Homo quidam fecit cenam magnam etc. 1
(Pr. Quint 20b)

p20b

Text (mhdt. - nhdt.)
Anmerkungen
Filiation
Textbestand-Diagramm
Hss.-Chronologie
Bearbeitung
Beschreibung
Datierung

meister Eckart bewisit hi wi di inphaunge unsis herrin lichamen heize ein abintezzin, und wilich di knechte sin di zu der abintwirtschaft ladin, und wilich di lude sint di da wirdecliche Godis lichamen inphehit [Strauch, S. 3].

Zum mittelhochdeutschen Text der Strauchschen Edition bei Nils Gülberg im Internet.

Aufbau der Predigt:

cenam magnam
homo quidam
misit servum suum
iam parata sunt omnia
et coeperunt simul omnes excusare
Exi cito in plateas etc.

(nach Quint [DW I, zu Pr. 20a], S. 324)

  Ein mensche machete eine âbentspîse, eine grôze âbentwirtschaft. Swer des morgens wirtschaft machet, der ladet allerleie liute; aber ze der âbentwirtschaft ladet man grôze liute und liebe liute und gar heimlîche vriunde.

  »Ein Mensch bereitete ein Abendessen, ein großes Abendmahl« (Luk. 14,16). Wer morgens ein Gastmahl gibt, der ladet allerlei Leute ein; zum Abendmahl aber ladet man große und liebe Leute und gar vertraute Freunde ein.

  Man begât hiute in der kristenheit den tac der âbentwirtschaft, die unser herre machete sînen jüngern, sînen heimlîchen vriunden, dô er in gap sînen heiligen lîchamen ze einer spîse. Daz ist daz êrste. Ein ander sin von dem âbentezzen. ê ez kome ze dem âbende, sô muoz ein morgen und ein mittentac sîn. Daz götlîche lieht gât ûf in der sêle und machet einen morgen, und diu sêle klimmet ûf in dem liehte in eine wîte und in eine hœhe in den mittentac; dar nâch volget der âbent.

  Man begeht heute in der Christenheit den Tag des Abendmahles, das unser Herr seinen Jüngern, seinen vertrauten Freunden bereitete, als er ihnen seinen heiligen Leib zur Speise gab. Dies ist das erste. Ein weiterer Sinn des Abendmahls: Bevor es zum Abend kommt, muß es einen Morgen und einen Mittag geben. Das göttliche Licht geht auf in der Seele und schafft einen Morgen, und die Seele klimmt auf in dem Lichte in eine Weite und eine Höhe, in den Mittag; danach folgt der Abend.

