Johannes Gutenberg 1

von Albert Kapr (Auszüge)
kapr
Gab es Beziehungen zwischen Gutenberg und Kues?
Ob Gutenberg bereits in Straßburg gedruckt haben könnte?
Hatte der Bücherdruck in Ostasien Gutenbergs Erfindung beeinflußt?
Weitergehende, aber zerschlagene Pläne

Das Buch- und Schreibwesen vor Gutenberg
  Die Welt war aus den Fugen geraten. Die Philosophen und Theologen sahen in den Ereignissen des 14. und 15. Jahrhunderts ein Ergebnis der Vorherbestimmung Gottes oder der Konstellation der Sterne. Alle Gebiete des menschlichen Lebens wurden revolutioniert. Neue Technologien waren erfunden oder von fernen Ländern übernommen worden: das Wasserrad als Antrieb für den Hüttenhammer, die Getreidemühle und die mechanische Säge, der Kran, der Hobel1, die von Gewichten in Gang gehaltene Uhr, das Steuerruder, der Kompaß, das Schießpulver und die Papierherstellung. Heimkehrende Kreuzfahrer und Kaufleute hatten von den Ungläubigen unerhörte Werke der Astronomie, der Geographie, der Medizin, der Mathematik und der Philosophie mitgebracht, die in den Kreisen der Humanisten eifrig übersetzt und abgeschrieben wurden. Schrift und Buch waren die Bewahrer und Mittler des ständig wachsenden Wissens. Auch zeichneten sich Wandlungen ab.
  Das Buchwesen des Mittelalters blieb in den Klöstern angesiedelt, die sich nach dem Zerfall des Römischen Reiches als Pflegestätten der Kultur erwiesen hatten. Bereits der heilige Benedikt von Nursia führte in dem von ihm gegründeten Kloster in Monte Cassino im Jahre 529 das Abschreiben kirchlicher Texte ein und wertete es als gottesdienstähnllche Handlung. Nachdem Karl der Große die Benediktregel für alle Klöster seines Reiches angeordnet hatte, entstanden in den neu gegründeten Klöstern in Mittel- und Westeuropa Skriptorien, in denen nicht nur religiöse, sondern auch Manuskripte griechischer und römischer Klassiker abgeschrieben wurden.
  Die Form der Schrift galt auch als Ausdruck innerer Haltung oder religiösen Bekenntnisses. Im Auftrag Karls des Großen hatte der englische Theologe Alkuin von York eine Schriftreform durchgeführt. Die neue Form, die »Carolina« oder die karolingische Minuskel, konnte sich als Einheitsschrift im Bereich der gesamten römisch-katholischen Kirche durchsetzen. Sie blieb Jahrhunderte lebendig und ist noch heute als Grundform für unsere Kleinbuchstaben gültig. Im 11. und 12. Jahrhundert verschmalerte sie sich, die Buchstaben rückten näher zusammen, und im 13. Jahrhundert zeigten sich Brechungen bei den senkrechten Buchstabenschäften. Auch die dünnen Anfangsstriche gestalteten sich ausdrucksvoller. Die ersten Erscheinungen eines frühgotischen Stils können - wie in der Architektur - zuerst in Nordfrankreich beobachtet werden. Ob dabei die Kalligraphie von der Architektur angeregt oder beeinflußt worden ist oder ob dieselben Tendenzen künstlerischer Gestaltung auf beiden Gebieten gleichzeitig auftraten, läßt sich heute kaum noch nachweisen. Ein ausdrucksvollerer und entschiedenerer neuer Stil entstand: Die Rundungen machten spitzdreieckigen Brechungen Platz, die Minuskeln rückten noch enger aneinander, das gesamte Schriftbild wurde dunkler. Die gotische Schrift wirkt sakral und verinnerlicht wie die gotische Architektur. Auch der Zeilenabstand und damit der Raum für die Ober- und Unterlängen wurde kleiner. Schließlich sah die ganze Schriftseite wie ein gewebter Teppich aus. Dadurch entstand die Bezeichnung Textura für die ausgereifte gotische Buchschrift, mit der vor allem die liturgische Literatur in lateinischer Sprache, wie Missale, Psalterien, Bibeln, Evangeliare und Lektionare geschrieben wurden. Später sollte Gutenberg beim Druck seiner Bibel auf die Textura zurückgreifen.
