Votum
der Theologenkommission zu Avignon 1

in der Edition von Franz Pelster
und der Übersetzung von Andrés Quero-Sánchez und Stefan Fromholzer
votum
Text (lat./dt.)
Editionstext Pelster
Beschreibung der Hs.
Anmerkungen zum Text
zur Übersetzung
zum Editionstext
Edition
Datierung
Sabellianismus, univok

Votumn.VerteidigungBulle
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03 18 19 20 21 21 03
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05 26 27 28 29 28 28
06 30 31 32 33 32 26
07 34 35 36 35 04
08 37 40 05
09 38 39 40 41 40 06
10 42 50 16
11 43 50 17
12 44 50 18
13 45 46 47 48 49 50 51 52 50 19
14 53 54 55 56 57 55 07
Votum n. Verteidigung Bulle
15 58 59 60 59 08
16 61 62 63 64 63 09
17 65 68 20
18 66 67 68 69 68 21
19 70 71 72 73 72 22
20 74 75 76 77 78 76 10
21 79 80 81 82 81 11
22 83 84 85 86 85 12
23 87 88 89 90 91  92 89 13
24 93 94 95 96 97 98 97 23
25 99 100    24
26 101 102 103 104 105 104 25
27 106 110 14
28 107 108 109 110 111 112 113 110 15

Articuli contra fratrem Aychardum Alamannum.
|124r| Propositiones cuiusdam heretici
a quodam alio qualificate et heretice demonstrate.

Artikel gegen Bruder Eckhart den Deutschen

- 1

Primus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 1)

  Interrogatus quandoque, quare Deus mundum prius non produxerit, respondi (1) tunc sicut nunc, quia Deus non potuit prius producere mundum, quia res non potest agere antequam sit. Unde quamcito Deus fuit, tamcito mundum creavit.

  Einst befragt, warum Gott die Welt nicht früher hervorgebracht habe, antwortete ich damals, wie auch jetzt, daß Gott nicht früher die Welt hervorbringen konnte, weil ein Ding nicht tätig sein kann, bevor es ist. Von daher: Sobald Gott war, schuf er die Welt.
[vgl. Proc. Col. I n. 43]

- 2

  Accipiendo creacionem proprie scilicet rem producere de nichilo ad esse proprium et formale secundum quod iste accipit exponendo illud Gen|esis primo [1,1]: "In principio creavit Deus celum et terram" et exponendo illud Sap|iencie primo [1,14]: "Creavit omnia ut essent", ubi predictum articulum ponit et ipse accipit creare sicut Moyses, cuius intellectum prosequitur: est dictus articulus hereticus, ut sonat, quia fides ponit quod Deus mundum creavit in principio temporis. Et sic ecclesia accipit articulum fidei "Creatorem celi et terre", per hoc quod Moyses ait: "In principio creavit celum et terram". Unde eeclesia ex hoc principio temporis, quo Deus creavit mundum, ponit certum numerum annorum a creacione mundi. Et secundum hoc tunc Deus non fuit, antequam Deus creavit mundum et ita, cum Deus non creavit mundum ante(a) VII milia annorum, Deus non fuit ante VII millia annorum vel ante illud tempus, quo Deus mundum creavit; quod est hereticum et blasfemum, quia tunc Deus non esset eternus.

  Versteht man 'Schöpfung' im eigentlichen Sinne, nämlich als die Hervorbringung von etwas aus dem Nichts zum eigenen und formalen Sein - wie dieser es bei der Auslegung jenes Verses aus dem ersten Kapitel der Genesis: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde (Gen. 1, 1), sowie bei jenem aus dem ersten Kapitel des Buches der Weisheit: Er schuf alles, damit es sei (Sap. 1, 14) versteht, wo er den erwähnten Artikel verwendet, und 'schaffen' so auffaßt, wie Moses es tut, dessen Verständnis er dort folgt -‚ so ist der genannte Artikel dem Wortlaut nach häretisch, da der Glaube festsetzt, daß Gott die Welt im Anfang der Zeit (1) schuf. Und auf diese Weise versteht die Kirche den Glaubensartikel (Ich glaube an Gott, den) Schöpfer des Himmels und der Erde, im Sinne von dem, was Moses sagt, nämlich: Im Anfang schuf er Himmel und Erde. Von daher setzt die Kirche von diesem Anfang der Zeit an, in dem Gott die Welt schuf, eine bestimmte Zahl an Jahren fest, die seit der Schöpfung der Welt vergangen sind. Und demzufolge war Gott nicht, bevor Gott die Welt schuf, und somit - da Gott die Welt nicht vor siebentausend Jahren schuf - war Gott vor siebentausend Jahren oder vor jenem Zeitpunkt, in dem er die Welt schuf, nicht. Dies ist aber häretisch und blasphemisch, denn dann wäre Gott nicht ewig.

- 3

  Dicere eciam quod Deus non potuit mundum producere, antequam produxit est hereticum; quia Deus antequam mundum produceret, fuit perfecte omnipotens; per cuius[modi] omnipotenciam potuit mundum producere in multis aliis instantibus prioribus quam produxit.

  Auch zu sagen, daß Gott die Welt nicht hervorbringen konnte, bevor er sie hervorbrachte, ist häretisch; denn Gott war vollkommen allmächtig, bevor er die Welt hervorbrachte. Aufgrund derartiger Allmacht hätte er die Welt in vielen anderen früheren Augenblicken hervorbringen können, als er sie hervorbrachte.

- 4

  Predictum vero articulum verifficat iste magister, quia creare est verbum activum. Unde creare est Dei accio et per consequens est Dei substancia eterna, quia omnis Dei accio est sua substancia. Unde idem nunc eternitatis est, quo Deus mundum creavit et quo Deus est et quo Deus filium sibi coeternum generavit, nec sequitur quod si creacio Dei accio sit eterna, quod mundus sit eternus, quia Deus sic produxit mundum de novo et ex tempore et in nunc temporis, quod mundus et eius creacio passio est in tempore seu nunc temporis et creacio passio non est in Deo sed in creatura. Igitur Deus creavit mundum secundum sanctos in principio i.e. in eternitate et in filio.

  Den genannten Artikel aber will dieser Magister damit begründen, daß 'schaffen' ein Verb ist, das eine Tätigkeit bezeichnet. Von daher ist das Schaffen eine Tätigkeit Gottes, und folglich ist es die ewige Substanz Gottes, da jegliche Tätigkeit Gottes seine Substanz ist. Deswegen ist es das gleiche Jetzt der Ewigkeit, in dem Gott die Welt geschaffen hat, und in dem Gott ist, sowie in dem Gott seinen mit ihm gleichewig seienden Sohn gezeugt hat. Es folgt (aber) nicht, wenn nun die Schöpfung eine ewige Tätigkeit Gottes ist, daß (auch) die Welt ewig ist, da Gott die Welt vom Neuen und aus der Zeit und in einem zeitlichen Jetzt so hervorgebracht hat, daß die Welt und deren Schöpfung zwar ein Leiden in der Zeit, oder in einem zeitlichen Jetzt sind, die Schöpfung aber nicht in Gott, sondern (nur) in den Geschöpfen ein Leiden darstellt. Also hat Gott die Welt, gemäß den Worten der Kirchenväter, in principio (2) geschaffen, d.h. in Ewigkeit und im Sohn.

  Stat ergo in hoc responcio quod creacio mundi accio est eterna, creacio vero passio est non eterna, sed mundo coeterna.

  Diese Antwort besagt also, daß die Schöpfung der Welt als Tätigkeit ewig sei, die Schöpfung als Leiden aber nicht ewig, sondern mit der Welt immerwährend.
[Vgl. Proc. Col. I n. 120]

- 5

  Hec non evacuant herrorem. Nam ut dicit, creare est verbum activum; igitur Moyses dicens: "In principio creavit Deus celum et terram", accipit creacionem active et pro accione Dei et tamen secundum fidem illa est temporalis et non eterna. Igitur contra fidem est dicere quod creacio accio sit eterna et in nunc eternitatis, quo mensuretur ut eterna Dei accio.

  Damit wird (aber) der Irrtum nicht vermieden. Denn 'schaffen' ist, wie er sagt, ein Verb, das eine Tätigkeit bezeichnet, wenn Moses also sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, versteht er die Schöpfung als Tätigkeit, und als eine Tätigkeit Gottes, dennoch ist sie gemäß dem Glauben zeitlich und nicht ewig. Es ist also wider den Glauben zu sagen, daß die Schöpfung eine ewige Tätigkeit ist, die im Jetzt der Ewigkeit geschieht, durch das sie als ewige Tätigkeit Gottes abgegrenzt wird.

- 6

  Item creare et creari sunt simul, quia omni verbo activo corespondet passivum. Igitur si creare-accio sit ab eterno, crearipassio est ab eterno. Hereticum autem est dicere creari eternum. Ergo non erit creare eternum; non enim est accio nisi ab alio in aliud et ut ab alio scilicet ab agente est actus, qui est accio ut in aliud, ab alio est passio et ita non potest concipi transiens sine passione accio, ut una sit eterna et alia non.

  Ebenso: Schaffen und Geschaffen-Werden sind zugleich, weil jedem Verb, das eine Tätigkeit bezeichnet, eines entspricht, das ein Leiden ausdrückt. Wenn daher Schaffen als Tätigkeit von Ewigkeit her ist, dann ist auch Geschaffen-Werden als Leiden von Ewigkeit her. Es ist aber häretisch zu sagen, Geschaffen-Werden sei ein ewiges Geschehen. Also wird Schaffen (auch) kein ewiges Geschehen sein können: Denn es gibt keine Tätigkeit, die nicht eine von etwas auf etwas anderes sei, und insofern sie 'von etwas' ist, nämlich vom Tätigen, stellt sie als dessen Akt eine Tätigkeit dar; insofern sie aber 'auf etwas' ist, drückt sie ein von etwas anderem erfahrenes Leiden aus, und so kann keine auf etwas übergehende Tätigkeit (3) ohne das ihr entsprechende Leiden gedacht werden, so daß die eine ewig sei, das andere aber nicht. (4)

- 7

  Item creare, cum sit accio instantanea, simul est cum creato esse ut illuminare et illuminatum esse. Igitur sequitur quod si Deus creat mundum ab eterno quod mundus sit creatus ab eterno.

  Ebenso: Da Schaffen eine augenblickliche Tätigkeit ist, ist es zeitlich eins mit dem Geschaffen-Worden-Sein, so wie Beleuchten und Beleuchtet-Worden-Sein zugleich zustande kommen. Es folgt also, daß, wenn Gott die Welt von Ewigkeit her schafft, die Welt von Ewigkeit her geschaffen worden ist.

- 8

  Nec est verum quod creacio accio transiens in exteriorem materiam sit substancia Dei, cum talis accio sit temporalis et eveniat ex tempore et sic in creatura, in qua transit et non in Deo, nisi denominative, quia omnis accio respectu creature est formaliter in passo et non in agente sicut movere et moveri sunt in moto et non in movente.

  Und es ist nicht wahr, daß Schaffen als Tätigkeit, die auf eine äußere Materie übergeht, die Substanz Gottes sei, da eine solche Tätigkeit zeitlich ist und aus der Zeit heraus erfolgt, und somit (zwar) in den Geschöpfen ist, auf die sie übergeht, aber nicht in Gott, außer wenn man dies (bloß) denominativ meint, weil jede Tätigkeit (Gottes) im Hinblick auf die Geschöpfe formell (nur) im Leidenden ist, nicht aber im Tätigen, so wie (z.B.) Bewegung (5) und Bewegt-Werden (zwar) im Bewegten sind, nicht (aber) im Bewegenden.

- 9

  Vel dicendum secundum alios quod quamvis creacio accio sit substancia Dei, tamen propter terminum temporalem sc. creatum esse quod connotat, ipsa Dei creacio accio dicitur creacio temporalis ut non dicatur quod Deus creat mundum ab eterno.

  Oder man kann sagen, wie andere meinen, daß, obwohl die Schöpfung als Tätigkeit die Substanz Gottes ist, dennoch wegen ihres zeitlichen Endes, nämlich wegen des Geschaffen-Worden-Seins, das sie impliziert, die Schöpfung Gottes selbst als Tätigkeit eine zeitliche Schöpfung genannt wird, damit man die Aussage vermeide, Gott schaffe die Welt von Ewigkeit her.

- 10

  Item quamvis idem nunc eternitatis assistat omni tempori et omni parti eius ac omni temporali accioni, ipso tamen |124v| nunc eternitatis non mensuratur creacio accio Dei transiens extra, ex qua est produccio creature in esse. Alias creare esset eternum sicut generacio filii, quod est hereticum. Et sic sonat articulus scilicet quod Deus, quam cito fuit, mundum creavit nec Deus precessit duracione mundi creacionem; que sunt heretica patenter.

  Ebenso: Obwohl dasselbe Jetzt der Ewigkeit jede Zeitspanne und jeden Teil derselben, sowie jede zeitliche Tätigkeit umfaßt, wird dennoch die Schöpfung als eine Tätigkeit Gottes, die nach Außen gerichtet ist, und durch welche die Hervorbringung der Geschöpfe zum Sein zustandekommt, nicht von eben diesem Jetzt der Ewigkeit abgegrenzt. Sonst wäre Schaffen etwas Ewiges, wie das Zeugen des Sohnes, was (ja) häretisch ist. Dies aber besagt der Artikel dem Wortlaut nach: Sobald Gott war, schuf er die Welt, und Gott ging der Schöpfung der Welt der Dauer nach nicht voraus, was offenkundig häretisch ist.

- 11

  Item si Deus de novo mundum produxit, ut dicit, sequitur quod accio Dei, qua mundum de novo produxit sit nova et non eterna sicut creacio mundi passiva. Unde hec sentencia dampnatur capitulo Firmiter (2).

  Ebenso: Wenn Gott vom Neuen die Welt hervorbrachte, wie er sagt, folgt, daß die Tätigkeit Gottes, durch die er die Welt vom Neuen hervorbrachte, wie die Schöpfung der Welt als Leiden, neu sei, und nicht ewig. Daher steht dieser Lehrsatz im Gegensatz zum Kapitel Firmiter.

- 12

  Quod vero sancti exponunt "In principio creavit i.e. in eterno filio" (3), verum est tanquam in verbo et arte plena omnium racionum vivencium. Sed in principio tanquam in mensura duracionis creavit in principio temporis et non in nunc eternitatis, ut fides tenet.

  Wenn aber die Kirchenväter den Satz 'In principio schuf (Gott)' als 'im ewigen Sohn (schuf Gott)' auslegen, dann ist es wahr, wenn man in principio in der Bedeutung von 'im Wort und in der alle Gründe der Lebenden enthaltenden Kunst' nimmt. Nimmt man aber in principio als ein Maß der Dauer, so schuf Gott, wie der Glaube festsetzt, im Anfang der Zeit, und nicht im Jetzt der Ewigkeit.

- 13

Secundus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 2)

  Potest concedi mundum fuisse ab eterno.

  Man kann zugeben, daß die Welt von Ewigkeit her gewesen ist.

- 14

  Hic articulus ut primus est iudicandus ut verba sonant, presertim secundum istum qui dicit rem in sua causa non habere esse nisi cum efficitur et producitur. Unde si mundus habuit esse ab eterno seu fuit, fuit creatus ab eterno; quod est hereticum.

  Dieser Artikel soll, wie (schon) der erste, dem Wortlaut nach beurteilt werden, insbesondere gemäß seiner Aussage, ein Ding habe in seiner Ursache kein Sein, außer wenn es gewirkt und hervorgebracht werde. Daher: Wenn die Welt von Ewigkeit her Sein gehabt hat bzw. gewesen ist, ist sie von Ewigkeit her geschaffen worden. Dies ist (aber) häretisch.

- 15

  Predictum articulum verifficat magister Eccardus, quia, ut dicit, pro tanto mundus fuit ab eterno, quia omni tempore fuit et nullo tempore non fuit.
  Item quia nichil est medium inter tempus et eternitatem.

  Den genannten Artikel will Meister Eckhart damit begründen, daß die Welt, wie er sagt, deswegen von Ewigkeit her gewesen ist, weil sie zu jeder Zeit gewesen ist, und zu keiner Zeit nicht gewesen ist.
  Ebenso: Weil es kein Mittleres zwischen Zeit und Ewigkeit gibt.

- 16

  Hec non evacuant errorem, quia omne tempus non equatur duracioni eterne nisi secundum errorem ponencium tempus et mundum ab eterno. Unde etsi mundus omni tempore fuerit, non tamen ab eterno, cum ceperit esse mundus et tempus.

  Damit wird aber der Irrtum nicht vermieden, weil 'zu jeder Zeit' nicht mit einer ewigen Dauer gleichgesetzt werden darf, außer wenn man irrig annimmt, die Zeit und die Welt seien von Ewigkeit her gewesen. Von daher: Auch wenn die Welt zu jeder Zeit gewesen wäre, wäre sie dennoch nicht von Ewigkeit her gewesen, da Welt und Zeit (einmal) begonnen haben zu sein.

- 17

  Item licet non sit medium inter tempus et eternitatem quoad hoc quod nulla pars est temporis, cui non coassistat nunc eternitatis: tamen quoad hoc est inter ipsa medium, quia tempus non est coeternum eternitati, ymo eternitas precessit duracione in infinitum ipsum tempus et mundum. Et sic Deus toto illo priori eterno ante tempus fuit, in quo medio potuit mundum producere, antequam produxit. Unde ut Augustinus dicit XI° De civitate Dei (4), creaturam esse coeternam Deo fides et racio sana condampnat.

  Ebenso: Wenn es auch kein Mittleres zwischen Zeit und Ewigkeit ist, insofern es keinen Teil der Zeit gibt, den das Jetzt der Ewigkeit nicht umfasse, dennoch gibt es zwischen beiden ein Mittleres, insofern die Zeit mit der Ewigkeit nicht gleichewig ist, (sondern) vielmehr die Ewigkeit, was die Dauer betrifft, der Zeit selbst und der Welt unendlich vorhergegangen ist. Und auf diese Weise war Gott vor der Zeit, in diesem ganzen früheren Ewigen, in dem - als Mittleres - er dann die Welt hätte hervorbringen können, bevor er sie hervorbrachte. Von daher verurteilen, wie Augustinus im XI. Buch vom Gottesstaat sagt, der Glaube und eine gesunde Vernunft, daß die Geschöpfe und Gott gleich ewig seien.

- 18

Tertius articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 3)

  Simul et semel quando Deus fuit quando filium sibi coeternum per omnia coequalem Deum genuit et mundum creavit.

  Als Gott war, und als er seinen mit ihm gleichewig seienden Sohn als ihm völlig gleichen Gott zeugte, zugleich und in ein und derselben Tätigkeit schuf er auch die Welt.
[Vgl. Proc. Col. I n. 44]

- 19

  Predictus articulus ut precedentes hereticus est, prout sonat.

  Der genannte Artikel ist, wie die vorhergehenden, dem Wortlaut nach häretisch.

- 20

  Hunc articulum verifficat, quia licet eodem nunc pater, quo est, et filium generat, mundum creat, tamen filius est incarnatus eternus et equalis patri, mundus vero est creatus temporalis et inequalis.

  Diesen Artikel will er damit begründen, daß obwohl der Vater in demselben Jetzt, in dem er ist und den Sohn zeugt, (auch) die Welt schafft, dennoch der Sohn sowohl der ewige fleischgewordene (Gott), als auch dem Vater gleich ist, während die Welt aber zeitlich und nicht (dem Vater) gleich geschaffen worden ist.