  Nû sprechen wir in einem andern sinne (1) von dem âbende. Swenne daz lieht abevellet, sô wirt ez âbent; swenne alliu diu werlt abevellet von der sêle, sô ist ez âbent, sô kumet diu sêle in eine ruowe. Nû sprichet sant Grêgôrius von dem âbentezzen: als man des morgens izzet, dar nâch volget ein ander ezzen; aber nâch dem âbentezzen envolget kein ander ezzen. Swenne diu sêle gesmecket in der âbentwirtschaft der spîse und daz vünkelîn der sêle [1] begrîfet daz götlîche lieht, sô endarf ez keiner spîse mê und ensuochet niht ûzen und heltet sich allez in dem götlîchen liehte. Nû sprichet sant Augustînus: herre, benimest dû uns dich, sô gip uns einen andern dich, anders uns engenüeget niht dan an dir, wan wir enwellen niht dan dich. Unser herre nam sich sînen jüngern got und menschen und gap sich in wider got und menschen, aber in einer andern wîse und in einer andern forme. Als dâ grôz heiltuom ist, daz enlæzet man niht blôz rüeren noch sehen; man bewindet ez in einer kristallen oder in ihte anders. Alsô tete unser herre, dô er sich gap einen andern sich. Got gibet sich, allez daz er ist, in der âbentwirtschaft ze einer spîse sînen lieben vriunden. Sant Augustînô grûwelte vor dirre spîse; dô sprach im ein stimme zuo in dem geiste: "ich bin ein spîse der grôzen; wahs und nim zuo und iz mich. Dû enverwandelst mich niht in dich, mêr: dû wirst gewandelt in mich". Die spîse und den trank, diu ich vor vierzehen nahten nam, dâ von nam ein kraft mîner sêle daz lûterste und daz kleineste und truoc daz in mînen lîp und vereinte daz mit allem dem, daz in mir ist, daz niht enist als kleine, als man eine nâdel gesetzen müge, ez enhabe sich mit im vereinet; und ist als eigenlîche ein mit mir, als daz dâ genomen wart in mîner muoter lîbe, dâ mîn leben mir wart îngegozzen ze dem êrsten. Alsô eigenlîche nimet diu kraft des heiligen geistes daz lûterste und daz kleineste und daz hœheste, daz vünkelîn der sêle, und treget ez alles ûf in dem brande, in der minne, als ich nû spriche von dem boume: der sunnen kraft diu nimet in der wurzel des boumes daz lûterste und daz kleineste und ziuhet ez alles ûf biz in den zwîc, dâ ist ez ein bluome. Alsô wirt alle wîs daz vünkelîn in der sêle ûfgetragen in dem liehte und in dem heiligen geiste und alsô ûfgetragen in den êrsten ursprunc und wirt sô gar ein mit gote und suochet sô gar in ein und ist eigenlîcher ein mit gote dan diu spîse sî mit mînem lîbe, jâ, verre mê, als vil als ez lûterer und edeler ist. Dar umbe sprichet er: eine grôze âbentwirtschaft. Nû sprichet Dâvît: herre, wie grôz und wie manicvaltic ist diu süezicheit und diu spîse, die dû verborgen hâst allen den, die dich vürhtent; und der dise spîse mit vorhten enpfæhet, dem ensmecket si niemer eigenlîche, man muoz sie enpfâhen mit minnen. Dar umbe ein gotminnendiu sêle diu überwindet got, daz er sich ir alzemâle geben muoz.

  Nun wollen wir in einem weiteren Sinne (1) vom Abend sprechen. Wenn das Licht hinschwindet, dann wird es Abend; wenn die ganze Welt von der Seele abfällt, dann ist es Abend, dann kommt die Seele zur Ruhe. Nun sagt Sankt Gregorius über das Abendessen: Wenn man morgens ißt, so folgt danach (noch) ein weiteres Essen; nach dem Abendessen aber folgt kein weiteres Essen. Wenn die Seele beim Abendmahl die Speise schmeckt und das Fünklein der Seele das göttliche Licht ergreift, dann bedarf es keiner (weiteren) Speise mehr und sucht nichts (mehr) draußen und hält sich ganz im göttlichen Licht. Nun sagt Sankt Augustinus: Herr, nimmst du dich uns, so gib uns einen andern Dich; an nichts außer dir finden wir Genügen, denn wir wollen nichts als dich. Unser Herr nahm sich seinen Jüngern als Gott und Menschen, und er gab sich ihnen wieder als Gott und Menschen, aber in einer andern Weise und in einer andern Form. Wie da, wo sich ein großes Heiligtum befindet: das läßt man nicht unverhüllt berühren oder sehen; man faßt es in Kristall oder in sonst etwas. So auch tat's unser Herr, als er sich als einen andern Sich gab. Gott gibt sich mit allem, was er ist, im Abendmahl seinen lieben Freunden zur Speise. Sankt Augustinus graute es vor dieser Speise; da sprach eine Stimme zu ihm im Geiste: »Ich bin eine Speise der Großen; wachse und nimm zu und iß mich! Du verwandelst mich (aber) nicht in dich, sondern du wirst in mich gewandelt.« Von der Speise und dem Trank, die ich vor vierzehn Tagen zu mir nahm, entnahm eine Kraft meiner Seele das Lauterste und das Feinste und führte es in meinen Körper und vereinigte es mit allem dem, was in mir ist, so daß nichts so klein ist wie das, worauf man eine Nadel setzen könnte, das sich nicht mit ihm vereinigt hätte; und es ist so eigentlich eins mit mir wie das, was in meiner Mutter Leib empfangen wurde, als mir das Leben zu Anfang eingegossen wurde. Ebenso eigentlich nimmt die Kraft des Heiligen Geistes das Lauterste und das Feinste und das Höchste, das Fünklein der Seele [1], und trägt es ganz empor im Brande, in der Liebe, wie ich es nun vom Baume sage: der Sonne Kraft nimmt in der Wurzel des Baumes das Lauterste und das Feinste und zieht es ganz hinauf bis in den Zweig; dort wird es zur Blüte. Ganz so wird auf alle Weise das Fünklein in der Seele emporgetragen in dem Lichte und in dem Heiligen Geiste und auf solche Weise hinaufgetragen in den ersten Ursprung und wird so ganz eins mit Gott und strebt so ganz ins Eine und ist in eigentlicherem Sinne eins mit Gott, als die Speise es mit meinem Leibe ist, ja, um vieles mehr, um so viel, wie es lauterer und edler ist. Darum sagt er: »ein großes Abendmahl«. Nun spricht David: »Herr, wie groß und wie mannigfaltig ist die Süßigkeit und die Speise, die du allen denen verborgen hast, die dich fürchten« (Ps. 30,20); und wer diese Speise mit Furcht empfängt, dem schmeckt sie niemals wirklich; man muß sie empfangen mit Liebe. Deshalb überwältigt eine gottliebende Seele Gott, so daß er sich ihr gänzlich geben muß.