  Die Skriptorien in den Klöstern, in denen sich bald eine Arbeitsteilung zwischen Schreibern, Rubrikatoren und Miniatoren herausbildete, erhielten Konkurrenz durch ein städtisches Buchgewerbe und durch die Schreibwerkstätten der Universitäten. Die von Fürsten und Städten gegründeten und vom Papst genehmigten Universitäten benötigten Bücher zum Erlernen der lateinischen Sprache, theologische und philosophische Werke, Bücher über Medizin und Jurisprudenz. Viele der teilweise großen und teuren Bücher wurden von Magistern und Studenten selbst abgeschrieben. Zudem gab es an jeder Universität ein Stationariat, eine Schreibwerkstatt, in der die vom Rektor genehmigten Lehrbücher abgeschrieben, gebunden und zum Verkauf angeboten wurden. Die Stationare, Schreiber und Buchbinder waren in die Matrikel der Universität eingetragen und deren Rechtshoheit unterstellt.
  Parallel bildeten sich im 14. und 15. Jahrhundert in vielen größeren Städten Schreibwerkstätten, in denen manchmal mehrere Schreiber arbeiteten. Sie übernahmen zwar hauptsächlich notarielle und kaufmännische Schreibaufträge, schrieben aber darüber hinaus auch Bücher auf Bestellung ab. Zudem gab es in Italien, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland gewerbliche Skriptorien, in denen Bücher auf Vorrat, als Ware, hergestellt und danach von Handschriftenhändlern oder Buchführern vertrieben wurden. In Italien wuchsen riesige Schreibwerkstätten, die bereits nach den Methoden der Manufaktur arbeiteten. In die beschriebenen Lagen trugen später Rubrikatoren mit roter Farbe die Überschriften und die Anfangsbuchstaben ein. Bei kostbaren Kodizes schloß sich noch die Arbeit des Illuminators an, der kunstvoll ornamentierte Initialen, Kapitelleisten, Rahmen oder Miniaturen einmalte. Teilweise wurden Schreibaufträge auch außer Haus gegeben und nach dem Verlagssystem abgerechnet. Zum Ende des 15. Jahrhunderts soll der florentinische Handschriftenfabrikant Vespasiano de Bisticci bis zu 200 Kalligraphen und Buchmaler beschäftigt haben. Pergament und Papier bezog er in großen Posten. Seine Handschriften vertrieb er auch jenseits der Alpen. Vornehmster Kunde war der ungarische König Corvinus, der bei ihm über hundert Kodizes bestellte. Die französischen Fürsten bevorzugten die Bücher der flandrischen und brabantischen Buchmaler, deren Miniaturen pretentiöser, reicher im Detail und den italienischen überlegen waren.
  Für die Bücher der Humanisten, für die profane Literatur überhaupt und ganz besonders für das Schreibwesen der Händler und Kaufleute ebenso für die Akten der städtischen Gerichtsbarkeit eignete sich die sakrale Textur nicht. Für alle profanen Zwecke der Nationalsprache benötigte man eine schneller zu schreibende, eine praktischer zu handhabende Schrift. Es bildeten sich die gotische Bastarda und die gotische Kurrent heraus. Die gotische Bastarda war ausdrucksvoller, sie wurde besonders in Büchern der Landessprache und für bedeutende Anlässe eingesetzt, die gotische Kurrent oder Kursiv hingegen galt als die allgemeine Handschrift und wurde von Notaren und Kaufleuten zügig geschrieben. Von beiden Schriften entstanden viele landschaftliche und individuelle Abwandlungen.

  In Italien, wo die Gotik nie richtig heimisch wurde, bildete sich eine gemilderte Sonderform, die Rundgotisch oder Rotunda, als Schrift für die sakrale und lateinische Literatur heraus, die später ebenfalls von italienischen und deutschen Frühdruckern nachgeschnitten wurde. Die italienischen Humanisten jedoch hatten seit Petrarca die gotischen Schriftarten insgesamt als schwer lesbar und sogar als barbarisch verurteilt.
