Wirkung

wirkung
Einleitung
Die Kölner Eckhartisten
Andere Autoren
Devotio Moderna
Niederlande
Dominikanerinnen
Kues, Meyer, Trithemius
Taulerdrucke, Sudermann
Quétif/Echard, Raynaldus
Mosheim
Baader, Hegel
Pfeiffer
Denifle
Lat. Hss.-Funde bis heute
Das 20. Jahrhundert
"Dichterische Tinte"
Edition der Werke seit 1936
- Raymond Klibansky
- Die Lieferungen
- Kurt Flasch
Ein "Portrait" Eckharts
Noch ein "Portrait"
Titelbild einer Lieferung

Swen genüeget, des er hât
der behaltet in dâ mite.

Freidank, S. 56/57
Wem das genügt, was ihm gegeben,
ist immer reich in diesem Leben.
Freidank 43,10
[12.12.04]

  Nach der Verurteilung wurde es still um Eckhart. Obwohl nur insgesamt 28 Sätze aus seinem umfangreichen Schaffen beanstandet worden waren, schien es ratsam, sich nicht öffentlich mit seinen Gedanken und Schriften zu befassen, umso mehr, als man nicht unbedingt wußte, aus welchen Texten die Sätze stammten. Gleichwohl wurden Abschriften seiner Predigten und Abhandlungen hergestellt und zirkulierten in Gelehrtenkreisen. [28.2.01]
  Aus dem Brief des Papstes an den Kölner Erzbischof Heinrich von Virneburg vom 15. April 1329 schloß Koch: "Eckharts Irrlehren sind keine Gelehrtenhäresien, sondern für die einfachen Leute gefährlich, die darum vor ihnen geschützt werden müssen ... Die durch Eckharts Lehre hervorgerufene Gefahr hält der Papst für begrenzt" [Koch, Wirken, S. 432 f.]. Deshalb sollte die Bulle im Kölner Raum, der bis in die Niederlande reichte, publiziert werden. In Süddeutschland und wohl auch in Thüringen war sie nicht bekannt. So war sie Wilhelm von Ockham, der sich zu der Zeit in München aufhielt, 1337/38, also neun Jahre später, immer noch unbekannt.
  Der folgende Überblick ist hauptsächlich der Studie von Ingeborg Degenhardt entnommen. Weitere Arbeiten zur Rezeption stammen von Fischer und Schaller (vgl. Bibliographie). [4.2.04]

Die Kölner "Eckhartisten"
  Trotzdem (oder gerade deshalb) war die "Zentrale" der Verbreitung seiner Schriften das Dominikanerkloster in Köln. Fast die Hälfte der bisher wieder aufgefundenen lateinischen Hss. (B, C, D, K, L, S, T) wird dort ihren Ursprung gehabt haben, weshalb Sturlese von den "Kölner Eckhartisten" (s. Bibliographie) spricht, die man nicht namentlich greifbar machen kann, die aber wohl verantwortlich für die CT-Rezension zeichnet (s. Hs. L - Beschreibung). "Jenem 'Eckhartisten'-Kreis sind vor allem Bearbeitungen von eckhartschen Schriften zuzuschreiben, wie z.B. die Herstellung und die Verbreitung der sog. 'Rechtfertigungsschrift' Eckharts, der Basler Anthologie seiner Schriften (Hs. K), der Paradisus anime intelligentis-Sammlung und einer Verdeutschung der Sapientia-Auslegung (sog. Anonymi Altenbergensis und Buxheimiensis). Möglicherweise sind weitere Materialien aus diesem Kreise verlorengegangen, wie es bei jener Schrift der Fall war, die Heinrich Seuse zugunsten der Lehre Eckharts schrieb und weswegen er bestraft wurde" [Sturlese, Wirken, S. 182]. [17.10.09]

Andere Autoren
  übernahmen Texte Eckharts ohne Nennung der Quelle. So exzerpierte Johannes von Dambach (der auch bei der Appellation Eckharts am 24.1.1327 als Zeuge anwesend war) 23 "schöne und nichtssagende Sätze" (Sturlese, Wirken, S. 177) aus dem Trostbuch in seiner Consolatio theologiae. Jordan von Quedlinburg (s. dort eine Liste seiner Exzerpte aus Eckharts Johanneskommentar) OESA und Marquard von Lindau OFM "pflückten interessante und geistreiche Sätze heraus, um damit ihre langweiligen Traktate und Predigten zu schmücken" (Sturlese in Anlehnung an Koch S. 177) und "nahmen von seinen metaphysischen und anthropologischen Lehren ausdrücklich Abstand" (Sturlese, S. 177). Beide bedienten sich aus dem Johanneskommentar; ersterer in seinen Sermones de tempore, letzterer in seiner deutschen 'Auslegung des Johannesprologs'. Und schließlich exzerpierte Gottfried van Wefele aus den Erfurter Reden in seinem Buch 'Van den XII dogheden'. [4.2.04]

Devotio Moderna
  Aber nicht nur in den Dominikanerkonventen in Köln und Erfurt wurden die Handschriften kopiert. Die weite, heute anonyme Verbreitung seiner Predigten, die sehr häufig in anderen Sammlungen als Exzerpte enthalten sind und ebenso häufig auch redigiert wurden, zeugt von dem langen Nachhall seines Auftretens. Aber wie schon zu seinen Lebzeiten gab es Freunde und Feinde. So wandten sich Vertreter der Devotio moderna wie Jan van Ruusbroec († 1381) gegen "falsche Propheten" oder direkt gegen ihn wie Jan van Leeuwen mit seinem "Büchlein von Meister Eckharts Lehre und deren Widerlegung" (vor 1355), das "sich zur Hauptsache mit einer einzigen Predigt Eckharts, Pfeiffer XV [Steer 105], [beschäftigt] die er zum größten Teil einigermaßen wörtlich wiedergibt" [Ruh, Leeuwen, S. 114]. Aus der Schrift geht auch hervor, dass Leeuwen die Bulle In agro dominico gut bekannt war, was die These von der Beschränkung der Bekanntheit derselben auf den Kölner Raum "ernsthaft erschüttert" [Ruh, S. 115].
  Ansonsten wurde namentlich eher selten auf Eckhart Bezug genommen. [23.4.12]

Niederlande
  48 Handschriften aus dem niederländischen Sprachraum (43 "mittelniederländisch", 5 "niederländisch"), die nicht ganz ein Achtel der Gesamtüberlieferung der Textzeugen (deutsch) zu Meister Eckhart ausmachen, zeugen von der weiten Verbreitung der von Eckhart stammenden oder der ihm zugeschriebenen Texte seit der Mitte des 14. (6 Hss.; die vielleicht Älteste, Lo3, von 1353) über das 15. (26) bis zum Ende des 16. Jahrhunderts (15) sowie der einen bisher ins 17. Jh. datierten Hs. .
  Neben übersetzten Predigten (vollständig oder in Teilen) in 22 Hss. enthalten die wahrscheinlich vornehmlich in Frauenklöstern entstandenen Schriften Fragmente aus den Reden (18 Hss.) und den Eckhart-Legenden (16), dabei besonders Schwester Katrei (5) und Meister Eckharts Wirtschaft (4) (weitere Informationen zu den Textzeugen s. Tabelle). [27.12.09]

Dominikanerinnen
   Das Eckhart nicht vergessen wurde, davon zeugen nicht zuletzt die Eckhart-Legenden oder auch Gedichte (Maister egghart sprichet von wesen blosz - so eine um 1440 im Kloster Inzigkofen lebende Dominikanerin) [Degenhardt, S. 25].
  Zu seiner Textausgabe einer Nürnberger Handschrift aus dem dortigen Dominikanerinnenkloster schrieb Jostes in der Einleitung 1895: "Ausser den Heiligenleben ist dann besonders die mystische Litteratur des 14. Jahrhunderts stark vertreten; man besass wenigstens die Hauptsachen von Eckhart, Tauler, Suso..." und in der Anmerkung dazu: "Eine Eckhartsche Predigt ist ausdrücklich als Tischlektüre empfohlen (...). Um die Mitte des 15. Jahrhunderts schrieb man nicht blos Tauler und Suso, sondern auch Eckhart noch neu ab. So enthält der Codex Cent. VI 46 (...) ausser Stücken von Hane dem Karmeliter, dem von der Sterngassen usw. auch eine Reihe von Eckhart. Aber der Schreiberin ist es doch schon nicht mehr recht wohl dabei gewesen, denn eingangs nennt sie das Buch "swer und unbekant" manchen Menschen. "Darumb sol man es nit gemeyn machen, des pitt ich durch got, wann es ward auch mir verbotten. Wer yemantz, der es straffen wollte, der soll es werlich schuld geben seiner plintheit. Wer aber icht hie inne, das man straffen möcht in der wahrheit, so sol man da wissen, das es da nicht schuld ist meins unglaubens, sunder es ist schuld meiner unbekantnusz; darum pild man es zu dem pesten" [Jostes, S. XXIV Anm. 2]. [4.2.04]

