeres Leben. Mit ihrer Brieffreundin hat sie zeitweise zusammengewohnt, läßt auch Grüße an befreundete Frauen ausrichten. Sie muß unter beträchtlichen Nachstellungen gelitten haben. Von "falschen Brüdern" ist die Rede, die sich in die fromme Hausgemeinschaft eingeschlichen hätten, um Zwietracht zu sähen. Dadurch sei sie von ihren Mitschwestern isoliert worden. Also hat Hadewijch wahrscheinlich auch längere Zeit als Einzel-Begine gelebt. Mit ihrer adligen Familie hatte sie ohnehin gebrochen. In einem ihrer Gedichte hat sie einmal ihrer Familie gedacht, doch nachdrücklich und konsequent hat sie das Leben einer Begine vorgezogen. [Beyer, S. 152 f.] [17.11.04]
Agnes von Böhmen OSC
* wahrscheinlich 1211, † wohl 2.3.1282
Äbtissin, Hospitalgründerin. - Neuntes und jüngstes Kind aus der 2. Ehe Premysl Ottokars I. mit Konstanze von Ungarn, Cousine der Elisabeth von Thüringen; in der Jugend war sie Gegenstand mehrerer diplomatischer Heiratsversuche gewesen, die jedoch scheiterten: Heinrich (VII.), Heinrich III. von England, erneut Heinrich (VII.) und Friedrich II. Deshalb und aufgrund innerer Entwicklung trat sie in das von ihr gegründete Klarissinnenstift in Prag (wahrscheinlich 1234) ein, mit den sowohl ein Männerkloster als auch ein Spital verbunden wurden. Ihr Kloster war der erste gotische Bau im Land und sollte eine Grabstätte der Premysliden sein. Agnes entfaltete eine rege Tätigkeit geistlichen, aber auch weltlichen Charakters (Beziehungen mit Päpsten und propäpstliche Politik, Korrespondenz mit der hl. Klara u.a.). I. Hlavácek, [LdM I, Sp. 213]. Seligsprechung 1874, Heiligsprechung 1989. [15.9.04]
Margareta von Ungarn (Margit) OP
* 1242 Burg von Klissza (heute Kroatien), † 18.1.1270
Heilige (Fest: 18. Januar). - Tochter König Bélas IV. von Ungarn und der Maria Laskaris, Nichte Elisabeths von Thüringen, wurde noch vor ihrer Geburt von ihren Eltern für die Befreiung Ungarns von den Tataren dem geistlichen Stand versprochen. Seit 1246 wurde sie im Dominikanerinnenkloster Veszprém erzogen. 1252 brachte der Dominikanerprovinzial Michael sie in das von Béla IV. auf der Halbinsel (heute Margareteninsel) bei Buda gegründete Kloster. Dort legte sie 1254 die Profess ab und lebte bis zu ihrem Tod in strengster Armut und Buße. Ihr Grab wurde bereits kurz nach ihrem Tod von Pilgern besucht. 1276 seliggesprochen, erfolgte ihre Heiligsprechung erst 1943. I. Orbán, [LdM V, Sp. 232] [17.11.04]
Mechthild von Hackeborn
* 1241/42, † 19.11.1298/99 in Helfta
Heilige, Mystikerin. - War siebenjährig ins Kloster Helfta bei Eisleben gekommen, dort magistra und cantrix. Ihre mystischen Erfahrungen hielt sie bis zu ihrem 50. Jahr geheim. Seit damals wurden ihre Offenbarungen unter Mitwirkung Gertruds von Helfta als »Liber specialis gratiae« ("Buch der besonderen Gnade") zunächst ohne ihr Wissen niedergeschrieben, doch später von ihr autorisiert; das letzte Buch enthält Offenbarungen Gertruds. Deren Schauungen ähneln denjenigen Mechthilds in hohem Maß, sowohl inhaltlich - Brautmystik, Unio mystica als »summa experientia«, Liebeswunde, Herz-Jesu-Verehrung, Eucharistie, Liturgie, Sorge für die Armen Seelen - als auch stilistisch, wobei Mechthild Priorität zukommen dürfte. Groß ist der Reichtum an Allegorien (z.B. Tugendbrunnen, Herzensgarten, Personifikationen, Zahlensymbolik). Als Askeseleistung legte Mechthild zur Erinnerung an die Passion Scherben in ihr Bett oder wälzte sich in ihnen, bis sie vor Blut triefte, um den Zorn Gottes abzuwenden. Häufig wurde Mechthild über das Schicksal Verstorbener befragt; die Schwestern versammelten sich um sie wie um einen Prediger. — Mechthilds Werk fand Leser bei den Gottesfreunden, war Seuse und Tauler bekannt und wurde noch im Mittelalter ins Niederländische, Englische und Schwedische übersetzt. P. Dinzelbacher, [LdM VI, Sp. 437]
Überschwenglich verehrt Mechthild Maria, wobei sie dieser ungewöhnliche Züge verleiht. Diese tritt nicht nur als Gottesmutter und Fürbitterin auf, sondern auch als Anklägerin. [Beyer, S. 186] [17.11.04]
Christina von Stommeln (die Kölnische)
* 1242 Stommeln, † 6.11.1312 Stommeln
Mystikerin. - Die Bauerntochter Christina erlebte mit 10 Jahren die ekstatische Verlobung mit Christus und floh 1255 zu den Kölner Beginen, die sie wegen ihrer dauernden dämonischen Erlebnisse 1259 zurückschickten. Von da an wohnte sie wieder in Stommeln bei Eltern, Pfarrer und den dortigen Beginen. Nach eigenen und fremden Aussagen durch Erscheinungen und leibliche Angriffe von Teufeln gequält und versucht, war Christina andererseits mit himmlischen Tröstungen und Gesichten, der Stigmatisierung und dem Mitleiden der Passion Christi begnadet. Die körperlich und psychisch tief leidende Frau machte 1288 eine schwere Blutung mit, wonach keine übersinnlichen Erlebnisse mehr berichtet werden. Ihre Vita mit dem umfangreichen Briefwechsel gibt detaillierten Einblick in Christinas Leben, sie stammt von ihrem Seelenführer, dem schwedischen Dominikaner Petrus de Dacia. P. Dinzelbacher, [LdM II, Sp. 1919]
Ihr Vater war ein vermögender, später aber verarmter Bauer. (...) Christina wurde nicht nur von spektakulären Entrückungen heimgesucht, seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr zeigten sich an ihr die Stigmata, entsprechend den Leidenswunden Jesu, an Händen, Füßen, Haupt und Seite. Petrus von Dacien will die Stigmata selbst gesehen haben, zum erstenmal am Karsamstag 1268: "Während sie, vom Geist erfaßt, so völlig von Sinnen war, öffnete sie ihre linke Hand, und ich sah, was ich mir von Kindheit an gewünscht hatte: in der weißen Hand der Jungfrau das Kreuz unseres Herrn von blutroter Farbe. Dieses Kreuz aber war nicht nur mit Farbe oder Blut gemalt, sondern als Wunde in die Hand geprägt: es war auch nicht ein einfaches Kreuz, es war vielmehr mit den schönsten Blumen geschmückt und wunderbar gestaltet (Vita Christinae, S. 16)."
Petrus hat noch mehrmals Stigmata an Christina bemerkt.(...) Auffällig ist, daß Petrus von Dacien sehr genau die einzelnen Stigmata beschreibt, jedoch eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legt, wo es um die Erklärung dieses Phänomens geht. Auszuschließen ist deshalb nicht, daß Christina sich die Stigmata durch ekstatische Selbstverletzungen beigebracht hat. Dafür spräche das regelmäßige Aufbrechen der Wunden zur Osterzeit, die präzise Formgebung der Verletzungen und die merkwürdige Leidensunempfindlichkeit der Mystikerin. Solche Selbstverstümmelungen haben wir schon bei Maria von Oignies kennengelernt.