- 21

  Set istud non valet, quia si eodem nunc eternitatis fuisset sicut filii generacio ipsa mundi creacio, tunc mundi creacio esset eterna et non temporalis sicut filii generacio; quod est hereticum.

  Dies taugt aber (zur Begründung des Artikels) nicht, da, wenn die Schöpfung der Welt in demselben Jetzt der Ewigkeit, in dem die Zeugung des Sohnes ist, gewesen wäre, dann die Schöpfung der Welt, wie die Zeugung des Sohnes, ewig und nicht zeitlich wäre. Dies ist (aber) häretisch.

- 22

Quartus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 27)

  Aliquid est in anima quod est increatum et increabile. Si tota anima esset talis, tota esset increata et increabilis. Et hoc est intellectus.

  Etwas ist in der Seele, was unerschaffen und unerschaffbar ist. Wäre die ganze Seele derart, so wäre sie im Ganzen unerschaffen und unerschaffbar. Und das ist der Intellekt.
[Vgl. Proc. Col. I n. 59, Proc. Col. II n. 7]

- 23

  |125r| Istum articulum negat, quia ut dicit stultum est sentire quod anima sit peciata ex creato et increato.

  Diesen Artikel bestreitet er (gelehrt zu haben), denn es ist töricht, wie er sagt, zu meinen, die Seele sei aus Geschaffem und Ungeschaffem zusammengesetzt.
[Vgl. Proc. Col. I n. 137]

- 24

  Qui[d]quid tamen negat, in pluribus locis reperitur et probatur hoc dixisse quod in articulo continetur.

  Was er nicht zugibt, findet man aber in vielen Stellen (seiner Schriften), und somit wird bezeugt, daß er gesagt hat, was der Artikel beinhaltet.

- 25

  Et hunc articulum, ut sonat, hereticum reputamus, quia tunc anima secundum aliquid sui esset Deus, quia nichil increatum nisi Deus.

  Und diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, weil die Seele dann auf Grund von etwas, was ihr eigen ist, Gott wäre, da nichts außer Gott ungeschaffen ist.

- 26

Quintus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 28)

  Deus non est bonus neque melior neque optimus. Ita male dico, quocienscunque voco Deum bonum, acsi ego album vocarem nigrum.

  Gott ist weder gut noch besser noch am besten. Ebenso unangemessen spreche ich, wenn ich Gott 'gut' nenne, wie wenn ich das Weiße 'schwarz' nennen würde.
[Vgl. Proc. Col. II n. 127]

- 27

  Predictum articulum, prout sonat, hereticum reputamus, quia contra scripturam et racionem negat bonitatcm in Deo sicut album a nigro.

  Den genannten Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, da er im Widerspruch zu der Heiligen Schrift und der Vernunft Gott die Gutheit abspricht, wie man das Weißsein dem Schwarzen abspricht.

- 28

  Hunc articulum, ut sonat, etiam ipse magister erroneum reputat. Sed circa ipsum hoc verificat quod Deus est super omne nomen et superior omni narracione et super omne quod intelligimus, et omnes linge (!) defficiunt ab eius proprietate, et plus differt omne nomen, quo ipsum Deum nominamus, ab illius proprietate quam album a nigro. Hec enim habent unum genus univoce.

  Dem Wortlaut nach erachtet auch der Magister selbst diesen Artikel für irrtümlich. Um das damit Gemeinte aber zu begründen, bringt er als Argument vor, daß Gott über jeden Namen ist, und über jeder sprachlichen Beschreibung, und über allem, was wir verstehen (können), steht, sowie daß beim Versuch, seine Eigentümlichkeit zu fassen, alle Sprachen versagen, und daß jeder Name, mit dem wir Gott selbst benennen, sich von dessen Eigentümlichkeit mehr unterscheidet als das Weiße vom Schwarzen. Denn die letzteren gehören (ja) zu einer einzigen univoken Gattung.
[Vgl. Proc. Col. II n. 128]

- 29

  Hoc non evacuat errorem, quia tunc ista esset magis inpropria et neganda: "Deus est bonus" quam illa "album est nigrum", ymo nulla proposicio de Deo esset concenda ut Deus est Deus, ens, unus, trinus et similia; que sunt heretica. Et quamvis Deus sit super omne nomen et supra omnem intellectum, non tamen debent negari a Deo nomina, que magis proprie sibi conveniunt quam creature ut quod Deus est ens, substancia, Deus bonus, sicut negamus album nigrum. Et plus convenit signatum bonitatis Deo quam album nigro vel econtrario. Nec unitas generis reddit proposicionem magis propriam et veram in terminis dividentibus genus. Aliter ista esset magis propria et vera: Homo est asinus quam homo est ens vel homo est quantus vel albus; quod est absurdum vel falsum. Nec est dubium, quin magis conveniant omnia predicata de Deo, puta bonitas et sapiencia, vita et cetera cum Deo, cum quo dicunt unam rem simplicissimam et indistinctam quam album et nigrum, que sunt distincta et opposita realiter et solum conveniunt in communi conceptu generis ex tenui similitudine acceptus (!) [l. accepto] ut dicit Themistius (5).

  Damit kann man aber den Irrtum nicht vermeiden, denn dann wäre die Aussage 'Gott ist gut' unpassender und eher abzulehnen als jene 'Das Weiße ist schwarz', ja, man dürfte keine Aussage über Gott für wahr halten, (7) auch nicht z.B., daß 'Gott Gott ist', bzw. daß 'er seiend, einer, dreifaltig ist', und ähnliche Aussagen. Das ist (aber) häretisch. Und obwohl Gott über jeden Namen und über jedes Verstehen ist, darf man ihm gleichwohl die Namen, die für ihn passender als für die Geschöpfe sind - wie z. B. wenn wir sagen, 'Gott ist seiend', 'ist Substanz', oder 'Gott ist gut' -‚ nicht absprechen, wie man das Weißsein dem Schwarzen abspricht. Und die Bezeichnug 'Gutheit' ist viel eher von Gott aussagbar, als das Weißsein vom Schwarzen oder umgekehrt. Auch macht die Einheit der Gattung eine Aussage, welche mit den Begriffen, die die Gattung unterteilen, gebildet ist, nicht geeigneter und richtiger. Sonst wäre die Aussage 'Der Mensch ist ein Esel' geeigneter und richtiger als die 'Der Mensch ist seiend' oder 'Der Mensch hat eine quantifizierbare Größe' bzw. 'Der Mensch ist weiß', was (ja) unsinnig oder falsch ist. Und es besteht keinen Zweifel, daß alle Prädikate, die von Gott ausgesagt werden, wie die Gutheit und die Weisheit, das Leben usw., für Gott geeigneter sind - da sie, wie dieser selbst, eine einzige Sache, die absolut einfach und ununterschiedlich ist, ausdrücken -‚ als Weißsein und Schwarzsein (füreinander geeignet sind), die voneinander unterschieden sind und der Realität nach im Gegensatz zueinander stehen, und bloß im allgemeinen Gattungsbegriff übereinstimmen, der "wegen einer armseligen Ahnlichkeit gebildet wurde", wie Themistios sagt.

- 30

Sextus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 26)

  Omnes creature sunt unum purum nichil et non dico quod sint quid modicum vel aliquid, sed quod sunt purum nichil.

  Alle Geschöpfe sind ein reines Nichts, und ich sage, weder daß sie etwas Geringes sind, noch daß sie überhaupt etwas sind, sondern daß sie reines Nichts sind.
[Vgl. Proc. Col. I n. 73, Proc. Col. II n. 79]

- 31

  Hunc articulum, prout verba sonant, hereticum reputamus, quia hoc negat Deum creatorem rerum dantem esse eis, negat creacionem terminari ad esse contra illud Sapiencie 1° [14]: "Creavit omnia, ut essent" negat in creaturis esse, operari et creaturam racionalem mereri et demereri et beatificari et dampnari.

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, weil er leugnet, daß Gott der Schöpfer der Dinge ist, indem er ihnen das Sein gibt, er ferner leugnet, daß das Ziel (8) der Schöpfung das Sein war, was im Widerspruch zu jenem Vers aus dem ersten Kapitel des Buches der Weisheit: Er schuf alles, damit es sei (1, 14) steht. (Der Artikel) leugnet (somit), daß die Geschöpfe sind, bzw. daß sie tätig sind, sowie daß die geschaffenen Vernunftwesen etwas verdienen oder nicht verdienen können, und (dementsprechend) glücklich gemacht oder verdammt werden können.

- 32

  Predictum tamen articulum verificat multipliciter {magister Sturlese} et dicit verum esse quod creature in seipsis et secundum seipsa sunt nichil, quia [Jo. 1,3] "omnia per [per] ipsum facta sunt et sine ipso factum est nichil". Et omnia sic dependent a Deo, quod si ea ad punctum non manuteneret, in nichil deciderent.

  Den genannten Artikel versucht er freilich auf viele verschiedene Weisen zu begründen und sagt, es sei wahr, daß die Geschöpfe in sich selbst und gemäß sich selbst Nichts sind, denn alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist nichts geworden (Joh. 1, 3). Und alles hängt von Gott so ab, daß es wenn er es nicht zu jedem Augenblick halten würde, ins Nichts abfallen würde.
[Vgl. Proc. Col. II n. 106]

- 33

  Hec non excludunt errorem. Quamvis enim creature dependeant a Deo creante, sunt tamen aliquid in seipsis et secundum seipsa formaliter per accionem creantis, ymo ex hoc quod realiter dependent a Deo, cum realis dependencia fundetur in reali entitate, probatur creaturas habere esse reale. Unde nec debent dici purum nichil, ymo aliquid, licet eciam omnia per ipsum facta sint et sine |125v| ipso sit nichil, non tamen dici debet, quod creatura sit purum nichil vel quod creacio terminetur ad nichil. Et licet Deus et creatura non sint maius quam solus Deus, sunt tamen plures res, sicut punctus et linea non sunt maius quam sola linea, sunt tamen plures res.

  Das schließt aber den Irrtum nicht aus. Denn obwohl die Geschöpfe von Gott, dem Schöpfer, abhängen, sind sie dennoch etwas in sich selbst und gemäß sich selbst formell, dank der schöpferischen Tätigkeit (Gottes); vielmehr daraus, daß sie der Realität nach von Gott abhängig sind, wird bewiesen, daß die Geschöpfe ein reales Sein haben, da eine reale Abhängigkeit auf einer realen Entität gründet. Daher darf man sie nicht 'reines Nichts' nennen, sondern vielmehr 'etwas'. Auch wenn alles durch ihn geworden ist, und ohne ihn nichts geworden ist, darf man dennoch nicht sagen, die Geschöpfe seien reines Nichts, oder das Ziel der Schöpfung sei das Nichts. Und obwohl Gott und das Geschöpf (zusammen) nicht etwas Größeres als Gott alleine sind, sind sie dennoch mehr als ein einziges Ding, so wie der Punkt und die Linie (zusammen) nicht etwas Größeres ausmachen als die Linie allein, aber doch mehr als ein einziges Ding sind.

- 34

Septimus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 4)

  In omni opere eciam malo, malo inquam tam pene quam culpe, manifestatur et relucet equaliter gloria Dei.

  In jedem Werk, auch im Übel - ich meine: sowohl im Übel der Strafe wie auch in dem des schuldhaften Aktes -‚ offenbart sich und erstrahlt gleichermaßen die Herrlichkeit Gottes. - 35

  Hunc articulum verificat, quia Deus glorificatur in paciencia et benignitate, qua expectat et tolerat peccatorem per sui clemenciam, et laudatur Dei iusticia in culpe punicione et bonorum remuneracione.

  Diesen Artikel will er damit begründen, daß Gott in der Geduld und im Wohlwollen, mit denen er in seiner Milde den Sünder erwartet und duldet, verherrlicht wird, und daß die Gerechtigkeit Gottes sowohl in der Bestrafung des schuldhaften Aktes wie in der Belohnung der Guten gepriesen wird. - 36

  Et hoc verum est. Set quod Dei gloria equaliter reluceat in omni actu est dicere quod omnia sunt equalia et equaliter actus culpe participet Dei bonitatem sicut actus pene et actus viciosus sicut virtuosus; que sunt heretica et absurda. Unde verba articuli male sonant et videntur heresim continere. Inducitque homines ad culpam sicut ad virtutem.

  Und dies ist wahr. Doch zu sagen, daß die Herrlichkeit Gottes in jedem Akt gleichermaßen erstrahlt, bedeutet, daß alles gleich ist, und daß der schuldhafte Akt gleichermaßen wie der Akt der Strafe, und der lasterhafte Akt wie der tugendhafte an der Gutheit Gottes teilhaben. Das ist (aber) häretisch und unsinnig. Der Artikel stellt von daher eine mißverständliche Formulierung dar, und scheint Häretisches zu beinhalten. Außerdem veranlaßt er die Menschen gleichermaßen zum schuldhaften Akt wie zur Tugend.

- 37

VIIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 5)

  Vituperans quempiam ipso peccato vituperii laudat Deum et, quo plus vituperat et gravius peccat, amplius Deum laudat.

  Wer jemanden schmäht, preist Gott gerade durch die Sünde der Schmähung, und je mehr er schmäht und je schwerer er sündigt, desto mehr preist er Gott.

- 38

IXus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 6)

  Quin imo Deum ipsum quis blasphemando Deum laudat.

  Ja, sogar dadurch, daß jemand Gott selbst lästert, preist er Gott. - 39

  Hos duos articulos hereticos reputamus, quia ut verba sonant, est dicere malum bonum et lucere [l. lucem] tenebras. In actu enim peccati et blasfemie, per quem reverencia et debitus honor Deo subtrabitur non laudatur quantum est ex parte peccantis stultumque est dicere quod vituperare ut sic sit laudare. Unde de sui inhonoracione dominus conqueritur. Ysa[ias LII°] 5: Tota die nomen meum in gentibus blasfematur et contra peccatores et blasfemos dominus ait: Si ego dominus, ubi honor meus [Mal. 1,56].

  Diese beiden Artikel erachten wir für häretisch, weil dies dem Wortlaut nach zu sagen bedeutet, daß das Böse gut ist und das Licht Finsternis. Denn: Im Akt der Sünde und der Gotteslästerung, durch den man Gott die Ehrerbietung und die Verehrung, die wir ihm schuldig sind, entzieht, wird Gott, was den Anteil des Sünders daran angeht, nicht gepriesen, und es ist töricht zu sagen, daß Lästern als solches Preisen sei. So beschwert sich der Herr selbst, wenn er nicht geehrt wird: Den ganzen Tag wird mein Name unter dem Volk gelästert (Jes. 52, 5), und gegen die Sünder und Gotteslästerer sagt der Herr: Wenn ich der Herr bin, wo bleibt dann meine Ehrerbietung? (Mal. 1, 6). - 40

  Istos duos articulos verificat per sentenciam Augustini dicentis quod quanto plus vituperatur unum oppositorum, tanto plus laudatur aliud et, ubi plus vituperatur superbia, ibi plus laudatur humilitas.

  Diese beiden Artikel will er mit den Worten Augustinus' begründen, der sagt, daß je mehr man das eine Glied eines Gegensatzpaares tadelt, umso mehr das andere gepriesen wird, und daß je mehr der Hochmut getadelt, die Demut umso mehr gepriesen wird. - 41

  Hec sentencia vera est, sed nichil ad propositum, quia per hoc non habetur quod vituperare Deum sit laudare ipsum. Sed vituperando Deum actorem virtutis est laudare malum et actorem peccati, et vicii et vituperare vicium est honum et laudabile. Sed vituperare Deum est malum et blasfemum. Primum dicit Augustinus, secundum vero dicit articulus. Ideo in nullo concordat Augustinus cum articulo.

  Diese Worte sind (zwar) wahr, sie haben aber - da damit nicht gesagt wird, daß 'Gott zu lästern' 'ihn zu preisen' heiße - mit dem, worum es hier geht, nichts zu tun. Vielmehr bedeutet 'Gott, der die Tugend vollbringt, zu lästern' 'das Böse bzw. den, der Sünde und Laster vollbringt, zu preisen', während das Laster zu tadeln etwas Gutes und Lobenswertes ist. (9) Es ist aber böse und blasphemisch, Gott zu lästern. Das erste sagt Augustinus, das zweite aber besagt der Artikel. Von daher stimmen Augustinus und der Artikel in keinem Punkt überein.

- 42

Xus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 16)

  Deus proprie non precipit aetum exteriorem.

  Im eigentlichen Sinne beziehen sich Gottes Gebote nicht auf den äußeren Akt.

- 43

XIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 17)

  Aetus exterior non est proprie bonus neque divinus nec operatur ipsum Deus proprie neque parit.

  Der äußere Akt ist im eigentlichen Sinne weder gut noch göttlich, noch wird er im eigentlichen Sinne von Gott vollbracht und gezeugt.
[Vgl. Proc. Col. I n. 48]

- 44

XIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 18)

  Item vult dicere, quod fructum afferamus actuum non exteriorum, qui nos bonos non faciunt, sed interiorum, quos pater in nobis manens facit et operatur.

  Ebenso meint er, daß wir nicht durch die äußeren Akte, die uns nicht gut machen, fruchtbar sind, sondern durch die inneren, die der Vater in uns bleibend tut und vollzieht.

- 45

XIIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 19)

  Item quod Deus animas amat, non opus extra.

  Ebenso: Gott liebt die Seelen, nicht das äußere Werk. - 46

  Istos articulos, ut verba sonant, hereticos reputamus. Nam Deus proprie precipit: sic luceant opera vestra eoram hominibus. Mt. V|16: Proprie precipit Ysa[ias LIIII [58,7]: "Frange esurienti". Proprie precipit non solum actum interiorem: "Non concupisces rem proximi, non uxorem (6), sed proprie precipit aetum exteriorem [Ex. 20,15,14]: "Non furtum facies; non mecaberis". Item [Ex. 20,12]: "Honora patrem et matrem", et infinita leguntur in scriptura, in quibus proprie et expresse Deus precipit actum exteriorem.

  Diese Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch. Denn im eigentlichen Sinne gebietet Gott: So sollen eure Werke vor den Menschen leuchten (Mt. 5, 16); im eigentlichen Sinne gebietet er: Teile an die Hungrigen dein Brot aus (Jes. 58, 7). Im eigentlichen Sinne gebietet er nicht nur den inneren Akt: Du sollst danach, was deinem Nächsten gehört, nicht verlangen, nach seiner Frau nicht verlangen (Ex. 20, 17), sondern im eigentlichen Sinne gebietet er (auch) den äußeren Akt: Du sollst nicht stehlen (Ex. 20, 15); Du sollst nicht die Ehe brechen (Ex. 20, 14); ebenso: Ehre deinen Vater und deine Mutter (Ex. 20, 12). Und in der Heiligen Schrift findet man unendlich viele weitere Gebote, in denen Gott im eigentlichen Sinne und ausdrücklich den äußeren Akt gebietet. - 47

  Item cum precepta sint de actibus bonis negare omnino bonitatem proprie in actu exteriori, quem Deus precipit, est male et contra veritatem scripture, que elemosinas, oraciones, ieiunia tanquam proprie bona laudat. Unde de effusione unguenti dicit dominus. Mt. XXVI|10: "Bonum opus operata est in me", denuo "fides sine operibus mortua est" [Jac. 2,17].

