Predigt 116 1

s60
Text (Strauch)
Anmerkungen
Text und Übersetzung (Preger)
Filiation

Hss.-Chronologie
Bearbeitung
Beschreibung
Datierung

hi sagit meister Eckart fon gotlicher herschaft und war ane di lige und wi daz ubirste gut ist geordinit zu der sele und wi di sele sinen influiz inphehit und wi di sele mit ime minnit und kennit [Strauch, S. 6]

Domine rex omnipotens in dicione tua cuncta sunt posita, in dicione tua cuncta sunt posita.
(Esth. 13,9 - [1])


  XXIX. 'Domine rex omnipotens in dicione tua cuncta sunt posita'. gewalt und herschaft lit an zwein dingin, an vriheit und an vil gudir und schonir dinge, daz man di besitze in vride. waz ist vriheit? Philosophus: 'daz dinc ist vri daz an nichte hangit noch an daz nicht inhangit'. hirumme inist nicht vri dan di erste sache, di da ein sache ist allir sache. zu der herschaft horit auch daz man dise zwei habe, daz ist vriheit und vile gudir und schonir dinge in vride. Got ist alliz gût in allin, darumme besitzit he sich in allin. wan waz Got ist, daz ist he in allin. daz man sprichit daz he minne habe und willin und wisheit und gude, daz ist he, wan daz Got ist. hirumme inist Got nicht nicht, wan Got waz er dan nicht. Got der inhait kein fore noch kein nôch. nicht hait volgin, sin volgin ist icht. des nichtis fore ist Got, wan he ist er dan nicht, und des nichtis volgin ist icht. also hait Got kein foregein noch kein volgin. eia di sache allir dinge, di in ir selber swebit in eime ungesichtlichin lichte, daz he selber ist! Got ist ein licht in ime selbir swebinde in einir stillin stille. daz ist daz einige licht {1}, daz einige wesin sin selbis, daz sich selbin forsteit und irkennit. daz forstentnisse des ewigin lichtis daz ist licht fon deme lichte, daz ist di persone des sonis. der vader sprach ein wort, daz was sin son. an deme einigin worte sprach he alle dinc. daz wort des vadir inist nicht anderis dan sin selbis forstentnisse {2}. daz forstentnisse des vader inist nicht anderis dan der son und forsteit di forstentnisse, und daz daz forstentnisse forsteit, daz ist daz selbe daz si forsteit, daz ist daz licht fon deme lichte. Job: Got sprach ein wort, daz was daz ewige forstentnisse sin selbis, daz was sin son. an deme einigin forstentnisse forstunt he alle dinc und forstunt si schephinde fon nichte. daz sint si an un selbin. abir daz si ewicliche gewesit sint, daz was he selbir, wan in Gote inist, ez insi Got, wan Got ist on andir. also sint alle creature ein licht, wan si in deme lichte forstandin sin. darumme flizint alle dinc uz ume alse ein licht zu offinbarne daz forborgine licht. Jacobus: 'omne datum optimum etc.' hibi ist zu prufine daz alle dinc ein licht sint, wan si der vader uzgegozzin haft zu offinbarne sine forborginheit.

127,6-128,1

  also alse alle dinc ein licht sint geweist uz zu flizene, also sint si ouch alle ein licht (1) wider in zu kumine di sich mit vrin willin da fon nicht inkerin. eya di da stede blibin sundir manicvaldikeit, waz lichtis und was gnadin den geoffinbarit wirt! wan daz ubirste guit ist also geordinit zu der sele daz si ez nicht inphehit sundir das mittil, alse Dyonisius sprichit 'daz mittil ist licht und gnade, di irluchtin daz forstentnisse der sele'. waz ist forstentnisse? daz man forsteit ein iclich dinc alse ez ist lutir unformengit und ist gewis on irrunge. Dyonisius: 'muzigit uch fon allin dingin zu bekennine daz ubirste gut, daz Got ist'. waz sulle wir forstein an Gode? daz he ist ein craft. also sulle wir uns einigin daz di einige craft an uns gewirkin muge. he ist auch ein gut daz alle dinc bewegit zu irme gude, daz he selbe ist, und he blibit doch selbe unbewegit. he ist auch ein lutir einvaldikeit, und ie du einvaldigir bist, ie du di einvaldikeit baz forsteist. und wir sullin rechte einvaldic werdin, daz ist daz wir gescheidin sin fon allin dingin und fon uns selbin, ime zu bekenninde unse sinne und alle di werc der crefte der sele, wan alleine di ubirste craft, daz forstentnisse: di lezit alleine Got wirkin mit Gode (2): so wirkit he vollincumeliche sine glicheit an ir und wirkit si an sich. so forsteit si mit ime, so minnit si mit ime, so bekennit si mit ime. bide wir etc. [2]