Kues, Meyer, Trithemius
  Zu dieser Zeit beschäftigte sich auch Nikolaus von Kues intensiv mit ihm (1439-59) und erwähnte ihn zweimal (1449 und 1456) in seinen Schriften. Diesem Kardinal verdankt die Eckhart-Forschung die umfangreichste Abschrift der lateinischen Texte, die Handschrift mit der Sigle 'C', die nahezu das komplette Werk beinhaltet und als einzige Handschrift die Sermones enthält. 1466 verfaßte der dominikanische Ordenschronist Johannes Meyer († 1485) den Liber de viris illustribus ordinis praedicatorum, in dem er "229 Mitglieder seines Ordens, die sich durch Heiligkeit, Gelehrsamkeit, kirchliche Würden, besonderen Reformeifer oder frommen Lebenswandel auszeichneten ... Revue passieren" ließ. An 48. Stelle vermerkte er: "Eckhardus Theutonicus, magister in theologia, homo doctus et sanctus...". Diese Schrift fand weite Verbreitung und in ihrer Folge äußerte sich auch der Ordenschroniker Georg Epp über "Eckharts Gelehrsamkeit, seinen frommen Lebenswandel, seine schlagfertige Rednergabe.." [Degenhardt, S. 74]. Ausführlich widmete sich ihm der Benediktinerabt Johannes Trithemius († 1516) als Verfasser der ersten gedruckten Literaturgeschichte De scriptoribus ecclesiasticis 1494 und führte Schriften von Eckhart an, von denen zwei bisher noch nicht wieder aufgetaucht sind (falls die zweite Angabe sich nicht auf das Fragment bezieht): Super sententias (Petri Lombardi) lib. 4 (Der Sentenzenkommentar) und In Cantica Canticorum lib. 1.
  Außerdem steht das 15. Jahrhundert ganz im Zeichen Eckharts. Zu keiner Zeit wurden mehr Handschriften mit den deutschen Predigten, Traktaten und Textstücken unterschiedlichster Art in den Klöstern beiderlei Geschlechts, wobei auch immer mal wieder sein Name als Autor auftaucht, abgeschrieben und kopiert. Die Übersicht über die deutschen Textzeugen, die gut 360 Handschriften umfasst, zeigt, dass etwa 90 Prozent aller Hss. diesem Jahrhundert entstammen. [26.11.08]

Taulerdrucke, Sudermann

  Leipzig. Noch im 15. Jh., 1498, wurden 84 Johannes Tauler zugeschriebene Predigten von Konrad Kachelofen gedruckt. Unter diesen erscheint der auch hsl. am besten dokumentierte Predigtzyklus "Von der ewigen Geburt" von Meister Eckhart (Sermones 2, 6, 8, 9), der seit 2003 in der Edition von Georg Steer vorliegt (DW 4,1: S 101, S 102, S 103 und S 104). Zugrunde lagen Hss. aus Köln, die 'vorwandelt in deutsch', d.h. aus dem rheinischen Dialekt ins Sächsische übertragen wurden. "Diese Ausgabe .. ist zugleich die beste und correcteste; sie kommt der ältesten der noch vorhandenen hiesigen Handschriften am nächsten" [Schmidt, S. 68]. Bereits dieser erste Druck enthält auch das 'Meisterbuch' von Rulman Merswin, das Tauler zugeschrieben wurde.
  Auch wenn die tatsächliche Auflagenhöhe unbekannt ist, kann wohl davon ausgegangen werden, dass der Leipziger Druck in min. 500 Exemplaren hergestellt wurde. "Neddermeyer .. kommt .. zu dem Ergebnis, dass schon um 1500 eine Auflagenhöhe von tausend Stück üblich war, ja sogar, dass 'zwischen 1500 und 1520 ... Auflagen unter 1000 Exemplaren seltene Ausnahmen' waren" [Otto, Tauler, S. 41].

  Augsburg. Zehn Jahre später, 1508, erscheint ein Nachdruck der Leipziger Ausgabe, bezahlt von Johann Rynmann und gedruckt von Hans Otmar, wobei die Vorlage jedoch durch viele und manchmal umfangreiche ("inhaltliche neutrale") Kürzungen überarbeitet wird [Otto, Tauler, S. 35]. Wenn es hier im Titel heißt: 'von latein in teütsch gewendt', so bedeutet das, dass die sächsische Ausgabe ins 'augsburgische' übertragen wurde. Diese Ausgabe benutzte Martin Luther für sein Taulerstudium. Die Randbemerkungen in seinem Exemplar hat Johannes Ficker zusammengestellt und 1936 veröffentlicht.

  Basel. Weitere dreizehn Jahre später, 1521, ließ Johann Rynmann in Basel ein gegenüber den beiden Vorgängern wesentlich erweitertes Buch bei Adam Petri (diesmal im oberrheinischen Dialekt) drucken. Zunächst wurde der bisherige Grundstock um 42 Textstücke, darunter drei später Eckhart zugeschriebenen Predigten (Pf. 17, 76,1 und Q 1), erweitert sowie ein dritter Teil (f. 242-317) angefügt mit 'etlich gar subtil vnd trefflich kostlich predigen / etlicher vast gelertter andechtiger vaetter vnd lerern .. Namlich vnd in sonders meister Eckarts'. Dieser Teil enthält 53 Predigten, von denen neun bei Pfeiffer erschienen und 44 bisher in die Edition der deutschen Werke aufgenommen worden sind. Insgesamt enthält der Druck neben kleineren bei Pfeiffer als Sprüche und in sein 'Liber positionum' aufgenommenen Textstücken 60 Predigten (11 bei Pfeiffer, 49 in den DW) Meister Eckharts, darunter den Predigtzyklus 'Von der ewigen Geburt', der nach wie vor den Anfang des ganzen Bandes bildet. Bereits ein Jahr später, 1522, erfolgte die 2. Auflage und 1523 wurde in Halberstadt eine niedersächsische Ausgabe veröffentlicht (ebenfalls 1523 erschienen in Augsburg bei Philipp Ulhart einige ausgewählte Predigten Taulers in einem nur 6 Blätter umfassenden Druck).

  Hamburg. Noch einmal vollständig neu aufgelegt wurde die Basler Ausgabe genau einhundert Jahre später, 1621 in Hamburg (im "Meißner Dialekt" [Schmidt] von Michael Hering und Hans Mose, wobei zwischen dem Basler 2. und 3. Teil noch "Die deutsche Theologia", "Etliche Hauptreden und Sprüche" und die "Nachfolge Christi" von Thomas à Kempis eingeschoben wurden.

  Köln. 1542 entdeckte der junge Theologe Petrus von Nijmwegen (lat. Petrus Noviomagus, später Petrus Canisius) im Dominikanerinnenkloster St. Gertrud in Köln eine Hs. aus dem 14. Jh. mit Taulerpredigten (heute vielleicht Wien Cod. 2739 [= W4], die ihn dazu anregte, 1543 einen eigenen Druck durch Jaspar von Gennep herauszugeben. Dazu bediente er sich des Grundstocks der 84 Prr. der bisherigen Ausgaben und erweiterte sie auf insgesamt 151 Textstücke (Predigten, sog. Taulerbriefe, weitere Tauler zugeschriebene Texte sowie einige Stücke, für die sich neben Eckhart auch andere Autoren nennen lassen). Als Schriftsprache wählte er den in den Hs. vorgefundenen Kölner Dialekt, beließ aber die Texte (auch die des Grundstocks) nicht in der vorhandenen Form, sondern "kürzte und interpolierte .. nach seinem Gutdünken" [Gnädinger, S. 418], ergänzte sie "häufig durch weitschweifige dogmatische Zusätze oder erklärende Umschreibungen" und ließ "manche Stellen, woran der römisch-katholische Theologe Anstoß nahm" [Schmidt, S. 71] weg. In den von Canisius hinzugefügten Texten befanden sich nun bzgl. des Leipziger und Augsburger Drucks 7 weitere in den DW edierte Predigten, vier bei Pfeiffer abgedruckte, drei "Sprüche" und Legenden wie "Meister Eckharts Wirtschaft" sowie einige Pseudo-Eckhartiana.

  Surius. Canisius "hatte in seiner Vorrede den Wunsch ausgedrückt, Tauler's Schriften möchten in's Lateinische übersetzt werden, 'auch fremden Nationen zum Nutzen und Trost'. Diesen Wunsch erfüllte Surius, welcher versichert den reinen Text noch besser hergestellt zu haben als Peter von Nymwegen selbst." Diese Bearbeitung bestand in dem "Bestreben die rein-katholische Dogmatik in Tauler's Schriften hineinzutragen und alles aus denselben zu entfernen, was dessen Orthodoxie verdächtigen könnte. Des Surius Bearbeitung ist daher keine Übersetzung [ins Lateinische], sondern ein bloße katholische Paraphrase [verdeutlichende Umschreibung, Erklärung]" [Schmidt, S. 72]. Dieser von Laurentius Surius noch einmal ergänzte und bei Johannes Quentel 1548 in Köln erschienende Druck enthält 24 Textstücke "Eckharts" (Q 1, Q 4, Q 31 (fragm.), Q 46, Q 68, Q 69, S 95 (fragm.), der Predigtzyklus 'Von der ewigen Geburt': S 101, S 102, S 103 und S 104 B, die Prr. Pf. 17 (damit transportiert Pf. Spr. 1), Pf. 57, Pf. 76,1 und Pf. 111 ('Nachtragspredigt') mit angehängtem Spr. 21, Spr. 9 und Spr. 66, Pf. Traktat Nr. 1, die Legenden 'Exempel von den 10 Punkten' (fragm.; Schwester Katrei-Exzerpt), 'Meister Eckhart und der arme Mensch' und 'Meister Eckharts Wirtschaft' sowie schließlich Jostes Nr. 54 - zum vollständigen Inhalt s. Taulerdrucke), die als "Tauleriana" überliefert wurden.
  1552 erschien eine Neuausgabe (ergänzt um eine Verteidigungsschrift, der 'Apologia' des Ludovicus Blosius, die wohl für notwendig befunden worden war, nachdem Johannes Eck Tauler der 'Unorthodoxie' geziehen hatte), die bereits ein Jahr später neu aufgelegt wurde. Allein bis 1621 erschienen fünf Nachdrucke bzw. Neuauflagen des gesamten Surius in Köln, Lyon und Paris. Die lat. Predigten wurden 1556 in Venedig verlegt und die Prr. ohne die Sermones de tempore erschienen 1557 und 1558 in Lyon.
  Besonderes Interesse erweckten jedoch die (erst ab 1644 so genannten) "Medulla animae", die bereits von Canisius im Kölner Druck auf 77 Kapitel verteilten "Lehren, Briefe, Cantilenen, Prophetien, Traktate" usw. (die von Surius noch erweitert worden waren), die in unterschiedlichem Umfang direkt nach Erscheinen des Surius-Tauler von 1548 übersetzt wurden: 1551 ins Portugiesische, 1568 ins Italienische und 1587 ins Französische. Allein bis 1614 erfolgten weitere neun Ausgaben der italienischen und französischen Übersetzungen (s. Übersicht der Taulerdrucke).
  Tatsächlich wurde entgegen der Aussage Gnädingers: "Fortan basieren die verschiedenen Tauler-Ausgaben auf Rückübersetzungen des lateinischen Surius-Tauler ins Deutsche und in andere Volkssprachen" [Gnädinger, S. 420] der 'Surius' nur einmal ins Deutsche rückübersetzt und das geschah 1621 durch Daniel Sudermann (s.u.). Die lat. Predigten wurden sonst in keine andere Sprache übersetzt.
  Die einzigen Übersetzungen der Predigten im 16. Jahrhundert erfolgten 1565 (Nachdruck 1588) und 1593 ins Niederländische (die so genannte "protestantische" Übersetzung; s. Taulerdrucke) auf der Grundlage des Kölner Drucks.
  In Köln gab Carolus a St. Anastasio 1660 eine spezifisch "katholische" deutsche Übersetzung heraus, der 1663, 1720 und noch danach weitere Auflagen folgten. 1681 erschien eine Übersetzung in Frankfurt/Main, die ebenfalls mehrere Auflagen erlebte usw. Damit überbrückt Eckhart durch die Taulerdrucke die Jahrhunderte bis zur Neuzeit.
  Einfluß hatte der Surius-Tauler noch auf die spanische und portugiesische Mystik des 16. und 17. Jahrhunderts.
  Schließlich erschien 1826 ohne Verfasserangabe (s. 2014) in Frankfurt eine erste nhdt. Übertragung von 153 Predigten "Taulers" auf der Grundlage der Leipziger, Basler und Kölner Ausgaben und trotz des Votums des Straßburger Professors Karl Schmidt, Johannes Tauler von Straßburg, 1841: "Die spätern [nach 1543], sowohl von Katholiken als Protestanten besorgten, Ausgaben sind (..) bloße, jedesmal in neueres Deutsch übertragene Abdrücke der bisher genannten, welche sie weder berichtigen noch vermehren" (S. 71) diente erst diese Augabe von 1826 als Grundlage für eine schwedische (1843/44), französische (1855), englische (1857), finnische (übersetzt aus der schwedischen Ausgabe 1868/90) und schließlich italienische (1929) Übersetzung (ausführlich s. Taulerdrucke). [16.2.12]