  Nû sprichet sant Lucas: ein mensche machete ein grôz âbentezzen. Der mensche enhâte niht namen, der mensche enhâte keinen glîch, der mensche ist got. Got enhât keinen namen. Ein heidenischer meister sprichet, daz kein zunge enkan ein eigen wort geleisten von gote ze sprechenne durch die hôheit und die lûterkeit sînes wesens. Als wir sprechen von dem boume, sô sprechen wir mit den dingen, die boben dem boume sint, als diu sunne, diu dâ würket in dem boume. Dar umbe enmac von gote niht eigenlîche gesprochen werden, wan boben gote niht enist, noch got sache niht enhât. Ze dem andern mâle sprechen wir von den dingen mit glîcheit. Dar umbe enmac man von gote niht eigenlîche gereden, wan im niht glîch enist. Ze dem dritten mâle redet man von den dingen an irn werken: als man sprichet von der wîsheit des meisters, sô sprichet man von dem bilde, daz er gemachet hât; daz bilde offenbâret des meisters wîsheit. Alle crêatûren sint ze snœde dar zuo, daz sie in offenbâren; sie sint alle ein niht gegen gote. Dar umbe enmac kein crêatûre ein einic wort von gote geleisten in sînen werken. Dar umbe sprichet Dionysius: alle, die got sprechen wellent, die hânt unreht, wan sie ensprechent sîn niht. Die in niht sprechen enwellent, die hânt reht, wan kein wort enmac got gesprechen, mêr: er sprichet sich wol selber in im selben [2]. Dar umbe sprichet Dâvît: wir suln diz lieht sehen in dînem liehte. Lucas sprichet: ein mensche. Er ist ein und ist ein mensche, und er ist niemanne glîch und ist über al überswebende.

  Nun spricht Sankt Lukas: »Ein Mensch gab ein großes Abendessen.« Dieser Mensch hatte keinen Namen, dieser Mensch hatte nicht seinesgleichen, dieser Mensch ist Gott. Gott hat keinen Namen. Ein heidnischer Meister sagt, daß keine Zunge ein treffendes Wort über Gott auszusagen vermag wegen der Hoheit und Lauterkeit seines Seins. Wenn wir vom Baume sprechen, so sagen wir über ihn aus vermittels der Dinge, die über dem Baume sind, wie die Sonne, die da wirkt in dem Baume, Darum kann von Gott nicht im eigentlichen Sinne gesprochen werden, weil über Gott nichts (mehr) ist und Gott keine Ursache hat. Zum zweiten sagen wir über die Dinge aus vermittels Gleichheit. Deshalb kann man (wiederum) von Gott nicht im eigentlichen Sinne reden, weil ihm nichts gleich ist. Zum dritten sagt man über die Dinge aus vermittels ihrer Wirkungen: wenn man von der Kunst des Meisters sprechen will, so spricht man von dem Bilde, das er geschaffen hat; das Bild offenbart des Meisters Kunst. Alle Kreaturen sind zu geringwertig dazu, daß sie Gott offenbaren; sie sind alle (zusammen) ein Nichts gegen Gott. Darum vermag keine Kreatur ein einziges Wort über Gott in seinen Schöpfungen zu äußern. Deshalb sagt Dionysius: Alle, die Gott aussagen wollen, haben unrecht, denn sie sagen nichts von ihm aus. Die (aber), die ihn nicht aussagen wollen, die haben recht, denn kein Wort vermag Gott auszudrücken; wohl aber sagt er sich selbst in sich selbst aus [2]. Darum spricht David: »Wir werden dieses Licht schauen in deinem Lichte« (Ps. 35, 10). Lukas spricht »Ein Mensch«. Er ist »eins« und ist ein »Mensch«, und er ist niemandem gleich und überschwebt alles.