  Beim Studium der römischen und griechischen Klassiker, die in den Abschriften der Karolingerzeit überliefert waren, begannen sie die karolingische Minuskel sorgfältig nachzuahmen und zu verfeinern. Dabei entstand die humanistische Minuskel als handschriftliche Ausgangsform der heute üblichen Antiqua. Natürlich entstanden auch innerhalb des Gesamtbegriffs der humanistischen oder Renaissance-Minuskel eine Vielzahl von Variationen, von denen wenigstens eine, die Gotico-Antiqua, besonders erwähnt werden soll. Sie war eine nicht völlig ausgereifte Renaissance-Antiqua, der noch gewisse gotische Schlacken anhafteten. Eben diese Schriftform drang mit dem kulturellen Einfluß und auch durch die deutschen Studenten, die an italienischen Universitäten studiert hatten, nach Deutschland und wurde später auch von Gutenberg für Ablaßbriefe, Kleindrucke und ein großes lateinisches Lexikon zur Druckschrift umgearbeitet.
  Wie wir sehen, gab es zur Zeit Gutenbergs eine Vielzahl von Schriften, die je nach der Art der Literatur und des Schreibzwecks eingesetzt worden sind. In der Vielfalt der Schriften verkörperte sich zugleich eine Widerspiegelung gesellschaftlicher Vorstellungen, also eine graphologische Selbstdarstellung, die durch die Weltanschauung der Schreiber oder ihrer Auftraggeber motiviert war. Auch die Vielfalt der Schriftformen drückt sozusagen die Verworrenheit der ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Bestrebungen an der Wende vom Mittelalter zur Renaissance aus.
  Das Schreibwesen hatte vor allem in den Städten an Bedeutung gewonnen. Die innerstädtischen Auseinandersetzungen, auch die Streitigkeiten zwischen Städten, Fürsten und Klerus, wurden oft von Notaren ausgetragen. Den Kriegen mit Waffen gingen häufig Papierkriege voraus, wobei beide Parteien Juristen in den Kampf schickten, die an Universitäten ausgebildet waren und nicht nur die lateinische Sprache, sondern auch das Kirchenrecht und das römische Recht kannten. Wieder ging Italien voran: Das neue Bürgertum hatte sich eine Bildungsschicht entwickelt, die an Sprachkenntnis und Belesenheit dem Landadel weit überlegen war. Die aus dem Studium der antiken und arabischen Literatur erworbenen Kenntnisse bildeten eine wichtige Hilfe für die gewaltigen Fortschritte des Quatrocento auf technischem, astronomischem, medizinischem und geographischem Gebiet. Das Buch war für das Bürgertum und besonders die Kaufmannschaft zu einer Produktivkraft geworden; diese Erkenntnis drang über die Alpen und bewirkte auch in den größeren deutschen Städten einen zunehmenden Bedarf an Büchern.
  Ebenfalls eine wichtige Rolle im Bildungswesen der Städte spielten die jüngeren Orden der Franziskaner, der Dominikaner, der Augustiner und der Brüder vom gemeinsamen Leben, die sich auf die innere Missionierung in den Städten orientierten. Die Geistlichen in den Stadtkirchen benötigten zumindest ein Meßbuch, möglichst auch andere für den Gottesdienst bestimmte Bücher. Solche Bücher schrieben meist die Mönche der Ordensklöster. Besonders in den Benediktiner-Skriptorien wurde eine hohe buchkünstlerische Qualität angestrebt. Über die besondere Rolle der Brüder vom gemeinsamen Leben und deren enges Verhältnis zum Schreiben und zum Drucken von Büchern wird später zu berichten sein. (S. 11-16)
Anm.
1 Hier hat sich Kapr anscheinend im Vorzeichen vertan, denn der Hobel kam nicht 1200 nach Chr. auf, sondern 1200 vor Chr. (s. Wikipedia )

Gab es Beziehungen zwischen Gutenberg und Kues?
  Zu wenig noch wurde in der Gutenbergforschung nach der Motivation des Meisters gefragt. Im allgemeinen wird angenommen: Durch die Einführung des Manufakturwesens, den verstärkten Handel mit dem Orient und das erwachende Interesse an Wissenschaft und Bildung war der Bedarf an Büchern im 15. Jahrhundert stark angestiegen. Zweifellos ist dies richtig, und in diesem Sinne kann weiter gefolgert werden, daß dieser gewachsene Bedarf Gutenberg zum Nachdenken über eine rationellere Art der Buchherstellung angeregt hatte. Doch seit langem schon erschien mir dieser Schluß zu naheliegend und zu einfach, denn immerhin erfüllten die Skriptorien und Schreiber für damalige Begriffe ihre Aufgaben. Der tatsächlich vorhandene Bedarf nach Abschriften konnte im allgemeinen befriedigt werden. Immerhin war das Bildungsniveau im antiken Rom weitaus höher gewesen als im Deutschland des 15. Jahrhunderts. Man hat schon darauf verwiesen, daß damals die billige Schreibarbeit der Sklaven den höheren Bedarf leicht abgedeckt hätte. Natürlich fehlten im antiken Rom gewisse technische Voraussetzungen, wie die Kenntnis der Papierherstellung. Trotzdem vermute ich, daß es für die Erfindung des Buchdrucks noch eines zusätzlichen Anstoßes bedurfte.
