Christliche Theosophie 1

von F. Max Müller

mueller
Dominikaner und Franziskaner
Eckhart und Tauler
Eckharts Mysticismus
Eckharts Definition der Gottheit
Schöpfung ist Emanation
Die menschliche Seele
Der Messias und der Logos
Die Annäherung an Gott
Geburt des Sohnes
Stellen aus dem vierten Evangelium
Anmerkungen
s. 2013

Dominikaner und Franziskaner

  Man kann mit Recht behaupten, dass die große Masse des deutschen Volkes durch diese Dominikaner- und Franziskaner-Mönche zum ersten Mal mit ihrer Religion in lebendige Berührung kam. So sehr wir auch die Gelehrsamkeit und den logischen Scharfsinn der Scholastiker bewundern mögen, so ist es doch leicht einzusehen, dass die Fragen, welche sie erörterten, keine Fragen waren, welche je das religiöse Denken oder die Lebensweise der Massen beeinflussen könnten. Man hatte lange gefühlt, dass man etwas Anderes und etwas mehr brauchte, und dieses Etwas Anderes und dieses Etwas mehr schien am besten in dem geboten zu sein, was man mystisches Christentum nannte und was Dionysius die Stulta Sapientia excedens laudantes, (1) »die über alles Lob erhabene schlichte Weisheit«, genannt hatte.
  Diese schlichte Religion, glaubte man, entspringe aus der Liebe, welche Gott selbst in die menschliche Seele gegossen, während die menschliche Seele, indem sie Gott liebt, bloß die Liebe Gottes erwidert. Diese Religion bedarf keiner großen Gelehrsamkeit, sie ist für die Armen und Reinen im Geiste beabsichtigt. Sie sollte den Menschen aus der stürmischen See seiner Begierden und Leidenschaften in den sicheren Hafen des Ewigen führen, damit er dort in der Liebe Gottes festgeankert bleibe, während man zugestand, dass die scholastische oder, wie man sie nannte, litterarische Religion keine Ruhe gewähren, sondern nur ein ewig ungestilltes Verlangen nach Wahrheit und nach Sieg erzeugen könne.
  Es lag aber keine Notwendigkeit vor, die Gelehrsamkeit von der mystischen Religion zu trennen, wie wir bei St. Augustinus, bei Bonaventura, bei St. Bernard und noch einmal bei Meister Eckhart und Vielen der deutschen Mystiker sehen können. Diese Männer hatten zwei Gesichter, das Eine für die Doktoren der Theologie, ihre gelehrten Nebenbuhler, und das andere für die Männer, Frauen und Kinder, die kamen, um Predigten von der Art zu hören, wie Meister Eckhart sie - sei es in lateinischer Sprache oder in der Mundart des Volkes - predigen konnte. Zuerst waren diese volkstümlichen Prediger keine gelehrten Theologen, sondern einfach beredte Prediger, welche von Dorf zu Dorf zogen und auf das Gewissen der Bauern, auf Männer und Frauen, in ihrer Muttersprache einzuwirken suchten. Sie bahnten aber den Weg für die deutschen Mystiker der nächstfolgenden Generation; und diese waren nicht mehr bloße gutmütige Bettelmönche, sondern gelehrte Männer, Doktoren der Theologie, und manche von ihnen sogar hohe Würdenträger der Kirche. Die bekanntesten Namen unter diesen sind Meister Eckhart, Tauler, Suso, Ruysbrook, Gerson und Kardinal Cusanus.
Eckhart und Tauler