  Frankfurt. In der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert sammelte der in Lüttich geborene Daniel Sudermann (1550-1631) bevorzugt in Köln und Straßburg alle Handschriften, in denen er Texte von Tauler oder Eckhart zu erkennen glaubte. Dabei gelangte er wohl auch an ein Manuskript der Johanniter-Bibliothek in Straßburg aus dem Jahr 1448, dass einen anonym überlieferten Traktat enthielt, den er erstmals 1621 in Frankfurt am Main durch Lukas Jannis in den Druck gab und ihn unter dem Titel "Doctor Johan Taulers Nachfolgung des Armen Lebens Christi" veröffentlichte. In der 2. Auflage 1670 hatte der Herausgeber noch einige Blätter Papier zur Verfügung und dachte sich: "Gu(e)nstiger Lieber Leser / Dieweilen noch etliche Bla(e)ttern weis u(e)brich / hab ich dieselbige mit das klein Tracta(e)tlein von der Abgescheidenheit des Einsidlers / Bruder Niclassen von vnderwalde im Schweitzerlandt / wollen erfu(e)llen / dieweilen es sich nicht uneben / zu der vorigen Materi schicken thut / Vale" und hängte "Von Abgescheidenheit" und Pfeiffers Spruch 66 an.
  Doch damit war Sudermanns Tatendrang noch nicht erschöpft. Im gleichen Jahr (1621) erschienen zum einen ohne Angabe des Druckorts "Ein Edles Büchlein, des von Gotte Hocherleuchten Doctor Johann Taulers, Wie der Mensch möge Ernsthafftig, Innig, Geistlich, unnd Gottschawende werden . - So noch nie Getruckt, auch nit vil Offentlich gesehen worden, Jetzo aber Publicirt, auff anordnen D. S." (wobei die Initialen wohl für D.aniel S.udermann stehen) auf 34 Seiten sowie seine Übersetzung der lateinischen Surius-Ausgabe unter Einbeziehung des Basler Drucks (BT) ebenfalls in Frankfurt bei den Brüdern David und Daniel Aubry sowie Clemens Schleich. Dieser Ausgabe gab er den Titel: "Des hocherleuchten und weitberumbten Lehrers Iohannis Thauleri Predigten auf alle Sonn-und Feyertage durchs gantze Jahr ... / An itzo in die Hoch-Teutsche Sprach ... ubersetzet (..) Ander Theil Von den Festen und Feyertagen der Heyligen (s. Taulerdrucke).

  Deshalb stimmt es bzgl. der Verwirklichung nicht ganz, wenn Degenhardt schreibt, Sudermann plane, "in einer großangelegten Sammlung alle ihm bekannten Mystiker zu vereinen und ihre Werke wieder ans Tageslicht zu ziehen. Daß dieser kühne Plan nicht verwirklicht wurde, indem 1613 nur die Harmonia, eine theologische Zitatensammlung erschien, lag letztlich an den Grenzen seines Zeitalters und seiner Persönlichkeit. Das von Sudermann mit so viel Mühe und Fleiß gesammelte Material bedarf jedoch noch einer gründlichen Untersuchung, kritischen Sichtung und vorsichtigen Auswertung. Um Sudermanns Verhältnis zur deutschsprachigen Literatur des Spätmittelalters genauer zu erforschen, müßte man vor allem die zahlreichen Randbemerkungen berücksichtigen, die den mystischen Text glossieren. Dies ist jedoch vorerst noch unmöglich, da das ganze Schrifttum Sudermanns noch wissenschaftlich unerschlossen ist und in zahlreichen Handschriften und an verschiedenen Orten verstreut liegt" [Degenhardt, S. 99]. [16.1.15]

Quétif/Echard, Raynaldus
  Im 17. Jahrhundert sammelten die beiden dominikanischen Ordensschriftsteller Jacques Quétif († 1698) und Jacques Echard († 1724) biographische Nachrichten zu ihren Ordensbrüdern, aber gedruckt erschienen ihre Scriptores Ordinis Praedicatorum erst 1719-1721. "Quétif bemühte sich, das ganze über Eckhart vorhandene Quellenmaterial zu sichten, um endlich zu einem objektiven Urteil über den so viel gerühmten, aber ebensoviel geschmähten Ordensbruder zu gelangen. Was hier zutage kommt, übertrifft nicht nur die bisherigen Erwähnungen Eckharts bei weitem, sondern bildet auch das Gerüst der Eckhartbiographien unserer Tage" [Degenhardt, S. 82]. Er polemsierte gegen die Kritiker, insbesondere Oderich Raynaldus (1595-1671), der Eckhart als einen Gotteslästerer und Erzketzer und seine Lehren als pestiferos errores bezeichnete. Raynaldus war ausführlich über den Verlauf des Prozesses informiert und teilte auch als erster den Wortlaut der Bulle mit.
  Am Ende des Jahrhunderts, 1691, erschien in Dillingen ein Buch mit einem sehr langen Titel, in dem der Autor, Friedrich Steill, unter dem 28. Januar an Eckhart erinnerte. [4.2.04]

Mosheim
  Eine faktische Gleichsetzung Eckharts mit den Begarden, den er als deren "geheimes Oberhaupt" ansah, versuchte der Protestant Johann Lorentz von Mosheim (1694-1755), dessen Hauptwerk Institutiones historiae ecclesiasticae seit 1726 im 18. Jahrhundert wiederholt veröffentlicht wurde. Seine Quellen waren Quétif/Echard einerseits und Raynaldus andererseits. Sein "vielgelesenes Werk über die Begarden [De Beghardis ...] bildete die Grundlage für die erste Generation der wissenschaftlichen Eckhartforschung. Nicht nur Hegel exzerpierte es eifrig, sondern auch die erste Eckhartmonographie des Theologen Carl Schmidt ist entscheidend von Mosheims Darstellung gesprägt und sieht in Eckhart den Repräsentanten einer weitverbreiteten Ketzerbewegung" [Degenhardt, S. 88].
  Im Verlauf des 18. Jahrhunderts begann auch die Sammlung und Sichtung von Urkunden zur Heimatgeschichte, wie die Arbeiten von Brückner und Galletti zeigen, die erste Dokumente zur Familie Eckharts zusammentrugen - ohne sich dessen allerdings bewußt zu sein. [4.2.04]

Baader, Hegel
  Mit der Romantik erwachte das Interesse an der deutschen Mystik wieder. Als einer der ersten wies der Germanist Bernhard Joseph Docen (1782-1828) 1806 auf den 'genialischen Eckhart' hin. Ausschlaggebend für seine "eigentliche Auferstehung und Wiederentdeckung" [Wehr, S. 112] war jedoch Franz von Baader (1765-1841, katholischer Theologe und Philosoph), der "die Bedeutung Meister Eckharts erkennt und den Anstoß für die spezielle Eckhartforschung gibt" [Degenhardt, S. 111]. Er sprach über ihn in seinen Vorlesungen, plante eine Eckhart-Ausgabe (aus der nichts wird) und begeisterte sich in Gesprächen mit Hegel über ihn. Beide zitierten Eckhart wie folgt: "das Auge, mit dem mich Gott sieht, ist das Auge, mit dem ich ihn sehe, mein Auge und sein Auge ist eins. In der Gerechtigkeit werde ich in Gott gewogen, und er in mir. Wenn Gott nicht wäre, wäre ich nicht. Dies ist jedoch nicht Noth zu wissen, denn es sind Dinge, die leicht missverstanden werden und die nur im Begriff erfaßt werden können" (Degenhardt, S. 116).
  Baader zitierte in einer Schrift aus dem Jahre 1824. 1839 legte der protestantische Theologe Carl Wilhelm Ad. Schmidt "als erster eine Untersuchung über Lebensumstände, Schriften und Lehre Meister Eckharts vor." Eine weitere Studie erschien 1842 von Hans Lassen Martensen (1808-1884). [4.2.04]