  Der herre sante ûz sîne knehte. Sant Grêgôrius sprichet, dise knehte sîn der prediger orden. Ich spriche von einem andern knehte, daz ist der engel. Noch sprechen wir von einem knehte, von dem ich mê gesprochen hân, daz ist vernünfticheit [3] in dem umbekreize der sêle, dâ si rüeret engelische natûre und ist ein bilde gotes. In disem liehte hât diu sêle mit den engeln gemeinschaft und ouch mit den engeln, die in der helle vervallen sint und hânt doch behalten den adel ir natûre. Dâ stât diz vünkelîn blôz sunder aller hande lîden ûfgerihtet in daz wesen gotes. Si glîchet sich ouch den guoten engeln, die dâ stæte würkent in gote und nement in gote und tragent alliu ir werk wider in got und nement got von gote in gote. Disen guoten engeln glîchet sich daz vünkelîn der vernünfticheit, daz dâ âne underscheit geschaffen ist von gote, ein überswebende lieht und ein bilde götlîcher natûre und von gote geschaffen. Diz lieht treget diu sêle in ir. Die meister sprechent, ez sî ein kraft in der sêle, diu heizet sinderesis [4], des enist niht. Daz sprichet als vil als daz alle zît gote zuohanget, und ez enwil niemer niht übels. In der helle ist ez geneiget ze guote; ez krieget iemer in der sêle wider allez, daz niht lûter enist noch götlich und ladet în âne underlâz ze der wirtschaft.

  Der Herr sandte aus seine Knechte (Luk. 14,17). Sankt Gregorius sagt, diese »Knechte« seien der Orden der Prediger. Ich spreche von einem andern Knechte, das ist der Engel. Überdies wollen wir von einem Knechte sprechen, von dem ich schon mehrmals gesprochen habe, das ist die Vernunft [3] am (äußersten) Umkreis der Seele, wo sie die Engelsnatur berührt, und ist ein Bild Gottes. In diesem Lichte hat die Seele Gemeinschaft mit den Engeln und auch (selbst noch) mit jenen Engeln, die in der Hölle verfallen sind und doch den Adel ihrer Natur behalten haben. Da steht dieses Fünklein bloß, ohne irgendwelches Leiden aufgerichtet in das Sein Gottes. Sie (= die Seele) gleicht auch den guten Engeln, die da stetig wirken in Gott und aus Gott empfangen und alle ihre Werke wieder in Gott zurücktragen und Gott von Gott in Gott empfangen. Diesen guten Engeln gleicht das Fünklein der Vernunft, das ohne Vermittlung von Gott geschaffen ist, ein überschwebendes Licht und ein Bild göttlicher Natur und von Gott geschaffen. Dieses Licht trägt die Seele in sich. Die Meister sagen, es sei eine Kraft in der Seele, die Synteresis [4] heiße, dem aber ist nicht so. Dies (= die Synteresis) heißt soviel wie etwas, das allzeit Gott anhängt, und es will niemals etwas Böses. (Noch) in der Hölle ist es zum Guten geneigt; es widerstreitet in der Seele allem, was nicht lauter noch göttlich ist und ladet beständig zu jenem Gastmahl ein.

  Dar umbe sprichet er: er sante ûz sîne knehte, daz sie kæmen, ez sî allez bereit. Nieman darf vrâgen, waz er enpfâhe an unsers herren lîchamen. Daz vünkelîn, daz dâ bereit stât ze enpfâhenne unsers herren lîchamen, stât iemermê in dem wesene gotes. Got gibet sich der sêle alles niuwe in einem gewerdenne. Er ensprichet niht: ez ist geworden oder ez gewirdet, mêr: ez ist alles niuwe und vrisch als in einem gewerdenne âne underlâz.