128,1-128,19

Anmerkungen Strauch
1 uz - licht = Var., fehlt in der Hs. [S. 128, Anm. zu Z. 2]
2 Die lückenhafte Überlieferung lässt sich aus den anderen Hss. vervollständigen: la daz alleine wirken mit gote. noch danne stet einer lidiger sele daz zelazene, und laz got alleine wirken sunder hindernisse, so w. ZfdA 8, 240, 13 ff. [S. 128, Anm. zu Z. 17]

Anmerkungen Steer
1 Singulär in den Schriften Eckharts ist das Syntagma einic lieht. Auch das Syntagma einic wesen ist in DW nicht nachweisbar. [DW 4,2, S. 1042]
2 der in Predigt 49 erwähnte Rückverweis kann sich, wie Quint (..) feststellt, sowohl auf Predigt 1 wie Predigt 116 beziehen. Vgl. weiter Predigt 53 (DW 2, S. 535,1-2). [DW 4,2, S. 1042f. Anm. 10]

Eigene
1 Zum Leitzitat, Esth. 13,9 (Sievers S. 413), habe ich in: P. Alvarus M. Hespers O. Pr., P. Bertrandus Schmalohr O. Pr., Das Meßbuch der heiligen Kirche mit dem Ritus der Dominikaner, lat. und deutsch, 2. veränderte Auflage, van den Wyenbergh Kevelaer 1928, zwei Einträge gefunden: 1. Esther 13,8-11 et 15-17 in der Epistel von Mittwoch nach dem 2. Fastensonntag (S. 176) oder 2. Esther 13,9. 10. 11 für den 19. Sonntag nach der Oktav des Dreifaltigkeitsfestes (S. 630).
2 So das Ende bei Sievers [S. 415].

[21.7.17]

Text und Übersetzung (Preger)

  Die Abschrift entspricht dem Abdruck in: Philipp Strauch (Hg.), Paradisus anime intelligentis, Deutsche Texte des Mittelalters 30, Weidmann Berlin 1919, S. 127/128. Den Absatz habe ich eingefügt; bei Strauch ist es ein durchgehender Text. Ausnahmsweise habe ich den Text nicht selbst abgeschrieben, sondern konnte diesmal auf bereits geleistete Arbeit zurückgreifen. Über die Internetseite parindex.htm des Japanologen Prof. Niels Guelberg kann man auf alle Predigten des Paradisus in der Textausgabe von Strauch zugreifen. Der Text repräsentiert die Fassung A der Predigt.
  Die der Abschrift nachfolgenden Kopien zeigen die Edition und Übersetzung des "Tractats" von Wilhelm Preger in seinem Artikel "Kritische Studien zu Meister Eckhart" aus dem Jahr 1866, S. 468-475. Der Text repräsentiert Fassung B. [15.7.17]

Edition
  Sievers, Nr. 19 S. 413-15.
  Strauch, Nr. 60 (XXIX) S. 127-128.
  Steer, DW 4,2, Pr. 116, S. 994-1056.
  Übersetzung: Preger (s.o.).