  Zur Begründung möchte ich auf historisch zurückliegende Beobachtungen im ostasiatischen Raum verweisen. Schon vor etwa 2000 Jahren wurden von der kaiserlichen chinesischen Akademie in der Stadt Lo Yang die Texte des Konfuzius in große Steinplatten eingemeißelt, damit sie für ewige Zeiten unverändert abgedruckt (abgerieben) werden konnten. Der ostasiatische Holzplattendruck - schon um 770 hatte die japanische Kaiserin eine Million der sogenannten Dharani-Zettel drucken lassen - war durch die buddhistische Religionspropaganda motiviert. Und die staatliche Förderung des Druckens mit beweglichen Lettern in Korea zu Anfang des 15. Jahrhunderts galt wiederum nur für konfuzianische Texte im Zusammenhang mit der Abwehr des Buddhismus. Die Möglichkeit einer religiösen Motivierung sollte auch bei der Erfindung des Buchdrucks in Europa einbezogen werden.
  Nikolaus von Kues, der spätere Kardinal, wurde zu Beginn des Basler Konzils (1431-1448) zu den führenden Köpfen der Reformbewegung gerechnet. In seiner dem Präsidenten des Konzils und Vertretern des Heiligen Stuhls überreichten Schrift »De concordantia catholica« befaßte er sich mit den Ursachen des Kirchenzerfalls, mit dem Hochmut vieler Priester und mit dem Pomp mancher Klöster, die häufig Versorgungseinrichtungen für die Adligen waren. Er vertrat die Auffassung, daß sich die Priester durch Demut, Bildung und Schlichtheit auszeichnen sollten. Des weiteren wirkte er für eine einheitliche Durchführung der Messe und damit verbunden für eine Meßbuchreform, denn durch das immerwährende Abschreiben hatten sich Schreibfehler, Modifikationen und teilweise beabsichtigte Abweichungen im Text eingeschlichen, die nur durch einheitlich neu redigierte und geschriebene Meßbücher ausgemerzt werden könnten. Es ist nicht bekannt welches Echo diese Idee des Nikolaus von Kues bei den andern Konzilsteilnehmern fand, denn neben seinen anderen Forderungen - zum Beispiel nach einer Visitation der Klöster - mochte sie unbedeutend erscheinen, aber wahrscheinlich hatte sie bei einem Mann einen bleibenden Eindruck hinterlassen, denn vieles von dem, was Gutenberg später anstrebte, deutete auf dieses Ziel eines einheitlich in vielen Exemplaren hergestellten Meßbuchs hin. Und eben dies führte mich neben manch anderem zu der Vermutung, daß sich Gutenberg und Nikolaus von Kues gekannt haben könnten.
  Beide konnten sich schon 1424 in Mainz begegnet sein, wo Nikolaus als Doktor des kanonischen Rechts, nach seinem Studium an der Universität in Padua, seine juristische Arbeit aufnahm. Seine Tätigkeit als junger Rechtsgelehrter in Mainz ist zu belegen, und es ist nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß sich die etwa Gleichaltrigen in der zwar bedeutenden, aber doch kleinen Stadt von nur 5.700 Einwohnern gekannt hatten. Vielleicht waren sie sogar befreundet.