  Ebenso: Da die Gebote sich auf die guten Akte beziehen, stellt die Aussage, es sei überhaupt keine Gutheit im eigentlichen Sinne im äußeren Akt, etwas Böses dar, da Gott diesen (ja) gebietet. Sie steht auch im Widerspruch zur Wahrheit der Heiligen Schrift, die (ja) Almosen, Gebete, Fasten (und dgl.) als Gutes im eigentlichen Sinne preist. Daher sagt der Herr über das Gießen der Salbe: Sie hat ein gutes Werk an mir getan (Mt. 26, 10), und noch einmal: Der Glaube ist ohne Werke tot (Jak. 2, 17). - 48

  Item dicere quod Deus non operetur proprie actum exteriorem est hereticum et nega<n>t Deum omnium causam esse contra illud Johannis 1|3: "Omnia per ipsum facta".

  Ebenso: Zu sagen, daß Gott den äußeren Akt im eigentlichen Sinne nicht vollbringt, ist häretisch und leugnet, daß Gott die Ursache von allem sei, gegen Joh. 1, 3: Alles ist durch ihn geworden. - 49

  Item Deus non solum vult fructum bonorum actuum interiorum, sed eciam exteriorum, quos precipit, ut dictum est. Unde non omnes, qui dicunt: "Domine, domine intrabunt regnum celorum, sed qui faciunt" (7) et cetera. Et Deus amat non solum animas, sed bona opera, que acceptat.

  Ebenso: Gott will nicht nur die Frucht der guten inneren Akte, sondern auch die der äußeren, die er (ja auch) gebietet, wie gesagt wurde. Daher: Nicht jeder, der sagt: 'Herr! Herr!' wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer (den Willen meines Vaters im Himmel) erfüllt usw. (Mt. 7, 21). Und Gott liebt nicht nur die Seelen, sondern (auch) die guten Werke, welche er annimmt. - 50

  Istos articulos IIII verificat, quia Deus precipit actum exterriorem, sed non precipit proprie. Et quia actus exterior non habet bonitatem moralem sine actus interioris bonitate. Unde principalius vult Deus actum bonum interiorem quam exteriorem.

  Diese vier Artikel will er damit begründen, daß Gott den äußeren Akt (zwar) gebietet, aber nicht im eigentlichen Sinne gebietet; ebenso weil der äußere Akt nicht sittlich gut ist, wenn es der innere Akt nicht ist. Von daher will Gott in erster Linie den guten inneren Akt, mehr als den äußeren.
[Vgl. Proc. Col. I n. 124] - 51

  Quod Deus non precipiat proprie actum exteriorem est male dictum, quia Deus proprie precipit que in preceptis decalogi continentur. Et tamen quedans precepta sunt de actu exteriori, ut dictum est.

  Es ist aber eine mißverständliche Formulierung, wenn man sagt, Gott gebiete den äußeren Akt im eigentlichen Sinne nicht, da Gott im eigentlichen Sinne gebietet, was in den Zehn Geboten enthalten ist. Und einige Gebote betreffen freilich den äußeren Akt, wie gesagt wurde. - 52

  Et licet actus exterior non sit meritorius sine caritate et principalius intendatur actus interior, tamen male dicitur quod non debeamus per se intendere actum exteriorem, cum Deus exteriorem acceptet et remuneret, ut patet in Cornelio, Actuum primo [10°], immo affectus interior non sufficit nisi [l. ubi] opus est exteriori. Unde non omnes, qui dicunt: "Domine, domine" etc. [Matth. 7,2].

  Und obwohl der äußere Akt ohne die Liebe nicht verdienstvoll ist, und in erster Linie eher der innere Akt erstrebenswert ist, ist es dennoch eine mißverständliche Formulierung, wenn man sagt, man solle den äußeren Akt an sich nicht erstreben, wo doch Gott den äußeren Akt annimmt und vergilt, wie aus dem Fall des Cornelius erhellt (Apg. 10, 4). Ja sogar: Der innere Gemütszustand genügt nicht, wenn er nicht vom äußeren Werk begleitet wird. Daher: Nicht jeder, der sagt: 'Herr!, Herr!' usw (Mt. 7, 2).

- 53

XIIIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 7)

  Item scribit quod petens hoc aut hoc, malum petit et male, quia negacionem boni et negacionem Dei petit. Et petit et orat Deum sibi negari.

  Ebenso schreibt er, daß wer um dies oder jenes bittet, um etwas Schlechtes bittet und schlecht bittet, da er um die Verneinung des Guten und die Verneinung Gottes bittet. Und er bittet und betet darum, daß Gott sich selbst verneine. - 54

  |126v| Hunc articulum, ut eius verba sonant, hereticum reputamus, quia dampnat oracionem dominicam et arguit Christum male docuisse hoc et hoc determinate orare, immo et ipse legitur orando petisse hoc et illud determinate, dampnat eciam ecclesiam totam et sanctos qui sic orando petunt.

  Diesen Artikel, nimmt man ihn dem Wortlaut nach, erachten wir für häretisch, weil er das 'Gebet des Herrn' verdammt, und besagt, daß Christus schlecht tat, indem er um dies oder jenes Bestimmtes zu beten lehrte - ja, auch er selbst hat, wie wir (im Evangelium) lesen, im Gebet um dies oder jenes Bestimmtes gebeten -‚ weil er auch die ganze Kirche und die Heiligen verdammt, die, indem sie auf diese Weise beten, um etwas bitten. - 55

  Istum articulum verificat ex dicto Crisostomi super Matheum (8): Nescitis quid petitis et per Augustinum dicentem quod amas in terra viscus est alarum spiritualium.

  Diesen Artikel will er mit den Worten von Chrysostomos begründen, der in seinem Matthäus-Kommentar schreibt: Ihr dürft nicht wissen, worum ihr bittet, sowie mit denen von Augustinus, der sagt: Was du auf Erden liebst, ist ein Vogelleim für die geistigen Flügel. - 56

  Sed falsum subponitur, quia Crisostomus hoc non dicit, sed ibi reprehendit peticionem ambiciosam et superbam honoris et dominacionis mundam super alios apostolos, in quo filii Zebedei nichil spirituale, sed totum carnale sapiebant.

  Es ist aber nicht richtig, daß man damit diesen Artikel begründen kann, weil Chrysostomos dies nicht sagt, sondern an dieser Stelle (vielmehr) das ehrgeizige und hochmütige Streben nach irdischem Ruhm und irdischer Herrschaft über die anderen Aposteln tadelt, womit die Söhne Zebedäus' nicht nach etwas Geistigem, sondern ganz Fleischlichem schmeckten. - 57

  Nec Augustinus vocat <amorem creature> viscum alarum amorem creaturarum, quo quis creatura ordinate utitur, sed amorem inordinatum, quo quis creatura fruitur vel sic utitur, quod ab amore Dei aliquo modo impeditur, ne ipsum [l. ipso] perfecte et libere fruatur.

  Es ist auch nicht richtig, daß Augustinus die Liebe zur Kreatur qua Liebe zu den Kreaturen, durch die man sie in ordentlicher Form gebraucht, einen Vogelleim für die Flügel nennt, sondern (bloß) qua unordentliche Liebe, durch die jemand die Kreatur so genießt oder sie so gebraucht, daß er dadurch in der Liebe zu Gott irgendwie gehindert wird, so daß er zum vollkommenen und freien Genuß desselben nicht gelangen kann. (10)

- 58

XVus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 8)

  Item predicavit: Qui non intendunt res nec honores nec utililatem nec devocionem internam nec sanctitatem nec premium nec regnum celorum, sed omnibus hiis renunciaverunt, eciam quod suum est, in illis hominibus honoratur Deus.

  Ebenso hat er gepredigt: In jenen Menschen, die weder nach Besitz streben, noch nach Ehren, noch nach Nutzen, noch nach innerer Frömmigkeit, noch nach Heiligkeit, noch nach Belohnung, noch nach dem Himmelreich, sondern auf all dies verzichtet haben, auch auf das, was ihnen eigen ist, wird Gott gepriesen.
[Vgl. Proc. Col. II n. 89] - 59

  Istum articulum verificat magister scilicet quod Deum et nichil citra Deum debemus querere nec aliud intendere pro mercede iuxta illud: "Ego merces tua" [Gen. 15,1].

  Diesen Artikel will er damit begründen, daß wir uns um Gott und um nichts Geringeres als Gott bemühen, und nicht nach irgendetwas anderem als Lohn streben sollten, gemäß den Biblischen Worten: Ich bin dein Lohn (Gen. 15, 1).
[Vgl. Proc. Col. II n. 90] - 60

  Hoc non excusat, quia licet Deus sit merces nostra, non tamen sine merito gracie, per quam habemus virtutem, devocionem et sanctitatem. Et per hoc meremur Deum mercedem et premium ac regnum celorum, per quod vita eterna intelligitur. Igitur Deus nulli est merces, qui renunciat iusticie, devocioni, sanctitati, premio et regno celorum. Quare exposicio ista nichil facit ad verificandum seu tollendum errorem articuli, ut in illis honoretur Deus, qui renunciant istis, cum hec renunciacio sit peccatum gravissimum et per consequens articulus inducit homines in peccatum et errorem.

  Das kann aber den Artikel nicht rechtfertigen, denn obwohl Gott unser Lohn ist, ist er es dennoch nicht ohne das Verdienst der Gnade, durch die wir die Tugend, die Frömmigkeit und die Heiligkeit besitzen. Und dadurch verdienen wir Gott als Lohn und Belohnung sowie das Himmelreich, worunter das ewige Leben verstanden wird. Also ist Gott nicht Lohn für jemanden, der auf Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Heiligkeit, Belohnung und Himmelreich verzichtet. Deshalb trägt das von ihm Vorgebrachte nichts zur Begründung des Artikels bei, bzw. dazu, den Irrtum desselben, nämlich daß in denen Gott gepriesen wird, die auf diese Dinge verzichten, zu beseitigen, da dieser Verzicht eine sehr schwere Sünde ist, und folglich verleitet der Artikel die Menschen zu Sünde und Irrtum.

- 61

XVIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 9)

  Item predicavit: Ego nuper cogitavi unum. Ego vellem accipere aliquid a Deo vel desiderare. Ego volo de hoc valde deliberare, quia ubi ego essem accipiens a Deo, ibi essem ego sub Deo vel infra eum sicut unus famulus vel servus et ipse sicut dominus in dando et sic non debemus esse in eterna vita.

  Ebenso hat er gepredigt: Neulich dachte ich, ich möchte etwas von Gott empfangen, oder mir etwas von ihm wünschen. Ich will es mir (aber) besser überlegen, denn: Wäre ich jemand, der von Gott etwas empfängt, so wäre ich ihm unterworfen oder unter ihm wie ein Diener oder Knecht, Gott selbst würde (dann) im Geben zu einem Herren. So soll es (aber) mit uns nicht stehen im ewigen Leben.
[Vgl. Proc. Col. I n. 64, Proc. Col. II n. 100] - 62

  Hunc articulum, ut sonat, hereticunt reputamus, [tamen] quia dubitat quod velit accipere a Deo aliquid, cum nichil boni in nobis, quin a Deo accipere debeamus. "Quid, ait Apostolus (9), habes quod non accepisti." Item non debere subici domino sicut accipientes donum, eciam in beatitudine, que donum est, hoc sentire aut dubitare infidelitatis est, quia gracia Dei vita eterna [Rom. 6,23].

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, da er in Frage stellt, ob man danach trachten darf, etwas von Gott zu empfangen, obwohl es nichts Gutes in uns gibt, was wir ohne Gott empfangen könnten. Was hast du, sagt der Apostel, was du nicht (von Gott) empfangen hast? (1 Kor. 4, 7). Ebenso: Es ist ein Zeichen von Unglauben, wenn man denkt, daß man sich dem Herrn, indem man von ihm eine Gabe empfängt, nicht unterstellen solle, auch in der ewigen Glückseligkeit, die (ja) eine Gabe ist, oder auch wenn man in Zweifel darüber ist, denn das ewige Leben ist die Gabe Gottes (Röm. 6, 23). - 63

  |127r| Istum articulum verificat hic magister, quia in nullo sub Deo debemus contentari. Item non debeo esse ut servus et famulus secundum illud [Jo. 15,15]: "Iam non dicam vos servos" et cetera.

  Diesen Artikel will dieser Magister damit begründen, daß wir an nichts Geringerem als an Gott Genügen finden dürfen; ebenso damit, daß ich nicht wie ein Knecht und Diener sein darf, gemäß den Worten: Ich nenne euch nicht mehr Knechte usw. (Joh. 15, 15).
[Vgl. Proc. Col. II n. 101] - 64

  Quod vero dicitur in articulo, quod non debeamus esse ut accipiens a Deo stultum est; ipse enim filius in trinitate accipit omnia a patre et suum accipere est suum esse et suum generari.
  Quod primo dicitur quod non debeo contentari modo aliquo sub Deo sc. in bono creato verum est, sed istud nichil facit ad hoc quod ego non debeam aliquid accipere vel desiderare a Deo, ut articulus dicit. Unde hoc dictum verum non concordat cum dicto articuli.
  Et si accipere facit servum et dare dominum, ut articulus ponit, cum in beatitudine accipiamus et Deus det illam beatitudinem, non possumus ibi esse, quin simus servi et ipse dominus. Unde ibi negare servitutem et cultum latrie, qua et ut domino servimus ex caritate, est hereticum; dicitur enim sanctis: "Servite domino in timore" (10). Quamvis enim ibi non sit servitus, que est ex timore servili, quam "caritas foras mittit" (11) - et sic ait "iam non dicam vos servos" (12), quia servus non manet in domo mittencium -: est tamen ibi caritatis obsequiosa servitus ex timore filiali, qui(!) [l. que] manet in seculum seculi. Libertas enim filiorum non excludit accipere filios et Deum dare, qui est pater et dominus in gloria. Nec est dicendum quod ibi nos accipiamus a Deo ut equales sibi sicut filius Deo patri est equalis, et [l. ut] videtur dicere inexposicione quia hoc est hereticum et blasfemum.

  Was in diesem Artikel aber gesagt wird, nämlich daß wir nicht so sein dürften, daß wir etwas von Gott empfangen, ist töricht, denn der Sohn selbst empfängt in der Trinität alles vom Vater, und (eben) in diesem Empfangen besteht sein Sein und sein Gezeugt-Werden.
  Was (aber im Artikel) zunächst gesagt wird, nämlich daß ich auf keine Weise an Geringerem als an Gott Genügen finden dürfe, nämlich an keinem geschaffenen Guten, ist zwar wahr, hat aber nichts damit zu tun, daß ich nichts von Gott empfangen oder wünschen dürfe, wie der Artikel besagt.
  Daher stimmt diese wahre Aussage mit der Aussage des Artikels nicht überein. Und wenn Empfangen zum Knecht und Geben zum Herrn macht, wie der Artikel besagt, dann könnten wir, da wir im ewigen Leben von Gott (eben) etwas empfangen, und Gott dieses ewige Leben (eben) gibt, dort nicht sein, ohne daß wir Knechte und Gott Herr wäre. Es ist von daher häretisch, dort jeglichen Dienst und Verehrung abzulehnen, durch die wir ihm als einem Herren aus Liebe dienen. Denn von den Heiligen wird gesagt: Dient dem Herrn in Furcht (Ps. 2, 11). Obwohl es sich dabei sicherlich um keine Dienstbarkeit handelt, die aus knechtischer Furcht folgt, welche die Liebe vertreibt (I Joh. 4, 18) - und deswegen sagt er: ich nenne euch nicht mehr Knechte: Es ist nämlich kein Knecht mehr im Haus, der vertrieben (11) werden soll -, so handelt es sich dabei doch um die gehorsame Dienstbarkeit der Liebe, die aus der Ehrfurcht eines Sohnes entspringt und die für immer bleibt. Die Selbständigkeit der Söhne schließt nämlich nicht aus, daß sie etwas empfangen, und Gott der (ja) Vater und Herr in Herrlichkeit ist, (ihnen) etwas gibt. Man darf aber nicht sagen, daß wir von Gott etwas empfangen, indem wir ihm gleich sind, wie der Sohn Gott-Vater gleich ist, und wie er in seiner Auslegung zu sagen scheint, da dies häretisch und blasphemisch ist.

- 65

XVIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 20; Acta n. 58)

  Item predicavit quod bonus homo est unigenitus filius Dei.

  Er hat ebenso gepredigt, daß der gute Mensch der eingeborene Sohn Gottes ist.

- 66

XVIIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 21; Acta n. 58)

  Item quod homo nobilis est ille unigenitus Dei filius, quem Deus pater eternaliter genuit.

  Ebenso (hat er gepredigt), daß der edle Mensch gerade der eingeborene Sohn Gottes ist, den der Vater von Ewigkeit her gezeugt hat.
[Vgl. Proc. Col. I n. 55, Proc. Col. II n. 87] - 67

  Hos duos articulos, ut sonant, hereticos reputamus, quia quamvis bonus homo possit dici Dei filius per graciam adoptionis, tamen hereticum est dicere quod aliquis bonus homo sit unigenitus Dei filius, nisi solus ille, de quo dicitur Jo|hannis 1 |18: "Unigenitus Dei filius ennarravit vobis". Immo Christus secundum humanam naturam non dicitur unigenitus, sed primogenitus in multis fratribus, Ro. VIII |20. Quia secundum Augustinum in divina natura non hahet fratres, dicitur unigenitus, sed quia in natura humana habet fratres non dicitur unigenitus, sed primogenitus propter excellenciam gracie et donorum.
  Hereticum est eciam dicere quod bonus homo sit, quem Deus eternaliter genuit, quia per hoc ponitur homo ab eterno, si sit genitus eternaliter secundum humanitatem.

  Diese beiden Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, denn: Obwohl der gute Mensch Sohn Gottes durch die Gnade der Annahme an Sohnes Statt genannt werden darf, ist es dennoch häretisch zu sagen, daß irgendein guter Mensch der eingeborene Sohn Gottes sei. Nur der, von dem es in Joh. 1, 18 heißt: Der eingeborene Sohn Gottes hat Kunde gebracht, darf so genannt werden. Nicht einmal Christus wird seiner menschlichen Natur nach der Eingeborene, sondern (nur) der Erstgeborene von vielen Brüdern genannt (Röm 8, 29). Weil er, wie Augustinus sagt, seiner göttlichen Natur nach keine Brüder hat, wird er der Eingeborene genannt, da er aber seiner menschlichen Natur nach Brüder hat, wird er nicht der Eingeborene, sondern - wegen seines Hervorragens an Gnade und Gaben - der Erstgeborene genannt.
  Es ist auch häretisch zu sagen, der gute Mensch sei (gerade) der, den Gott von Ewigkeit her gezeugt habe, denn: Nimmt man an, der Mensch sei seiner Menschlichkeit nach von Ewigkeit her gezeugt worden, so gesteht man ihm dadurch das ewige Sein zu. - 68

  Istos duos articulos dictus magister, ut sonant, dicit erroneos, sed eas verificat dicens quod idem est Dei filius unigenitus in trinitate et quo omnes fideles filii Dei sunt per adopcionem.

  Diese beiden Artikel hält (auch) der genannte Magister (selbst) dem Wortlaut nach für irrtümlich, versucht sie aber zu begründen, indem er sagt, der eingeborene Sohn Gottes in der Trinität ist zugleich der, durch den alle Gläubigen Söhne Gottes durch die Annahme an Sohnes Statt sind.
[Vgl. Proc. Col. I n. 133] - 69

  Hoc quidem verum est quod idem est Dei filius unigenitus, qui a patre eternaliter genitus et per quem sumus filii adopcionis et coheredes. Sed istud nichit facit ad verificationem articuli, ut bonus homo possit dici unigenitus Dei filius a patre eternaliter genitus secundum quod homo, sicut articulorum verba sonant, quorum intellectum sequens articulus ostendit.