  Jeder von diesen Männern verdient ein Studium für sich selbst. Der Bekannteste und Anziehendste ist ohne Zweifel Tauler. Seine Predigten sind oft herausgegeben worden; sie wurden ins Lateinische, ins Neuhochdeutsche, und manche derselben auch ins Englische übersetzt. Sie werden noch immer in Deutschland zur Belehrung und Erbauung gelesen und sie sind dem Verdacht der Ketzerei entronnen, der so oft und vielleicht nicht ganz ohne Grund gegen Meister Eckhart ausgesprochen worden ist. Dennoch ist Meister Eckhart ein viel gewaltigerer und originellerer Denker, und was sich bei Tauler von wirklicher Philosophie findet, scheint von ihm entlehnt zu sein. In den deutschen Schriften Eckharts, die zum ersten Mal von Pfeiffer (1857) herausgegeben wurden, findet das mystische Christentum oder, wie man es richtiger nennen könnte, das Christentum nach der Auffassung des Johannes seinen höchsten Ausdruck. Es ist schwer zu sagen, ob er mehr ein scholastischer Philosoph oder ein mystischer Theolog ist. Die gottlose Scheidung zwischen Religion und Philosophie war für ihn nicht vorhanden. Hundert Jahre später musste ein so heiliger und orthodoxer Schriftsteller wie Gerson die Geistlichen warnen, dass sie, wenn sie die Religion von der Philosophie trennten, beide zerstören würden. (2) Obgleich Meister Eckhart fortwährend auf die Bibel Bezug nimmt und sich auf sie stützt, beruft er sich doch nie einfach auf ihre Autorität, um die Wahrheit seiner Lehre festzustellen. Seine Lehre stimmt mit den Lehren des Johannes und des Paulus überein, doch solle sie durch sich selbst überzeugend sein. Er glaubte zeigen zu können, dass das Christentum, wenn es nur richtig verstanden werde, alle Bedürfnisse sowohl des menschlichen Herzens als der menschlichen Vernunft befriedigen könne. Jede Lehre des Neuen Testaments wird von ihm angenommen, aber sie wird von ihm selbst durchdacht, und erst nachdem sie durch das Feuer seines eigenen Geistes gegangen, von ihm als ewige Wahrheit gepredigt. Er citiert sowohl die heidnischen Lehrer, als auch die Kirchenväter, und er beruft sich zuweilen auf die Ersteren, indem er annimmt, dass sie einen besseren Einblick in gewisse Mysterien besäßen, als selbst die christlichen Lehrer.
  Er ist immer höchst emphatisch in der Behauptung der Wahrheit. »Ich spreche zu euch,« sagt er, »im Namen der ewigen Wahrheit.« »So wahr Gott lebt.« »Bi gots, bi gote,« »bei Gott, bei Gott,« kommt so oft vor, dass man fast geneigt sein könnte, die Ableitung von »bigott« anzunehmen, wonach es ursprünglich einen Mann bezeichnete, der sich bei jeder Gelegenheit auf Gott beruft, dann einen Scheinheiligen, und endlich einen Fanatiker. Eckharts Haltung ist jedoch nicht die vieler minder aufrichtigen christlichen Philosophen, welche ihre Philosophie gewaltsam mit der Bibel in Einklang zu bringen suchen; sondern vielmehr die eines unabhängigen Denkers, der sich jedesmal freut, wenn er die Resultate seiner eigenen Spekulationen in der Bibel vorweggenommen und gleichsam verborgen findet. Auch beruft er sich, so viel ich mich erinnere, nie auf Wunder zum Beweise der Wahrheit des Christentums oder der wahren Göttlichkeit Christi. Wenn er auf Wunder zu sprechen kommt, so sieht er gewöhnlich eine Allegorie in denselben, und er behandelt sie nicht viel anders, als die Stoiker den Homer oder als Philo das Alte Testament behandelte. Sonst hatten Wunder kein Interesse für ihn. In einer Welt, in der, wie er fest glaubte, kein Sperling auf die Erde fället ohne den Vater (Matth. X, 29) - wo war da Platz für ein Wunder? Seine Auslegung der Bibel stand ohne Zweifel - und er sagt es oft selbst - nicht immer in Einklang mit der der großen Doktoren der Kirche. Manche von seinen Spekulationen sind so kühn, dass man sich nicht darüber wundern kann, dass er sich dem Verdacht der Ketzerei ausgesetzt. Selbst in unseren mehr aufgeklärten Zeiten würden manche von seinen Theorien über die Gottheit ohne Zweifel sehr verblüffend klingen. Er scheint es manchmal darauf abgesehen zu haben, seine Gemeinde zu verblüffen, so wenn er sagt: "Wer behauptet, dass Gott gut ist, beleidigt ihn ebensosehr, als wenn er sagen würde, dass Weiß schwarz ist." Und doch blieb er stets ein treuer und gehorsamer Sohn der Kirche, nur nach seiner Weise. Wie andere unabhängige Denker jener Zeit erklärte er sich stets bereit, alles und jedes Ketzerische in seinen Schriften sofort zu widerrufen, nur forderte er seine Gegner auf, zuerst zu beweisen, dass es ketzerisch sei. Die Folge war, dass man ihm, trotzdem er von dem Erzbischof von Köln im Jahre 1326 der Ketzerei angeklagt wurde, bei Lebzeiten nichts Ernstliches anhaben konnte. Nach seinem Tode aber wurden von achtundzwanzig seiner Behauptungen, welche als ketzerisch zur päpstlichen Verurteilung ausgewählt worden waren, die ersten fünfzehn und die beiden letzten thatsächlich verurteilt, während die übrigen elf als verdächtig erklärt wurden. Es war dann zu spät für Meister Eckhart, zu beweisen, dass sie nicht ketzerisch seien.
  Eckhart war offenbar ein gelehrter Theolog und seine Verleumder fürchteten sich vor ihm. Er kannte seinen Plato und seinen Aristoteles. Wie sehr er Plato bewunderte, zeigt am besten der Umstand, dass er ihn den großen Priester (Der grôze Pfaffe, p. 261, Z. 21 [Q 28, DW 2, S. 67,1]) nannte. Aristoteles ist für ihn einfach der Meister. Er hatte den Proclus oder Proculus, wie er ihn nennt, studiert, und er bezieht sich oft auf Cicero, auf Seneca und selbst auf den arabischen Philosophen Avicenna. Er beruft sich häufig auf St. Chrysostomus, Dionysius, St. Augustinus und andere Kirchenväter und hat offenbar den Thomas von Aquino studiert, der fast als sein Zeitgenosse bezeichnet werden kann. Er hatte in der That eine gründliche scholastische Bildung genossen, (3) und konnte es mit den besten unter den Verteidigern der Kirche aufnehmen. Eckhart hatte auf der Universität Paris studiert und nachher gelehrt und hatte seinen Doktorgrad der Theologie von Papst Bonifacius VIII. empfangen. Im Jahre 1304 wurde er der Provinzial des Ordens der Dominikaner in Sachsen, obgleich sein Wohnsitz in Köln blieb. Er wurde auch zum Großvikar von Böhmen ernannt und reiste viel in Deutschland herum, indem er die Klöster seines Ordens besuchte und sie zu reformieren trachtete. Er kehrte aber immer wieder zum Rhein zurück und starb zu Köln wahrscheinlich im Jahre 1327.
  Eckhart ist von verschiedenen Leuten sehr verschieden beurteilt worden. Von Jenen, welche ihn nicht verstehen konnten, wurde er als ein Träumer und beinahe ein Verrückter bezeichnet; Andere, die ihm geistig ebenbürtig waren, nannten ihn den weisesten Doktor, den Gottesfreund, den besten Ausleger der Gedanken Christi, des Johannes und des Paulus, den Vorläufer der Reformation. Er war ein vir sanctus selbst nach dem Zeugnisse seiner bittersten Feinde. Viele Leute glauben ihn abgethan zu haben, wenn sie ihn einen Mystiker nennen. Er war ein Mystiker in dem Sinne, in dem Johannes es war, um keinen größeren Namen zu nennen. Luther, der deutsche Reformator, war nicht ein Mann der Träumerei und der Sentimentalität. Niemand würde ihn einen Mystiker in dem landläufigen Sinne des Wortes nennen. Doch war er ein großer Bewunderer Eckharts, wenn wir in der That Eckhart für den Verfasser der Theologia Germanica halten dürfen. Ich muss gestehen, ich bezweifle, dass er der Verfasser ist, doch ist das Buch jedenfalls von seinem Geiste durchdrungen, namentlich was das werkthätige Leben des wahren Christen anbelangt. (4) Folgendes schreibt Luther über dieses Buch: »Aus keinem Buche mit Ausnahme der Bibel und der Werke des St. Augustinus habe ich mehr gelernt, was Gott, was Christus, was der Mensch und was andere Dinge sind, als aus diesem Buche« (Luthers Werke, 1883, Bd. I, S. 37S). Ein Denker ganz anderer Art, aber gleichfalls kein Träumer oder Sentimentalist, Schopenhauer, sagt von Eckhart, dass seine Lehre sich zu dem Neuen Testament verhalte, wie Weinessenz zu Wein.
  Henry More, der Cambridger Platoniker, ein anderer eifriger Bewunderer der Theologia Germanica, spricht von derselben als »dem goldenen Büchlein«.
Eckharts Mysticismus

  Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, dass Meister Eckharts sogenannter Mysticismus eine Sache des vagen Gefühls gewesen sei. Im Gegenteil, er war auf der festen Grundlage der scholastischen Philosophie aufgebaut und hielt der Reihe nach den Angriffen der geschicktesten scholastischen Widersacher stand. Wie ganz und gar sein Geist mit der scholastischen Philosophie getränkt war, ist unlängst von Denifle in einigen gelehrten Aufsätzen bewiesen worden. Ich gebe zu, seine Schriften sind nicht immer leicht. Vor Allem sind sie im Mittelhochdeutschen geschrieben, in einer Sprache, die nur durch ungefähr hundert Jahre von dem Deutschen des Nibelungenliedes getrennt ist. Und seine Sprache ist so ganz und gar ihm eigentümlich, dass es zuweilen sehr schwer ist, den genauen Sinn seiner Worte zu erfassen, und noch schwieriger, denselben im Englischen wiederzugeben. Es verhält sich damit ebenso wie mit den Upanishaden . Die Worte selbst sind leicht genug, es ist aber oft sehr schwer, dem allgemeinen Gedankengang zu folgen.
  Mir scheint es, dass das Studium der Upanishaden oft die allerbeste Vorbereitung auf ein richtiges Verständnis der Traktate und Predigten Meister Eckharts ist. Die geistige Atmosphäre ist genau dieselbe, und wer gelernt hat, in der einen zu atmen, wird sich bald in der anderen heimisch fühlen.
  Leider wäre es ganz unmöglich, Ihnen auch nur einen noch so kurzen Abriss des ganzen psychologischen und metaphysischen Systems Meister Eckharts zu geben. Es verdient um seiner selbst willen studiert zu werden, ganz ebensosehr wie die metaphysischen Systeme des Aristoteles oder des Descartes, und es würde sich für irgend einen künftigen Gifford -Lektor gar wohl der Mühe verlohnen, den ganzen Ideenreichtum, der in Eckharts Schriften allerorten zerstreut ist, zusammenzustellen. Ich kann hier nur einige wenige Punkte berühren, die auf unseren speciellen Gegenstand, die Natur Gottes und der menschlichen Seele und das Verhältnis zwischen den Beiden, Bezug haben.
Eckharts Definition der Gottheit

  Eckhart definiert die Gottheit als bloßes esse, als actus purus. Dies ist rein scholastisch, und sogar Thomas von Aquino selbst würde wahrscheinlich gegen Eckharts wiederholte Behauptung 'Esse est Deus' nichts eingewendet haben. Nach ihm gibt es nichts Höheres und kann es nichts Höheres geben, als Sein. (5) Er beruft sich natürlich auf das Alte Testament, um zu zeigen, dass 'Ich bin' der einzig mögliche Name der Gottheit ist. Darin unterscheidet er sich nicht sehr von Thomas von Aquino und anderen scholastischen Philosophen. St. Thomas sagt: Ipsum esse est perfectissimum omnium, comparatur enim ad omnia ut actus ... unde ipsum esse est actualitas omnium rerum et etiam ipsarum formarum. (6) Da Gott ohne Eigenschaften ist, so ist er für uns unwissbar und unbegreifbar, verborgen und dunkel, bis die Gottheit durch ihr eigenes Licht erleuchtet wird, nämlich das Licht der Selbsterkenntnis, durch welches es subjektiv und objektiv, Denker und Gedanke oder - wie die christlichen Mystiker sich ausdrücken - Vater und Sohn wird. Das Band zwischen den Beiden ist der heilige Geist. So wird die Gottheit, die göttliche Wesenheit oder Ousia, zu Gott in drei Personen. Indem der Vater sich selbst denkt, denkt er Alles, was in ihm ist, d. h. die Ideen, die Logoi der ungesehenen Welt. Hier steht Meister Eckhart völlig auf dem alten Standpunkt der Platonischen und stoischen Philosophie. Er ist überzeugt, dass Gedanke und Vernunft in der Welt herrscht, und er schließt infolgedessen, dass die Welt des Gedankens, der χόσος νοητός nur der Gedanke Gottes sein kann. Dies zugegeben, folgt alles Andere von selbst. »Der ewige Gedanke oder das Wort des Vaters ist der eingeborne Sohn, und« fügt er hinzu, »unser Herr Jesus Christus.« (7)
  Wir sehen hier, wie Eckhart die alte alexandrinische Sprache gebraucht und die ewigen Ideen nicht nur als viele, sondern auch als Eine, als den Logos, auffasst, in welchem alle Dinge, wie sie von dem Vater ausgedacht worden, Eins sind, ehe sie in der phänomenalen Welt zu Vielen wurden. Allein Meister Eckhart lässt es sich sehr angelegen sein, zu zeigen, dass zwar alle Dinge der Kraft nach in Gott seien, dass aber Gott nicht thatsächlich in allen Dingen sei. Wie der Vedântist, spricht er von Gott als der universalen Ursache, behauptet aber doch ein außerweltliches Dasein von ihm. »Gott,« schreibt er, »ist außerhalb aller Natur, er ist nicht selbst die Natur, er ist über ihr.« (8)
  Und doch wird Meister Eckhart als Pantheist bezeichnet, und zwar von Männern, welche kaum die Bedeutung von Pantheismus oder von Christentum zu wissen scheinen. Und wenn er weiterhin zu sagen wagt, dass die Welten, sowohl die ideale als auch die phänomenale, von Gott gedacht und geschaffen worden seien um seiner göttlichen Liebe willen, und darum aus Notwendigkeit und von aller Ewigkeit her, so wird auch dies wieder als Ketzerei gebrandmarkt, als ob es in dem göttlichen Ratschluss irgend einen Widerstreit, als ob es bei Gott irgend eine Verschiedenheit zwischen dem, was wir Notwendigkeit und was wir Freiheit nennen, geben könnte. (9) Wenn die menschliche Sprache überhaupt diese schwindligen Höhen der Spekulation erreichen kann, so scheint nichts mit der christlichen Lehre besser in Einklang zu stehen, als wenn man mit Eckhart sagt: »Gott schafft immerfort, und sein Schaffen besteht darin, dass er seinen Sohn erzeugt.«
Schöpfung ist Emanation