  Auch bei Gutenbergs späterem Aufenthalt in Straßburg - es muß hier etwas vorweggenommen werden - bot sich häufig Gelegenheit, eine frühere Bekanntschaft zu erneuern und Fragen zu besprechen, die das einheitliche Abschreiben von Meßbüchern in völlig identischen Exemplaren betraf. Wiederholt übernachtete der spätere Kardinal bei seinen Reisen von Rom nach Deutschland in Straßburg. Und häufiger noch fand sich danach in Mainz die Möglichkeit zu Gesprächen, nachdem Gutenberg im Jahre 1448 oder 1449 wieder in seine Geburtsstadt zurückgekehrt war. Es ist bezeichnend, daß jener Patrizier Johann Guldenschaph, bei dem Cusanus in Mainz übernachtete, später in Köln eine Druckerei einrichtete. Bei seiner Deutschiandreise, die der päpstliche Legat Cusanus zur Durchführung der Kloster- und Kirchenreform vornahm, war Mainz einer seiner wichtigen Standorte. Im Mai 1451 legten hier 70 Äbte auf dem 14. Generalkapitel der Benediktiner in seiner Gegenwart den Eid auf die Annahme der Klosterreform ab. Vom 13. Oktober bis zum 7. November desselben Jahres nahm er wiederum in Mainz am Provinzialkonzil teil. Im Zusammenhang mit der Klosterreform wird auch über die Klosterbibliotheken und deren Bücherbestand beraten worden sein, zu dem unbedingt auch eine gut redigierte Bibel zu gehören hatte. Es wird kaum auf einem Zufall beruhen, daß zu eben jener Zeit mit den Vorbereitungen zum Druck der 42zeiligen Bibel begonnen wurde und von der neuesten Forschung als Erstbesitzer mehrerer Gutenbergbibeln solche Reformklöster nachgewiesen werden. Cusanus könnte durchaus der Anreger des Bibeldrucks gewesen sein.
  Übrigens war Cusanus noch 1437 von Papst Eugen IV., während des Basler Konzils, nach Konstantinopel gesandt worden, um eine hohe Abordnung der Griechisch-Orthodoxen Kirche abzuholen, welcher der Kaiser, der Patriarch und 28 Erzbischöfe angehörten. Unter diesen befand sich auch der bekannte Humanist und Bibliophile Erzbischof Bessarion von Nicäa, dem Cusanus in Freundschaft verbunden blieb. Ich erwähne diese Reise in den Orient auch deshalb, weil ich es nicht für ausgeschlossen halte, daß Cusanus in Konstantinopel, der Nahtstelle zu den Ländern des Ostens, von der Kunst des Druckens mit metallenen Lettern in Korea gehört und dieses Wissen an Gutenberg weitervermittelt haben könnte. Technische Details und Kenntnisse der Technologie konnten dies nicht gewesen sein, aber bereits das Wissen, daß es anderswo diese Kunst gab, würden dem Erfinder Auftrieb gegeben haben. Auf den Synoden von 1453, 1455 und 1457 trug Cusanus als Bischof von Brixen erneut seine Forderungen nach einheitlichen und gut redigierten Meßbüchern vor, und dies läßt wieder vermuten, daß er vom Fortgang der Arbeiten in Mainz informiert war.
  Möglicherweise wurde Cusanus später zum Anreger weiterer Drucke Gutenbergs. Dessen Engagement bei der Propaganda eines Kampfes gegen die Türken, die im Jahre 1453 Konstantinopel erobert hatten, entspricht der Kirchenpolitik des großen Kardinals. Immerhin druckte Gutenberg den Türkenkalender und die Türkenbulle, und auch die Zyprischen Ablaßbriefe dienten demselben Zweck. Selbst der Druck des Catholicon - ein von Johannes Balbus 1286 verfaßtes großes lateinisches Wörterbuch mit lateinischer Sprachlehre - muß nach vielen Äußerungen im Sinne von Nikolaus gewesen sein. Übrigens besaß der Kardinal selbst noch ein Exemplar des Catholicon, das sich heute mit seiner gesamten Bibliothek in Kues an der Mosel befindet. Er wird das Buch direkt aus Mainz erhalten haben, denn er legte großen Wert darauf, daß die neue Kunst des Druckens auch in Italien eingeführt wurde.