  Das ist zwar wahr, daß der eingeborene Sohn Gottes, der vom Vater von Ewigkeit her gezeugt worden ist, und der, durch den wir Söhne durch die Annahme an Sohnes Statt und Miterben sind, ein und derselbe Sohn ist, trägt aber nichts zur Begründung des Artikels bei, nach dem der gute Mensch qua Mensch der eingeborene Sohn Gottes, der vom Vater ewig gezeugt worden ist, genannt werden dürfe, was (ja) die Artikel dem Wortlaut nach besagen, deren (eigentliche) Bedeutung der folgende Artikel zeigt.

- 70

XIXus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 22; Acta n. 58)

  |127v| Item dicit quod pater generat me suum filium et eundem filium. Quidquid Deus operatur hoc est unum; propter hoc generat me ipse suum filium sine omni distinccione.

  Ebenso sagt er, daß der Vater mich als seinen Sohn und als denselben (einen} Sohn zeuge. Was immer Gott wirke, das sei Eines: Deswegen zeuge er mich als seinen Sohn, ohne jeden Unterschied.
[Vgl. Proc. Col. I n. 53, Proc. Col. II n. 98] - 71

  Hunc articulum, ut sonat, hereticum reputamus sicut precedentes, quia ponit quod Deus genuit istum loquentem et secundum dictos articulos quemcunque bonum hominem filium suum et eundem cum unitate, absque aliqua distinccione. Et racio, quam adducit, est heretica, quia quidquid Deus operatur est unum et ita omnia creata sunt unum absque distinccione quod hereticum et absurdum est.

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, ebenso wie die vorangegangenen, denn er besagt, daß Gott den, der (dies) spricht, sowie - gemäß den vorangegangenen Artikeln - jeden guten Menschen als seinen Sohn und als denselben einen Sohn, ohne irgendeinen Unterschied, gezeugt habe. Auch der Grund, den er vorbringt, ist häretisch, nämlich daß was immer Gott wirke, Eines sei, und somit alle geschaffenen Dinge Eines, ohne Unterschied seien. Dies ist (aber) häretisch und unsinnig. - 72

  Istum articulum verificat sicut precedentes scilicet quod ideo [l. in Deo] est filius absque omni distinccione, quem pater genuit in trinitate naturaliter et quem in nobis general per graciam, sicut uno sigillo firmantur multe membrane et una facie generantur multe ymagines plurium speculorum.

  Diesen Artikel will er wie die vorangegangenen begründen, nämlich damit, daß in Gott (nur der eine) Sohn ist, ohne jeglichen Unterschied, den der Vater durch Natur in der Trinität gezeugt hat und den er in uns durch Gnade zeugt, so wie mit einem einzigen Siegel viele Pergamentblätter bestätigt werden, und aus einer einzigen Figur viele Bilder in mehreren Spiegeln erzeugt werden.
[Vgl. Proc. Col. I n. 131, Proc. Col. II n. 99] - 73

  Sentencia vera est in se scilicet quod idem Dei filius a patre naturaliter genitus et per quem in filios Dei adoptamur. Nichil tamen facit ad propositum, quia licet idem sit unigenitus Dei filius in se et sit omnia indistinctus in se et a se, tamen non est idem cum omnibus filiis adopcionis nec omnes filii adopcionis sunt idem cum unigenito Dei filio et absque omni distinccione, ut articulus ponit, nec exempla valent ad hoc, quia figura propria sigilli quamvis sit una in se et indistincta a se, tamen non est illud idem cum omnibus membranis nec omnes membrane inter se. Et licet una sit facies hominis in se, que diversas ymagines causat in diversis speculis, non tamen est eadem cum illis ymaginibus nec ymagines inter se. Quare predicta nichil faciunt ad articulum verificandum.

  Der Satz: Es ist derselbe Sohn Gottes, der vom Vater durch Natur gezeugt worden ist, wie der, durch den wir als Söhne Gottes angenommen werden, ist zwar für sich betrachtet wahr, hat aber mit dem, worum es hier geht, nichts zu tun. Denn obwohl der eingeborene Sohn Gottes an sich derselbe ist und (somit) an sich und von sich selbst ganz ununterschieden ist, ist er dennoch weder mit allen an Sohnes Statt angenommenen Söhnen identisch, noch sind alle an Sohnes Statt angenommenen Söhne mit dem eigeborenen Sohn Gottes identisch und ohne jeglichen Unterschied, wie der Artikel besagt. Die Beispiele taugen auch nicht in dieser Hinsicht, denn obwohl die eigene Form eines Siegels an sich eine einzige und von sich selbst ununterschieden ist, ist dieses dennoch weder mit allen Pergamentblättern identisch, noch alle Pergamentblätter miteinander. Und obwohl es an sich eine einzige Figur eines Menschen ist, die verschiedene Bilder in verschiedenen Spiegeln wirkt, ist sie dennoch weder mit diesen Bildern identisch, noch die Bilder miteinander. Deshalb tragen die genannten Beispiele nichts zur Begründung des Artikels bei.

- 74

XXus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 10)

  Nos transformamur totaliter in Deum et convertimur in Deum. Simili modo sicut in sacramento panis convertitur in corpus Christi, sic ego convertor in eum quod ipse operatur me suum esse unum, non simile. Per viventem Deum verum est, quod ibi nulla est distinccio.

  Wir werden ganz in Gott überformt, und in Gott verwandelt. Auf ähnliche Weise wie im Sakrament das Brot in den Leib Christi verwandelt wird, so werde ich in ihn verwandelt, daß er mich und sein Sein als Eines wirkt, nicht (bloß) als Ähnliches. Beim lebendigen Gott ist es wahr, daß da kein Unterschied besteht.
[Vgl. Proc. Col. I n. 54, Proc. Col. II n. 98] - 75

  Hunc articulum, ut sonat, hereticum reputamus, scilicet quod homo convertitur et fit substancia Dei et esse divinum et quod homo fiat esse divinum omnino unum sine omni distinccione, quia natura creata esset Deus et natura increata: quod est hereticum.

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch. Wir erachten nämlich für häretisch, daß der Mensch in die Substanz Gottes und göttliches Sein übergeht und verwandelt wird, sowie daß der Mensch göttliches Sein auf die Weise wird, daß beide ganz Eines sind, ohne jeden Unterschied. Das würde nämlich heißen, daß die geschaffene Natur Gott ist ebenso wie ungeschaffene Natur, was häretisch ist. - 76

  Istum articulum verificat per similitudinariam locucionem. Et est in hoc simile quod sicut est unum corpus Christi sine distinccione in diversis altaribus conversione plurium panum in corpus Christi: sic unus est Dei filius sine omni distinccione, in quam eandem ymaginem transformamur a claritate in claritatem (13). Et cum dicitur quod Deus me operatur suum esse unum simile, non bene sonat nec videtur bene reportatum. Hoc quidem verum est quod distinccio non actuat ex parte dantis; sed ex parte suscipiencium [de hoc nulla mentio in Proc. Col. I-II - Sturlese, LW 5, S. 582, Anm. 73].

  Die Wahrheit dieses Artikels will er durch eine analogische Redeweise begründen. Und die (diese analogische Redeweise ermöglichende) Ähnlichkeit besteht darin, daß so, wie es ein einziger Leib Christi ohne Unterschied auf verschiedenen Altären bei der Verwandlung der vielen Brote in den Leib Christi ist, so der Sohn Gottes, in dessen genaues Bild wir von Herrlichkeit in Herrlichkeit überformt werden (2 Kor. 3, 18), Eines ohne jeden Unterschied ist. Wenn aber gesagt wird, daß Gott mich und sein Sein als Eines, (nicht bloß) als Ähnliches wirkt, (12) ist dies mißverständlich formuliert, und scheint nicht richtig nachgeschrieben worden zu sein. Das aber ist wahr: Der Unterschied ist nicht dem Gebenden zuzurechnen, sondern den Aufnehmenden. - 77

  Sentencia vera est in se, sed verba articuli non concordant, ubi expresse dicit quod sicut substancia panis efficitur substancia corporis Christi, sic homo convertitur in Deum et fit unum esse cum esse divino |128r| non simile sed absque distinccione, que verba sonant proprietatem loqucionis et non similitudinem. Unde hic, ut verba sonant, [non] claudicat similitudo.

  An sich betrachtet ist diese Ansicht wahr, sie entspricht aber nicht dem, was der Artikel dem Wortlaut nach besagt, bei dem es ausdrücklich heißt: So wie aus der Substanz des Brotes die Substanz des Leibes Christi hervorgehe, so werde der Mensch in Gott verwandelt, und werde zu einem Sein, das mit dem göttlichen Sein Eines sei, nicht zu einem, das (dem göttlichen bloß) ähnlich sei, sondern beide seien Eines, ohne Unterschied. Dem Wortlaut nach muß man diese Rede in ihrer eigentümlichen Bedeutung nehmen, nicht in ihrer analogischen. Von daher: Versteht man den Artikel dem Wortlaut nach, so geht die (die analogische Redeweise ermöglichende) Ähnlichkeit verloren. - 78

  Quod vero dicit quod verba male sonant verum dicit, et ideo sunt revocanda. Per hoc etiam quod unus est Dei filius, in quem transformamur, non efficimur nos unum esse indistinctum cum eo, ut anticulus dicit. Et secundum verba articuli, sicut est indistinccio ex parte dantis, sic est indistinccio ex parte suscipiencium, quia fiunt unum esse cum eo indistinctum.

  Wenn er aber sagt, es handle sich dabei um eine mißverständliche Formulierung, hat er recht, und deswegen ist sie zu widerrufen. Ferner: Dadurch, daß es ein einziger Sohn Gottes ist, in den wir verwandelt werden, gehen wir nicht in ein Sein über, das von ihm ununterschieden ist, wie der Artikel besagt. Der Artikel besagt dem Wortlaut nach auch: So wie die Ununterschiedenheit auf der Seite des Gebenden besteht, so ist die Ununterschiedenheit auf der Seite der Aufnehmenden, da sie zu einem Sein werden, das vom Gebenden ununterschieden ist.

- 79

XXIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 11; Acta n. 58)

  Item predicavit: quicquid Deus dedit filio suo unigenito in humana natura, hoc totum dedit michi, hic nichil excipio nec unionem nec sanctitatem, sed totum dedit michi sicut sibi.

  Ebenso hat er gepredigt: Alles, was Gott seinem eingeborenen Sohn in der menschlichen Natur gegeben hat, das hat er ganz auch mir gegeben, hiervon nehme ich nichts aus, weder die Einung noch die Heiligkeit, sondern er hat es mir ganz ebenso gegeben wie ihm.
[Vgl. Proc. Col. I n. 61, Proc. Col. II n. 55] - 80

  Hunc articulum, ut verba sonant, hereticum reputamus. Dedit enim Deus filio suo in humana natura esse personale, qua verbum caro factum, quod nulli alteri dedit. Ymo dicere quod alteni homini dederit hoc quantumcunque sancto refugiendum dicit Augustinus de agone christiano (14) et eos ut hereticos fugiendos, qui hoc dicunt. Nec alicui dedit tantam sanctitatem nec gracie plenitudinem vel quod sit capud ecclesie, mediator Dei et hominum nisi soli Christo.

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch. Denn Gott hat seinem Sohn in der menschlichen Natur, durch die das Wort Fleisch geworden ist, ein personales Sein gegeben, das er keinem anderen gegeben hat. Ja, man soll sich sogar davor hüten zu sagen, er habe einem anderen Menschen, von wie großer Heiligkeit er auch immer sein möge, dies gegeben, wie Augustinus in seiner Abhandlung Der christliche Kampf sagt, sowie die, die das sagen, als Häretiker verschmähen. Er hat keinem anderen Menschen, sondern Christus allein, eine so große Heiligkeit gegeben und die Fülle der Gnade, sowie die Bestimmung dazu, Haupt der Kirche zu sein, der Vermittler zwischen Gott und den Menschen. - 81

  Istum articulum verificat iste magister, quia ut dicit Apostolus (15) "omnia eum illo nobis donavit". Unde dando nobis filium dedit nobis omnia que filio conveniunt sicut ignis generans ignem dat sibi omnia que sunt ignis ut lucere, calefacere et moveri sursum.

  Diesen Artikel will dieser Magister mit den Worten des Apostels begründen: Er schenkte uns alles mit ihm (Röm. 8, 32). Deshalb: Er hat uns, indem er uns den Sohn gegeben hat, alles gegeben, was für den Sohn zutrifft, so wie das Feuer, indem es ein Feuer erzeugt, diesem alles gibt, was zum Feuer gehört, wie Leuchten, Erwärmen und die Bewegung nach oben.
[Vgl. Proc. Col. II n. 55] - 82

  Hec verificacio extorta est, quia licet Deus dando nobis filium dederit nobis omnia sua sicut nobis dedit filium, non tamen dedit nobis que sunt filii sicut dedit filio. Constat enim quod cum Deus pater dedit nobis filium, non dedit ipsum nobis nisi ut salvatorem et actonem nostre salutis, non autem quod sua natura vel que in ipso sunt formaliter, sint in nobis formaliter et nostra formaliter. Unde sicut dedit nobis filium salvatorem, sic dedit ad salutem nostram ipsum verbum caro factum, plenum gracie et veritatis, sed tamen per hoc non habetur quod omnia, que Deus pater dedit filio in humana natura, hoc totum sine excepcione dedenit michi sicut sibi, quia sibi dedit quod sit Deus homo formaliter et sic non dedit michi. Unde si omnia que dedit filio dedit michi sine excepcione sicut dedit filio, sicut articulus dicit, sequitur quod sim ista perfectus sicut Christus; quod est hereticum. Igitur verificacio non convenit articulo.

  Diese Begründung ist (aber) verdreht, denn obwohl Gott uns, indem er uns den Sohn gegeben hat, alles, was zu ihm gehört, gegeben hat, hat er uns dennoch nicht, so wie er uns seinen Sohn gegeben hat, das gegeben, was zum Sohn gehört, wie er es dem Sohn gab. Es steht nämlich fest, daß als Gott-Vater uns den Sohn gab, er ihn uns nur als Erlöser und Vollzieher unseres Heils gab, nicht aber daß seine Natur oder was in ihm formell ist, in uns formell und formell unser sei. Von daher: Wie er uns den Sohn als Erlöser gegeben hat, so hat er zu unserem Heil das fleischgewordene Wort selbst, voll Gnade und Wahrheit, gegeben, gleichwohl aber wird dadurch nicht gesagt, daß alles, was Gott-Vater dem Sohn in seiner menschlichen Natur gegeben hat, daß er dies ganz ohne Ausnahme mir wie ihm gegeben habe, denn wie er ihm gegeben hat, daß er Gott-Mensch formell ist, so hat er mir nicht gegeben. Deshalb: Wenn er alles, was er dem Sohn gegeben hat, ohne Ausnahme auch mir gegeben hat, wie er es dem Sohn gegeben hat - wie der Artikel besagt - folgt, daß ich vollkommen bin, wie Christus, was häretisch ist. Also ist die Begründung für den Artikel nicht geeignet.

- 83

XXIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 12; Acta n. 58)

  Concedit quod qui[c]quid dicit sacra scriptura de Christo hoc totum verificatur de bono et divino homine.

  Er gibt zu, daß alles, was die Heilige Schrift von Christus sagt, dies alles sich am guten und göttlichen Menschen bewahrheitet. - 84

  Hunc articulum, ut sonat, hereticum reputamus. Per istum enim articulum patet error precedentis articuli scilicet quod intelligitur quod totum quod pater dedit filio formaliter, totum dedit michi formaliter, ut sicut ipse est Deus homo |128v| sic et ego, et sicut ignis generans lucet et generatus lucet, sic eciam sicut filius Dei est Deus homo, sic ego, quia me generat suum filium. Quicquid enim dicit scriptura de Christo hoc totum verificatur de omni bono homine; quod plane est hereticum, ut quod sit verbumcaro et quod sit natus de virgine, passus mortuus et cetera, que Christo conveniunt soli.

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch. Denn durch diesen Artikel offenbart sich der Irrtum des vorangegangenen Artikels, nämlich daß davon ausgegangen wird, daß alles, was der Vater dem Sohn formell gegeben hat, daß er dies alles (auch) mir formell gegeben hat, so daß wie er selbst Gott-Mensch ist, es auch ich bin, und wie das erzeugende Feuer leuchtet und (auch) das erzeugte leuchtet, so (auch) ich, wie der Sohn Gottes (selbst), Gott-Mensch bin, weil er mich als seinen Sohn zeugt. Die Ansicht: Was die Heilige Schrift von Christus sagt, all dies bewahrheitet sich an jedem guten Menschen, ist offensichtlich häretisch; wie es auch häretisch ist zu sagen, jeder gute Mensch sei das fleischgewordene Wort und er sei von der Jungfrau geboren, habe den Tod erlitten usw., was (ja) nur für Christus zutrifft. - 85

  Istum articulum dicit verum esse. Quem verificat, quia unumquodque quantum participat de natura alicuius, intantum sibi competunt que sunt illius, ut ignito competunt que sunt ignis ut calefacere et huiusmodi et ecclesia legit de sanctis, que de sapiencia increata et de Deo scripta sunt.

  Er sagt, dieser Artikel sei wahr, und will ihn damit begründen, daß irgendetwas in dem Maße an der Natur von irgendetwas anderem teilnimmt, wie für jenes zutrifft, was zu dieser gehört, wie (z.B.) für etwas Glühendes zutrifft, was zum Feuer gehört, wie Erwärmen und derartiges, und die Kirche (aus den Schriften) der Kirchenväter liest, die von ungeschaffener Weisheit und von Gott geschrieben worden sind. - 86

  Hoc non excusat, quia omnino dictus articulus est hereticus et falsus, quia licet illa, que conveniunt Christo et ceteris hominibus nacione sanctitatis et bonitatis, possint dici de omni sancto et bono homine, non tamen in eodem excessu nec equaliter absque omni excepcione nec eciam quoad lila, que singulariter conveniunt Christo et non alteri ut verbum - caro et esse caput tocius ecclesie hominum et angelonum, esse mediatorem Dei et hominum, sic eciam non verificatur de ferro ignito quod ascendit sursum super aerem quod sit rarius aene et cetera, que tantum de puro igne verificantur et non de ferro ignito.

  Das kann dies aber nicht rechtfertigen, da der genannte Artikel gänzlich häretisch und falsch ist. Denn obwohl das, was für Christus und die übrigen Menschen im Hinblick auf die Heiligkeit und die Gutheit zutrifft, von jedem heiligen und guten Menschen gesagt werden kann, so doch nicht in demselben Maße noch auf gleiche Weise ohne jede Ausnahme. (Der Artikel gilt auch nicht) im Hinblick auf das, was für Christus eigentümlicherweise und für keinen anderen zutrifft, wie daß er das fleischgewordene Wort, das Haupt der ganzen Kirche der Menschen und Engeln, der Vermittler zwischen Gott und den Menschen ist, so wie sich auch nicht am glühenden Eisen bewahrheitet, daß es nach oben über die Luft hinaufsteige, daß es dünner als die Luft sei, sowie all die übrigen Dinge, die sich nur am reinen Feuer bewahrheiten, und nicht am glühenden Eisen.

- 87

XXIIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 13; Acta n. 58)

  Qui[c]quid est proprium divine nature hoc totum proprium est homini iusto et divino. Propter hoc iste homo operatur qui[c]quid Deus operatur et creavit una cum Deo celum et terram et est generator verbi eterni et Deus sine tali homine nesciret quicquam facere.