Pfeiffer
  Den letztendlich wichtigsten Anstoß zur neuzeitlichen Beschäftigung mit Eckhart lieferte aber der Germanist Franz Pfeiffer (1815-1868), der 1857 113 Predigten, 21 Traktate, 70 Sprüche und 161 Textstücke (von ihm 'Liber positionum' genannt) herausgab, die er nach eigenen Angaben 18 Jahre lang gesammelt hatte (s. Inhaltsübersicht). Dieses Material beschäftigt die Eckhart-Forschung nach wie vor, d.h. nach inzwischen 150 Jahren ist immer noch nicht bis zum letzten Satz geklärt, was davon Eckhart zugeschrieben werden kann und was nicht. Diese Ausgabe löste nach 300 Jahren die Taulerdrucke ab und bescherte der Forschung einen bis heute anhaltenden Boom. Auch die Ausgabe der deutschen Werke ist ohne diese Arbeit nicht denkbar. Pfeiffer erwarb sich schon früh Handschriftenkenntnisse. Seit 1840 durchsuchte er (ähnlich wie Quint 100 Jahre später) viele Bibliotheken und sammelte dabei das Material für die geplante Edition der 'Deutschen Mystiker des 14. Jahrhunderts'. 1845 begann er mit dem 1. Band. Der zweite Band sollte zwei Abteilungen zu Meister Eckhart enthalten, deren erste 1857 erschien, wobei er wohl auch die Vorarbeiten von Baader und dessen Schwiegersohn, Ernst von Lascaulx (1805-1861) verwerten konnte. Zur zweiten Abteilung sollte es dann nicht mehr kommen. (Degenhardt, S. 133 und 198 f.).
  Mit dieser Ausgabe beginnt die Auseinandersetzung bzw. Diskussion, die bis heute andauert. Eckhart wird Gegenstand der Forschung, d.h. er rückt in das Blickfeld von Biographen, Historikern, Germanisten, Philologen, Philosophen, Theologen - um nur einige zu nennen. "Der Münchener Historiker Preger betrieb Eckhartforschung als 'Vorarbeit' zu einer Geschichte der Mystik [die in drei Bänden zwischen 1874 und 1893 erschien], in der dann Eckhart den größten Raum einnimmt; der Theologe Joseph Bach verfaßte sein Eckhartbuch [Meister Eckhart, der Vater der deutschen Speculation, 1864] als Beitrag zu einer Geschichte der deutschen Spekulation; ebenso wollte der Philosophiehistoriker Adolf Lasson seine Eckhartmonographie [Meister Eckhart, der Mystiker. Zur Geschichte der religiösen Spekulation in Deutschland, 1868 - sein Text: Meister Eckhart, der Mystiker und eine Einführung in die mittelalterliche Mystik, ist 2003 wieder als Reprint erschienen] als Beitrag zu einer Geschichte des philosophischen und religiösen Gedankens in Deutschland verstanden wissen, die Ergebnisse seiner Untersuchungen faßte er dann im ersten Band von Überwegs Philosophischem Handbuch zusammen; der Schmidtschüler Auguste Jundt [Essai sur le mysticisme spéculatif de Maître Eckhart, 1871] untersuchte Eckhart im Zusammenhang einer Geschichte des Pantheismus; Max Rieger [1876] und Anton Linsenmayer erforschten die Predigten Meister Eckharts, der eine, um unter philologischen, der andere, um unter theologischem Aspekt eine Geschichte der Predigt zu schreiben" [Degenhardt, S. 138]. Aber auch die Handschriftenforscher blieben nicht untätig: wiederaufgefundene Predigten Eckharts wurden 1872 von Eduard Sievers, 1875 von Auguste Jundt und 1895 von Franz Jostes veröffentlicht, wobei letzterer 1972 von Kurt Ruh mit einem Nachwort neu herausgegeben wurde (s. Bibliographie). [4.2.04]

Denifle
  Die "romantische Begeisterung für das deutsche Mittelalter" und die Vereinnahmung des 'Idealisten' Meister Eckhart durch den deutschen Idealismus, die soweit ging, daß "nun sogar der Gedanke daran, daß er auch Verfasser lateinischer scholastischer Schriften gewesen sein könne" [Reffke, S. 18] ausgeschlossen wurde, erhielt einen argen Dämpfer, als der Dominkanerpater Heinrich Denifle 1886 den "mittelmäßigen Scholastiker" Eckhart mit seinen lateinischen Schriften vorstellte und nicht nur an denen kein gutes Haar ließ, die ihn nur als deutschen Prediger kannten (wobei er besonders Preger angriff), sondern auch Eckhart selbst von dem Olymp herunterholte, in den dieser gehoben worden war. Das dieser dabei schlechter wegkam, als ihm nach gegenwärtig übereinstimmender Meinung zusteht, soll hier nicht weiter thematisiert werden. Mit Denifle begann die Erforschung des lateinischen Eckhart. [4.2.04]

Lateinische Handschriftenfunde bis heute
  Im Sommer des Jahres 1880 fand Denifle in der Bibliotheca Amploniana in Erfurt den Codex Fol. 181 (Sigle 'E' - im folgenden zitiere ich die Hss.funde nach den heute üblichen Bezeichnungen), aus dem er 1886 Textauszüge veröffentlichte. In der gleichen Ausgabe berichtete er auch über den Fund der Hs. C, mit dem er sich später auseinandersetzen wollte, wozu es aber nicht kam. 1889 veröffentlichte er den Sermo die b. Augustini Parisius habitus aus der Hs. R (die sich ebenfalls in der Amploniana befand), aus dem hervorgeht, daß Eckhart "von Hochheim" genannt wurde, womit Denifle die Frage, woher dieser stamme, endgültig für Thüringen beantworten konnte. Mit diesen Veröffentlichungen war der rein "deutsche" Eckhart obsolet und es wurde nun nach weiteren lateinischen Handschriften gesucht. 1888 bemerkte Keuffer bei der Erstellung eines Handschriftenkatalogs der Stadtbibliothek Trier, daß dort bereits in einem handschriftlichen Verzeichnis aus dem 16. Jahrhundert auf die Handschrift T hingewiesen wurde. 1905 stellte J. Marx in seinem Verzeichnis der Handschriften des Hospitals zu Cues fest, daß sich dort neben der Hs. C auch die Hs. D befand, die eine zweite Überlieferung des Tractatus super oratione dominica enthält. 1923 wurde von Augustin Daniels die Verteidigungsschrift herausgegeben, die bereits 1880 von Ludwig Keller in Soest (Hs. S) aufgefunden worden war. 1926 fanden Martin Grabmann und unabhängig davon Ephrem Longpré in Avignon (Hs. A) und ersterer noch in Rom (Hs. V) die Pariser Quaestionen Eckharts auf, die Grabmann im selben Jahr herausgab.
  Es waren also gerade acht (von heute 15) lateinische Handschriften Eckharts bekannt, als Ende der 20ger, Anfang der 30ger Jahre des 20. Jahrhunderts der Gedanke aufkam, eine Gesamtausgabe seiner deutschen und lateinischen Werke herauszugeben (s. Edition).
  Die Vorarbeiten zur Gesamtausgabe waren bereits im vollen Gang, als der Leiter der lateinischen Sektion, Josef Koch von der amplonianischen Hs. F erfuhr, die das Principium Eckharts zu dessen Sentenzenkommentar des Petrus Lombardus enthält. Wilhelm Schum hatte zwar die Handschriften der Amploniana bereits 1887 neu katalogisiert, diesen Text aber nicht bemerkt und August Pelzer hatte zwar 1913 die Handschrift durchgesehen, den Text aber falsch zugeordnet. Im gleichen Jahr, 1934, bemerkte Karl Christ, damals Leiter der Handschriftenabteilung der Preußischen Staatsbibliothek Berlin, daß eine Albertus Magnus zugeordnete Handschrift (B) tatsächlich den Johanneskommentar Eckharts enthielt, der bisher nur aus der Hs. C bekannt war. "Dieser Fund führte dann dazu, daß der Plan einer deutschen Meister-Eckhart-Ausgabe durch die Initiative von E. Seeberg seiner Verwirklichung endlich entgegengeführt wurde" [Reffke, S. 20]. 1935 veröffentlicht Franz Pelster das aus der römischen Handschrift V1 bekannt gewordene Gutachten der Avignoner Theologenkommission, die mit Eckharts Fall im Herbst 1327 befaßt war. Damit waren elf lateinische Handschriften mit Texten von Meister Eckhart bekannt, als die erste 80-seitige Lieferung im Januar 1936 zum Subskriptionspreis von einer Reichsmark mit dem dritten Band der lateinischen Werke zum Johanneskommentar begann, in der der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stark, im Geleitwort darauf hinwies, daß die Forschungsgemeinschaft die "Beifügung einer Übersetzung veranlaßt" habe und hoffte, "daß das Werk nun glückhaft und stetig fortschreitet, ein Zeichen deutscher Forscherarbeit und weiterwirkenden deutschen Geistes" (LW 3, S. V). (In Anbetracht dieser Tradition kann ich den mir nicht namentlich bekannten Verantwortlichen nur dazu gratulieren, daß sie mit Loris Sturlese jemanden gefunden haben, der die Herausgabe der lateinischen Werke nicht besser leiten könnte.)
  Den nächsten Fund einer Handschrift (Pr) meldete 1941 Friedrich Stegmüller, der in Prag eine zweite Überlieferung von Eckharts Principium zur Collatio in libros Sententiarum entdeckte, die jedoch nicht mit in die Edition einging. 1943 berichtete Josef Koch von der Entdeckung des Sentenzenkommentars selbst, der sich in der Hs. 491 der Stadtbibliothek von Brügge befinden sollte und bereits seit 1913 Gegenstand der Forschung war. Er kündigte an, er werde "den ausführlichen Beweis dafür erbringen, dass das Werk wirklich von Eckhart stammt" [Koch, S. 240]. Diese Behauptung ist bis heute zumindest umstritten und dieser Kommentar wurde auch nicht in die Edition mit aufgenommen. Es sollte nun einige Zeit vergehen, bis der Dominikanerpater Th. Kaeppeli († 1984) in Österreich und der Schweiz fündig wurde. Um 1956 entdeckte er in Kremsmünster die Handschrift P, in der sich eine Osterpredigt Eckharts befindet, die er auf den 18. April 1294 datieren konnte. Damit war das erste sichere Datum aus dessen Leben festgestellt. Gleichzeitig ergab sich damit, daß Eckhart sein Amt als Lektor der Sentenzen 1293 versehen haben muß. Vier Jahre später, 1960, entdeckte Kaeppeli in Basel eine weitere Handschrift (K), die sich als eine Sammlung von Exzerpten aus Eckharts lateinischen Texten herausstellte, die auf die CT-Rezension zurückgeht und vor 1386 angelegt wurde. Der bis heute letzte Fund gelang Sturlese 1985, als er in der Bibliothek Bodleiana in Oxford auf die Hs. L stieß, anhand deren Eckhart-Texte er feststellte, daß ihre Abfassung zwischen der E- und der CT-Rezension lag. Letztere erwies sich damit als eine "Fälschung" in dem Sinne, daß sie nicht auf Eckharts eigenen Entwurf zurückging (s. Beschreibung zur Hs. L). [4.2.04]