  Was man gewöhnlich als Schöpfung bezeichnet, wird von Eckhart als Emanation aufgefasst. In diesem Punkt stimmt er ganz mit Thomas von Aquino und Vielen der orthodoxesten Theologen überein. Ich will nicht Dionysius oder Scotus Erigena anführen, da deren Orthodoxie oft angezweifelt worden ist. Aber Thomas von Aquino erklärt in seiner Summa, p. 2, qu. 19, a. 4 ohne jedes Bedenken die Schöpfung als emanatio totius entia ab uno, 'eine Emanation alles Seienden aus Einem'. Ja, er geht weiter und behauptet, dass Gott der Möglichkeit nach, seinem wahren Wesen nach, und in Wirklichkeit in allen Dingen gegenwärtig sei: per potentiam, essentiam et praesentiam; per essentiam, nam omne ens est participatio divini esse; per potentiam, in quantum omnia in virtute ejus agunt; per praesentiam, in quantum ipse omnia immediate ordinat et disponit. (10) Solche Ideen würden von vielen lebenden Theologen als pantheistisch gebrandmarkt werden, und folglich auch viele Stellen selbst aus dem Neuen Testament, wo Gott als Alles in Allem dargestellt wird. Aber Eckhart argumentierte ganz folgerichtig, dass es keinen Rückfluss der Seele zu Gott geben könne, wenn man nicht zugeben wolle, dass die Seele des Menschen ein Ausfluss von Gott sei, und dies ist nach Eckhart der Kernpunkt des wahren Christentums. Eine Uhr kann nicht zu dem Uhrmacher zurückkehren, aber ein Regentropfen kann zu dem Ocean zurückkehren, aus dem er emporgehoben ward, und ein Lichtstrahl ist immer Licht.
  »Alle Geschöpfe,« schreibt er, »sind in Gott als unerschaffen, aber nicht an und für sich.« Dies scheint doch wohl zu bedeuten, dass die Ideen aller Dinge in Gott waren, ehe die Dinge selbst geschaffen oder offenbar gemacht wurden. »Alle Geschöpfe,« fährt er fort, »sind in Gott edler, als an und für sich.« Gott wird darum keineswegs mit der Welt verwechselt, wie es Amalrich und alle Pantheisten gethan haben. Die Welt ist nicht Gott, und Gott ist nicht die Welt. Das Sein der Welt ist von Gott, aber es ist verschieden von dem Sein Gottes.« Eckhart nimmt in Wirklichkeit zwei Prozesse an, einerseits die ewige Schöpfung in Gott und andererseits die Schöpfung in Zeit und Raum. Diese letztere Schöpfung unterscheidet sich, wie er sagt, von der ersteren, wie ein Kunstwerk sich von der Idee desselben in dem Geiste des Künstlers unterscheidet.
Die menschliche Seele