  In der Hieronymus-Ausgabe von Sweynheym und Pannartz, die 1470 in Rom erschien, befindet sich eine Vorrede von Giovanni Andrea dei Bussi, die an den Papst gerichtet war und darauf verweist daß Cusanus von der Kunst des Druckens wußte und sie von Deutschland nach Italien verpflanzt hatte. Einige Sätze daraus in deutscher Übersetzung:
  »... Zu Deinen Zeiten ist jedenfalls zu den übrigen Gnadenerweisungen Gottes auch dieses Geschenk des Glücks für den christlichen Erdkreis hinzugetreten, daß selbst die Ärmsten sich für wenig Geld eine Bibliothek anschaffen können. Ist dies etwa kein geringer Ruhm für Deine Heiligkeit, daß Bände, die zu anderen Zeiten kaum für hundert Goldstücke gekauft werden konnten, heute in guter und durchaus nicht fehlerhafter Ausführung für zwanzig Goldstücke zum Lesen erworben werden können? ... Füge hinzu, daß, was es früher an Begabungen gab und wegen der unendlichen Mühen und der übermäßigen Preise der Abschreiber nahezu im Verborgenen bei Staub und Würmern blieb, unter Deiner Herrschaft aus überreicher Quelle zu sprudeln und über den gesamten Erdkreis hinaus zu strömen begonnen hat. Denn ein solches Kunstwerk ist das unserer Drucker und Letternschöpfer, daß man kaum von Erfindungen gleicher Bedeutung, weder von neuen noch von alten, unter den Menschen berichten kann. Würdig, geehrt von allen Zeitaltern gepriesen zu werden, ist wahrlich Deutschland, das höchst nützliche Dinge erfunden hat. Das ist es, was die ruhmreiche und des Himmels würdige Seele des Nicolaus von Cues, des Kardinals von St. Peter in Vinculis, immer dringender wünschte, daß diese heilige Kunst, deren Entstehen damals in Deutschland sichtbar wurde, nach Rom verpflanzt würde ...«
  Es kann demnach als gesichert gelten, daß Cusanus, dem die Entstehung der Druckkunst »damals in Deutschland sichtbar wurde«, auch den Erfinder gekannt haben mußte. Eine Vermutung wird bleiben, daß Gutenberg nicht nur aus Ehrgeiz und Gewinnstreben, sondern - im reifen Alter zunehmend - aus einer religiös-ethischen Verpflichtung den Weg zu Bildung und Wissen für viele ebnete. Die Verbreitung des Wissens lag nicht unbedingt im Interesse des Heiligen Stuhls, da die Kirche ihre Existenz mit der Mittlerfunktion zwischen Gottes Wort und den Gläubigen begründete. Nur einzelne Orden, wie die Augustiner-Eremiten und die Brüder vom gemeinsamen Leben, erkannten auch in der Verbreitung von Bildung eine religiöse Aufgabe.
  Es bleibt zwar eine Hypothese, daß Gutenberg in den Jahren von 1429 bis 1434 in Basel wirkte, eine engere Bekanntschaft mit Nikolaus von Kues halte ich jedoch für sehr wahrscheinlich. Vermutlich waren es für ihn Lehr- und Wanderjahre, die seinen Gesichtskreis weiteten und ihm neue Erfahrungen einbrachten. Es ist kaum anzunehmen, daß er nur von seinen Leibrenten lebte, die zudem in Mainz verunsichert waren. Er wird sich mit metalltechnischen Arbeiten beschäftigt und sich zu einem hervorragenden Fachmann auf diesem Gebiet gebildet haben, wie aus den Straßburger Ereignissen gefolgert werden kann. (S. 57-60)

  Im Juli 1459 hielt sich Nikolaus in Subiaco bei Rom auf. Ist es ein Zufall, daß gerade in Subiaco seit 1465 die deutschen Drucker Sweynheym und Pannartz die erste Druckerei in Italien einrichteten? (S. 234)
  Dazu merkt Kurt Flasch an:
  "Der 'Laie' (..) fordert jetzt ein Buch. Er verlangt, ohne daß der Name seines Zeitgenossen Gutenberg fällt, ein neues Medium für das neue Wissen. Wenn dasselbe Buch allen Naturforschern gleichzeitig zugänglich wäre, dann wäre das Projekt durchführbar. Und das war mit Handschriften nicht zu machen (..) Wir wissen, daß Cusanus sich in eben diesen Jahren für den entstehenden Buchdruck interessiert hat. Er hat sich in keiner deutschen Stadt länger aufgehalten als in Mainz. In Mainz, am Sitz des Primas Germaniae, hat er sich mit großer Politik befaßt. Aber er, der einen Handwerker zum Sprachrohr seiner Einsichten gemacht hat, konnte er sich nicht (..) auch mit dem Goldschmied Gutenberg unterhalten? Wir wissen es nicht. Feststeht, daß er den Buchdruck in Italien hat einführen wollen. Sein Sekretär und Vertrauter Giovanni Andrea de Bussi war der Leiter des ersten Verlages auf italienischem Boden." (Kurt Flasch, Nikolaus von Kues in seiner Zeit, Reclam Stuttgart 2004, S. 53/54)

Ob Gutenberg bereits in Straßburg gedruckt haben könnte?