Ähnlich wie die Stigmatisierung haben auch Christinas Teufelsanfechtungen Verwunderung, wenn nicht Spott herausgefordert: Danach "warf der Teufel Christina völlig nackt in einer frostklirrenden Winternacht in einen Holzhaufen, aus dem sie sich nicht befreien konnte. Das Holz lag im Hof des Hauses eines alten Anwalts, einen Steinwurf weit entfernt vom Haus Christinas, aus dem sie geworfen worden war. Die ältere Tochter des Anwalts hörte Christina in der Nacht weinen, wunderte sich und suchte sie. Als sie sie endlich gefunden hatte, zog sie ihr eines von den Kleidern an und schickte sie nach Hause zurück (Vita Christianae, S. 210)". Wo Petrus von Dacien Teufelswerk sieht, ist eher an erotische Neigungen zu denken, die von Christina gleichzeitig hilflos und reumütig erlitten werden. Solche und ähnliche Erfahrungen hat Christina häufig gemacht, beendet wurden sie erst vom Jahr 1288 an. Damals war Christina 46 Jahre alt, vielleicht führte ihr Klimakterium zu einer gewissen Beruhigung ihrer Leidenschaften, wahrscheinlich jedoch spielte ein für sie wesentliches Erlebnis eine Rolle, der Tod ihres Biographen und mystischen Liebhabers Petrus von Dacien.
Petrus traf Christina insgesamt von 1267 an vierzehnmal und anscheinend verliebten sie sich ineinander (...) Sie beschänkten sich gegenseitig und schickten sich Briefe, in denen es heißt: "Wenn einer mich fragte, ob ich Christina liebte, so antwortete ich mit voller Überzeugung: Ich liebe! (Vita, S. 163)" und von ihr: "Liebster, Du sollst wissen, daß ich für Dich die innigste Liebe empfinde." 1279 eröffnete sie ihm ein "Geheimnis": "Seit meiner Kindheit habe ich dich gekannt, dein Gesicht gesehen und deine Stimme gehört, dich mehr als alle Menschen geliebt ... bei der heiligen Kommunion wurde mir sichtbar ein Ring gegeben und in den Finger gezeichnet (Vita, S. 156)". Christina beschreibt hier eine Verlobung, jedoch nicht mit Christus, ihrem geistlichen Gemahl, sondern mit Petrus, ihrem weltlichen Geliebten, ein einmaliger Vorgang in der mittelalterlichen Mystik. Im Gewande einer mystischen unio vollzieht sich eine Vereinigung mit einem wirklichen Liebhaber (...) Petrus hat den Versuch unternommen, Christina zu sich nach Schweden zu holen. Er bat Beginen in Schweden, Christina nach Gotland einzuladen, doch die Einladung zerschlug sich. [Beyer, S. 160-168] [18.11.04]
Gertrud die Große von Helfta SOC
* 6.1.1256, † 17.11.1301/02
Heilige, Mystikerin. - Wurde mit 5 Jahren als Oblate dem Kloster Helfta bei Eisleben übergeben, wo sie lernbegierig eine gute Bildung erwarb. Seit 1281 mystisch begnadet, berichtete sie ihre Visionen, Erscheinungen, Auditionen, Meditationen, Gebete anderen Schwestern, die sie aufzeichneten, bzw. schrieb sie selbst nieder. Von ihrem Hauptwerk, der Offenbarungsschrift »Legatus divinae pietatis« ("Gesandter [oder 'Bote'] der göttlichen Liebe"), ist nur Buch II (von fünf) eigenhändig (1289), die anderen teilweise nach ihrem Diktat; eine deutsche Übersetzung des frühen 15. Jahrhunderts, gedruckt 1505, machte große Teile des »Boten« weiter bekannt. Selbstverfaßt sind desgleichen die »Exercitia spiritualia«, ein Erbauungsbuch des Aufstiegs zu Gott. Seit etwa 1290 beteiligte sich Gertrud auch an der Aufzeichnung der Offenbarungen ihrer Mitschwester Mechthild von Hackeborn, des »Liber specialis gratiae«. Gertruds Stil ist bild- und nuancenreich, von rhetorisch gebändigter Emotionalität. Vielfaltig und plastisch sind ihre Allegorien: der hl. Benedikt erblüht als tugendtragender Rosenbaum, aus Christi Herz erwächst ein ihn mit der Seele verbindender Gürtel, die Seele eines Sünders erscheint als häßliche Kröte usw. Das Geschaute wird wie bei vielen ihrer Zeitgenossinnen (Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn, Agnes Blannbekin u.a.) sogleich einer Allegorese unterzogen. Die zur Unio mystica strebende Christusminne und Herz-Jesu-Verehrung, Marien und Heiligendevotion, die Eucharistie, die Liturgie, der Gehorsam, auch die Armen Seelen sind wichtige Motive ihres spirituellen Lebens [Ihr geistlicher Betreuer war Dietrich von Apolda aus dem Dominikanerkonvent in Erfurt]. P. Dinzelbacher, [LdM IV, Sp. 1355] [9.2.04]