  Was für die göttliche Natur eigentümlich ist, dies alles ist für den gerechten und göttlichen Menschen eigentümlich. Deswegen wirkt dieser Mensch, was immer Gott wirke, und hat zusammen mit Gott Himmel und Erde geschaffen, und ist der Zeuger des ewigen Wortes, und ohne einen solchen Menschen wüßte Gott nichts zu tun. - 88

  Hunc articulum multipliciter hereticum reputamus, quia dicit propria divine nature propria homini iusto et dicit quod homo bonus operatur qui[c]quid Deus operatur et cum Deo creavit celum et terram, dicit quod homo est generator verbi eterni et quod Deus nesciret sine tali homine quicquam facere; que omnia sic sunt patenter fatua et vesana quod non egent discucione.

  Diesen Artikel erachten wir in vielerlei Hinsicht für häretisch: (nämlich) weil er besagt, daß das für die göttliche Natur Eigentümliche das für den gerechten Menschen Eigentümliche ist und daß der gute Mensch wirkt, was immer Gott wirke, und zusammen mit Gott Himmel und Erde geschaffen hat; er besagt, daß der Mensch der Zeuger des ewigen Wortes ist, und daß Gott ohne einen solchen Menschen nichts zu tun wüßte. All dies ist so offensichtlich töricht und wahnsinnig, daß es keiner Diskussion bedarf. - 89

  Istum articulum verifficat, quia Christus caput et nos membra, cum loquimur, in nobis loquitur. Item in Christo tanta fuit unio verbi cum carne, quod communicat sibi ydiomata, ut Deus dicatur passus et homo creator celi et ipsi Christo proprie competit quod dicatur iustus, inquantum iustus; li inquantum reduplicacio excludit omne alienum a termino. In Christo autem non esse aliud ypostaticum nisi verbi, in aliis autem hominibus verifficatur plus et minus. Iustus eciam dicitur generator verbi eterni et hoc dicit Augustinus (16), quia inter cognoscens et cognitum generatur verbum et inter amans et amatum.

  Diesen Artikel will er damit begründen, daß Christus das Haupt und wir die Glieder sind, und wenn wir sprechen, er in uns spricht. Ebenso: In Christus war die Einung des Wortes mit dem Fleisch so eng, daß die Idiomen (13) sich gegenseitig mitteilten, (14) so daß man den Gott leidend nennen kann sowie den Menschen Schöpfer des Himmels, und daß für Christus selbst im eigentlichen Sinne zutreffend ist, wenn man ihn 'gerecht, sofern man gerecht ist', nennt. Die Reduplikation mit 'sofern man ... ist' schließt alles aus, was einem Begriff fremd ist. In Christus ist nämlich der Hypostase nach nichts anderes als das Wort, in anderen Menschen ist dies aber in größerem oder geringem Maße verwirklicht. Der Gerechte wird sogar der Zeuger des ewigen Wortes genannt, und das sagt Augustinus, nämlich daß zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten das Wort gezeugt wird, sowie zwischen dem Liebenden und dem Geliebten.
[Vgl. Proc. Col. II n. 88] - 90

  Hec non excludunt errorem articuli. Nam Christus caput nostrum in nobis membris loquitur, prout Apostolus (17) ait, an experimentum queritis magistri nostri, qui in me loquitur Christus. Et hoc tamen non potest verificari quod qui[c]quid est proprium divine nature quod [hoc] totum sit proprium homini iusto, in quo loquitur Deus. Nec verifficantur illa, que in dicto articulo continentur. Et licet propter unionem personalem verbi et humanitatis, que soli Christo convenit, communicent nature in concreto sibi ydiomata, hoc tamen non convenit alicui nisi soli Christo propter dictam unionem singularem in Christo nec eciam in Christo propria unius nature sunt propria |129r| alterius nec dicuntur de se invicem in abstracto.

  Damit kann man (aber) den Irrtum dieses Artikels nicht ausschließen. Denn Christus, unser Haupt, spricht in uns, die wir die Glieder sind, wie der Apostel sagt, oder verlangt ihr von unserem Lehrer etwa einen Beweis dafür, daß durch mich Christus spricht? (2 Kor. 13, 3). Und doch kann man damit nicht begründen, daß was für die göttliche Natur eigentümlich ist, dies alles (auch) für den gerechten Menschen, in dem Gott spricht, eigentümlich ist. Damit wird auch nicht begründet, was der genannte Artikel sonst besagt. Und obwohl wegen der Einung des Wortes und des Menschlichen in einer Person, die nur für Christus zutrifft, die (beiden) Naturen im Konkreten sich die Idiomen gegenseitig mitteilen, so trifft dies dennoch sonst für keinen anderen zu, außer für Christus, wegen der erwähnten, in Christus einmaligen Einung, und nicht einmal in Christus ist das Eigentümliche der einen Natur das Eigentümliche der anderen, und im Abstrakten kann das, was für die eine Natur eigentümlich ist, nicht von der anderen ausgesagt werden. - 91

  Item per hanc unionem eciam non potest dici Christus generator verbi eterni, cum Dei filius verbum eternum ita sit genitus [secundum] fidem quod nec generans nec idem generare potest se ipsum 2° de trinitate. Verbum autem eternum et <est> ipse unicus Dei filius.

  Ebenso: Wegen dieser Einung kann Christus auch nicht der Zeuger des ewigen Wortes genannt werden, da der Sohn Gottes, das ewige Wort, gemäß dem Glauben so gezeugt worden ist, daß er weder Zeuger ist, noch etwas zeugen kann, was mit ihm selbst, der zweiten Person der Trinität, identisch sei: Das ewige Wort aber ist eben dieser einzige Sohn Gottes. - 92

  Item est hereticum dicere quod Deus nesciret aliquid facere sine homine Christo, cum ante incarnacionem Christi sapienter mundum creaverit et gubernaverit. Et si reduplicacio excludit iusticiam ab omni alio supposito a Christo, ut dicit in dicta exposicione, sequitur quod nullus disti[n]ctus a supposito Christi sit iustus; quod est hereticum. Et male inducit Augustinum, quia licet ex cognoscente et cognito generetur verbum, est tamen hereticum quod aliqua creatura sit genitor verbi divini nec ex amato et amante secundum Augustinum generatur verbum sed producitur amor; alias spiritus sanctus procederet ut verbum et essent duo filii in divinis; quod est hereticum.

  Ebenso ist häretisch zu sagen, daß Gott ohne den Menschen Christus nichts zu tun wüßte, da er vor der Fleischwerdung Christi auf weise Art die Welt geschaffen und regiert hat. Und wenn die Reduplikation die Gerechtigkeit von einer jeden anderen individuellen Substanz, die nicht Christus ist, ausschließt, wie er bei seiner genannten Begründung sagt, so folgt, daß keiner, der von der individuellen Substanz Christi verschieden ist, gerecht ist, was häretisch ist. Und sein Verweis auf Augustinus ist auch nicht richtig, weil obwohl aus dem Erkennenden und dem Erkannten das Wort gezeugt wird, es dennoch häretisch ist zu sagen, daß irgendein Geschöpf der Zeuger des ewigen Wortes ist, und auch nicht aus dem Geliebten und dem Liebenden wird nach Augustinus das Wort gezeugt, sondern die Liebe hervorgebracht, sonst würde der Heilige Geist als Wort hervorgebracht, und es wären in den göttlichen (Personen) zwei Söhne, was häretisch ist.

- 93

XXIIIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 23)

  Deus est unus omnibus modis et secundum omnem racionem et ita ut in ipso non sit invenire aliquam multitudinem in intellectu vel extra intellectum. Qui enim duo videt vel distinccionem vidit, Deum non videt. Deus enim unus est extra numerum et supra numerum nec ponit in numerum cum aliquo. Sequitur: igitur [nulla] in ipso Deo distinccio esse potest aut intelligi.

  Gott ist auf alle Weisen und in jeder Hinsicht nur Einer, und so, daß in ihm keine Vielheit zu finden ist, weder im Intellekt noch außerhalb des Intellekts. Wer nämlich zwei sieht oder einen Unterschied sieht, der sieht Gott nicht. Denn Gott ist Einer, außerhalb aller Zahl und über aller Zahl, und fällt in der Zahl nicht mit irgendetwas zusammen. Es folgt: Also kann kein Unterschied in Gott selbst sein oder verstanden werden.
[Vgl. Proc. Col. I n. 46] - 94

  Hunc articulum hereticum, prout sonat, reputamus, quia negat omnem distinccionem in Deo personarum, attributorum et ydearum. Item qui plura vel disti[n]cta videt Deum non videt, ut dicit. Igitur beati in patria non vident disti[n]ccionem personarum nec est vera fides que [l. qua] videmus per speculum [1 Jo 5,7], quod tres sunt qui testimoniam dant in celo nec Christus verum dicit, quando dicit (18): hec est vita nostra [l. eterna], ut cognoscant te et quem misisti et cetera; que omnia sunt heretica.

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, weil er jeglichen Unterschied der Personen, der Attribute und der Ideen in Gott leugnet. (Für häretisch halten wir} ebenso seine Aussage, wer vieles oder Verschiedenes sehe, sehe Gott nicht. Denn demzufolge sehen die Seligen im Himmel den Unterschied der Personen nicht, und weder ist der Glaubensartikel wahr, nach dem wir im Spiegel sehen, daß es drei sind, die im Himmel Zeugnis ablegen (1 Joh. 5, 7), noch spricht Christus Wahres, wenn er sagt Das ist das ewige Leben, dich zu erkennen, und den, den du gesandt hast etc. (Joh 17, 3). All dies ist (aber) häretisch. - 95

  Et licet Deus sit extra numerum quantitatis et essencie, habet tamen numerum personarum realiter distinctarum et attributorum ac ydearum distinctorum secundum racionem.

  Und obwohl Gott außerhalb aller Zahl ist, was die Quantität und das Wesen betrifft, so hat er dennoch Zahl an Personen, die der Realität nach unterschieden sind, sowie an Attributen und an Ideen, die dem Begriff nach unterschieden sind. - 96

  Item quod Deus non ponat in numerum cum aliquo est hereticum, sicut dicere quod non distingatur a creaturis.

  Ebenso ist es häretisch, wenn man sagt, Gott falle nicht in der Zahl mit irgendetwas zusammen, sowie er unterscheide sich nicht von den Kreaturen. - 97

  Istum articulum dicit magister verum et ipsum verifficat sic quod distinccio personarum non est in Deo; nam hii tres unus Deus sunt, distinccio autem personarum ab invicem est et ab opposito relative.

  Der Magister sagt, dieser Artikel sei wahr, und will ihn damit begründen, daß der Unterschied der Personen nicht in Gott ist - denn diese drei sind ein einziger Gott -, sondern einer der Personen voneinander und bezüglich des Entgegensetzen ist. - 98

  Et dicimus quod licet nulla realis pluralitas sit in Deo, que ponat distinccionem in deitatis essencia, ut dicantur plures dii, tamen non debet negari in Deo omnis pluralitas et secundum rem et secundum racionem, cum in Deo sit trinitas et personarum distinccio. Et negare distinctas et oppositas relaciones ac pluralitatem earum esse in Deo cum in divina essencia fundentur, est hereticum et talis pluralitas et distinccio relacionum ac personarum divinarum stat cum unitate divine essencie, ut sint tres persone in Deo et unus Deus.

  Und wir sagen, daß obwohl es keine reale Vielheit in Gott gibt, die im Wesen der Gottheit einen Unterschied ausmacht, so daß man sagen könnte, es seien mehrere Götter, man dennoch nicht jegliche Vielheit in Gott, weder der Realität noch dem Begriff nach, leugnen darf, da in Gott Trinität und Unterschied der Personen ist. Zu leugnen, daß verschiedene und gegensätzliche Relationen der Entgegensetzung, (in denen die Personen zu einander stehen), bzw. eine Vielheit derselben in Gott ist, wo dies doch im göttlichen Wesen gegründet ist, ist häretisch. Eine solche Vielheit und Unterscheidung der Relationen und der göttlichen Personen besteht (doch) zusammen mit der Einheit des göttlichen Wesens, so daß es drei Personen in Gott sind und (doch) ein einziger Gott.

- 99

XXVus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 24)

  Item scribit quod omnis disti[n]ccio est a Deo aliena neque in natura neque in personis probat|ur; nam ipsa est una et hoc unum, et quelibet persona est una et id ipsum unum quod natura.

  Ebenso schreibt er, daß Gott jeder Unterschied fremd ist und ein solcher weder in seiner Natur noch in den Personen gefunden werden kann. Denn jene ist Eine und ein bestimmtes Eines, und jede Person ist Eine und dasselbe bestimmte Eine, das die Natur ist.
[Vgl. Proc. Col. I n. 23] - 100

  Hunc articulum propter precedentem hereticum reputamus, prout sonat. Licet enim natura in se nullam realem |129v| disti[n]ccionem [habeat] et quelibet persona in se sit realiter indistincta, tamen non debet negari omnis disti[n]ccio in personis, qua una distingitur ab alia ut sit disti[n]ccio in personis, ne incidamus in heresim Sebellii (!)‚ in qua|m videtur declinare racio posita in articulo, qua sic probat: natura est una et quelibet persona est una et illud ipsum quod natura. Igitur sicut in natura nulla est distinctio, secundum quam sint plures nature, sic nec in personis nulla est disti[n]ccio, ut sint plures persone; quod est hereticum dogma Sabellii. Ubi enim nulla distinccio, ibi non sunt plura disti[n]cta, cum non sint plura distincta nisi per disti[n]ccionem, que in illis est, sed in personis non est aliqua disti[n]ccio sicut nec in natura, cum qua sunt illud ipsum. Ergo persone non sunt plures distincte divine; quod est hereticum. Oportet ergo ponere in personis disti[n]ccionem, non qua una persona distingatur a se ipsa, sed qua una disti[ni]gatur ab alia persona. Nec potest dici quod saltem secundum racionem disti[n]ccio non sit inter essenciam et relacionem in divinis. Sic negat|ur XXIIIIus articulus, ad cuius intellectum iste magister reducit istum XXV articulum. Unde sicut XXIIIus articulus deviat a fide sic XXVus.

  Diesen Artikel erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, und zwar wegen des vorangehenden. Denn obwohl die Natur keinen realen Unterschied in sich enthält, und jede Person der Realität nach in sich ununterschieden ist, darf man dennoch nicht jeden Unterschied in den Personen leugnen, durch den eine sich von einer anderen unterscheidet, damit der Unterschied in den Personen entsteht. Denn sonst würden wir der Häresie des Sabellios verfallen, zu der die im Artikel vorgebrachte Begründung hinzuführen scheint, mit der er folgendermaßen den Beweis führt: Die Natur sei Eine und jede Person sei Eine und dasselbe Eine wie die Natur. Also: Wie es in der Natur keinen Unterschied gebe, auf dem eine Vielheit der Naturen gründen könnte, so gebe es auch nicht in den Personen irgendeinen Unterschied, auf dem eine Vielheit der Personen günden könnte, was (eben) das häretische Dogma des Sabellios ist. Wo es nämlich keinen Unterschied gibt, können (auch) nicht mehrere verschiedene Dinge sein, denn mehrere verschiedene Dinge können nur aus dem Unterscheid entstehen, durch den sie sich voneinander unterscheiden. In den Personen sei (nun) aber kein Unterschied, so wie auch in der Natur kein Unterschied sei, da die Personen dasselbe Eine wie die Natur seien. Also gebe es (auch) nicht mehrere verschiedene göttliche Personen, was häretisch ist. Man muß also einen Unterschied in den Personen annehmen, keinen (zwar), durch den sich eine Person von sich selbst unterscheidet, (doch aber) einen, durch den sich eine Person von einer anderen unterscheidet. Es darf auch nicht gesagt werden, daß es jedenfalls dem Begriff nach keinen Unterschied zwischen dem Wesen und der Relation in den göttlichen (Personen) gebe. Denn so würde man den vierundzwanzigsten Artikel leugnen, auf dessen Sinn dieser Magister diesen fünfundzwanzigsten Artikel zurückführt. Von daher: Wie der vierundzwanzigste Artikel vom Glauben abweicht, so (auch) der fünfundzwanzigste.

- 101

XXVIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 25)

  Simon Johannis diligis, me plus hiis (19). Sensus est id est plus quam istos et bene quidem, sed nondum perfecte. In plus et minus primo et secundo gradus est et ordo, in uno autem nec gradus est nec ordo. Qui igitur diligit Deum plus quam proximum bene quidem sed nomidum perfecte.

  'Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?' (Joh. 21, 15). Der Sinn dieser Worte ist: '(Du liebst mich) mehr als diese {Akk.}', und gewiß gut, aber noch nicht auf vollkommene Weise. Wo es Mehr und Weniger gibt, ein Erstes und Zweites gibt, da gibt es Grad und Rang, im Einen aber gibt es weder Grad noch Rang. Wer Gott also mehr als seinen Nächsten liebt, liebt ihn zwar gut, aber noch nicht auf vollkommene Weise. - 102

  Circa istum articulum dicimus quod male contra intencionem Augustini, Crisostomi et beati Thome exponit illud Jo|hannis ultimo, ymmo contra intencionem salvatoris. Ibi enim ostendit Petrum aliis preficiendum, quia magis quam alii diligebat Christum; non enim fuisset magnum, si Petrus plus dilexisset Christum quam alios, cum Christus dixerit Mat. X°|37: Qui amat patrem et matrem plus quam me, non est me dignus. Igitur intencio illius textus est: Symon diligis me plus hiis i. e. plus quam hii et non plus quam hos.

  Über diesen Artikel sagen wir, daß er den Sinn jener Worte aus dem Schluß des Johannesevangeliums nicht richtig und gegen die Interpretation des Augustinus, Chrysostomos und des seligen Thomas, ja sogar gegen das vom Erlöser (selbst) Gemeinte, auslegt. Denn dort zeigt dieser, daß Petrus den anderen vorzuziehen ist, weil er mehr als die anderen {Nom.} Christus liebte. Es wäre ja nicht etwas Großes gewesen, wenn Petrus Christus mehr als andere {Akk.} geliebt hätte, hatte Christus (doch) gesagt: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig (Mt. 10, 37). Die Bedeutung jenes Textes ist also: 'Du, Simon, liebst mich mehr als diese', i.e. 'du liebst mich, mehr als diese es tun, und nicht: 'du liebst mich, mehr als du diese liebst.' - 103

  Secundum articulum reputamus hereticum, tum quia ymaginatur quod in dileccione perfecta Deus et proximus sint sic unum, quod inter Deum et proximum non sit gradus et ordo entitatis et bonitatis, tum quia ponit quod in dileccione perfecta Deus non sit magis diligendus quam proximus; que sunt heretica, cum proximus sit propter Deum diligendus.

  Den Artikel, in diesem zweiten Sinn, erachten wir für häretisch: Zum einen weil er besagt, daß in Bezug auf die vollkommene Liebe Gott und der Nächste so Eines seien, daß es zwischen Gott und dem Nächsten keinen Grad bzw. Rang an Entität und Gutheit gebe, zum anderen weil er besagt, daß in der vollkommenen Liebe Gott nicht mehr als der Nächste geliebt werden solle. Beides ist häretisch, da der Nächste wegen Gott geliebt werden soll. - 104

  Hunc articulum verifficat, quia qui amat proximum in Deo unum perfecte amat, quia ubi unum propter alterum, utrobique unum tantum.