  Darum spricht er: »Er sandte aus seine Knechte, auf daß sie kämen; alles sei bereit« (Luk. 14,17). Niemand braucht zu fragen, was er in unseres Herrn Leib empfange. Das Fünklein, das da bereit steht, unseres Herrn Leib zu empfangen, steht immerfort im Sein Gottes. Gott gibt sich der Seele immerfort neu in fortwährendem Werden. Er sagt nicht: »Es ist geworden« oder »Es wird werden«, sondern: es ist immerfort neu und frisch wie in einem Werden ohne Unterlaß.

  Dar umbe sprichet er: ez ist allez nû bereit.
  Nû sprichet ein meister, daz ein kraft der sêle liget über dem ougen, diu ist wîter dan alliu diu werlt und wîter dan der himel. Diu kraft nimet allez, daz ze den ougen wirt îngetragen, und treget ez allez ûf in die sêle. Daz widersprichet ein ander meister und sprichet: nein, bruoder, im enist niht alsô. Allez, daz îngetragen wirt ze den sinnen in die kraft, daz enkumet in die sêle niht; mêr: ez liutert und bereitet und gewinnet die sêle, daz si blôz enpfâhen mac des engels lieht und daz götlîche lieht. Dar umbe sprichet er: ez ist allez nû bereit.

  Darum sagt er: »Es ist alles nun bereit.«
  Nun sagt ein Meister, es liege eine Kraft oberhalb des Auges, die weiter ist als die ganze Welt und weiter als der Himmel. Diese Kraft nimmt alles, was durch die Augen eingetragen wird, und trägt das alles hinauf in die Seele. Dem widerspricht ein anderer Meister und sagt: Nein, Bruder, dem ist nicht so. Alles, was durch die Sinne in jene Kraft eingetragen wird, das gelangt nicht in die Seele; es läutert vielmehr und bereitet und rüstet die Seele, auf daß sie des Engels Licht und das göttliche Licht rein zu empfangen vermag. Darum spricht er: »Es ist alles nun bereit.«

  Und sie enkoment niht, die geladen sint. Der êrste sprichet: ich hân ein dorf gekoufet, ich enmac niht komen. Bî dem dorfe ist ûfgenomen allez, daz irdisch ist. Die wîle diu sêle iht hât an ir, daz irdisch ist, sô enkumet si ze der wirtschaft niht. Der ander sprach: ich hân gekoufet vünf joch ohsen; ich enmac niht komen, ich sol sie besehen. Die vünf joch ohsen daz sint die vünf sinne. An ieglîchem sinne sint zwei, daz sint vünf joch. Die wîle diu sêle volget den vünf sinnen, sô enkumet si niemer ze der wirtschaft. Der dritte sprach: ich hân eine vrouwen genomen, ich enmac niht komen. Ich hân ez mê gesprochen: der man in der sêle daz ist vernünfticheit [5]. Swenne diu sêle die rihte ist ûfgekêret in got mit vernünfticheit, sô ist diu sêle man und ist ein und enist niht zwei; mêr: als diu sêle sich her nider kêret, sô ist si ein vrouwe. Mit einem gedanke und mit einem nidersehenne sô ziuhet si vrouwenkleit ane; dise enkoment ouch niht ze der wirtschaft.

  Aber sie kommen nicht, die geladen sind. Der erste sagt: »Ich habe einen Weiler gekauft, ich kann nicht kommen« (Luk. 14,18). Unter dem Weiler ist alles das verstanden, was irdisch ist. Solange die Seele irgend etwas an sich hat, was irdisch ist, solange kommt sie nicht zu diesem Gastmahl. Der zweite sagte: »Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft; ich kann nicht kommen, ich muß sie mir ansehen« (Luk. 14,19). Die fünf Joch Ochsen, das sind die fünf Sinne. Jeder Sinn ist zweigeteilt, es sind (also) fünf Joche. Solange die Seele den fünf Sinnen folgt, solange wird sie niemals zu diesem Gastmahl kommen. Der dritte sprach: »Ich habe eine Frau genommen, ich kann nicht kommen« (Luk. 14,20). Ich habe es schon öfter gesagt: Der Mann in der Seele, das ist die Vernunft [5]. Wenn die Seele mit der Vernunft stracks hinaufgekehrt ist zu Gott, dann ist die Seele »Mann« und ist eins und ist nicht zwei; wenn aber die Seele sich hinabwendet, dann ist sie Frau. Mit einem (einzigen) Gedanken und mit einem (einzigen) Abwärtsblicken legt sie Frauenkleider an; auch solche kommen nicht zu diesem Gastmahl.