Im zweiten Buch des 'Boten' gibt sie Aufschluß über ihre Schlüsselerfahrung vom 27. Januar 1281:
Während ich inmitten unseres Schlafsaals stand und das Haupt, das sich zur ordensüblichen Ehrfuchtsbezeugung verneigt hatte, wieder erhob, da sah ich den Jüngling mir zur Seite stehen, liebenswürdig und zart, von ungefähr sechszehn Jahren. Mit holdseligem Antlitz und sanften Worten sprache er zu mir: "Schnell wird kommen dein Heil. Warum verzehrst du dich in Trauer? Ist dir nicht ein Ratgeber zur Seite, da der Schmerz dich verändert hat?" Während er dies sagte, glaubte ich, obgleich ich wußte, daß ich körperlich am genannten Ort stand, dennoch in unserem Chor zu sein in der Ecke, wo ich mein lautes Gebet zu verrichten pflegte, und hörte dort folgende Worte: "Ich werde dich retten und befreien, fürchte nicht!" Sodann sah ich eine sanfte Hand meine Rechte halten, als wolle sie dieses Versprechen bekräftigen ... Also suchtest du, mein Schöpfer und Erlöser, meinen harten Nacken deinem sanften Joch zu unterwerfen und hast meiner Krankheit den ... mildesten Trank bereitet ... (Gesandter ..., S. 74 f.) [Beyer, S. 186 f.] |
Marguerite Porète
* Hainaut, † Paris 1.6.1310
Begine. - Schrieb in altfranzösischer Volkssprache den "Miroir des simples âmes" ("Spiegel der einfachen Seelen") und hatte damit ungeahnten Erfolg, besonders unter den Anhängern der Begarden und Beginen, wie ein kirchliches Ketzerprotokoll vermerkt. Der Bischof von Cambrai (1296-1306) verurteilte sie, ließ ihr Buch in Valenciennes öffentlich verbrennen und stellte die Weiterverbreitung unter Strafe. Sie verbreitete es dennoch weiter bis 1307 erneut Anklage gegen sie erhoben wurde. Diesmal ist es der päpstliche Generalinquisitor Frankreichs, der Dominikaner Wilhelm von Paris, der schon bei den Prozessen gegen die Templer unrühmliche Verdienste für sich in Anspruch nehmen konnte (übrigens ein Hausgenosse Eckharts in dessen Pariser Zeit 1302/03 und 1311-13). In Paris wird sie in den Kerker geworfen. Sie verteidigt sich nicht, rechtfertigt nichts und nimmt auch nichts zurück. Am 11. April 1310 wird ihr Buch von einer Kommission aus 21 Pariser Theologen als häretische Schrift verurteilt, was von Wilhelm am 30. Mai bestätigt wird. Am Tag darauf wird sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt. [Beyer, S. 175 f.] [17.3.00]
Christine Ebner
* 26.3.1277 in Nürnberg, † 27.12.1356
Mystikerin. - Mit 12 Jahren kam die Patriziertochter zu den Dominikanerinnen in Engeltal, wo sie sich sehr harter Askese in Buße und Imitatio Christi befleißigte, vom Konvent anfänglich eher mißtrauisch angesehen. Doch machte sie ihr Gnadenleben weithin berühmt, wofür auch die Besuche der Geißler 1349 und Kaiser Karls IV. 1350 zeugten. Ab 1345 fungierte sie als Priorin. Ebner hat im "buchlein von der genaden uberlast" formvollendet über die mystisch begabten Nonnen ihres Klosters berichtet; ihre eigenen Offenbarungen wurden verschiedentlich von ihr selbst, ihrem Beichtvater Konrad v. Füssen sowie Mitschwestern aufgezeichnet; auf göttliches Geheiß ließ Ebner sie veröffentlichen und verbreiten. Sie handeln von freudvollen Begnadungen, Erscheinungen Christi, Mariens und Verstorbener, von den Gesprächen der Trinität über theologische Fragen. Verschollen ist der Briefwechsel mit Heinrich v. Nördlingen, der, wie Mechthild v. Magdeburg und Tauler, für Ebners Mystik bedeutsam war. P. Dinzelbacher, [LdM III, Sp. 1527.] [13.3.12]