  Eckhart betrachtet die menschliche Seele wie alles Andere als durch die Schöpfung von Gott ausgesprochene Gedanken. Wenn aber auch die Seele und alle Kräfte der Seele, wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Verstand und Wille, geschaffen sind, so ist doch, glaubt er, etwas in der Seele ungeschaffen, etwas Göttliches, ja die Gottbeit selbst. Dies war wieder eine von den Thesen, welche nach seinem Tode für ketzerisch erklärt wurden. (11)
  In derselben Weise also, wie die Gottheit oder der göttliche Grund ohne alle erkennbaren Eigenschaften ist und nicht erkannt werden kann, außer als seiend, so ist auch das göttliche Element in der Seele ohne Eigenschaften und kann nicht erkannt werden außer als seiend. Dieser göttliche Funke, obgleich er eine Zeit lang durch Unwissenheit, Leidenschaft oder Sünde bedeckt und verborgen sein kann, ist unvergänglich. Er gibt uns Sein, Einheit, Persönlichkeit und Subjektivität, und da er, ebenso wie Gott, subjektiv ist und also nur ein Erkennender sein kann, kann er nie objektiv erkannt werden, in der Weise wie alles Andere objektiv erkannt wird.
  Dieses göttliche Element in der menschlichen Seele ist es, wodurch wir mit Gott Eins sind und Eins werden. Der Mensch kann Gott nicht objektiv erkennen, aber er kann in dem, was Eckhart die mystische Selbstbeschauung nennt, seine Einheit mit dem Göttlichen fühlen. So schreibt Eckhart: »Was man mit dem Auge sieht, womit ich Gott sehe, dies ist dasselbe Auge, womit Gott mich sieht. Mein Auge und Gottes Auge sind Ein Auge und Ein Gesicht, Ein Wissen und Ein Lieben. Es ist dasselbe, Gott zu kennen und von Gott gekannt zu werden, Gott zu sehen und von Gott gesehen zu werden. Und wie die erleuchtete Luft nichts ist, als dass sie erleuchtet, denn sie erleuchtet, weil sie erleuchtet wird, in derselben Weise erkennen wir, weil wir erkannt werden und weil er macht, dass wir ihn kennen.« (12) Dieses Erkennen und Erkanntwerden ist, was Eckhart die Geburt des Sohnes in der Seele nennt. »Wenn sein Erkennen meines ist, und wenn seine Substanz, seine eigentliche Natur und sein wahres Wesen Erkennen ist, so folgt, dass sein Wesen, seine Substanz und seine Natur meine sind. Und wenn seine Natur, sein Wesen, seine Substanz meine sind, so bin ich der Sohn Gottes.« »Siehe« ruft er aus, »welche Liebe der Vater uns geschenkt hat, dass wir die Söhne Gottes genannt werden« - und die Söhne Gottes sind.
  Diese zweite Geburt und dieses Geborenwerden als Sohn Gottes ist bei Eckhart mit dem Geborenwerden des Sohnes Gottes in der Seele identisch. Er erkennt keinen Unterschied an zwischen dem Menschen, wenn er wiedergeboren wird, und dem Sohne Gottes, zum mindesten keinen größeren Unterschied, als zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn. Der Mensch wird durch Gnade, was Christus von Natur ist, und erst wenn der Mensch als Sohn Gottes wie dergeboren wird, kann er den heiligen Geist empfangen.
  Was Eckhart den göttlichen Grund in der Seele und in der Gottheit nennt, kann, glaube ich, füglich mit dem sächlichen Brahman der Upanishaden, wie man es in der Welt und in der Seele entdeckte, verglichen werden. Und wie in den Upanishaden der männliche Brahman von dem sächlichen Brahman zwar nicht getrennt, aber unterschieden wird, so können nach Eckhart die drei Personen von dem göttlichen Grund unterschieden, wenn auch nicht getrennt werden.
  Dies klingt Alles sehr kühn, wenn wir es aber in die gewöhnliche Sprache übersetzen, so scheint es nicht mehr zu bedeuten, als dass die drei göttlichen Personen diese zu Grunde liegende Gottheit als ihre Essenz oder Ousia gemein haben, dass sie in der That homoousioi sind, was die orthodoxe Lehre ist, für welche Eckhart, wie St. Clemens, eine ehrliche philosophische Erklärung beizubringen sucht.
  Wenn wir Eckhart verstehen wollen, dürfen wir nie vergessen, dass er ebenso wie Dionysius vollständig unter dem Banne der neuplatonischen, in Einem Sinne sogar der Platonischen Philosophie steht. Wenn wir sagen, dass Gott die Welt erschaffen hat, so würde Eckhart sagen, dass der Vater das Wort, den Logos, gesprochen, oder dass er den Sohn erzeugt hat. Beide Ausdrücke bedeuten bei ihm genau dasselbe.
  Alle diese Dinge sind in Wirklichkeit nur Wiederklänge uralten Denkens. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Ideen nach Plato die ewige oder unveränderliche Welt ausmachten, von der die phänomenale Welt nur ein Schatten ist. Bei Plato kann man nur von den Ideen oder den έίδη allein sagen, dass sie wirklich sind, und sie allein können den Gegenstand wahrer Erkenntnis bilden. So sehr auch die Stoiker gegen das unabhängige Dasein dieser Ideen protestierten, die Neoplatoniker nahmen sie doch wieder auf, und manche von den Kirchenvätern stellten sie als die reinen Formen oder die vollkommenen Typen dar, nach welchen die Welt und Alles, was in ihr ist, geschaffen ward. Hier entdeckten die alten Philosophen das, was wir den 'Ursprung der Arten' nennen. Wir sahen, wie diese ganze ideale Schöpfung oder vielmehr Offenbarung auch als der Logos oder das offenbarte Wort Gottes bezeichnet wird, durch welches er die Welt erschuf, und dieser Logos hinwiederum wurde, wie wir sahen, lange vor dem Auftreten des Christentums als die Nachkommenschaft oder als der eingeborene Sohn Gottes dargestellt. Eckhart ging wie viele der ersten Kirchenväter von dem Begriff des Logos oder des Wortes als des Sohnes Gottes, des zweiten Gottes (δεντερος ϑεός), aus, und er machte diesen Logos zum Prädikat Christi, der für ihn die menschliche Verwirklichung des idealen Sohnes Gottes, der göttlichen Vernunft und der göttlichen Liebe war.
Der Messias und der Logos