  Nû sprichet unser herre ein swære wort: ich sage iu vür wâr: dirre keiner engesmecket niemer mîner wirtschaft. Dô sprach der herre: gât ûz in die engen und in die wîten strâzen. Ie mê sich diu sêle hât gesament, ie enger si ist, und ie enger si ist, ie wîter si ist. Nû gât umbe die ziune und in die wîten strâzen. Ein teil der krefte der sêle sint beziunet in den ougen und in den andern sinnen. Die andern krefte sint vrî, die sint ungebunden und ungehindert von dem lîbe. Dise ladet alle în, und ladet die armen und die blinden und die lamen und die kranken. Dise koment în ze der wirtschaft und nieman anders. Dar umbe sprichet sant Lukas: ein mensche hât gemachet eine grôze âbentwirtschaft. Der mensche ist got und enhât niht namen. Daz wir ze dirre wirtschaft komen, des helfe uns got! âmen.

  Nun spricht unser Herr ein schwerwiegendes Wort: »Ich sage euch fürwahr: keiner von diesen wird je mein Gastmahl genießen«. Da sprach der Herr: »Gehet hinaus in die engen und in die weiten Straßen.« Je mehr sich die Seele gesammelt hat, um so enger ist sie, und je enger sie ist, um so weiter ist sie. »Nun gehet an die Zäune und in die weiten Straßen«. Ein Teil der Kräfte der Seele ist »verzäunt« (= gebunden) an die Augen und an die anderen Sinne. Die anderen Kräfte sind frei, sie sind ungebunden und unbehindert durch den Leib. Diese ladet alle ein, und ladet die Armen und die Blinden und die Lahmen und die Kranken. Diese werden hineinkommen zu diesem Gastmahl und sonst niemand (Luk. 14,21 + 23,24). Darum spricht Sankt Lukas: »Ein Mensch hatte bereitet ein großes Abendmahl« (Luk. 14,16). Dieser Mensch ist Gott und hat keinen Namen. Daß wir zu diesem Gastmahl kommen, dazu helfe uns Gott. Amen.

Anmerkungen Quint
1 [Die Hs.] Er hat dritten, weil verkannt wurde, daß mit andern sinne die zweite Bedeutung des âbentessen (342,7) eingeführt wird, nachdem 342,7 eingeleitet durch ein ander sin, die erste Bedeutung von âbentessen erläutert wurde. 342,2-7 enthält die erste Erläuterung des âbentessen (Z. 7 daz êrste), Z. 7 - oben Z. 3 die zweite (Ein ander sin), die wieder zweigeteilt ist: Z. 7-11 die erste, oben Z. 1-3 die zweite Deutung (in einem andern sinne), die Er fälschlich als dritte im Hinblick auf êrste (342,7) auffaßte. [S. 343, Anm. 1]

Eigene
1 Den Ausdruck vünkelîn [in] der sêle verwendet Eckhart in der Quintschen Edition nur hier und in Pr. 20a. Bezug auf diese Formulierung nimmt er in Pr. 2. In Pr. 48 ediert Quint vunken in der sêle (DW II, 419,3) und in Pr. 76 wird die inhaltliche Aussage umschrieben.
2 Vgl. Q 43, Eig. 3.
3 Vgl. Q 37.
4 "Soviel ich sehe, spricht Eckhart von der Synteresis in den deutschen Werken nur an der vorliegenden Stelle" [zu Pr. 20a, S. 334 Anm. 1]. Vgl. Rudolf Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (1904).
5 Vgl. Pr. 18, Q 37 und dort Anm. 3, Pr. 40, Q 43 und dort Eig. Anm. 1 sowie Vom edlen Menschen.