Das 20. Jahrhundert
  Das Jahrhundert begann mit ersten Übersetzungen der inzwischen veröffentlichten deutschen Predigten im Jahr 1903 von Gustav Landauer und Hermann Büttner. Ersterer genügte in keinster Weise philologischen Anforderungen (s. Eckhart-Legenden) und letzterer interpretierte im Sinne einer Gegnerschaft Eckharts zur Kirche, was "seine Übersetzung unheilvoll beeinflußt" (Weiss, s.u., S. 416). Aber gerade diese Übersetzung machte Eckhart populär und erfuhr zahlreiche Neuauflagen noch bis 1959. Auch die Germanisten beschäftigten sich intensiv mit Eckhart wie z.B. Max Pahncke (1905) und Adolf Spamer (1909/10) in Untersuchungen der Textgestalt der Predigten nach Pfeiffer. 1905 untersuchte Hans Zuchhold die Predigten des Nikolaus von Landau und dessen Benutzung Eckhartscher Predigten; 1906 arbeitete Otto Simon über den Traktat der Schwester Kathrei und 1907 veröffentlichte Alfred Lotze "Kritische Beiträge zu Meister Eckhart". Diese "Eckhart-Probleme" beschäftigten Philipp Strauch sogar in seiner Rektoratsrede von 1912. Zwei Jahre vorher hatte er das Trostbuch in neuer Edition herausgegeben, wie das 1913 von Ernst Diederichs mit den Reden der Unterscheidung geschah (die er 1925 auch in übersetzter Form herausgab).
  1914 erschien eine weitere Übersetzung der Predigten von Joseph Bernhart, der sich 1922 auch an den "Reden der Unterweisung" versuchte, wozu Weiss (s.u.) anmerkte: "Ich möchte sogar noch weiter behaupten, daß Bernhart hinter seiner eigenen dichterischen Wiedergabe die Gestalt dessen, den er durch seine Übersetzung doch ans Licht bringen soll, gerade versteckt" (S. 417). 1919 erschien eine Übersetzung von Walter Lehmann und eine Textausgabe des Paradisus anime intelligentis von Strauch (2. Auflage 1998). Es folgten weitere Übersetzungen u.a. von Otto Karrer (1926), Friedrich Schulze-Maizier (1927), Strauch, "Buch der göttlichen Tröstung" (1933) und Ilse Roloff (1934). 1927 veröffentlichte Karrer in Zusammenarbeit mit H. Piesch die Übersetzung der Verteidigungsschrift, zu der Weiss bemerkte, daß sie "für den nicht eingeweihten und unkritischen Leser gefährlich" sei. "Außerdem habe ich selbst an Stichproben die mangelnde Genauigkeit der Karrer'schen Lesungen feststellen müssen, so daß sie nicht einmal textlich ausreichen" (S. 415, Anm. 18).
  An dieser Stelle möchte ich vorläufig einen 'Break' machen. Die 20ger Jahre des 20. Jahrhunderts sind bisher etwas kurz geraten und verdienen eine längere Behandlung und die 30ger bis zum Ende der Nazi-Herrschaft sind von einer ganz eigenen 'Qualität', die eigentlich auch genauer dargestellt werden sollte. Beides ist zur Zeit von meiner Seite aus nicht machbar. Ich kann hier deshalb nur auf die Literatur dazu verweisen (s. Bibliographie - Rezeption). Ebenso verdient natürlich die Eckhart-Rezeption seit dem Ende des zweiten Weltkrieges eine eigene Betrachtung, wozu ich wiederum vorläufig auf die Bibliographie verweisen muß, wobei ich darauf hinweisen möchte, daß auch unter Werk einiges im Zusammenhang mit der deutschen Edition zur Sprache kommt. Allerdings fehlen hier Namen wie Martin Buber, C. G. Jung, Ernst Bloch oder Erich Fromm und das wird sich auch aller Wahrscheinlichkeit nach so schnell nicht ändern, wobei ich natürlich noch nicht wissen kann, was noch passieren wird. [4.2.04]

  "Es schien Eckharts Verhängnis zu sein, daß er immer wieder in die Streitigkeiten seiner Erben oder derjenigen, die sich dafür hielten, hineingeriet. Wozu hat er nicht auch überall seinen Namen hergeben müssen: die Kirche benutzte ihn, um die Häretiker zu bekämpfen, die Franziskaner, um gegen den Papst zu opponieren, die Romantiker, um den Geist der Aufklärung zu verdrängen, die evangelischen Theologen, um sich gegen die Hegelsche Philosophie abzugrenzen, und er geriet ebenso in die schulphilosophischen Streitigkeiten wie zwischen die Konfessionspolemik. Das 20. Jahrhundert ist jedoch unübertroffen, was die Art der Inanspruchnahme anbetrifft. Man errichtete ihm ein überdimensionales Denkmal, und eine recht gemischte Gesellschaft postierte sich um den Sockel und berief sich auf seinen Namen:
  Kulturkritiker, Skeptiker, Weltverbesserer, religiöse Neuerer, Rasseideologen, ja, sogar Anhänger der Lebensbornbewegung. Das Eckhartschrifttum erlebte eine Hochkonjunktur, ein wahrer Platzregen flachpopularisierender Eckhartdeutungen überschwemmte die Büchermärkte. Eckhart wurde mit allen Tinten gewaschen, auch mit den dichterischen. Sein Name findet sich in den Poemen der Spießerromantik genauso wie in den weltfernen Dichtungen der inneren Emigration, in Schullesebüchern wie in amtlichen Verlautbarungen und Propagandareden. Das Eckhartbild zwischen Poesie und Politik trieb paradoxe Blüten, die aber schnell wieder die Beachtung verloren, denn die lärmenden Superlative, das Rotieren in den ewig gleichen Phrasen ermüdeten aufs peinlichste, und die Konturen des so reichlich überbelichteten Eckhartbildes verschwammen immer mehr. Bei Rosenberg und seinen Anhängern erreichte es Verzerrungen, die wohl nie mehr überboten werden können. Doch vieles erledigt sich in der Geschichte von selbst. Als Rosenberg 1946 hingerichtet wurde, hatte sein 'Mythus' schon ein paar Jahre früher ein weniger gewaltsames Ende gefunden, er war einfach in Vergessenheit geraten und mit ihm das Bild vom Rassen- und Edelmenschen Eckhart."
  Ingeborg Degenhardt, S. 324/25. [13.6.01]