  Was die Juden mit dem Namen Messias thaten, das mussten die Griechen mit dem Namen Logos thun. Die Idee des Messias war seit Menschenaltern dagewesen, und obgleich es eine ungeheuere Überwindung erfordert haben muss, brachten es die Juden, welche zum Christentum übertraten, doch über sich, zu sagen, dass dieser ideale Messias, dieser Sohn Davids, dieser König der Herrlichkeit, Jesus der Gekreuzigte sei. Auf dieselbe Weise und mit derselben Überwindung und, wie ich glaube, mit derselben Ehrlichkeit mussten die griechischen Philosophen, welche das Christentum annahmen, es über sich bringen, zu sagen, dass dieser Logos, dieser Gedanke Gottes, dieser Sohn Gottes, dieser Monogenês oder Eingeborne, wie ihn Plato sowohl als Philo kannte, in Jesus von Nazareth erschienen, und dass in ihm allein die göttliche Idee der Menschheit je völlig verwirklicht worden sei. Darum wurde Christus oft als der erste Mensch bezeichnet, und nicht Adam. Die griechischen Konvertiten, welche die wirklichen Eroberer der griechischen Welt wurden, erhoben ihren Logos zu einer viel höheren Bedeutung, als die war, welche sie bei den Stoikern hatte, gerade so wie die jüdischen Konvertiten dem Namen Messias einen viel erhabeneren Sinn beilegten, als er bei den Schriftgelehrten und Pharisäern hatte. Doch schworen die besten unter den griechischen Konvertiten, indem sie sich der christlichen Kirche anschlossen, nie ihre philosophischen Überzeugungen ab, und noch viel weniger bekannten sie sich zu den legen denhaften Überlieferungen, welche sich seit den frühesten Zeiten um die Wiege des Sohnes von Joseph und Maria angesammelt hatten. Für den, der wirklich an Christum als das Wort und den Sohn Gottes glaubte, schienen diese Überlieferungen kaum vorhanden zu sein; sie wurden weder geleugnet, noch behauptet. In demselben Geiste fasst Meister Eckhart die wahre Bedeutung von dem Sohne Gottes als dem Worte, und von Gott dem Vater als dem Sprecher und Denker und Bewirker des Wortes auf, indem er diese galiläischen Legenden ohne Weiteres als Allegorien gebraucht, sich aber nie auf dieselben beruft, um die Wahrheit der Lehre Christi zu beweisen. Eckhart - um seine ipsissima verba zu citieren - lässt den Vater sein Wort in die Seele sprechen, und wenn der Sohn geboren wird, wird jede Seele Maria. Er drückt denselben Gedanken aus, indem er sagt, dass der göttliche Grund, d. h. die Gottheit, keine Unterscheidung oder kein Prädikat zulasse. Dieser göttliche Grund ist Einheit und Dunkelheit, aber das Licht des Vaters dringt in diese Dunkelheit, und der Vater, indem er seine eigene Wesenheit erkennt, erzeugt in der Erkenntnis seiner selbst den Sohn. Und in der Liebe, wel che der Vater zu dem Sohne hegt, atmet der Vater mit dem Sohne den Geist. Durch diesen Vorgang wird der ewige dunkle Grund erleuchtet, die Gottheit wird Gott, und zwar Gott in drei Personen. Wenn der Vater, indem er auf solche Weise sich selbst erkennt, das ewige Wort spricht oder, was dasselbe ist, seinen Sohn erzeugt, spricht er in diesem Worte alle Dinge. Sein göttliches Wort ist die Eine Idee von allen Dingen (das heißt der Logos), und dieses ewige Wort des Vaters ist sein einziger Sohn und der Herr Jesus Christus, in welchem er alle Geschöpfe ohne Anfang und ohne Ende gesprochen hat. Und dieses Sprechen findet nicht bloß einmal statt. Nach Eckhart »schafft Gott immerfort, (13) in einem Jetzt, in einer Ewigkeit, und sein Schaffen besteht darin, dass er seinen Sohn erzeugt. In dieser Geburt sind alle Dinge ausgeflossen, und solche Freude hat Gott an dieser Geburt, dass er seine ganze Kraft in ihr verzehrt. Gott erzeugt sich ganz und gar in seinem Sohne, er spricht alle Dinge in ihm.« Obgleich uns diese Sprache sonderbar klingen mag, und obgleich sie von denjenigen, welche ihren wahren Sinn nicht kannten, als phantastisch, wenn nicht gar als ketzerisch, verdammt wurde, so sollten wir uns doch dessen erinnern, dass auch St. Augustinus genau dieselbe Sprache gebraucht. »Das Sprechen Gottes,« sagt er, »ist sein Erzeugen, und sein Erzeugen ist sein Sprechen« (Pfeiffer a. a. 0. p. 100, Z. 27 [Pr. 26]), und Eckhart fügt zu den Worten des St. Augustinus hinzu (ibid. p. 100 Z. 29): »und ließe Gott auch nur einen Augenblick von diesem Sprechen des Wortes ab, so müsste Himmel und Erde vergehen.«
  Bei uns hat Wort so ganz seine vollständige Bedeutung verloren, wonach es die Vereinigung von Gedanken und Laut, die voneinander unzertrennlich sind, bedeutet, dass wir nicht zu oft daran erinnert werden können, dass in allen diesen philosophischen Spekulationen Logos oder Wort nicht das Wort als bloßen Schall oder das Wort, wie wir es im Wörterbuch finden, bezeichnet, sondern das Wort als die lebendige Verkörperung, als die eigentliche Inkarnation des Gedankens.
  Was manchen modernen Philosophen so sonderbar schien, nämlich diese Untrennbarkeit von Gedanken und Wort, oder, wie ich es zuweilen ausdrückte, die Identität von Vernunft und Sprache, war diesen alten Denkern und Theologen ganz geläufig, und es freut mich zu sehen, dass meine Kritiker endlich aufgehört haben, mein Buch 'Das Denken im Lichte der Sprache' als ein linguistisches Paradoxon zu bezeichnen, und dass sie einzusehen beginnen, dass das, wofür ich in jenem Buche eintrat, längst bekannt war, und dass Niemand es je bezweifelt hat. Der Logos, das Wort als der Gedanke Gottes, als die ganze Summe göttlicher oder ewiger Ideen, der Logos, den Plato verkündigt, den Aristoteles vergebens kritisiert hatte, und den die Neuplatoniker wieder in sein Recht einsetzten, ist eine Wahrheit, welche die Grundlage aller Philosophie bildet oder bilden sollte. Und wenn wir diese Wahrheit nicht völlig begriffen haben, wie sie von einigen der größten Kirchenväter begriffen wurde, werden wir nie im stande sein, das vierte Evangelium zu verstehen, wir werden nie im stande sein, uns wahre Christen zu nennen. Denn nur weil es auf den Logos aufgebaut ist, behauptet das Christentum seine ganz einzige Stellung unter allen Religionen der Welt. Natürlich ist eine Religion nicht eine Philosophie. Sie hat einen verschiedenen Zweck und muss eine verschiedene Sprache reden. Nichts ist schwieriger, als die Ergebnisse des tiefsten Denkens in einer Sprache auszudrücken, die Allen verständlich und doch nicht irreführend sein soll. Wenn eine Religion dies nicht kann, ist sie keine Religion; jedenfalls kann sie nicht leben; denn jede neue Generation, welche auf die Welt kommt, braucht eine volkstümliche, eine kindliche Übersetzung der erhabensten Wahrheiten, welche von den Weisen und Propheten der Vorzeit entdeckt und aufgehäuft worden sind. Wenn kein Kind als Christ aufwachsen könnte, ohne die wahre Bedeutung des Logos zu verstehen, wie dieser Begriff von Platonischen, stoischen und neuplatonischen Philosophen ausgearbeitet und dann von den Kirchenvätern angenommen und ihren Zwecken angepasst worden ist, wie viele Christen würden wir haben? Indem die Kirchenväter die Ausdrücke 'Vater' und 'Sohn' gebrauchten, waren sie sich bewnsst, dass sie Ansdrücke gebrauchten, welche nichts enthalten, was nicht wahr ist, und welche eine befriedigende Erklärung zulassen, sobald eine solche nötig ist. Und die befriedigendste Erklärung, die beste Lösung aller unserer religiösen Schwierigkeiten scheint mir hier wie anderswo die historische Schule zu bieten. Versuchen wir nur einmal zu entdecken, wie Wörter und Gedanken entstanden, wie Gedanken im Laufe der Zeit das wurden, was sie sind, und wir werden im Allgemeinen finden, dass irgend eine Vernunft, sei es eine menschliche oder eine göttliche, in ihnen ist.
  Ich gestehe, ich kenne keine größere Freude, als entdecken zu können, wie unsere Gedanken und Wörter uns durch eine ununterbrochene Kette von Jahrhundert zu Jahrhundert zurückfahren, wie die Wurzeln, welche unserem Geiste Nahrung zuführen, eine Schicht nach der andern durchdringen, und noch immer ihr Leben und ihre Nahrung aus dem tiefsten Boden, aus den Herzen der ältesten Denker der Menschheit, schöpfen. Das ist es, was uns Vertrauen in uns selbst gibt und uns oft hilft, dem was in unserem geistigen und namentlich in unserem religiösen Leben hart und versteinert, mythologisch und bedeutungslos zu werden droht, neues Leben einzuflößen. Ich bin überzeugt, dass für viele Leute die Anfangsworte des Evangeliums des Johannes »Im Anfang war das Wort« und wiederum »Das Wort ward Fleisch« nur eine Sage, eine bloße Überlieferung sein können. Sobald wir aber das Wort, das im Anfang bei Gott war, und durch welches (δί αντον) alle Dinge gemacht sind, auf den Monogenês zurückführen können, wie er von Plato postuliert, von den Stoikern ausgearbeitet und von den Neuplatonikern, ob sie nun Heiden, Juden oder Christen waren, den ersten Kirchenvätern überliefert wurden, scheint ein Zusammenhang hergestellt zu sein, und ein elektrischer Strom scheint in einer ununterbrochenen Leitung von Plato bis zu Johannes, und von Johannes bis zu uns selbst zu gehen und einigen der schwierigsten und dunkelsten Aussprüche des Neuen Testaments Licht und Leben zu verleihen. Bei aller Ehrfurcht vor dem, was man kindlichen Glauben nennt, wollen wir doch nie vergessen, dass auch Denken Gott verehren heißt.
  Kehren wir nun zu Meister Eckhart zurück und erinnern wir uns, dass nach ihm die Seele auf demselben göttlichen Grund aufgebaut ist, wie Gott, dass sie in der That an derselben Natur Teil hat, dass sie ohne denselben nichts sein würde. Und doch ist sie in ihrer geschaffenen Form von Gott getrennt. Sie fühlt diese Trennung oder ihre eigene Unvollständigkeit, und indem sie dieselbe fühlt, wird sie religiös. Wie kann diese Sehnsucht nach Vollendung befriedigt, wie kann dieses göttliche Heimweh geheilt werden? Die meisten mystischen Philosophen würden sagen: dadurch dass die Seele in Liebe zu Gott hingezogen wird, oder durch eine Annäherung an Gott, gerade so wie wir in den Upanishaden sahen, dass die Seele sich dem Throne Brahmans , als einer männlichen Gottheit, näherte.
Die Annäherung an Gott