Beschreibung
  "Meister Eckhart = Zs. 15, 413 XIX." (Sievers) "Die Predigt in dem Umfange, wie unsere Handschrift ihn bietet, hat auch Nicolaus von Landau, der sie benutzt (128,8-19; das gleiche Exzerpt auch in der Karlsruher Handschrift St. Peter 85 Nr. 35, s. Spamer, Diss. S. 59 Z. 5), zur Voraussetzung (Zuchhold S. 64 f.); ebenfalls steht sie in der Nürnberger Handschrift Cent. IV 40 (Jostes Nr. 20 S. 17). Der Anfang findet sich auch fragmentarisch in Innsbruck, s. Schönbach Zs. 35, 216. 222. Als Eingang eines weit längeren Textes liegt unsere Nummer in mehreren Handschriften (Basel, Einsiedeln, Klosterneuburg [?] - Straßburg; - auch S. Gallen 972a S. 206-216), sowie im Basler Taulerdruck Bl. 247c vor, den die Basler Handschrift XI, 10 einem Kraft von Boyberg zuschreibt, unter welchem Namen diese Fassung von Pfeiffer Zs. 8,238-243 in kritischem Text abgedruckt worden ist. Preger gab in der Zs. f. d. hist. Theologie 1866 S. 468 ff. einen Textabdruck nach der Basler Handschrift XI 10 und suchte Eckharts Verfasserschaft zu erweisen, was nun durch unsere Handschrift wenigstens für den ersten Teil" - Fassung A - "gesichert, für die spätere Partie durch Eintrag des Namens Egghart zu einem ihr entnommenen Exzerpt in der Basler Handschrift IX 15 (Preger a.a.O. S. 463 ff.) wahrscheinlich ist. Über weitere Exzerpte und Eckhart-Parallelen s. Spamer, Diss. S. 50 Anm. 1." [Strauch, S. XXVIII]
[19.10.05; Verlinkung: 16.7.17]

Filiation
  "Die Predigt 116 liegt in zwei Ausprägungen vor, die in ihrem Umfang stark variieren. Zum einen handelt es sich dabei um einen Text, der bis Z. 98 f. sô bekennet si mit im reicht. Er ist in der Predigtsammlung 'Paradisus anime intelligentis' (=OH2) als Nr. 60 überliefert. Mit OH2 eng verwandt bietet ihn auch die Handschrift N1. Hier findet sich nach Z. 98 f. sô minnet si mit im [..] auch noch der Beginn der Fortsetzung von Pr. 116, der aber alsbald in einen bisher unidentifizierten Text übergeht [..].
  Dem steht ein mehr als doppelt so langer Y-Text gegenüber, in dessen zweiter Hälfte das Thema der minne, das am Schluß der X-Version nur anklingt, aufgegriffen und mit Blick auf innertrinitarische Vorgänge ausführlich abgehandelt wird. Mehr oder weniger vollständig tradieren diese Textform der Predigt 116 die Textzeugen Ba1, BT mit der Abschrift B34, E1, ..." [DW 4,2, S. 1025f.]
  Zum Stemma s. 2017.

Handschriften (chronologisch)

  Fassung A: Zeile 1 - 100 (DW 4,2, S. 1037-1050); Fassung B: Z. 101 - 163 (S. 1050-1056). Textbestand: DW 4,2, S. 994-1025