  1 Der mittelhochdeutsche Text und die Anmerkung Quints (in runden Klammern) entsprechen dem Abdruck in: "Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Die deutschen Werke 1, Kohlhammer Stuttgart 1958, S. 342-352". Die eigenen Anmerkungen sind durch eckige Klammern gekennzeichnet.
  Der nhdt. Text ist dem Band "Meister Eckehart. Deutsche Predigten und Traktate, München, Hanser, 5.1978, S. 246-250" entnommen, die mit der Übersetzung in DW 1, S. 505-508 übereinstimmt, aber zusätzlich Zeilenangaben aufweist. Die Texteinschübe und Verweise auf Bibelstellen Quints in Klammern sind etwas (eingerückt) und die dort kursiv gesetzten Stellen werden hier in Farbe dargestellt (s. Hilfe).

Bearbeitung
Textausgabe: Lotze, S. 53-58.
Textausgabe: Strauch, Nr. 24 S. 57-59.
Edition: Quint, DW I, S. 340-352.
Übersetzung: Quint, S. 246-250.
Literatur: s. Predigten.

Filiation
  "B6 und B7 gehören verwandtschaftlich eng zusammen (...). Das Er-Fragment stellt sich eindeutig zu B6-B7 gegen O-H2 HevE [Au1, F1, Kö1, M33] und NvL [K1a]. Von den Postillenhandschriften gehören M33 und Kö1 einerseits und F1-Au1 andererseits enger zusammen, u. zw. bieten M33-Kö1 den ursprünglicheren, mit O-H2 (und B6-B7) stärker übereinstimmenden Text gegenüber F1-Au1. NvL schließt sich eng an O-H2 an, läßt jedoch etwa an der Stelle unten S. 348,7—10 (...) erkennen, daß sein Text nicht aus O-H2 abgeleitet werden kann, da NvL an dieser Stelle mit B6-B7 übereinstimmend ein Textstück bietet, das der Prototyp von O-H2 verlor. Andererseits weist NvL hier wie bei allen aus Eckhartpredigten übernommenen Textstücken starke Abweichungen von der sonstigen hsl. Überlieferung auf, u. zw. sowohl Lücken wie insbesondere Plusstücke und Sondervarianten, die nicht auf besserer hsl. Überlieferung beruhen, wie Zuchhold glaubte, sondern auf Bearbeitung durch Nikolaus v. Landau zurückgehen. (...). Daß H2 trotz seiner weitgehenden Übereinstimmung mit O nicht aus dessen Text hergeleitet sein kann, wie oben S. 116 (unter "Filiation der Hss.") bereits gesagt wurde, zeigt u. a. die Stelle unten S. 345,4 — 5 ist (...), die H2 übereinstimmend mit den übrigen Hss. bietet, während O das Textstück verloren hat. Die Vorlage von O-H2 hat im vorliegenden wie in allen Fällen insbesondere Kürzungen vorgenommen, durch die z. B. Subjektivismen getilgt und Einführung von Zitaten und Zitate selbst auf den knappsten Wortlaut reduziert wurden. So ist auch der Schluß der Predigt in O-H2 verkürzt ..." (S. 340f.)

Textbestand-Diagramm (chronologisch)
  Das Diagramm zeigt die Verteilung der Textmengen in den Hss. Die obere Zahlenreihe entspricht den Seiten 342 bis 352 der DW-Edition mit der jeweiligen Anzahl der Zeilen (addiert; in der Ed. wird auf jeder Seite neu gezählt).