  Eckhart leugnet jedoch, ähnlich wie die vorgerückteren Vedântisten, dass es eine solche Annäherung geben könne, oder er betrachtet dieselbe jedenfalls nur als eine niedrigere Form der Religion. So sagt er (Pfeiffer a. a. O. p. 80 [Q 71]): »Während wir uns Gott nähern, kommen wir nie zu ihm« - fast wörtlich wie der Vedânta .
  Eckhart erkennt zwar dieses Verlangen nach Gott oder diese Liebe zu Gott als einen vorbereitenden Schritt an, doch betrachtet er das wahre Verhältnis zwischen der Seele und Gott aus einem viel höheren Gesichtspunkte. Dieser Strahl der Gottheit, den er als den Geist der Seele und mit vielen anderen Namen, wie Fünklein, Wurzel, Quelle, auch σιντήρησις, ja als das wirkliche Selbst des Menschen bezeichnet, ist der gemeinsame Boden von Gott und der Seele. Hier sind Gott und die Seele stets der Möglichkeit nach Eins, und sie werden thatsächlich Eins, wenn der Sohn in der Seele des Menschen geboren wird, d. h. wenn die Seele ihre ewige Einheit mit Gott entdeckt hat. Damit Gott in die Seele eingehen könne, muss zuerst alles Andere aus derselben hinausgeworfen werden, alles Sündige, aber auch jede Art von Hinneigung zu den Dingen dieser Welt. Schließlich müssen wir unser eigenes Selbst vollständig aufgeben. Um in Gott zu leben, muss der Mensch sich selbst absterben, bis sein Wille ganz in dem Willen Gottes aufgegangen ist. Es muss vollkommene Stille in der Seele herrschen, bevor Gott sein Wort in sie hinein hauchen, bevor das Licht Gottes in die Seele hinein scheinen und sie in Gott verwandeln kann.
Geburt des Sohnes

  Wenn der Mensch auf solche Weise der Sohn Gottes geworden ist, sagt man, der Sohn Gottes werde in ihm geboren, und seine Seele habe Ruhe gefunden. Sie werden in all dem die Grundidee des Vedânta bemerkt haben, dass durch die Beseitigung des Nichtwissens die individuelle Seele ihre wahre Natur, als mit der göttlichen Seele identisch, wiedergewinne. Andererseits wird es Ihnen nicht entgangen sein, wie viele Ausdrücke von Eckhart gebraucht werden, die uns von den Neuplatonikern und von dem Evangelium des Johannes ganz geläufig sind. Ausdrücke, welche ihre wahre Bedeutung nur für diejenigen haben können, welche ihren Ursprung und ihre Geschichte kennen.
Stellen aus dem vierten Evangelium