Die "dichterische Tinte"
  Was die von Degenhardt angesprochene "dichterische Tinte" betrifft, so sind aus den 20iger und 30iger Jahren des letzten Jahrhunderts besonders vier Dichtungen zu nennen. Zunächst schrieb Paul Gurk einen Eckhartroman, der ihm 1925 den Romanpreis der Stadt Köln einbrachte. In der Jury saß damals auch Thomas Mann. 1927 erschien "Meister Ekkehart. Ein Roman der deutschen Seele" von Hans Much, der "sehr widerspruchsvolle Kritiken" erhielt. 1931 widmete Ludwig Fahrenkrog den sechsten Band eines "Weltanschauungszyklus" mit dem Titel "Richter Irrwahn" Eckhart, in dem sich auch ein gezeichnetes "Portrait" des Meisters befindet und 1938 versuchte sich Dorothea Fabeck an einer Beschreibung Eckharts in der Predigerkirche in Erfurt unter dem Titel "Der Sänger der Rothenburg". Darin produzierte sie Sätze wie: "...der später als Meister Eckhart mit seiner himmelstürmenden Seele lebendiger Ausdruck und Wortführer gotischen Lebensgefühls wurde" oder: "...so haben zu allen Zeiten gerade Kämpfer und Krieger diese Unterwerfung des eigenen Willens unter Gottes Willen am redlichsten begriffen ... Nur ein Wille darf gelten, der des Feldherrn zum Siege ... So haben denn die tapferen und kämpferischen Menschen Eckharts Predigt verstanden." [13.6.01]
  Im gleichen Jahr (1938) erschien auch "Das gottgelobte Herz" von Erwin Guido Kolbenheyer: "Hier handelt es sich um ein überaus packendes Zeit- und Situationsgemälde zur deutschen Mystik des Mittelalters, wie es in den zwanziger und dreißiger Jahren (parallel zu Alfred Rosenberg!) bevorzugt gelesen wurde" [Wehr, S. 119]. [4.2.04]
  67 Jahre später, 1998, schreibt der in Kanada lebende Jean Bédard einen Roman über Maître Eckhart, der bisher leider nur in französischer Sprache erhältlich ist, aber vielleicht findet sich ja ein Verlag, der das Wagnis einer Übersetzung einzugehen bereit ist.
  Seit 2002 ist auch ein Roman "um den mittelalterlichen Prediger und Mystiker" (140 S.) mit dem Titel "Meister Eckharts Prozess" von dem in Gera lebenden Diplom-Journalisten Bernd Kemter (* 1952), der für eine thüringische Tageszeitung arbeitet, erhältlich, der "das hohe Mittelalter mit seinen vielfältigen religiösen Bewegungen wieder lebendig" macht (Klappentext). Dieser "Roman" ist grottenschlecht. Die Charaktere sind hölzern, die 'Gespräche' Eckharts sind Auszüge aus den deutschen Texten, die biographischen Kenntnisse, soweit sie bisher von der Eckhartforschung ermittelt wurden (s. Leben) interessieren nur am Rande, aber das Schlimmste ist, daß Kemter aus den Auseinandersetzungen in Köln 1326 eine persönliche Geschichte zwischen Eckhart und Hermann de Summo macht, die soweit geht, daß es zu einer Verfolgungsjagd im Wildwest-Stil quer durch Frankreich kommt mit Hermann als jagendem Gejagten und Eckhart als gejagtem Jäger. Die Geschichte ist so abstrus, daß ich es vorzog, die wesentlich spannendere Arbeit von Walther-Wittenheim O.S.B. über "Die Dominikaner in Livland im Mittelalter" aus dem Jahre 1938 zu lesen, als mich noch länger von diesem Roman (der keiner ist) ärgern zu lassen. [4.2.04]
  Eine aktuelle Variante (2005) liefert Stefan Blankertz mit "Demudis. Ein Krimi aus dem Mittelalter" (s. Bibliographie). Dazu vorweg: Dieser Krimi ist keiner. Der Plot ist durchschaubar, den Mörder kennt man spätestens nach dem ersten Drittel des Buches, aber das Schlimmste (und damit Vernichtendste für einen Krimi): er ist nicht spannend. Worum gehts? Die Geschichte spielt im Köln des Jahres 1327 in der Zeit vom 29.1. bis zum 16.2. Während das Verfahren gegen Eckhart läuft, wird eine Begine ermordet und ihre Mitschwester Demudis ermittelt. Obwohl der Ablauf dieser Prozessphase Blankertz bekannt sein sollte (er verweist am Ende des Glossars auf diese Website), vermischt er die echte Chronologie, wie es ihm gerade passt, in seinen Ablauf der Geschehnisse, läßt Wilhelm von Niedecke Textpassagen aus der Bulle des Papstes als auf seinem Mist gewachsen vortragen usw., was alles mit dichterischer Freiheit entschuldigt werden könnte, wenn denn die Krimi-Geschichte an sich stringent erscheinen würde. Der Verlag wirbt auf der Rückseite des Taschenbuchs mit dem Satz: "Inmitten des prallen mittelalterlichen Lebens entwickelt sich ein packender Kriminalfall..." - nun, diese Darstellung ist weder prall noch ist der Krimi packend, davon abgesehen, dass man dem Autor kaum abnimmt, dass im mittelalterlichen Köln eine Frau ermittelt. Auch stört mich die gewollte Mittelalterlichkeit, die sich in der Sprache und den Gedanken der Protagonisten zeigt - Blankertz versucht heute mittelalterlich zu denken - und das kann nur in die Hose gehen. Es hätte dem Krimi gut getan sich mehr um seine Geschichte zu kümmern und die Zeitumstände by the way mit einzuflechten: Umberto Eco und Ellis Peters z.B. zeigen wie es geht. Das Buch ist wie der deutsche Film: gewollt, aber nicht gekonnt. Aber er hat immerhin ein Gutes: einen Stadtplan von Köln, den ich eingescannt und etwas bearbeitet mit eingebunden habe. [25.8.05] (s. Aktuell)
  Im Frühjahr 2022 erschien der Roman "Die schwarze Rose" mit dem Klappentext: "Dort, wo Umberto Ecos "Der Name der Rose" aufhört, setzt Dirk Schümers historischer Roman an" und "Als Ketzer denunziert, muss sich im Jahr 1328 der berühmte deutsche Prediger Eckhart von Hochheim am Hof des Papstes in Avignon der Inquisition stellen. In Begleitung seines Novizen Wittekind ...", den Schümer seine Geschichte erzählen lässt, wartet er im dortigen Dominikanerkloster auf seinen Prozeß und die Entscheidung des Papstes.
  Der Roman spielt im wesentlichen zu Pfingsten in der Woche von Freitag, den 20. Mai 1328 bis Donnerstag, den 26. Mai. Da sollte Eckhart nach der aktuell geltenden Biographie eigentlich schon verstorben sein, es sei denn, man habe den Brief des Papstes an den Kölner Erzbischof vom April bisher völlig falsch verstanden. Das klärt sich im Verlauf der Geschichte auf, wobei das einen Moment dauert, weil es auf den entscheidenen Punkt zuläuft: dem persönlichen Gespräch zwischen Papst Johannes und Eckhart (gegen Ende der Geschichte, Kap. 42, S. 520-534), das Schümer komplett erdichtet und das ich in nahezu allen Details als nicht realistisch bzw. für völligen Humbug erachte.
  Die Geschichte drumherum (und vor allen Dingen die "Action") hat mich eher gelangweilt (im Gegensatz zu Eco, dessen Rose ich in einer Nacht durchlas - mit dem Nachteil, das ich mich an nichts mehr erinnern kann). Schümer hat sehr gut recherchiert (seine Beschreibungen läßt den Leser das Städtchen an der Rhone sehen, schmecken und riechen) und es ist ja grundsätzlich eine spannende Geschichte, weil zu diesem Pfingsten 1328 in Avignon eine Menge Charaktere bekannten Namens (wie Wilhelm von Ockham, Bonogratia von Bergamo) anwesend waren, deren Interaktion Schümer imaginiert, wobei er an kaum einer seiner handelnden Personen ein gutes Haar lässt, abgesehen von Ramon, dem Gärtner des Dominikanerklosters. Die geschichtlichen Fakten sind, soweit ich das beurteilen kann, korrekt wiedergegeben, wobei seine Interpretation der Ereignisse halt SEINE Interpretation der Ereignisse ist.
  Tatsächlich gibt es in dieser sehr dichten und facettenreichen Geschichte auch Frauen bzw. im wesentlichen zwei Frauen, die aber beide nicht wirklich eine Rolle spielen, außer daß der Protagonist der Geschichte mit der einen schläft, dies aber lieber mit der anderen tun würde. Das wars dann auch schon mit dem weiblichen Einfluß. Wirklich warm werde ich mit keiner einzigen Figur in diesem Erstlingswerk. Und, bei allem Respekt: für einen Eco reicht es nicht. [28.6.22] (s. Aktuell)
  Ganz anders nun Thomas Hohn mit "Das undenkbare Universum. Meister Eckhart und die Erfindung des Jetzt". Zwar versucht auch dieser Roman eine "Krimi"-Handlung (wobei ich mich frage: warum ?) und er kommt auch erfreulicherweise mit erheblich weniger "Action" aus (wobei ich mich frage: Was soll das - vor allem bei Schümer - ? Kann Mann nicht mal einen historischen Roman schreiben, der einfach versucht sich an der wahrscheinlichen ehemaligen Wirklichkeit zu orientieren ? Ist wohl zu mühselig).
  Hohn präsentiert uns die erste Romanbiographie zu Meister Eckhart. Die chronologischen Rahmendaten entnimmt er den Acta Echardiana, angereichert durch das hier vorgestellte Leben, wobei er die erste Hälfte seiner Geschichte den Jahren vor 1293 widmet, also der Zeit, aus der keine Dokumente vorliegen, auf das er fast beliebig fabulieren kann, was er dann auch tut. Er erfindet einen Bösen, Andreas, der mit den Franziskanern paktiert. So schlägt er den Bogen zum Ende der Geschichte, wobei leider auch hier schlußendlich wie bei Schümer die 'Krimi-Handlung' die Übermacht bekommt und die möglicherweise reale Vergangenheit keine Rolle mehr spielt. Ich kann dem nicht wirklich etwas abgewinnen.
  Aber dieser Roman ist auch eine Liebesgeschichte, einer Liebe Eckharts, und deren Name ist Helene.
  Der Untertitel des Buches lautet: "Meister Eckhart und die Erfindung des Jetzt". Eckhart spricht hin und wieder vom Jetzt, dem Nu oder Nun der Ewigkeit. Diese Theorie ist nichtmals im Ansatz wiedergegeben. Über die Gedankenwelt Meister Eckharts, die Themen, die ihn essentiell beschäftigten, überliefert in den deutschen Predigten und Traktaten sowie den lateinischen Expositiones et Sermones, findet man bei Hohn nichts. Im Grunde genommen erschöpft sich seine Darstellung auf die Stichworte 'Zeit und Leere' auf den S. 185-88, 'Gottesgeburt' 258f. und 'Esse est deus' 308-10. Mit dem geschichtlich bekannten Meister Eckhart hat das nichts zu tun.
  Vor allem aber stört mich, daß Hohn Eckhart keinen eigenen Gedanken denken lässt. Es ist alles nur geklaut. Was auch immer sein Eckhart in die Welt setzen will, er hat es irgendwoher. Vielleicht sollte der Autor sein Werk einfach umbenennen in: Helene. Eine Liebe Eckharts. [28.6.22]

Ein "Portrait"

  Dieser Fahrenkrog hat in dem selben Buch auch eine Zeichnung, die einen Mann mit einer Ramme zeigt, der menschliche Schädel als Pflastersteine in den Boden haut. Seine Bildunterschrift dazu: "Neue Wege für die Zukunft". Da hat sich Adolf dann dran gehalten. [13.6.01]