Hs.F. DatumMundartHerkunftTextbestand (Zeilen)
I1A1. H. 14alem.?1 - - 29 (stark fragmentiert)
Ba2BMitte 14.südalem.Vb. Basel, Kartäuser106-110, 126-129, 133-139, 55-66
K1aBMitte 14.niederalem.Raum Straßburg, Dominikaner ?1. 75-81, 84-99
2. 101-104, 106-110
3. 154-157
Ka1BMitte 14.alem.vermutl. Raum Straßburg, Dominikaner1. 154-163
2. 75-99
Ka2BMitte 14.nd.alem. (md. u. hochalem. Einfl.)vermutl. Raum Straßburg, Dominikaner1. 154-163
2. 75-99
OA(Mitte) 14.md. mit rheinfränk. EinschlagMainz, Kartäuservollständig
E1BAnfang 2. H. 14.Basler Schreibspr.Einsiedeln, Schwesternhausvollständig
H2AMitte / 2. H. 14.westmd.-rheinfränk.Ort? Katharinenkloster ?vollständig
Ba1B2. H. 14.alem.Basel, Kartäuser1. vollständig
2. 112-127
N1A2. H. 14.bair.Nürnberg, Dominikanerinnenvollständig
Str2B2. H. 14.bair.?vollständig
B2B14.alem.Straßburg, Dominikanerinnen ?154-157
W5B14.bair.?154-157
G9B14./15. (um 1400)oberalem. (bair. Einfl.)St. Gallen, Dominikanerinnen34-39, 27-30, 42-55
Bra1BAnfang 15.alem.Schönensteinbach ?6-11, 27-30, 42-46, 55-61, 106-109, 111-113, 139-140, 149-154
G5BAnfang 15.alem.?vollständig mit erw. Beginn
Lo2frühes 15.rheinfränk.?112-127
Z4frühes 15.alem.vermutl. Töß, Dominikanerinnen34-39, 27-30, 42-55
D2B1433schwäb.?154-157, 76-89, 158-159, 90-93, 106-114, 130-132
Str3B1440ostschwäb.vermutl. Augsburg154-157
S11441elsäss. (niederalem.)Lahr bei Offenburg84-99, 145-157, 101-110
St7A1445schwäb.Augsburg ?, Augustinerinnen ?1. 58-99
2. 13-21, 23-30
St91448südalem.?154-157
Go12. V. 15.elsäss.?vollständig
B9B1. H. 15. (1430-50)ostalem.Buxheim, Kartause1. 154-157
2. 6-11, 27-30, 42-46, 55-61, 106-109, 111-113, 139-140, 149-154
3. 7-11
Z21. H. 15.hochalem.?126-127
G1Bvor 1450alem.Teufen, Kapuzinerinnen2-15, 27-30, 34-89, 101-129, 132-140, 149-162
Mai1B1450ostschwäb.Kirchheim/Ries, Zisterzienserinnen154-157
M7BMitte 15.oberalem.St. Gallen, Dominikanerinnen34-39, 27-30, 42-55
Do1B1457-60schwäb.Buxheim, Kartäuser ?1. 9-11, 19-22, 27-37, 51-58, 62-64, 70-73, 129, 132-134, 126-129, 134-135, 137-138, 136, 138-139, 149-151, 153-454, 162-163, Plustext
2. 7-11
3. 155-157
M27A1458nordbair.Rebdorf, Augustiner1. 58-99
2. 13-21, 23-30
Str9B15. (1458?)schwäb.Buxheim, Kartäuser1. 7-11
2. 154-157
Bra3B2. D. 15.alem.-schwäb.weltl. Werkst. Konstanz od. Ravensburg?6-11, 154-155, 139-140
M28A1468mittelbair.Tegernsee, Benediktiner1. 58-99
2. 13-21, 23-30
B6BEnde 2. - 3. V. 15.hier: niederdt.Geldern, Schwestern154-159
EbB3. V. 15.mittelnd.?82-85, 79-81, 85-89, 95-97, 152-154, 154-157
Mai71474ostschwäb.Kirchheim, Zisterzienserinnen4-45, 84-136, 140-163
U1B15.schwäb.Vb. Buxheim, Kartäuser154-157
Gaum 1500mnld.(Frauenkloster ?)vollständig
KpBAnfang 16.niederdt.?82-85, 79-81, 85-89, 95-97, 152-154, 154-157
BTB1521/22oberrhein.Baselvollständig
B34B1533mittelniederl.Marienbaum, Birgittenvollständig
[15.7.17]

Datierung
  Die Aufnahme der Predigt in den 'Paradisus anime intelligentis' mit namentlicher Nennung könnte bedeuten, daß sie der Erfurter Zeit entstammt. Aber da die beiden Hauptzeugen O und H2 eher der Mitte des 14. Jahrhunderts zugewiesen werden und auch sonst der folgenden These nichts wirklich widerspricht, könnte die Sammlung in Köln auch nach Eckharts Tod erfolgt sein. Von dieser Seite aus ist eine eindeutige Datierung nicht vornehmbar, auch wenn nach wie vor einiges für Erfurt als Entstehungsort des Paradisus spricht.
  Eine Datierung, die mit vielen Wenns verknüpft ist, entspringt dem Rückverweis in Predigt 49. Zu Eckharts als ich ê sprach merkt Quint als Vergleich auch eine Stelle der vorliegenden Predigt an. Q 49 wurde an einem 3. Fastensonntag gehalten oder im Zeitraum 22. Februar bis 28. März. Der Rückverweis könnte sich auf Predigt 1 (Dienstag nach dem Fastensonntag - 10.[11.]2. - 16.3.) und / oder die Vorliegende (Mittwoch nach dem 2. Fastensonntag - 18.[19.]2. - 24.3.) beziehen. Sollte die zu Q 49 angedachte Datierung auf den 21. März 1305 zutreffen und sollte der Rv. sich tatsächlich auf Predigt 116 beziehen, müßte für diese der 14. März 1305 gesetzt werden.
  Wie gesagt - viele Wenns.
[Zu den Quellenangaben s. oben, Q 49, Q 1 und S 116]