  Diesen Artikel will er damit begründen, daß wer seinen Nächsten in Gott liebt, auf vollkommene Weise Eines liebt, weil er, wo er den einen wegen des anderen liebt, in beiden Fällen nur Eines liebt. - 105

  Hoc non excusat, quia licet proximus diligatur propter Deum et ut sic uno actu possit Deus diligi in proximo dilecto, tamen duo ibi diliguntur et proximus propter Deum. Propter quod autem unum quodque et illud magis. Unde magis diligendus est Deus, qui est racio et finis diligendi proximum.

  Dadurch wird (aber} der Irrtum nicht vermieden, denn obwohl der Nächste wegen Gott geliebt wird, und insofern mit einem einzigen Akt Gott im geliebten Nächsten geliebt werden kann, werden dennoch dabei zwei geliebt, und der Nächste wegen Gott. Deswegen jedoch: jeder wird für sich geliebt, und Gott mehr. Von daher ist Gott mehr zu lieben, der (ja) Grund und Ziel ist, auf das hin der Nächste geliebt wird.

- 106

XXVIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 14)

  Item scribit bonus homo debet sic conformare voluntatem suam voluntati divine quod ipse velit qui[c]quid Deus vult. Et quia Deus vult aliquomodo me peccasse, nollem ego quod ego peccata non comisissem, et hec est vera penitencia.

  Ebenso schreibt er, daß der gute Mensch seinen Willen so dem göttlichen Willen angleichen soll, daß er das, was auch immer Gott will, selbst will. Und da Gott will, daß ich auf irgendeine Weise gesündigt habe, würde ich nicht wollen, die Sünden nicht begangen zu haben, und darin besteht die wahre Buße.
[Vgl. Proc. Col. I n. 12]

- 107

XXVIIIus articulus sic habet:
(vgl. Bulle Art. 15)

  Item predicavit, si homo comisisset mille peccata mortalia, si talis homo esset recte dispositus, non deberet velle se non comisisse.

  Er hat ebenso gepredigt: Hätte ein Mensch tausend Totsünden begangen, und wäre solch ein Mensch in rechter Verfassung, so dürfte er nicht wollen, sie nicht begangen zu haben. - 108

  |130r| Hoc duos articulos, prout eorum verba sonant, hereticos reputamus, quia respectu eius debemus voluntatem nostram conformare divine quod Deus vult et cuius Deus est actor. Igitur si in eo quod Deus permittit, debemus eius permissioni conformare voluntatem nostram, ut hoc velimus, sequitur quod Deus velit culpam et sit actor culpe; quod est hereticum.
  2° quia si debet quis velle quod Deus permittit, tunc quando actu peccat et Deus permittit eum peccare, debet velle peccare. Hoc autem est hereticum, quia dum vult et agit quod debet velle et agere non peccat. Igitur homo peccando, non peccaret, et Deus puniendo peccatorem volentem et agentem quod debet, esset iniustus; quod est hereticum.

  Diese beiden Artikel (15) erachten wir dem Wortlaut nach für häretisch, da wir ihnenzufolge unseren Willen dem göttlichen angleichen sollen, i.e. dem, was Gott will, und was Gott selbst tut. Wenn wir also (auch) in dem, was Gott zuläßt, seinem Zulassen unseren Willen angleichen sollen, so daß wir das wollen, folgt, daß Gott (auch) den schuldhaften Akt will, und ihn tut, was (ja) häretisch ist.
  Zweitens: Wenn jemand wollen soll, was Gott zuläßt, dann soll er (auch) beim Begehen einer Sünde, wo Gott zuläßt, daß er sündigt, sündigen wollen. Dies ist aber häretisch, denn solange er will und tut, was er wollen und tun soll, sündigt er nicht. (Aus dem Artikel würde) folgen, daß der Mensch im Sündigen nicht sündige, und daß Gott dadurch, daß er den Sündiger bestrafe, der wolle und tue, was er solle, ungerecht sei, was (ja) häretisch ist. - 109

  Item cum dicit quod hec est vera penitencia scilicet nolendo non comisisse peccata, que fecit, est dictum hereticum, quia hoc est negare veram penitenciam, que est mala preterita plangere; unde sic aufertur dolor et contricio de peccatis comissis, quia de hoc quod quis vult se comisisse, quamdiu vult, non dolet nec sibi displicet quod comisit; quod est hereticum et contra scripturam ac determinacionem ecclesie sentire de sacramento penitencie.

  Ebenso: Wenn er sagt, daß die wahre Buße darin bestehe, daß man nicht wolle, die Sünde, die man begangen habe, nicht begangen zu haben, ist das Gesagte häretisch, denn dies bedeutet, die wahre Buße zu leugnen, die darin besteht, das vergangene Übel zu bedauern. Von daher: Wenn es so ist, wie der Artikel besagt, so nimmt man den Schmerz und die Reue über die begangenen Sünden weg, denn über das, was einer begangen haben will, empfindet er, solange er es will, keinen Schmerz, und es mißfällt ihm auch nicht, was er begangen hat. Diese Meinung ist (aber) häretisch und steht im Widerspruch zu der Heiligen Schrift und den Bestimmungen der Kirche über das Sakrament der Buße. - 110

  Istos articulos verificat, quia secundum Augustinum Deus non permitteret hominem peccare nisi per iusticiam ordinaret peccatum ad sui honorem. Unde homo perfectus sciens quia Deus voluit et vult eum peccasse, vult ipse homo amando honorem Dei se peccasse nec vellet peccare pro omni quod est citra Deum; scit eciam quod Deus non permitteret eum peccare nisi pro suo meliori.

  Diese Artikel will er damit begründen, daß Gott, wie Augustinus sagt, nicht zulassen würde, daß ein Mensch sündigt, wenn er nicht durch die Gerechtigkeit die Sünde zu seiner Ehre hinordnen würde. Es folge: Der vollkommene Mensch, der weiß, daß Gott gewollt hat und will, daß er gesündigt hat, will selbst, da er Gottes Ehre liebt, gesündigt haben, und würde aber nicht für etwas Geringeres als Gott, was auch immer es sei, nicht sündigen wollen; (16) er weiß auch, daß Gott nicht zulassen würde, daß er sündigt, wenn dies nicht zu seinem Besseren wäre. - 111

  Hec non excusant sed accusant, quia certum est quod Deus non permitteret te peccare nisi peccatum per iusticiam ordinaret ad melius et ad honorem Dei. Igitur si propter hoc homo iustus debet velle se peccasse eadem racione homo iustus debet velle se peccare, cum actu peccat, quia scit quod Deus peccatum ad honorem sui per iusticiam ordinabit. Dicere autem quod homo iustus debet velle peccare est hereticum.

  Dadurch wird er aber nicht entschuldigt, sondern beschuldigt, denn es ist sicher so, daß Gott nicht zulassen würde, daß du sündigst, wenn er nicht durch die Gerechtigkeit die Sünde zum Besseren und zur Ehre Gottes hinordnen würde. Es folgt (dann aber): Wenn der gerechte Mensch deswegen wollen soll, gesündigt zu haben, so soll aus demselben Grund der gerechte Mensch (auch) beim Begehen der Sünde sündigen wollen, da er weiß, daß Gott die Sünde durch die Gerechtigkeit zu seiner Ehre hinordnen wird. Es ist (aber) häretisch zu sagen, daß der gerechte Mensch soll sündigen wollen. - 112

  Item dicit Deum velle hominem peccasse, quia permisit. Igitur Deus vult hominem peccare, quando actu permittit et sic Deus est actor peccati, quia non minus Deus vult, quando actu permittit quam quando permisit.

  Ebenso sagt er: Es ist Gottes Wille, daß der Mensch gesündigt hat, weil er es zugelassen hat. Daraus folgt (aber): Es ist Gottes Wille, daß der Mensch sündigt, wenn er es beim Begehen der Sünde zuläßt, und somit (folgt aber auch), daß Gott die Sünde tut, da Gott es nicht weniger dann will, wenn er es beim Begehen zuläßt, als wann er es zuließ. - 113

  Item dicit honorem Dei in comissione peccati intendere peccatorem et quod debet velle peccatum homo iustus non pro aliqua re citra Deum ac si pro ipso Deo esset peccatum comissum volendum; que sunt heretica. Et licet Deus iusta voluntate permittat hominem peccare, iniusta tamen et perversa voluntate homo peccat, ut Deus Iudeos permisit iusta voluntate occidere Christum, quem ipsi iniqua voluntate occiderunt. Iusta eciam voluntate Deus permittit te uti libero arbitrio, quo tu mala voluntate uteris ad peccandum. Unde ibi non est conformitas voluntatum, quia voluntas Dei est respectu boni et iusti, voluntas vero peccatoris est respectu mali et iniusti.

  Ebenso sagt er, daß der Sünder beim Begehen der Sünde Gottes Ehre im Sinne habe, und daß der gerechte Mensch die Sünde wollen solle, nicht für irgendetwas Geringeres als Gott, gerade als ob man um Gottes willen wollen solle, die Sünde begangen zu haben. Dies ist (aber) häretisch. Und obwohl Gott durch seinen gerechten Willen zuläßt, daß der Mensch sündigt, sündigt der Mensch dennoch durch seinen (eigenen) ungerechten und verkehrten Willen, so wie Gott durch seinen gerechten Willen zuließ, daß die Juden Christus töteten, den sie ihrerseits (aber) durch ihren (eigenen) ungerechten Willen töteten. Durch seinen gerechten Willen läßt Gott es auch zu, wenn du deine freie Willkür in schlechter Absicht zum Sündigen gebrauchst. Daraus ist nicht zu folgen, daß es hier eine Angleichung beider Willen gebe, denn Gottes Willen ist auf das Gute und Gerechte gerichtet, der des Sünders aber auf das Schlechte und Ungerechte.

Anmerkungen Pelster:
1 Die erste Person steht, weil es ein wörtlicher Auszug ist [S. 1109].
2 Decretal. I. 1 tit. 1 c. 1. Denzinger 428 [S. 1110].
3 Augustinus, De gen. ad litt. c. 3 (PL 34, 222) [S. 1110].
4 L. 11 c. 4 (PL 41, 219) [S. 1111].
5 Ich habe die Stelle nicht gefunden [S. 1112].
6 Conf. Ex. 20,17 [S. 1114].
7 Matth. 7,21 [S. 1114].
8 In Matth. 20,22 (PG 58, 619) [S. 1115].
9 1 Cor. 4,7 [S. 1116].
10 Ps. 2,11 [S. 1116].
11 1 Jo. 4,18 [S. 1116].
12 Jo 15,15 [S. 1116].
13 2 Cor. 2,18 [S. 1118].
14 De agone christ. c. 26 (PL 40, 501) [S. 1119].
15 Rom. 8, 32 [S. 1119].
16 Conf. De trin. l. 15 c. 11 (PL 42, 1071 sq.) [S. 1120].
17 2 Cor. 13,3 [S. 1120].
18 18 Jo. 17, 3 [S. 1121].
19 Jo. 21,15 [S. 1122].

Anmerkungen zur Übersetzung:
1 Hier wird principium offensichtlich als 'Anfang', also in zeitlicher Bedeutung, verwendet. Diese Verwendung von principium als 'Anfang' ist aber weder die einzige, die im Text vorkommt, noch philosophisch neutral, denn der Artikel kreist gerade um das Problem, ob man den biblischen Ausdruck in principio im Zusammenhang mit der christlichen creatio-Lehre als 'im Anfang der Zeit' also im temporalen Sinne, zu verstehen habe, wie die Theologenkommission bevorzugt, oder aber als 'in ewigem - und gerade dadurch nicht zeitlichem - Logos', principium also als 'Grund', was sicherlich der Eckhartschen Deutung zugrunde liegt. (S. 334)
2 Hier darf man in principio offensichtlich nicht mit 'im Anfang' wiedergeben, da dies die temporale Verwendungsweise des Ausdruckes principium nahelegen würde, welche hierbei eben nicht gemeint ist. (S. 336)
3 accio transiens ist nämlich der von den Theologen der päpstlichen Kommission verwendete Ausdruck. Gemeint ist eine Tätigkeit, die als eine auf etwas anderes übergehende durch ein 'transitives' Verb bezeichnet werden kann. (S. 338)
4 Diese Übersetzung setzt eine Änderung im Text Pelsters voraus: "non enim est accio nisi ab alio in aliud et ut ab alio scilicet ab agente est actus, qui est accio (,) ut in aliud, ab alio est passio ... ". Das hinzugefügte Komma ist erforderlich, um den Text semantisch sinnvoll zu machen. Der Satz weist nämlich eine Zweigliederung auf: Es wird - erstens - eine Tätigkeit 'ut ab alio' berücksichtigt, als eine, die 'von etwas' zustande gebracht wird; dann - zweitens - 'ut in aliud', i.e. insofern sie 'auf etwas' zustande gebracht wird. (S. 338)
5 Im Text steht movere - also 'bewegen'. Gemeint ist aber die Tatsache, daß in einem Bewegten, i.e. in einem in-Bewegung-stehenden Wesen eben Bewegung ist. (S. 338)
6 Die Theologen selbst unterscheiden damit also die beiden Verwendungsweisen von principium (als 'Anfang' bzw als 'Grund'; s.o. Anm. 1) und legen somit nahe, daß der Fehler Eckharts darin bestehe, bei seiner Interpretation der creatio-Lehre die zeitliche Bedeutung völlig aus dem Spiel zu lassen. (S. 340)
7 Bei Pelster: 'nulla proposicio de Deo esset concenda'; wohl 'concedenda' gemeint. (S. 344)
8 Der lateinische Ausdruck creatio terminatur ad esse enthält eine Fülle von Nuancen, die im Deutschen mit einem einzigen Ausdruck schwer wiederzugeben sind: Das esse sei das von Gott bei der Schöpfung bezweckte Ziel, welches zugleich das erreichte Ergebnis derselben darstellt, also auch das, was am Ende der schöpferischen Tätigkeit Gottes da vorlag (das Ende der Schöpfung), womit sie beendet, i.e. perfekt wurde: Das Sein ist also zugleich 'Ziel', 'Zweck', 'Ergebnis' und 'Ende' (in doppeltem Sinne des Wortes: 'was am Ende ist' bzw 'was etwas beendet') der Schöpfung. (S. 346)
9 Die sinnvolle Übersetzung der Passage erfordert eine Änderung im Text Pelsters: "Sed vituperando (l. vituperare) Deum actorem virtutis est laudare malum er actorem peccati[,] er vicii(,) er vituperare vicium est bonum er laudabile". Vituperando ist also durch vituperare zu ersetzen, das Komma nach peccati zu tilgen und eines nach vicii hinzuzufügen. Der Satz gibt somit Antwort auf zwei Fragen: (i) Was bedeutet vituperare Deum actorem virtutis? [Antwort: 'das Böse bzw den, der Sünde und Laster vollbringt, zu preisen' (laudare malum er actorem peccati er vicii)] bzw (ii) Was ist vituperare vicium? [Antwort: 'etwas Gutes und Lobenswertes' (bonum er laudabile)]. (S. 350)
10 Die von Pelster vorgeschlagene Textänderung (Tilgung von amorem creature) soll rückgängig gemacht werden. Der Satzbau wird folgendermaßen gedeutet: 'Augustinus' (Subjekt) 'nennt' (Prädikat) 'die Liebe zur Kreatur' (Akk.-Obj.: amorem creature), und zwar nicht 'als Liebe zu den Kreaturen, durch die man sie in ordentlicher Form gebraucht, sondern als unordentliche Liebe ...' (dies wird also prädikativ zum Akk.-Obj. hinzugefügt: amorem creaturarum, quo quis creatura ordinate utitur, sed amorem inordinatum ...) 'einen Vogelleim für die Flügel' (Prädikatsnomen im Akk.: viscum alarum). (S. 354)
11 Natürlich wird mittere hier ìn der Bedeutung 'freilassen' verwendet; die Übersetzung mit 'vertreiben' soll aber ermöglichen, den im Text hergestellten Bezug von servum mittere zu foras mittit [was oben entsprechend der biblischen Stelle I Joh 4,18 (Einheitsübersetzung: "die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht") mit 'vertreiben' übersetzt wurde] zu verstehen. (S. 358)
12 Eine Korrektur in dem von Pelster angebotenen Text ist hier aus semantischen Gründen unumgänglich: "et cum dicitur quod Deus me operatur suum esse unum(,) (non) simile, non bene sonat". Man muß also als Zusatz nach unum ein Komma bzw. die Negationpartikel non vor simile hinzufügen. Es geht nämlich eben darum, daß das neu empfangene Sein des Menschen nicht nur bloß deswegen göttlich ist, weil es dem göttlichen ähnlich ist, sondern weil es das göttliche ist: Hier bestehe also keine bloße Ähnlichkeit, sondern Identität. (S. 362/64)
13 i.e. was von beiden eigentümlicherweise ausgesagt werden kann (ydiomata).
14 Der Artikel bezieht sich auf das christologische Dogma der Idiomenkommunikation. Der Text Pelster muß wiederum geändert worden: "Item in Christo tanta fuit unio verbi cum carne, quod communicat (l. communicant) sibi ydiomata, ut Deus dicatur passus er homo creator celi". Ydiomata ist das Subjekt dabei, so daß das Prädikat communicare im Plural stehen muß: communicant also. Communicare wird somit reziprok gebraucht ydiomata communicant sibi: 'die Idiomen teilen sich gegenseitig mit'. (S. 370)
15 Bei Pelster heißt es (wohl ein Schreibfehler): 'Hoc duos articulos'; es muß aber lauten:'hos duos articulos'. (S. 378)
16 Aus semantischen Gründen ist auch hier eine Änderung im Pelsters Text erforderlich: "Unde homo perfectus sciens quia Deus voluit ei vult eum pecasse, vult ipse homo amando honorem Dei se peccasse nec vellet (non) peccare pro omni quod est citra deum". Um Gottes willen darf der vollkommene Mensch nicht wollen, nicht sündigen, i.e. gemäß der Deutung der Theologenkommission behaupte Eckhart, der vollkommene Mensch müsse sündigen wollen, da es ihm darum gehen solle, seinen Willen dem göttlichen anzugleichen. (S. 380)