Maßstab: 2 : 1 (2 Pixel = 1 Zeile)

Handschriften (chronologisch)

Hs.DatumMundartHerkunftTextbestand
K1a1341lat. + md. m. rheinfr. Ein.Otterberg, Zisterzienser 344,9 Alsô - 345,4 gote + 347,10 Noch - 349,2 wirtschaft
O(Mitte) 14.md. mit rheinfr. Ein.Mainz, Kartäuser vollständig
H2Mitte / 2. H. 14.westmd.-rheinfränk.Ort? Katharinenkloster ? vollständig
B72. H. 14.md. m. rheinfr. Ein.? vollständig
Kö12. H. 14.obersächs.? 342,1-345,9 minnen, 346,1 - 3 namen + 350,2 Dar umbe - Schluß
Er14.?Heilsbronn, Zisterzienser ? 342,1-347,1 einic
F11. V. 15.nordbair.? 342,1-345,10 muoz, 346,1 - 347,1 werken + 349,10 - Schluß
Au11433ostschwäb.Augsburg? 342,1-345,10 muoz, 346,1 - 347,1 werken + 349,10 - Schluß
B6Ende 2. - 3. V. 15.hier: niederdt.Geldern, Schwestern vollständig
M333. V. 15.bair. m. md. Ankl.Rebdorf, Augustiner-Chorherren 342,1-345,10 muoz
M462. H. 15. (1457-70)bair. m. ostschwäb. Ein.Rebdorf, Augustiner-Chorherren ? 342,2 Swer - 345,10
Kl215.bair.Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren ? 342,2 Swer - 343,4 âbentezzen

Beschreibung
  Die Predigt ist in den Paradisus-Hss. O und H2 sowie in B6 und B7 vollständig und in 8 Hss. fragmentarisch überliefert, wobei fünf Hss. aus der Postille des Heinrich v. Erfurt (Quint: Au1, F1 - diese mit den größten Textmengen -, Kö1, M33) bzw. Hartwig v. Erfurt (Schneider: M46) stammen. Letztere Hs. war Quint zwar bekannt (Unters. I, S. 143, Nr. 54), aber offensichtlich ist ihm dieses Fragment entgangen. Durch die Paradisus-Hss. ist die Predigt für Meister Eckhart bezeugt.
  In der geschichtlichen Reihenfolge erscheinen vollständige Predigt-Abschriften erst in O und H2.

Datierung
  Falls der Rückverweis oben (s. Eig. Anm. 3) auf Predigt 37 gemünzt ist, könnte Q 20b nach dieser vielleicht im Jahr 1326 (Theisen; s. Datierung von Q 37) am 19. März (Gründonnerstag) oder am 31. Mai (2. So. nach Dreifaltigkeit) in Köln gehalten worden sein. Zumindest terminlich gesehen spricht nichts dagegen, Q 20b als nach Q 37 gehalten anzusehen. Allerdings muß sich der Rv. nicht unbedingt auf Q 37 beziehen, da die Formulierung "von dem ich mê gesprochen hân" eher unbestimmt gehalten ist, wobei er natürlich inhaltlich sehr gut passt.
  Die Schriftsprache der vier ältesten Hss. wird als "mitteldeutsch mit rheinfränkischem Einschlag" angegeben. Was heißt das konkret? Ich stelle mir einen Schreiber vor, der in Mitteldeutschland aufgewachsen ist und einige Jahre im Rheinfränkischen verbrachte, wodurch Elemente dieses Dialekts in seine "Muttersprache" einflossen - also ziemlich genau dem Lebensweg Eckharts entsprechend. Nun ist die Vorlage oder sind die Vorlagen nicht bekannt. Auch weiß man nicht, wie die Vorlage für die Vorlage - also das Original - aussah, aber da die Abschriften zeitlich noch relativ nah am Ursprung stehen, besteht zumindest eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Abfassung des Originals ebenfalls in dieser vermischten Mundart. Aber natürlich könnte Eckhart die Predigt schon in Erfurt konzipiert bzw. gehalten und sie dann vielleicht in späteren Jahren in Köln noch einmal überarbeitet haben.
  Eine weitere Verbindung besteht zur Predigt Q 2, in der Eckhart darauf hinweist, dass er bisweilen vom Fünklein gesprochen habe (s. Eig. Anm. 1). Sollte die dort getroffene Datierung zutreffen, dann wäre die vorliegende Predigt vor 1314 gehalten worden.
  Aktuell kann festgehalten werden, dass einiges für Köln spricht, Erfurt aber auch nicht ausgeschlossen werden kann. Sollte denn einmal eine "Entwicklungsgeschichte" des "Fünklein" oder "Funken" in Eckharts Predigten (in seinen lateinischen Texten ist keine Rede davon) erarbeitet worden sein, kann eine Datierung vielleicht genauer getroffen werden.