Noch ein "Portrait"
  Andere haben ein anderes Eckhart - Bild. Das nachfolgende ist ein Beispiel dafür, wie es auf manchen Internetseiten auftaucht. Die Bildunterschrift behauptet einen Sachverhalt, den es nicht gibt. Dieser Holzschnitt ist kein Portrait Eckharts. Es gibt kein Bildnis von Meister Eckhart von Hochheim. [9.2.03]

Edition

der Deutschen und Lateinischen Werke

  "Nach vielen aus verschiedenen Gründen gescheiterten Versuchen kam es im Winter 1932/33 zu zwei Plänen, von denen der eine eine Vorausgabe des gesamten ungedruckten lateinischen Materials noch im Laufe der Jahre 1933/34 fertigstellen wollte, während der andere eine große endgültige Standardedition sämtlicher deutschen und lateinischen Werke ins Auge faßte. Der erste Plan wollte dem zweiten zugleich als Vorbereitung dienen. Aber diese Pläne änderten sich noch einmal, als der Organisator der geplanten großen Ausgabe, Dr. Klibansky-Heidelberg, nach Frankreich, dann nach England ging, um dort mit dem französischen Dominikaner Théry eine von französischen und spanischen katholischen Gelehrten bearbeitete kritische Ausgabe der lateinischen Werke herauszubringen. Daraufhin vereinigten sich die in Deutschland an den beiden geplanten Ausgaben arbeitenden Eckhartforscher unter der Ägide der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft zur Herstellung einer großen deutschen Gesamtausgabe der Werke des Meister Eckhart, die einen kritischen Text der lateinischen Werke mit kommentierendem Apparat und eine deutsche Übersetzung in Paralleldruck bringt. Die deutschen Predigten erscheinen darin in einer dem heutigen Stande der Forschung angemessenen Form und werden später durch die neuen Ergebnisse der Forschung ergänzt werden. Diese Ausgabe wird durch ihre Preisstellung zu einer wirklichen Kenntnis des Meister Eckhart verhelfen. Sie erscheint in 8 Großlexikonbänden zu je zirka 500 Seiten und wird im ganzen nur 40,- RM., also 5,- RM. pro Band kosten. Der einzelne Bogen kostet im lieferungsweisen Erscheinen lediglich 20 Pfg." [Soweit die Fiktion. Heutige echte Preise s. Werkausgabe].
  Konrad Weiß, S. 413 (s. Bibliographie). [4.2.04]

  "Als im Herbst 1934 die deutsche Forschungsgemeinschaft im alten Berliner Schloß tagte, um über eine vorgesehene Eckhart-Edition zu beraten, durfte es nicht anders sein, als daß Geyer, Koch und Quint als die kompetentesten Eckhart-Kenner zu diesem Treffen geladen waren. Der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker Erich Seeberg (1888-1945), der selber schon über Eckhart publiziert hatte, war mit eigenem Schülerkreis (Ernst Benz, Konrad Weiß, Ernst Reffke) vertreten. Auch E. Hoffmann aus Heidelberg war anwesend. Aus dieser Sitzung ging eine Eckhart-Kommission hervor, als deren Vorsitzender E. Seeberg, Berlin, bestellt wurde. Diese neukonstituierte Forschergruppe wurde in zwei Abteilungen geteilt: J. Koch übernahm die lateinische, J. Quint die deutsche Abteilung.
  Toni Schaller, S. 405/06 (s. Bibliographie). [4.2.04]

  "Auf Wunsch der Forschungsgemeinschaft wurden die ersten Lieferungen sowohl hohen kirchlichen Würdenträgern als auch staatlichen Stellen überreicht. Die Reaktion war denkbar verschieden. Aus dem Vatikan ging ein von Kardinalstaatssekretär Pacelli unterzeichnetes Dankschreiben ein, in dem auf die Bedeutung des großen deutschen Mystikers ausführlich eingegangen und der Editionsarbeit guter Fortgang gewünscht wurde. Die Antwort aus der Reichskanzlei bestand aus dem lapidaren Satz: »Der Führer und Reichskanzler läßt für die Übersendung der Werke von Dietrich Eckart danken« (für die junge Generation sei angemerkt, daß der Schriftsteller Dietrich Eckart, † 1923, ein Freund von Hitler und der Chefideologe der NSDAP in ihren Anfängen war)."
  Oskar Rühle, Hundert Jahre Kohlhammer, in: Hundert Jahre Kohlhammer. 1866-1966, Kohlhammer Stuttgart u.a. 1966, S. 80. [31.5.06]

  Damit begann die bis heute nicht abgeschlossene Eckhart-Edition, deren "skandalöse Langsamkeit" schon von Karl Albert bedauert wurde. Es ist wirklich ein Treppenwitz dieser Edition: Im September 1936 erschienen die 1. und 2. Lieferung des Bandes V der lateinischen Werke mit den Seiten 1-128. Ab Seite 109 erscheint der Tractatus super Oratione Dominica in der Edition von Erich Seeberg. In der deutschen Übersetzung befindet sich als letzter Satz:
Viertens: vom Übel, das heißt von einem Fehler beim Beten, damit wir nämlich nicht fleischlich oder zeitlich bitten oder beten. "Schämen
  - da bricht der Satz ab. Wir befinden uns im September 1936. Man wartet auf die nächste Lieferung, damit der Satz ein Ende finde, aber es passiert nichts. Es passiert lange nichts. Es passiert über 50 Jahre lang nichts. Die 3./4. Lieferung Band V erscheint im Oktober 1988. Im November 1989 fällt die Mauer. Der letzte Rest des Satzes, auf den wir 52 Jahre und einen Monat gewartet haben, lautet:
soll man sich zu erbitten, was man sich nicht schämt zu begehren, und wenn die Begierde siegt, so ist die rechte Bitte, daß wir von diesem Übel der Begierde befreit werden." "Denn ihr bittet und empfangt nicht, darum weil ihr schlecht bittet" (Jak. 4,3), schlecht, das heißt fleischlich und zeitlich.
  male, id est carnaliter et temporaliter. Explicit Pater noster. So endet das Vater Unser. Seite 129. [19.4.01]

  So könnte man im Nachhinein von einer leichten Unterschätzung der vor ihm liegenden Aufgabe sprechen, wenn der Herausgeber des vierten Bandes der lateinischen Werke, Ernst Benz, 1938 schrieb: "Nachdem nunmehr die Herausgabe sämtlicher Bände in vollem Gange ist und der Abschluß der Gesamtedition auf Grund der bereits für die restlichen Lieferungen vorliegenden Vorarbeiten gesichert ist, wird es der schönste Dank für die unermüdliche Sorge Erich Seebergs um die Beförderung und Beschleunigung der Gemeinschaftsarbeit in der Eckhartkommission und zugleich das wirksamste und kräftigste Argument ihrer Rechtfertigung sein," in zwei bis drei Jahren "den dankbaren und den undankbaren Kritikern die fertige Gesamtausgabe des Meisters überreichen zu können" [Benz, S. 569]. [4.2.04]

Klibanski
  Zur Geschichte der Ausgabe ist viel geschrieben worden, auch zur anfänglichen Parallelausgabe einer Eckhart-Edition von Raymond Klibansky in Heidelberg, der vor den Nationalsozialisten nach England fliehen mußte und deshalb die Arbeit nicht fortführen konnte, wobei ihm Benz auf der gleichen Seite noch hämisch hinterherrief: "Es ist eine Bestätigung der Gültigkeit des Leistungsprinzips, daß die mit vielem Lärm und mit orientalischem Feuerwerk inszenierte Gegenausgabe von Dr. Klibansky inzwischen nach zwei schmalen überstürzten Lieferungen eingeschlafen ist", doch soll eine ausführlichere Darstellung dieser Angelegenheit an anderer Stelle geschehen. Klibansky äußerte sich 1998 dazu:


  "Eckhart war den deutschen Philosophen nicht bekannt. Erst 1823 berichtete Hegel, er habe Franz von Baader mit Begeisterung über Meister Eckhart sprechen hören; dieser habe gesagt, dort sei alles Wichtige gesagt worden. Alles Wesentliche finde sich bei Meister Eckhart. Aber dessen Denken erfuhr sehr unterschiedliche Interpretationen. Die Nietzscheaner beriefen sich auf ihn und machten ihn zum Propheten, und diese abweichende Interpretation nahm dramatische Züge an, als sie zu einer politischen Frage wurde. So erklärte der Chefideologe der nationalsozialistischen Partei Alfred Rosenberg, Eckhart sei die Reinkarnation Odins, der Schöpfer der arischen Philosophie, die auf der Erkenntnis gründe, daß das Blut das wichtigste Element von Identität und Macht sei. Er sei ein Feind Roms, ein nordischer Geist, ein germanischer Mensch und damit der Beginn der wahren deutschen Philosophie gewesen. Wer Eckhart nicht in diesem Sinne zu betrachten bereit war, galt als jemand, der nicht die Wahrheit sehen wollte.
  Zu Beginn des Jahres 1932 hatte ich den Plan für eine Edition seiner bis dahin unbekannten lateinischen Werke entworfen. Man befaßte sich sonst mit seinen volkstümlichen deutschen Predigten. In den lateinischen Schriften sprach er als Meister der Theologie, als Nachfolger des heiligen Thomas, dessen Lehrstuhl er zweimal in Paris innehatte, und in ebendiesen Schriften sind seine Grundgedanken enthalten. Er zitierte die großen arabischen und jüdischen Philosophen, vor allem Maimonides. Daß dieser Mann, der Begründer der arischen Philosophie, in der Schuld des Maimonides stand, galt natürlich als Häresie! Ich habe also den Auftrag, den die Heidelberger Akademie mir erteilt und mit dem sie mich zum Leiter dieser Edition ernannt hatte, zurückgegeben, um sie nicht in eine peinliche Situation zu bringen." (S. 86)
  "Wie ich Ihnen sagte, hatte ich den Auftrag der Akademie, die lateinischen Schriften Meister Eckharts zu edieren, zurückgegeben. Im Vatikan, wohin ich im März 1933 reiste, machte man mich mit den Dominikanern des Historischen Instituts Santa Sabine in Rom bekannt, die mir vorschlugen, mit ihnen gemeinsam die Texte zu edieren. In jenem Jahr konnte man fast kostenlos nach Rom reisen, wenn man den Nachweis erbrachte, daß man die von Mussolini organisierte Ausstellung besucht hatte! Doch weil der nationalsozialistische Staat nun einmal entschieden hatte, zum großen Ruhm des Regimes die deutsche Edition zu befördern, forderte man mich auf, nicht weiter mit den Dominikanern zusammenzuarbeiten, und signalisierte mir ein gewisses Entgegenkommen. Ich lehnte diesen Kuhhandel ab und handelte mir damit große Schwierigkeiten ein. Man verweigerte mir den Zutritt zu meinem Büro, und ich verlor alle Unterlagen, die Frucht von sieben Jahren Arbeit. Ich setzte meine Arbeit nach der Emigration selbstverständlich fort, aber man hatte unsere Arbeitsergebnisse kopiert, man bedrohte den Herausgeber, und die Edition mußte nach drei Heften eingestellt werden. Die deutsche Edition ist nicht schlecht, denn es haben gute Wissenschaftler daran mitgearbeitet." (S. 94)
Raymond Klibansky, Erinnerung an ein Jahrhundert. Gespräche mit Georges Leroux, Insel Frankfurt am Main 2001 [4.2.04]