Ein Gutachten aus dem Eckehart-Prozeß

  Durch Auffindung, Veröffentlichung und Bearbeitung der Avignoner lateinischen Quästionen Meisters Eckeharts und der Polemik des Gundissalvi hat M. Grabmann (1) den Zugang zu den scholastisch-theologischen Anschauungen des jüngeren Eckehart geöffnet. Wenn ich heute dem Jubilar einen Beitrag zu der letzten Lebenszeit des großen Predigers und Sprachschöpfers widmen kann, so verdanke ich dies allein der Güte des Präfekten der Vaticana, Mgr. G. Mercati. Bei der Katalogisierung der Vatikanischen Hss. war dieser im Cod. Vat. lat. 3899 auf ein Gutachten gestoßen, das offenbar Beziehungen zu Eckehart besaß. Er bat mich nun, dasselbe näher zu bestimmen und zu bearbeiten. Zugleich sprach er den Wunsch aus, ich möchte es in der Festschrift Grabmann veröffentlichen. Diesem Wunsch kam ich natürlich mit Freuden nach. Der Beitrag ist also in erster Linie eine Gabe des glücklichen Finders, dessen Absichten der Bearbeiter um so lieber als Werkzeug dient, als er dadurch auch seiner eigenen Verehrung für den Jubilar Ausdruck geben kann. Da ich leider so wie so schon den zugewiesenen Raum überschreiten muß, werde ich mich auf das zur Einführung des Dokumentes unbedingt Notwendige beschränken. Die weitere Ausnutzung desselben überlasse ich der Eckehartforschung.
  Worum handelt es sich? Dank den Veröffentlichungen der Soester Hs. durch A. Daniels (2) und G. Théry (3) kannte man eine doppelte Anklageschrift der Kölner Zensoren und die Antwort und Verteidigung Eckeharts gegen über den einzelnen Sätzen beider Anklagen. Es ist dies der Abschnitt des Prozesses aus den Jahren 1326 bis 1327. Schon H. Denifle (4) hatte die Beteuerung der Rechtgläubigkeit, die Eckehart am 13. Februar 1327 in einer Predigt ablegte, veröffentlicht; ebenso seine Appellation an den Hl. Stuhl vom 24. Januar 1327 und die Verwerfung derselben durch die Erzbischöfliche Kommission am 22. Februar 1327. Diesen offiziellen Dokumenten folgt unmittelbar als letztes die feierliche Verurteilung von 28 Eckehart zugeschriebenen Sätzen am 27. März 1329. Über den Verlauf des Prozesses in der Zeit von Februar 1327 bis März 1329 wußten wir nichts. Jedoch hatte bereits O. Karrer (5) die Ansicht begründet, auf die beiden ersten Kölner Anklageschriften müsse noch eine dritte mit der entsprechenden Verteidigung Eckeharts folgen. Und J. Koch (6) wies mit Nachdruck darauf hin, daß nach den Worten der Bulle Johanns XXII. auch in Avignon eine Untersuchung der Anklagesätze stattgefunden habe.
  Hier tritt nun das neugefundene Schriftstück ein. Dasselbe findet sich in Cod. Vat. lat. 3899, einer ausgesprochenen Mischhs., deren gedrängte Beschreibung folgt:
  Cod. Vat. lat. 3899 [chart. ff. (IV + 132), 30,2 x 22 cm (ff. 71-98 29,5 x 21,3 cm) (1 et 2 col.) saec. 14-16] enthält: 1. Bemerkungen und Sachindex zum Aristeasbrief, saec. 15 ff. Ir, IIr-IVv. - 2. Die Widmung der Übersetzung dieses Briefes an Paul II. (1464-1471) f. 1r-v s. 15: Paulo II Summo Pontifici Matthias Palmerius felicitatem. Cum et antea semper ... reducatur. Valeat sanctitas tua servi sui memor. - 3. Den Aristeasbrief ff. 2r-31r. Aristeas ad Philocratem fratrem per Matthiam Palmerium Pisanum e graeco in latinum versus incipit feliciter. Cum permagni semper feceris Philocrate ... certamen excitetur. Vale. Finis Aristeae. - 4. Incipit epistola eddita (!) a Reverendo patre domino Roderico episcopo Onetensi ad doctissimum et religiosissimum virum fratrem Alfonsum de Palencuela, in qua agitur de multiplici onere et periculo pontificalis dignitatis ff. 37r-43v ... Reddite sunt michi littere tue, reverende in Christo pater ac mi preceptor amantissime ... vitare festinus. Vale in Christo reverende pater ac mi pater dilectissime. - 5. Auszüge aus Eusebii Praeparatio evangelii; saec 15/16 ff. 46r-51r. Mosaica autem volumina ante Alexandrum et Persarum imperium ... in sempiternum victuros affirmat. - 6. Ex magistro sententiarum excerpta libro primo; saec. 15 ff. 56r-63r: Omnis doctrina vel rerum est ... in patre est unitas ... est amborum spiritus. - 7. De coelibatu contra Luterum; saec. 16 ff. 71r-87r. Utque in optima causa non solum non optimam causam habere videamus ... pietatem funditus perdemus. - 8. Ad Rm Cardinalem D D Adrianum [de Corneto 1503-1518, † ante 1526] tituli S. Crisogoni fratris Hieronymi Armenini Faventini ordinis predicatorum expositio moralis super Psalmum: Dixit dominus domino meo; ff. 93r-96v. Si quispiam tibi reverendissime praesul ... in via significamus. Explicit. - 9. Ad eundem Rm Cardinalem Adrianum fr. Hieronimus Armeninus ... ff. 97v-98r. Non semper vicio litterarum ruditas ... pro certo spirarem. Valeat D. Revma et mei sit memor in orationibus suis. Viterbii ad S. Mariam ad gradus ordinis predicatorum die 15a Novembris 1506. - 10. Das Bruchstück eines Traktates De poenitentia; s. 15 ff. 99r-122r: Postquam dictum est de causis quibus sit ad penitenciam festinandum, nunc de ipsa ... ne feriendo demergant et cet. Explicit hoc opus. Deo gracias. Amen. - 11. Articuli contra f. Aychardum Alamannum ff. 124r-130r; so f. 123r eine Hand des 14. Jahrh. f. 124r in Hand des 17. Jahrh.: Propositiones cuiusdam heretici a quodam alio qualificate et heretice demonstrate, dann Hand des 14. Jahrh.: Primus articulus sic habet: Interrogatus quandoque, quare Deus ... Schluß f. 130r respectu mali et iniusti.- 12. [Casus] de ornatu mulierum; saec. 16 ff. 131r: Queritur quid de artificibus qui faciunt vel vendunt ornamenta mulierum aut sutulantes pictas ut vestes cum immoderata sumptuositate consutas ... talis mulier fuci faceret. Unten f. 131r: Domino meo Legionensi de mandato domini nostri pape C[lementis] Armin[inusj. - 12. Item queritur cum secundum doctores liceat mulieri se ornare secundum consuetudinem civitatis et sit consuetudo in plerisque locis Ytalie defferre vestes candatas, frappatas, pretamotas ... an propter talem consuetudinem excusentur a peccato ... ita quod pectus appareat vel simile f. 132r. Auf f. 132v steht noch der Destinatar des Gutachtens: Pro fratribus sancti Francisci. Die nicht bezeichneten Seiten sind in der Hs leer geblieben. Wohl alle Stücke haben vor der Eingliederung ein Sonderdasein geführt. Bei Stück 1-3 und bei 4 sieht man dies sofort an der Vergilbtheit der Deckblätter; 5 hatte eine ursprüngliche Zählung von 221 bis 238, 6 von 377 bis 391; 7, 8, 9, 11 waren ebenfalls selbständige Faszikel; 9 ist ein Brief, der noch das Siegel trägt, er hat aber denselben Verfasser wie 8; 12 ist ein Gutachten, das später mit 11 vereinigt wurde. Der Band muß nach seinem Inhalt und seiner Umgebung nach in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sein. Dies schließt natürlich nicht aus, daß einzelne Stücke schon seit langem im Archiv oder in der Bibliothek der Päpste waren.

  Der älteste Bestandteil der Hs sind ohne Zweifel die uns beschäftigenden Artikel, die offensichtlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschrieben wurden. Können wir etwas über den Ursprung dieses Faszikels sagen? Auffallend ist für diese Zeit der Gebrauch des Papiers. In der Avignoner Bibliothek der Päpste jedoch ist dies bei urkundenähnlichen Schriften keine Seltenheit, wie ja gerade Südfrankreich sehr früh mit dem Gebrauch des Papiers begann. Eckehart wird von gleichzeitiger Hand als Alamannus bezeichnet. Das wäre in Italien und Deutschland wohl nicht geschehen; in Frankreich ist es eine Selbstverständlichkeit. Auch einige orthographische Eigentümlichkeiten wie responcio, linge für lingue, mehrfaches quiquid, distictus, disticcionem, distingatur scheinen auf Frankreich als Schreibort hinzudeuten. Für die päpstliche Kurie spricht noch ein anderer Umstand. An den Artikeln, die sechseinhalb Blätter umfassen, haben sich vier Schreiber in der Weise betätigt, daß Hand 1 ff. 124 und 129, Hand 2 ff. 125 und 128, Hand 3 ff. 126 und 127 und Hand 4 f. 130r geschrieben hat. Offenbar hat man, um Zeit zu gewinnen, die Urschrift auf vier Schreiber verteilt - einer, Hand 3, hat f. 127v seinen Namen vermerkt, Rodus, d.h. Rodericus oder Rodulphus; Hand 4 gehört sehr wahrscheinlich einem Engländer. - Das konnte aber wohl kaum irgendwo anders als in einer großen Kanzlei geschehen, der päpstlichen in Avignon. Wir haben also eine sehr große Wahrscheinlichkeit, daß dieser Teil der Hs in Avignon geschrieben ist.
  Es bleibt die Frage nach dem Charakter und Ursprung dieser Artikel. Jeder Abschnitt besteht im allgemeinen aus vier Teilen, dem zu verurteilenden Satz, der Begründung für die Verwerflichkeit des beanstandeten Satzes, der Verteidigung Eckeharts und einer kurzen Gegenantwort auf diese Rechtfertigung; Mehrfach wie bei Satz 8 und 9; 10, 11, 12 und 13; 17 und 18; 27 und 28 sind Anklage und Verteidigung mehrerer Artikel zusammengezogen. Da bei der Anklage ausschließlich der Plural gebraucht wird, müssen wir schließen, daß es sich um die gemeinsame Anklage mehrerer, vielleicht einer Kommission handelt.
  In welchem zeitlichen Verhältnis steht nun diese Schrift zu den Kölner Anklagen und zu den verurteilten Sätzen? Schon O. Karrer (7) hat darauf aufmerksam gemacht, daß die verurteilten Artikel über die Kölner Anklagen hinausgingen und daß diese neuen Sätze mit einer Ausnahme dem Johanneskommentar entstammten. Dasselbe gilt von unserer Schrift, die inhaltlich, wenngleich nicht der Ordnung nach, mit den Sätzen der Verurteilung zusammenfällt. Die zusätzlichen Artikel sind hier 2, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 14, 26. Da außerdem in den übrigen Artikeln die Schrift mit den Kölner Sätzen oft nur unvollkommen übereinstimmt, so muß sie erst nach dem bisher bekannten Kölner Prozeß entstanden sein. Anderseits hat sie nicht die unmittelbare Vorlage der Verurteilungsbulle gebildet. Denn einmal weichen beide Schriften in der Anordnung voneinander ab.
  Die Abweichungen werden durch folgende Tabelle bezeichnet, in der den einzelnen Nummern der Schrift die Zahlen der Bulle in Klammern angefügt sind. 1 (1), 2 (2), 3 (3), 4 (Append. 1), 5 (Append. 2), 6 (26), 7 (4), 8 (5), 9 (6), 10 (16), 11 (17), 12 (18), 13 (19), 14 (7), 15 (8), 16 (9), 17 (20), 18 (21), 19 (22), 20 (10), 21 (11), 22 (12), 23 (13), 24 (23), 25 (24), 26 (25), 27 (14), 28 (15). Zweitens macht die Bulle einen Unterschied zwischen den ersten 15 von ihr aufgezählten Sätzen nebst den zwei letzten, die Eckehart nicht als sein Eigentum anerkennt, und den übrigen 11. Die ersten sind ihrem Wortlaut nach durchaus häretisch, während die anderen 11 nur als temerär und der Häresie verdächtig bezeichnet werden (8). Diesen Unterschied macht die Anklageschrift wenigstens in dieser Form nicht; mehr oder minder sämtliche Sätze gelten ihr als häretisch, wenngleich auch sie einigemale ein milderes Urteil anbahnt.
  Wir können den Charakter der Schrift noch näher bestimmen. Die Artikel der Anklage sind in Köln und nicht in Avignon entstanden. Denn Eckehart selbst hat jeden derselben irgendwie beantwortet; er war aber wenigstens in seinen letzten Lebensjahren nicht in Avignon, wie aus der Verurteilungsbulle klar hervorgeht. Diese sagt nämlich [am Ende des Textes], Eckehart habe vor seinem Tode die 26 Artikel der Bulle und alles was er sonst gesagt und gepredigt habe, insoweit es eine häretische Auslegung und Irrtümer bei den Gläubigen hervorrufen könne, zurückgenommen und dieser Widerruf sei durch ein gerichtliches Protokoll beglaubigt (9). Es entsteht die Frage: Ist dieser Widerruf, von dem der Papst redet, identisch mit der Erklärung, die Eckehart am 13. Februar 1327 in der Predigerkirche zu Köln abgab (10). Liegt also die Abfassung unserer Artikel vor jenem Datum? Diese Annahme ist unhaltbar. Denn das Blatt, das Eckehart damals dem Volke vorlesen ließ, enthielt nicht die 26 bzw. 28 Artikel unserer Anklage, sondern nur einen derselben über den ungeschaffeneu Teil der Seele, den Eckehart ableugnet, außerdem aber einen andern, der in ihr nicht mehr vorkommt (11). Auch fehlt die ausdrückliche Unterwerfung unter das Urteil des Hl. Stuhles, von der Johannes XXII. redet. Dieser Widerruf muß später stattgefunden haben, sehr wahrscheinlich in der letzten Krankheit. Die neue Anklage liegt also zwischen Februar 1327 und Anfang 1329 (12).
  Wir können ferner sagen, daß die Kölner Anklage in der in unserer Schrift eingehaltenen Ordnung nach Avignon kam. F. Ehrle (13) hat nachgewiesen, daß in einem Bande der ehemaligen päpstlichen Bibliothek zu Avignon ein Gutachten des Kardinals Jakob Fournier, des späteren Papstes Benedikt XII. über die Artikel der Anklage gegen Eckehart stand. Mehr noch, aus einem Zitat, das Ehrle aus dem Sentenzenkommentar des Augustiner Johann von Basel beibringt, geht hervor, daß Kardinal Fournier die Artikel in der Reihenfolge unserer Schrift vor sich hatte (14). Also ist die Schrift mit den Artikeln in dieser Aufeinanderfolge in Avignon gewesen.
  Ist nun aber die ganze Schrift in Köln entstanden oder haben wir in ihr abgesehen von den Sätzen selbst das Gutachten einer Avignoner Kommission? Das letzte scheint unbedingt zu bejahen. Allerdings hat es auch noch eine dritte Kölner Anklageschrift gegeben. Nikolaus von Cues (15) hat eine solche Schrift, die sich mit den Stellen aus dem Johanneskommentar befaßte, gesehen. Es ist aber nicht die vorliegende. Denn Nikolaus sagt, daß die von ihm eingesehene Anklage nur Auszüge aus Johannes enthielt; unsere Anklage aber umfaßt alle Schriften. Die von Nikolaus gesehene Anklage muß also nach der zweiten Kölner Anklage und vor unserer liegen. Mit dieser Feststellung ist aber unsere Frage nach der Herkunft der ganzen Schrift noch nicht beantwortet. Folgendes ist zu beachten: Die Kölner Anklage war offenbar ein offizielles Schriftstück mit Titel, Einleitung, Unterschrift, Beglaubigung (16). Von all dem finden wir nichts. Aber war die Schrift vielleicht eine Beilage zu der offiziellen Anklage? Auch das geht nicht. Die Apologie Eckeharts bildete sicher wie seine übrigen Apologien einen selbständigen Rotulus. Hier sind aus der Verteidigung nur die wichtigeren Punkte herausgehoben. Daß dem so ist, zeigt der erste Blick. Es heißt z.B. Art. 2: Predictum articulum verifficat magister Eccardus, quia ut dicit; Art. 4: Istum articulum negat, quia ut dicit; Art. 5: Hunc articulum ut sonat, eliam ipse magister erroneum reputat. Also Auszug und indirekte Ausführung, nicht vollständige Wiedergabe. Noch klarer tritt dieser Charakter in Art. 8 zutage, wo es heißt: Predictum articulum verificat multipliciter. Es folgt aber nur ein Grund. In einer irgendwie geordneten Rechtspflege scheint es aber unerhört, daß man dem höheren Gerichtshofe nur einen Auszug aus der Verteidigung des Angeklagten zugehen läßt. Die nächstliegende Erklärung ist jedenfalls, daß hier ein Gutachter oder eine Kommission aus der Apologie das auszog, was von Bedeutung zur Bildung des Urteils zu sein schien.
  Ein weiterer Grund: Die Fassung der Artikel zeigt, daß die Sätze zitiert werden. Es heißt nicht: Primus articulus, secundus articulus etc., sondern beständig: Primus articulus sic habet; z. B.: XIII a. s. h. "Item scribit"; XV a. s. h. "Item predicavit"; XVI a. s. h. "Item predicavit". Solche Wendungen zeigen klar, daß es sich nicht um eine erste Abfassung, sondern um Zitierung vorliegender Sätze handelt.
  Ferner konnte ich nirgendwo feststellen, daß Eckehart in seiner Verteidigung auf die Begründung der Anklage Rücksicht nimmt. Das erklärt sich am leichtesten, wenn diese Begründung erst in Avignon entstanden ist. Ebenso paßt die beständige Wiederholung der Worte "prout sonant" sehr schlecht zu einer Kölner Anklage. Den Kölnern war es doch um eine Verurteilung zu tun; sie hatten Eckeharts Schriften eingesehen und nahmen doch wohl an, daß Eckehart die Sätze im sensus obvius auch lehre. Eine Avignoner Kommission dagegen ist naturgemäß viel vorsichtiger. Sie hat nicht darüber zu befinden, was Eckehart allenfalls gemeint haben könnte. - Die Apologie Eckeharts dürfte sie in dieser Hinsicht auch stutzig gemacht haben. - Sie hat einzig zu entscheiden, ob die vorgelegten Sätze, die sich Eckehart zufolge mit zwei Ausnahmen wirklich in seinen Schriften fanden, ihrem natürlichen Wortsinne nach Häresien und Irrtümer enthielten. Daher überall das vorsichtige "prout sonant". Ebenso hätte das Kölner Gericht wohl keine verschiedenen Beurteilungen der Sätze nach Avignon gesandt, sondern vor Abschicken eines gemeinsamen Urteils sich auf eine geeint. Die Kommission dagegen sprach zuerst das Urteil über die Sätze an sich aus. Nach Einbeziehung der Verteidigung Eckeharts milderte sie in dem einen oder andern Fall ihr Urteil. So hatte sie zuerst Artikel 10-13 "prout verba sonant" als häretisch bezeichnet. Nachher redet sie nur von einem "male dictum" und in diesem Sinn fiel die endgültige Verurteilung aus. Wenn ferner zu Satz 20 gesagt wird: Quod vero dicit quod verba male sonant verum dicit. Et ideo sunt revocanda, so ist dies nicht die Sprache des Anklägers, sondern derer, die im Gerichtshof Sitz und Stimme haben. Endlich fällt schwer ins Gewicht, daß das Urteil der Bulle diesem Vorurteil bzw. Gutachten so außerordentlich ähnlich sieht. Einige wenige Sätze (16-26 der Bulle) weisen eine Milderung auf, die jedoch in den meisten Fällen schon durch unsere Schrift angebahnt ist. Dies Gutachten wird also von der endgültigen Bulle nicht allzuweit entfernt liegen. Denn Johannes sagt in der Bulle, er habe die Artikel durch viele Doktoren der Theologie prüfen lassen und sie selbst auch im Verein mit den Kardinälen geprüft (17); außerdem hatte, wie oben gesagt wurde, Kardinal Jakob Fournier ein Urteil über die Sätze abgegeben. Nach all diesen Untersuchungen wäre aber eine so vollkommene Übereinstimmung mit einem weit zurückliegenden Kölner Gutachten höchst merkwürdig.
  Aus all diesen Gründen dürfte es sicher sein, daß die Schrift in Avignon entstanden ist. Da nun einerseits die Gutachter stets im Plural reden und da anderseits zwischen Bulle und Schrift noch einige Unterschiede bestehen, so haben wir sehr wahrscheinlich das Gutachten der Theologenkommission vor uns, das an die Kardinalskommission, die unter Vorsitz des Papstes tagte, weitergegeben wurde. Zu dieser Annahme paßt gut die große Eile, mit der das Schriftstück von vier Schreibern abgeschrieben wurde. Die Theologen hatten erst in letzter Stunde ihr Gutachten vollendet.
  Ohne endgültig entscheiden zu wollen, möchte ich noch kurz auf einige Momente hinweisen, die zur Lösung kürzlich aufgeworfener Fragen vielleicht dienlich sind. Hat die Kommission in Avignon die Schriften Eckeharts selbst von neuem untersucht oder nur auf Grund der Kölner Akten entschieden? Unsere Schrift bietet kaum eine Handhabe für die Behauptung einer neuen Untersuchung der Schriften. Es finden sich allerdings einige wenige Hinweise auf die Schriften Eckeharts, wie in Art. 1 auf die Kommentare zur Genesis und Sapientia, in Art. 26 auf den Johanneskommentar. Aber diese Hinweise setzen nicht einmal notwendig eine unmittelbare Kenntnis der Kommentare selbst voraus. Der letzte Hinweis erklärt sich hinreichend aus dem Satz der Anklage. Bei dem ersten kann man unmittelbare Kenntnis der beiden Kommentare annehmen; es würde aber auch die Entnahme aus einer zweifellos vorhandenen Kölner Anklageschrift genügen. Von einer neuen Prüfung der Kommentare finde ich an anderen Stellen keine Spur. Gegen eine solche scheint zu sprechen, daß die verurteilten Sätze in Köln formuliert sind. Hätte eine neue Prüfung der Schriften selbst stattgefunden, so würde man eine Abänderung oder Vermehrung der Sätze erwarten. So bietet dies Gutachten wenigstens keinen Grund für die Annahme einer neuen Prüfung der Werke Eckeharts. Die Kommission scheint sich auf eine Qualifizierung der von Köln gesandten Sätze beschränkt zu haben. Der Wortlaut derselben fand sich ja, wie Eckehart zugestanden hatte, in dessen Schriften. Sie hatte bei ihrem Gutachten den objektiven Sinn der Worte im Auge "prout verba sonant".
  Damit ist das zweite Problem berührt. Der Papst und alle geben zu, daß Eckehart kein formaler Häretiker war. Stets hatte er die Bereitschaft, sich dem Urteil der Kirche zu unterwerfen und diese Bereitwilligkeit hat er vor dem Tode von neuem erklärt. War er aber materialer Häretiker? Unzweifelhaft hat er Sätze vorgetragen, die nach ihrem natürlichen und nächstliegenden Sinn Irrtümer und Häresien enthielten. Deshalb war die kirchliche Behörde in vollstem Recht, wenn sie gegen eine Handlungsweise, die Verwirrung und Ärgernis erregen mußte, vorging und die Sätze nach ihrem sensus obvius "prout verba sonant" verurteilte. War dieser sensus obvius aber der von Eckehart intendierte Sinn? Da zeigt nun auch diese neue Verteidigung bei Eckehart einen so grundkatholischen Sinn, der aus dem Glauben seine Nahrung erhielt und der von allem Pantheismus meilenweit entfernt war, daß es jedenfalls schwer ist, ohne stringente Beweise bei Eckehart materiale Häresien vorauszusetzen. Die wahrscheinlichere Erklärung dürfte wohl sein: Eckehart liebte es sich möglichst bizarr und anders als alle Welt auszudrücken, besonders machte er gern von Hyperbeln Gebrauch, wenn er die innige Vereinigung der gerechten Seele mit Christus und der dreieinigen Gottheit preisen wollte. Außerdem besaß er eine Vorliebe für die neuplatonische Terminologie, die ihren pantheistischen Ursprung nie ganz leugnen konnte. Daher war der Anlaß zu gerechtem Anstoß gegeben. Zog man alsdann den Meister zur Rechenschaft, so konnte er sich über den Unverstand der Menschen nicht genug wundern, die ihm Lehren unterlegten, an die er nie gedacht hatte. Berufenere Beurteiler Eckeharts mögen entscheiden, ob dieser Erklärungsversuch allen Tatsachen gerecht wird.
  Auf dem Gebiete der Materialbeschaffung dürfte die nächste Aufgabe darin liegen, die vollständige letzte Kölner Anklageschrift, die letzte Apologie Eckeharts und das Gutachten des Kardinals Fournier wieder aufzufinden. Wie ein gütiges Geschick über den Schriften der ersten Pariser Lehrjahre durch Auffindung der Quästionen des Gundisalvi gewaltet hat, so wird auch hoffentlich dieser letzte Teil noch irgendwo ans Tageslicht kommen.
  Zu der folgenden Ausgabe [s.o.] habe ich nur zu bemerken, daß ich in eckigen Klammern [] die entsprechenden Artikel der Bulle hinzugefügt habe [hier nicht enthalten] , ebenso Ergänzungen im Text die notwendig gefordert schienen. Was zu tilgen ist steht in hakenförmigen Klammern <> [hier eckige Klammern]. Der Quellennachweis zu den einzelnen Sätzen ist mir mit den hiesigen Hilfsmitteln nicht möglich. Da sich übrigens die Artikel mit den Sätzen der Bulle völlig decken, so ist durch J. Koch (18) und J. Quint (19) diese Arbeit im wesentlichen bereits geleistet. [Pelster, S. 1099-1108]