Margareta Ebner
* um 1291 in Donauwörth, † 20.6.1351 in Maria Medingen
Mystikerin. - Die Patriziertochter trat mit 15 Jahren bei den Dominikanerinnen in Medingen bei Dillingen ein, wo sie sich seit ihren häufigen Erkrankungen [von 1314 bis 1326 war sie nach eigenem Zeugnis jeweils mehr als die Hälfte des Jahres bettlägerig (Beyer, S. 214).] ab 1312 dem beschaulichen Leben ergab. Ihre mytische Frömmigkeit entwickelte sich besonders in der Freundschaft mit Heinrich v. Nördlingen (seit 1332), von dem 56 Briefe an Ebner erhalten sind, und der sie zur Aufzeichnung ihrer Offenbarungen nach ihrem Tagebuch bewog (ab 1344). Auch Ebners Eintreten für den gebannten Kaiser Ludwig d. Bayern trübte dieses Verhältnis nicht. Kennzeichnend für sie sind tiefe Christusfrömmigkeit (Namen Jesu, Eucharistie, Kindheit, Passion) mit Verwendung realistischer Andachtshilfen - erhalten sind ihr hölzernes Christkind und die Wiege - sowie Mitleid mit den Armen Seelen.
[Grausamkeiten kann sie nicht ertragen. Sie weint, wenn die Dienstmädchen gescholten werden; unerträglich ist es für sie, wenn das Vieh geschlagen wird. Als eine ihr sehr verbundene Schwester todkrank daniederliegt, übernimmt sie die Krankheit der Leidenden. Die Freundin stirbt und Margareta verfällt in eine schwere Depression. Daneben nicht ganz uneitle Anwandlungen: Jedes Kreuzlein, das ihr vor Augen kommt, hängt sie sich um, sogar vor frommem Diebstahl schreckt sie nicht zurück (Beyer, S. 215).]
Mystische Begnadungen erhielt sie namentlich beim Gebet: u.a. Auditionen, Glossolallie [unverständliches Sprechen bei ekstatischen, (religiösen) Praktiken; Zungenreden], eingegossene Süße, die Stigmen, worüber sie schlicht und ohne literarischen Anspruch berichtet. Einzelne Briefe bezeugen Ebners Verbindung zu anderen Gottesfreunden, darunter Tauler. P. Dinzelbacher (geringfügig gekürzt), [LdM III, Sp. 1527.] [13.3.12]
Elsbeth von Oye (Elsbeth von Beckenhofen, Anna Ramschwag) OP
* um 1290, † Zürich um 1340
Mystikerin. - Trat nach dem Zeugnis des "Schwesternbuchs von Ötenbach" sechsjährig ins Zürcher Dominikanerinnenkloster ein und starb dort heiligmäßig im 51. Lebensjahr. Vermutlich aus der Zürcher Famile von Ouw gebürtig, kannte sie wohl Meister Eckhart, der in seiner Straßburger Zeit vermutlich in ihrem Kloster predigte. Erhalten ist ein Autograph, in dem sie ihre blutigen Selbstkasteiungen schildert und die himmlischen Auditionen festhält. Sie muß mehrere Bändchen Offenbarungen hinterlassen haben. Die Zürcher Schwester steht ganz im Bann einer älteren Blut- und Wundenmystik, versucht diese aber mit theologischen Spekulationen zu rechtfertigen, die Meister Eckhart und seiner Schule nahe stehen. P. Ochsenbein, [LdM III, Sp. 1860] [9.2.04]
Weltweit werden die Frauen brutal diskriminiert. In vielen Staaten ist die sexuelle Folter, Vergewaltigung, Verstümmelung und Verstoßung üblich. Die frauenspezifische Verfolgung, die Deklassierung und Demütigung, Verachtung und Unterdrückung ist in zahlreichen Ländern der Welt rechtlich sanktioniert. Der Universalitätsanspruch der Menschenrechte von Frauen richtet sich nicht zuletzt an die Adresse der Weltreligionen. Mit Ausnahme des Buddhismus müssen sie sich schwerste Vorwürfe gefallen lassen, weil sie in weitem Umfang die geistigen Urheber des geschlechts- und frauenfeindlichen Klimas in großen Teilen der Erde sind.