  Noch bleibt die Frage offen, ob in Straßburg zu jener Zeit, von 1440 bis 1444, überhaupt gedruckt wurde. Ich bin überzeugt, daß die 'Aventur und Kunst' bereits in Straßburg Einnahmen brachte, denn immerhin hatte Gutenberg angesehene Straßburger Bürger in ihrem Vertrauen zu ihm jahrelang bestärkt. Meine Annahme gründet sich auch auf die Tatsache, daß in Straßburg bei Mentelin und Eggestein bereits 1458/59 gedruckt wurde. (S. 85)
  Wer das Fragment vom Weltgericht nicht nur typenkundlich betrachtet, sondern das politische Geschehen und die Umwelt jener Zeit einbezieht, der wird bestätigen müssen, daß dieser Druck zwischen 1440 und 1444 hergestellt wurde ... Demnach wäre in Straßburg vermutlich 1440 die Buchdruckertechnik erfunden worden. Doch von Mainz ausgehend, hat sich die Buchdruckerkunst in der Welt verbreitet. (S. 96)

Hatte der Bücherdruck in Ostasien Gutenbergs Erfindung beeinflußt?
China und Korea
China
Korea
Technologie
Fortschrittsfeindlichkeit
Mongolen
Der Weg nach Europa
Pian de Carpine
Wilhelm von Rubruk
Veränderung der Lage
Pi Sheng
Papiergeld im Iran
Die Goldene Horde
Ägyptische Blockbücher
Nikolaus von Kues

  Die Parallelen des Drucks mit metallenen Lettern in Korea und Gutenbergs Erfindung sind frappierend. Der Gedanke, daß die Kenntnis des Bücherdrucks von Ostasien nach Straßburg oder Mainz gelangt sein könnte, drängt sich auf. Doch erst in jüngerer Zeit wendet sich die Gutenbergforschung diesem Thema zu. Noch vor einigen Jahrzehnten konnte der damalige Leiter des Mainzer Gutenbergmuseums, Aloys Ruppel, in seiner Gutenberg-Monographie sagen: »Die Frage, ob die Technik dieser frühen koreanischen Typografie in Europa zur Zeit Gutenbergs bekannt war und Gutenbergs Erfindung beeinflußt hatte, muß verneint werden, da zwischen der koreanischen und der Mainzer Erfindung bisher noch keine Verbindungsbrücke festgestellt werden konnte.« Diese Feststellung bedarf einer gründlichen und umfassenden Überprüfung.
China und Korea
  Zweifellos ist Europa dem alten Kulturstaat China in mehrfacher Hinsicht verpflichtet. Seide, Magnetnadel, Schießpulver, Papier und Porzellan sind nur einige der wichtigen Erfindungen, die von China ausgehend, erst später in Europa bekannt wurden. Der Weg des Wissens von der Papierherstellung über Samarkand und die islamischen Staaten konnte inzwischen über die Jahrhunderte ziemlich genau verfolgt und nachgewiesen werden. Auch der Holzschnitt und der Druck von Blockbüchern waren in Ostasien schon etwa 600 Jahre früher als in Europa eingeführt. Immerhin entstanden bereits im Jahre 770 im Auftrag der japanischen Kaiserin Shotoku im Holztafeldruck eine Million der kleinen buddhistischen Dharani-Zettel, von denen sich einer im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei in Leipzig befindet. Bisher hatte als das älteste bekannte Blockbuch der Welt die 868 gedruckte Diamant-Sutra gegolten, die im Britischen Museum in London aufbewahrt wird. Inzwischen wurden in China und Korea noch ältere Drucke entdeckt. Luther Carrington Goodwich stellte fest, daß in Korea seit 751 (?), in China seit 757 und in Japan seit der Zeitspanne von 764 bis 770 gedruckt worden war. Alle Forschungen bestätigen jedenfalls die alte Tradition des Druckens von in Holz geschnittenen Texten in Ostasien.