Anmerkungen zum Editionstext Pelsters:
1 Neuaufgefundene Pariser Quästionen Meister Eekharts und ihre Stellung in seinem geistigen Entwicklungsgange, in MSB XXXII 7 Abh., 1927. Im Sommer 1931 konnte ich in Cod. 661 (108) der Bibliothek von Troyes eine weitere Anzahl von anonymen Fragen des Gundisalvi feststellen, die sich zum Teil auch mit Eckehart beschäftigen. Eine nähere Beschreibung derselben wird in nächster Zeit veröffentlicht [S. 1099].
2 Eine lateinische Rechtfertigungsschrift des Meister Eckhart, in Beiträge XXIII 5, 1923 [S. 1099].
3 Édition critique des pièces relatives au proces d'Eckhart, contenues dans le manuscrit 33 b de la bibliothèque de Soest, in AHDL 1 (1926) 129-268. Théry bringt durch zwei Umstellungen den Inhalt der Soester Hs in bessere chronologische Ordnung. Außerdem liefert er zu den einzelnen Artikeln der Anklage wichtige Quellennachweise [S. 1099].
4 Akten zum Prozesse Meister Eckharts, in Archiv 2 (1886) 630-640 [S. 1100].
5 Karrer - Piesch, Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift, Erfurt 1927, 12 [S. 1100].
6 Vorschlag zu einer weiteren Ausgestaltung von Denzingers Enchiridon Symbolorum, in ThQschr 113 (1932) 151 [S. 1100].
7 Karrer - Piesch‚ Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift, Erfurt 1927, 12 [S. 1102].
8 H. Denifle, Akten zum Prozesse Eckeharts, in Archiv 2 (1886) 639 [S. 1103].
9 A. a. 0. 640. Volumus notum esse, quod prout constat per publicum instrumentum inde confectum, prefatus Eccardus in fine vite sue fidem catholicam profitens vigintisex articulos, quos se predicasse confessus extitit necnon quecunque alia per eum scripta et docta sive in scolis sive in predicationibus que possent generare in mentibus fidelium sensum hereticum vel erroneum ac vere fidei inimicum quantum ad illum sensum revocavit ac etiam reprobavit et haberi voluit pro simpliciter et totaliter revocalis ac si illos et illa singillatim et singulariter revocasset, determinacioni apostolice sedis et nostre tam se quam scripta sua et dicta omnia summittendo [S. 1103].
10 Vgl. den Akt darüber bei Denifle a. a. 0. 630-633 [S. 1103].
11 Eckehart erklärt a. a. 0. 631, er habe nie in dem ihm vorgeworfenen Sinn gepredigt, daß sein kleiner Finger das Weltall geschaffen habe [S. 1103].
12 Gewöhnlich gibt man 1327 als Todesjahr Eckeharts an. Einen Beweis für dieses Datum habe ich bisher nicht gefunden. Es dürfte deshalb einstweilen richtiger sein, zu sagen: Eckehart ist nach Februar 1327 und vor Anfang 1329 gestorben [S. 1103].
13 Der Sentenzenkommentar Peters von Candia des Pisaner Papstes Alexanders V., Münster 1925, 85f. Vgl. F. Ehrle, Historia Bibliothecae Romanorum Pontificum tum Bonifatianae tum Avenionensis 1, Romae 1890, 316 n. 382; 358 n. 923 [S. 1104].
14 In Cod. lat. Monac. 26 711 mit dem Sentenzenkommentar Johanns heißt es f. 53r: Utrum studens sacre theologie sciens sacre scripture textum Deum esse trinum et unum sufficienter possit probare vel inquirere per studium bonum et meritorium ... Probatur quia aliter Deus non foret unus extra numerum, ymo poneretur in numerum quod videtur falsum. [f. 53v] Ratio fundatur super 24m articulum Eckardi cum 3° et fundatur ratio super 24 articulo Ockam retractato per dominum Benedictum. Der angezogene Artikel Eckeharts "Deus enim unus est extra numerus" ist aber nur in unserer Schrift Artikel 24; in der Bulle ist es Artikel 23. Ferner heißt es f. 56v: Istam veritatem dominus Benedictus deducit in tractatu contra Eckardi 24 et 27 articulos c. 2° probans personas esse distinctas alias et alias contra Echardum, qui 27 articulo dixit quod omnis distinccio est a Deo aliena neque in natura neque in personis. Die Zahl 27 muß ein Schreibfehler für 25 sein. Denn in der Bulle gibt es keinen Artikel 27 und in der Anklageschrift steht im Artikel 27 etwas ganz anderes. Nimmt man dagegen 24 und 25, so stimmen beide Zahlen zur Anklageschrift, während es in der Bulle 23 und 24 heißen müßte [S. 1104].
15 Doctae ignorantiae apologia Basileae 1565, 71: Et ego non sinens indiscussum relinqui id quod de magistro Eccardo adversarius allegavit interrogabam an preceptor aliquid de eo audisset. Qui ait se multa eius expositoria opera hincinde in librariis vidisse super plerosque libros Bibliae et sermones multos, disputata multa atque etiam plures legisse articulos ex scriptis eius super Joannem extractos, ab aliis notatos et refutatos [S. 1104].
16 Denifle, Archiv 2 (1886) 640. In der Bulle nennt Johannes XXII. schon die Bestätigung des Widerrufes dieser Artikel durch Eckehart ein publicum instrumentum. Um so mehr wird die Kölner Anklage ebenso wie die früheren offiziellen Charakter tragen [S. 1105].
17 Denifle, Archiv 2 (1886) 639 [S. 1106].
18 Vorschlag zu einer weiteren Ausgestaltung von Denzingers Enchiridon Symbolorum, in ThQschr (1933) 152-156 [S. 1108].
19 Die Überlieferung der deutschen Predigten Meisters Eckeharts, Bonn 1932, zitiert bei Koch a. a. 0. 157 [S. 1108].

  Diese Seite entspricht im lateinischen Text dem Abdruck von Franz Pelster, S. 1109-1124 (s. Handschriften zur Sigle V1).
  Die an manchen Stellen eingefügten Zeichen, die im Original wie eine "[" ohne den oberen Querstrich aussehen, sind durch "|" gekennzeichnet. Die Zeilennummerierung entfällt. Die Hinweise am Rand auf den Beginn eines neuen Blattes bzw. dessen Rückseite, die im Text durch "||" kenntlich gemacht werden, sind durch z.B. "|127v|" angezeigt. Die durchgehenden Anmerkungen wurden beibehalten und nach den beiden Teilen (deutscher / lateinischer Text) sortiert.
  Trotz sorgfältigster Lesung besonders der lateinischen Textpassagen kann ich nicht für den korrekten Wortlaut garantieren. Im Zweifelsfalle sollte dem Abdruck daher immer der Vorzug gegeben werden (auch wenn der einige Satzfehler enthält - s. z.B. Quero-Sánchez Anm. 15).
  2007 erschien der Text im Rahmen der Herausgabe der lateinischen Werke im Band 5 als Acta Echardiana (n.) 59. Da die zugrunde liegende Hs. nur als "ziemlich fehlerhafte Abschrift" vorliegt, "wurde der Text nicht diplomatisch ediert" (S. 569). Die Änderungen Sturleses werden hier nicht berücksichtigt (Haec statt hec, prae.. statt pre.., deus statt Deus, andere Zeichensetzung etc.), aber seine "Formatierung" übernommen (Nummerierung der Absätze, Fett gedrucktes, Einrückungen - s. Acta n. 59).
  Die deutsche Übersetzung liegt seit dem Jahre 2004 vor und ist als Anhang zu der Studie von Andrés Quero-Sánchez, Sein als Freiheit, in Zusammenarbeit mit Stefan Fromholzer erschienen. Die Übersetzung der 'Überschriften' wie: der erste Artikel lautet, der 20. Artikel lautet etc. wurde weggelassen. Die Kursivschrift der Artikel ist nicht übernommen, dagegen wurden die sonstigen kursiven Stellen farblich abgesetzt. Die Texteinschübe von Quero-Sánchez in Klammern sind eingerückt.
  Am Ende jedes Artikels sind die entsprechenden Seiten- und Zeilenangaben bei Sturlese (LW 5), Pelster und Quero-Sanchez angegeben, wobei die Übersetzung keine Zeilenangaben enthält - sie wurden von mir eingefügt. Außerdem befindet sich die Übersetzung im Buch auf der linken Seite (die rechte Seite zeigt den Text von Pelster), weshalb die Seitenangaben (von - bis) um mindestens zwei Seiten springen.
  Schließlich ist jeder Artikel mit dem entsprechenden Passus der Bulle In agro dominico verknüpft, über den man wiederum auf die entsprechenden Auszügen aus dem Werk Eckharts gelangt, die den Artikeln zugrunde liegen, soweit das bisher nachgewiesen werden konnte. [4.4.11]

Edition
  Franz Pelster, [Pelster, S. 1109-1124], 1935.
  Loris Sturlese, Votum theologorum Avenionensium, Acta Echardiana, Processus contra mag. Echardum, n. 59, in: LW 5, S. 568-590, 2007.
Übersetzung
  Andrés Quero-Sánchez, [Quero-Sánchez, S. 334-382], 2004. [4.4.11]

Datierung
  Die Einschränkung Pelsters auf den Zeitraum zwischen Februar 1327 (Ablehnung der Appellation) und Anfang 1329 (vor Bekanntgabe der Bulle Ende März) war etwas weit gefaßt, da er den Brief des Papstes an den Kölner Erzbischof vom April 1328 noch nicht kannte. Und da Eckhart einige Zeit gebraucht haben durfte, um nach Avignon zu kommen, engt Sturlese den Bereich auf "zw. Mitte 1327 und 1328 April 30" ein. Wahrscheinlich traf Eckhart um Mitte Mai in Avignon ein (s. 'Leben' - 1327) und mußte dort warten, bis er vor die Theologenkommission bestellt wurde.
  Wann das geschah, ist nicht bekannt. Das vorliegende Votum reflektiert die Quintessenz in den Augen der Kommission und gibt die Verteidigung Eckharts (vornehmlich durch "articulum verificat") in gedrängter Form wieder, die dieser wohl persönlich hatte vortragen können. Ob das Votum noch zu Lebzeiten Eckharts vorgelegt wurde und ob er von dem Ergebnis noch Kenntnis erlangte, ist ebenfalls nicht bekannt. [4.4.11]

Einige Namen

Sabellius
  Sabellianismus, trinitätstheologische Irrlehre, Ausformung des Modalismus, benannt nach Sabellius, der ca. 220 in Rom von Calixtus I († 222) ausgeschlossen wird, da er Vater, Sohn und Geist identifiziere (...). Die Kenntnis dieser Bewegung fußt allein auf den Schriften ihrer Kritiker: besonders Hippolytus, Epiphanios und Athanasios. Danach ist der Sabellianismus eine konsequente Weiterführung des auf Noetus von Smyrna (2. Jh.) zurückgehenden Patripassianismus, der Vater und Sohn derart verbindet, daß in Wirklichkeit der Vater Mensch wird, leidet und aufersteht. In diese Betrachtungsweise bezieht der Sabellianismus den Heiligen Geist mit ein. So wirkt Gott als Vater durch Schöpfung und Gesetzgebung. Mit der Menschwerdung hört er auf, Vater zu sein. Von dort an bis zur Himmelfahrt wirkt er als Sohn und seitdem als Hl. Geist. Demnach gibt es keine gleichzeitige Dreiheit; sie ist dies nur im Hinblick auf die Abfolge der Geschichte. Der Sabellianismus kennt nur eine göttliche Hypostase. Hauptgegner dieser Bewegung sind Tertullian und Origenes.
  Fehlende Quellen erlauben es nicht, die generellen zeitlichen Angaben (Ende 2. bis Anfang 4. Jh.) sowie den Verbreitungsraum (Rom und Mesopotamien) näher zu bestimmen. (...) F. Courth, [LdM VII, Sp. 1215] [5.8.05]

Einige Begriffe

Univok
  [lat.] eindeutig, einnamig: mit einer Stimme. [VoL 11, S. 718]
  Philosophie: ein-deutig. Univok ist danach ein Wort, das von allen Seienden eines bestimmten Bereiches in derselben Bedeutung ausgesagt wird, weil es einen Begriffsgehalt bezeichnet, der sich in jenen Seienden auf je dieselbe Weise findet. Dabei handelt es sich um Gattungsbegriffe wie 'Lebewesen' oder um Artbegriffe wie 'Mensch', die von den mit ihnen verbundenen Unterscheidungsmerkmalen durch eine vollkommene begriffliche Unterscheidung (Distinktion) abgehoben werden.
  Den Gegensatz zu den univoken bilden die äquivoken oder mehr-deutigen Worte, die von mehreren Seienden in völlig verschiedener Bedeutung ausgesagt werden, weil sie verschiedene Begriffsinhalte bezeichnen, vgl. 'Strauß' als Vogel, Blumengebinde, Kampf. Zwischen diesen Extremen haben die analogen Worte ihren Ort, die von mehreren Seienden in einer Bedeutung ausgesagt werden, die unter einer Rücksicht dieselbe, unter einer anderen eine verschiedene ist (Analogie). -
  Von Bedeutung werden diese Weisen des Aussagens bei der Gottesfrage. Bei äquivoker Aussage wäre Gott vom Menschen völlig verschieden; dann könnte von ihm nichts ausgesagt werden; die Konsequenz wäre der Agnostizismus. Nach univoker Aussage wäre Gott auf dieselbe Weise wie der Mensch seiend (Pantheismus). Das analoge Aussagen schließlich wahrt zwischen Mensch und Gott sowohl Übereinkunft als auch Unterschied, wodurch Aussagen einerseits von Gott möglich sind, andererseits der Eigenart Gottes gerecht werden. -
  Eine besondere Zuspitzung dieser Problematik entwickelte sich im skotistischen Denken. Um das Abgleiten der analogen in die mehrdeutige Aussage zu vermeiden, nahm Duns Scotus ein überkategoriales Univokes an, das von dem kategorialen Univoken verschieden sei und deshalb beim Aussagen von Gott nicht in den Pantheismus führe. Dieses auch logisch genannte Univoke ist mit dem metaphysisch Analogen vereinbar, scheint aber den Abstand Gottes vom Endlichen durch eine mehr logische als metaphysische Denkweise zu verunklären. [BE 19, S. 272 f.] [2.8.05]