  Die Stellen, auf die sich Eckhart stützt, und auf die er sich oft beruft, sind die folgenden: »Wer mich siehet, der siehet den Vater« (XIV, 9); »glaubest du nicht, dass ich im Vater, und der Vater in mir ist ?« (XIV, 1 0); »Niemand kommt zum Vater denn durch mich« (XIV, 6); »das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, dass du allein wahrer Gott bist, und, den du gesandt hast, Jesum Christum erkennen« (XVII, 3). Und ferner: »Und nun verkläre mich du, Vater, bei dir selbst, mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war ... Auf dass sie alle eines sein, gleich wie du, Vater, in mir, und ich in dir, dass auch sie in uns eines sein« (XVII, 5; 21).
  Dies sind die tiefsten Töne, welche durch das ganze Christentum Eckharts hindurch klingen, und obgleich ihre wahre Bedeutung schon lange vor Eckharts Zeit von den großen scholastischen Denkern, wie von Thomas von Aquino selbst, den beiden St. Victors [Hugo und Richard], Bonaventura und Anderen erklärt worden war, so ist doch ihr tiefster Sinn selten so kräftig ans Licht gebracht worden, wie von Meister Eckhart in seiner Lehre des wahren spiritualistischen Christentums. Denifle hat ohne Zweifel ganz Recht, wenn er zeigt, wie man Vieles von diesem spiritualistischen Christentum in den Schriften derjenigen finden kann, welche man ziemlich verächtlich als bloße Scholastiker zu bezeichnen pflegt. Doch wird er der Persönlichkeit Eckharts schwerlich ganz gerecht. Nicht jeder Scholastiker war ein vir sanctus, nicht jeder Dominikaner-Prediger war so frei von weltlicher Gesinnung, so von Liebe und Mitleid gegen seine Mitmenschen erfüllt, wie Eckhart. Und wenn auch seine lateinische Terminologie als genauer und kräftiger bezeichnet werden kann, als seine deutschen Äußerungen, so herrscht doch in seinen deutschen Predigten eine Innigkeit und Schlichtheit des Tones, welche, wenigstens meiner Ansicht nach, das kältere Latein zerstört. Denifle hat ja ganz Recht, wenn er Eckhart als einen Scholastiker und als einen Katholiken hinstellt, aber er dürfte doch mindestens zugeben, dass seine Ketzereien den deutschen Mystikern angehörten, nicht den orthodoxen Katholiken.

Anmerkungen
1 Stöckl, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Bd. 1, S. 1030.
2 Dum a religione secernere putant philosophiam, utrumque perdunt. Gerson, Serm. I. [Jean Gerson ]
3 Wie viel Eckhart seiner scholastischen Bildung verdankte, hat H. Denifle in seinem gelehrten Aufsatz, Meister Eckeharts lateinische Schriften und die Grundanschauung seiner Lehre, im Archiv für Litteratur und Kirchengeschichte, Bd. II, Heft 3, 4, sehr gut aus geführt.
4 Das Buch ist von Miss Winkworth ins Englische übersetzt worden und wurde von meinen verstorbenen Freunden, Frederick Maurice, Charles Kingsley und Baron Bunsen hoch geschätzt.
5 Vgl. Denifle, Meister Eckeharts lateinische Schriften, p. 436.
6 Siehe Denifle a. a. 0.
7 Daz sol man alsô verstân. Daz êwige wort ist daz wort des vater und ist sîn einborn sun, unser herre Jêsus Kristus. Eckhart, ed. Pfeiffer, p. 76, Z. 25 [Pr. 17].
8 Daz got etwaz ist, daz von nôt über wesen sìn muoz, Was wesen hât, zît oder stat, das höret ze gota niht, er ist über daz selbe; daz er ist in allen crêatûren, daz ist er doch dar über; was dâ in vil dingen ein ist, daz muoz von nôt über diu dinc sîn. Pfeiffer, a. a. O., p. 268, Z. 10 [Q 9]. Siehe auch Eckharts lateinische Version: Deus sic totus est in quolibet, quod totus est extra quodlibet, et propter hoc ea quae sunt cujuslibet, ipsi non conveniunt, puta variari, senescere aut corrumpi ... Hinc est quod anima non variatur nec senescit nec desinit extracto oculo aut pede, quia ipsa se tota est extra oculum et pedem, in manu tota et in qualibet parte alia tota. Denifle, a. a. O., p. 430. Pfeiffer, a. a. O., p. 612, Z. 28 [Sprüche Nr. 44].
9 Der verurteilte Satz lautete: Quam cito Deus fuit, tam cito mundum creavit. Concedi ergo potest quud mundas ab aeterno fuerit [vgl. Bulle, Sätze eins und zwei].
10 Stöckl, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Bd. II, p. 519.
11 Aliquid est in anima quod est increatum et increabile; si tota anima esset talis, esset increata et increabilis, et hoc est intellectus [vgl. Bulle, der erste der beiden Zusatzartikel].
12 Pfeiffer, a. a. 0., p. 38, Z. 10 [Q 76, DW 3, S. 310 ff.].
13 Pfeiffer a. a. 0. p. 254 [Q 43].

1 Diese Seite entspricht dem Abdruck in: Friedrich Max Müller , Theosophie oder psychologische Religion. Gifford-Vorlesungen, gehalten vor der Universität Glasgow im Jahre 1892. Aus dem Englischen übersetzt von Moriz Winternitz. Autorisierte, vom Verfasser durchgesehene Ausgabe, Leipzig, Engelmann, 1895, S. 498-518; Auszug aus der 15. Vorlesung unter dem Titel "Christliche Theosophie" (S. 492-537). Das ganze Werk bei archive.org .
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