Lieferungen
  Wie man den einzelnen Lieferungen entnehmen kann, nahm die Edition der deutschen und der lateinischen Werke einen recht unterschiedlichen Verlauf. Dabei stand für die deutsche Seite bisher fast allein Josef Quint, der die Predigten 1-86 und die Abhandlungen herausgab. Zwar erschienen bis zum 2. Weltkrieg nur 3 (von 46) Lieferungen, aber nachdem der erste Band (Prr. 1-25) 1958 abgeschlossen war, konnte er 1963 den fünften Band (Abhandlungen), 1971 den zweiten (Prr. 26-59) und 1976 den dritten Band (Prr. 60-86) vorlegen, also in einem Zeitraum von 18 Jahren. 21 Jahre später, im Dezember 1997, ließ sein Nachfolger Georg Steer, der "im Jahre 1982 von der Eckhart-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft beauftragt wurde, die Fortführung der Ausgabe der deutschen Werke Meister Eckharts zu übernehmen" (Vorwort zu Band 4,1, S. VII) die Predigten 87-99 folgen. Die "großzügige" Finanzierung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde 1987 eingestellt. Seitdem hat die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt die Editionsarbeit "durch die kontinuierliche Bereitstellung von außerplanmäßigen Personal- und Sachmitteln" unterstützt. (S. XIX). Inzwischen hat die Ausgabe von Einzellieferungen sich geradezu revolutionär beschleunigt. Im Mai 2002 erschienen die 5.-8. Lieferung zum Band DW 4,1 und im März 2003 die letzte, so daß der Band nun abgeschlossen mit der Edition der Predigten 87-105 vorliegt. Gleichzeitig gab es die 1.-2. Lieferung zum Band 4,2 der deutschen Werke, die jetzt insgesamt 128 Predigten umfassen soll. Trotzdem bleibt ungewiß, wann nun die Edition der deutschen Werke abgeschlossen sein wird. Es stehen noch aus die Predigten 110-128, die Übersetzungen, Indices und ein Wörterverzeichnis. Obwohl das vollständige Werk noch nicht im "Eckhart-Jahr" 2003 (aus Anlaß der Rückkehr des frisch promovierten Magisters aus Paris nach Erfurt) vorliegt, läßt das gegenwärtige Editionstempo doch hoffen, daß in wenigen Jahren damit gerechnet werden kann. [13.6.01 - erweitert: [4.2.04]
  Anders gestaltete sich die Situation bei der Edition der lateinischen Werke. Hier waren inzwischen elf Bearbeiter am Werk, obwohl zu Beginn ganze elf Handschriften vorlagen, die es zu bearbeiten galt und deren Echtheit relativ unumstritten war. Außerdem entfiel die Sysiphus-Arbeit Quints, der nicht nur ausgedehnte Reisen unternahm, um Handschriften zu finden, sondern diese auch noch Eckhart zuordnen mußte (s. zur Edition der deutschen Texte).
  Als erste Lieferung erschienen im Januar 1936 die ersten 80 Seiten zu Eckharts Auslegung des Johannesevangeliums in der Bearbeitung von Karl Christ, der erst 2 Jahre zuvor als Leiter der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Berlin eine Handschrift mit dem Text im Archiv gefunden hatte, die fälschlicherweise Albertus Magnus zugeschrieben worden war. (Aus dieser Zeit stammt wohl auch der Film mit der Nr. B 21, den man in einem kleinen Pappdöschen erhält. Man darf ihn dann herausnehmen und per Hand auf die Plastikspule aufrollen. Die Handschrift wird noch von einem Band zusammen gehalten, wobei sich der Rücken löst, wenn man es entfernt. In der Handschrift befindet sich ein Streifen mit der Aufschrift in Fraktur: "Zum Buchbinder". Es hatte den Anschein, als wäre ich nach 65 Jahren der erste gewesen, der sie mal wieder in die Hand nahm).
  Nach dem Tode Christs wurden die Lieferungen zum dritten Band von Bruno Decker, Josef Koch, Heribert Fischer, Albert Zimmermann und schließlich Loris Sturlese herausgegeben, der den Band dann endlich im April 1994 vollständig vorlegen konnte. Seit der ersten Lieferung 1936 waren also 58 Jahre vergangen! Und wer mal eben 513,- Euro aus dem Portemonnaie zieht oder überfüllte Bibliotheken frequentiert, der kann sogar die deutsche Übersetzung lesen. Und das bei dem vielleicht wichtigsten Werk Eckharts, was seine theologischen und vor allem philosophischen Überlegungen betrifft, die heute nicht weniger aktuell sind als vor 700 Jahren. Es ist ein Unding, daß es von den lateinischen Werken nur ein einigermaßen erschwingliches Buch gibt - Eckharts Auslegung des Buches der Weisheit -, das von Karl Albert übersetzt wurde (s. Bibliographie). Auszüge aus dem Prologus generalis, der Johannes-Auslegung, den Quaestiones Parisienses und den Sermones sind 1993 von Niklaus Largier herausgegeben worden, wofür aber auch etwa 75,- Euro auf den Ladentisch zu legen sind. Vielleicht haben meine Enkel dereinst die Möglichkeit, in einer "Volksausgabe" blättern zu können. [13.6.01]

  Die Lieferungen zum ersten Band begannen im Januar 1937 und konnten bereits im Januar 1966 beendet werden, also 29 Jahre später. Die erste Lieferung zum vierten Band (Sermones) erschien im August 1937; die letzte bereits 1956, also nach 19 Jahren. Der zweite Band wurde im Mai 1954 begonnen und im Mai 1992 von Sturlese vollständig vorgelegt, nachdem zwischen der 9./10. Lieferung 1975 und dieser 11. 17 Jahre Wartezeit lagen; insgesamt aber 38 Jahre in Anspruch nahm. Die Herausgabe des fünften Bandes, zu der oben bereits eine Anmerkung gemacht wurde, begann 1936 und wurde nach 70 Jahren im November 2006 abgeschlossen. Seit Mai 2007 ist der Band bei Kohlhammer erhältlich. Zwischenzeitlich legte Sturlese im Dezember des Jahres 2000 die von der Fachwelt als "hochgradig professionell" bezeichnete Neuedition der Handschrift Soest 33 - das wichtigste Zeugnis zum Kölner Prozeß - vor.
  Damit fehlen von der Lateinischen Edition noch der "zweite Hauptteil" des ersten Bandes und der sechste Band mit den Indices, was allerdings verständlich ist, da dafür erst alle anderen Bände fertig vorliegen müssen. [29.5.07]

Flasch
  An dieser Stelle hätte ich gerne umfangreich aus dem Artikel von Kurt Flasch, "Der Klosterzellkern ist geknackt. Das letzte Wort: Meister Eckhart war sich selbst der tüchtigste Rechtsbeistand" aus der Sonntagsbeilage der FAZ vom 12.12.2000 zitiert, aber leider erteilte letztere mir keine Genehmigung dafür. Flasch lobt Sturlese (zu Recht) in den höchsten Tönen für seine Edition und merkt dabei so manchen wichtigen Satz an. Die Dauer der kritischen Ausgabe kommentiert er mit: "Gottes Mühlen mahlen langsam, aber die Mühlen der Eckhart-Herausgeber sind noch langsamer." Weiterhin mokiert sich Flasch (emeritierter Professor) darüber, das die Tatsache, daß ein Italiener die deutsche Eckhart-Ausgabe zu Ende bringt, "eine schallende Ohrfeige für die deutsche Wissenschaft" darstelle und weist darauf hin, daß Nietzsche, der neben Meister Eckhart als einer der "deutschesten aller deutschen Philosophen" bezeichnet wurde, ebenfalls von zwei italienischen "Gastarbeitern" (Giorgio Colli und Mazzino Montinari) in deren kritischen Gesamtausgabe zuverlässig bearbeitet worden war. [13.6.01]

Titelbild der letzten lateinischen Lieferung


Titel der Lieferung: ACTA ECHARDIANA - MAG. ECHARDI RESPONSIO AD ARTICULOS SIBI IMPOSITOS DE SCRIPTIS ET DICTIS SUIS. [Sturlese, Responsio, n. 48]. Wer über das nötige Kleingeld in Höhe von 193,50 Euro verfügt, der kann diese 280 Seiten auch käuflich erwerben. [13.6.01]