Im Christentum war die Situation über lange Jahrhunderte nicht viel besser als im Islam. Ausgangspunkt der Diskriminierung ist die Behauptung, Eva sei aus der Rippe Adams geschaffen worden. Außerdem sei Eva den Einflüsterungen der Schlange erlegen und habe den unschuldigen Mann dazu verführt, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Jesus Sirach, einer der Propheten des Alten Testaments, prägte den Satz, der eine unheilvolle Wirkung in der späteren Kirchengeschichte haben sollte: "Von einer Frau nahm die Sünde ihren Anfang; ihretwegen müssen wir alle sterben."
Unbeantwortet bleibt die Frage, warum nach Gottes Ratschluss ausgerechnet die Frau für die Untat verantwortlich gewesen sein soll. Jedenfalls wurde durch diese schicksalhafte Kriminalisierung die Frau zur ianua diaboli, der Einfallspforte des Teufels, durch die der Mann in die Sündenfalle tappt. Selbst ein so großer Denker wie Albertus Magnus, dessen Namen der ICE 820 von Nürnberg nach Köln trägt, verstieg sich zu der Aussage, die Frau sei ein missglückter Mann und habe im Vergleich zum Mann eine defekte und fehlerhafte Natur. Was Augustinus über die Frauen geschrieben hat, ist so schändlich, dass man ihm den Titel des Kirchenlehrers entziehen müsste. Es gibt weibliche Lichtgestalten in der Kirchengeschichte: Hildegard von Bingen, Elisabeth von Thüringen, Theresia von Avila. Aber sie fallen in der Allerheiligenlitanei unter die Rubrik "Jungfrauen und Witwen". Heilige Ehefrauen und Mütter sind für die Kirche unbekannte Kategorien.
Die Geschichte der Frau im Christentum ist ein Konglomerat aus philosophisch-theologischen Irrtümern, aus Aberwitz, Machtmissbrauch und Dummheit der Männer, Absurditäten und Perversitäten, Ausgrenzung und Stigmatisierung, aber auch aus Anbetung und Verdammung, Mythen und Zauberglauben, Verehrung, Idealisierung und Verteufelung.
Es gehört zu den größten Blasphemien der Religionsgeschichte, dass die Religionen Gott zur Begründung dieser Diskriminierung missbrauchen. Jesus war, wie wir gesehen haben, ein Freund und Anwalt der Frauen. Aber die Moraltheologen haben seine menschenfreundliche Lehre mit ihrer vom Sündenwahn beherrschten Theologie ins Groteske verfälscht. Natürlich haben die Kirchen die Inquisition und Hexenverbrennung hinter sich gelassen. Aber bis auf den heutigen Tag hält die katholische Kirche daran fest, dass Priester nicht heiraten und Frauen nicht Priester werden dürfen. Der in der katholischen Kirche entwickelte Marienkult ist kein Gegenbeweis, sondern umgekehrt das Alibi für das schlechte Gewissen der Moraltheologie - ein Kult, in dem unterdrückte Sexualität durch teilweise frömmelnde Verehrung sublimiert wird. [14.3.05]
Heiner Geißler, Was würde Jesus heute sagen? Die politische Botschaft des Evangeliums, rowohlt Berlin 6.2003, S. 92-94