China
  Die chinesische Schrift spielte bei der Ausbreitung der Lehren von Konfuzius und Buddha eine ähnlich bedeutende Rolle wie die lateinische Sprache und Schrift bei der Verbreitung des römisch-katholischen Christentums. Parallel dazu verbreitete sich der Druck von Blockbüchern in jenen Ländern, die Buddhas Lehren angenommen hauen, vor allem in Korea und in Japan. Im 10. und 11. Jahrhundert erlebten China und Korea eine Blüte der im Holzplattendruck hergestellten buddhistischen Literatur. Zwischen 971 und 983 wurde ein 130.000 Seiten umfassender Blockdruck des Tripitakas durchgeführt, der von Kaiserin T'ai-tsu aus der Sung-Dynastie unterstützt worden war. Mit Holzschnitten bedruckte Geldscheine, Papiergeld also, waren in China seit dem 11. Jahrhundert allgemein im Umlauf.
  Der chinesische Staatsmann Shen Kuo (1030-1093) berichtete von einem chinesischen Schmied Pi Sheng in der Zeit zwischen 1041 und 1049, der Einzelbuchstaben in Ton geformt, diese dann gebrannt, zusammengesetzt und gedruckt habe. Shen Kuo beschrieb das Verfahren etwas unklar: »Er nahm durchgekneteten Ton und schnitt in ihn Schriftzeichen so flach wie bei einer Münze. Für jedes Schriftzeichen formte er eine Einzeltype. Dann brannte er seine Typen, um sie zu härten. Darauf präparierte er eine Eisenplatte, die bedeckt war mit einer Mixtur aus Kiefernharz, Wachs und Papierasche. Wenn er drucken wollte, legte er einen eisernen Rahmen auf die Eisenplatte. In diese setzte er die Typen eng aneinander. Wenn der Rahmen voll war, bildete er einen festen Block mit Typen. Er setzte ihn dann in die Nähe eines Feuers, um die Mixtur zu erwärmen und die Typen anzukleben. Wenn die Paste erweicht war, drückte er die Typen mit einem glatten Brettchen plan, daß der Satzblock eben wurde wie ein geschliffener Stein.«
  Shen Kuo preist dann die Wirtschaftlichkeit der Erfindung und betont, daß man mit denselben Typen wiederholt drucken konnte. Leider ist seine Beschreibung unbefriedigend. Zum ersten erscheint es mir unwahrscheinlich, daß ausgerechnet ein Schmied mit Ton arbeitete. Zum andern ist es schwer vorstellbar, daß man chinesische Schriftzeichen, deren Umrißformen durch den Pinsel entstanden waren, direkt und zudem spiegelverkehrt in Ton schneiden kann. Und zum dritten wäre es kaum wirtschaftlich, wenn jedes Schriftzeichen einzeln in Ton geschnitten werden müßte. Es scheint mir notwendig und es gibt begründeten Anlaß, später noch einmal auf die Technologie des Schmiedes Pi Sheng einzugehen.
  Wegen der Unschärfe der Buchstabenränder beim Drucken und wahrscheinlich auch wegen der Unwirtschaftlichkeit der Buchstabenherstellung ging man einige Zeit später von den keramischen Lettern zu hölzernen über. Thomas Francis Carter schildert die älteste Technik der Herstellung hölzerner Lettern und des Drucks mit ihnen so: »Ein Kalligraf schrieb die benötigten Zeichen auf ein Stück Papier, das (seitenverkehrt) auf einen Holzblock geklebt wurde. Dann arbeitete der Xylograf die Zeichen heraus, ebenso, wie es beim Holzblock geschah, aber danach wurde der Block mit einer feinen Säge in einzelne Zeichenwürfel zerschnitten. Die Seitenwände dieser Holzklötzchen wurden vollkommen geglättet, und nun konnten sie an beliebiger Stelle verwendet werden, ohne daß eine Fuge zum benachbarten Zeichen erkennbar war. Für einen Druck wurden etwa 30.000 Zeichenwürfel, d. h. Lettern, hergestellt und zwar von den häufiger vorkommenden Zeichen mehr, von den seltenen weniger. Schließlich wurden alle Zeichen nach dem offiziellen 'Buch der Reime' in Fächern geordnet.«
Korea
  Das erste mit metallenen Lettern gedruckte Buch stellt das in Korea 1234 erschienene 50bändige Werk »Sangdchòn jemun« (Richtschnur der Moral) dar, in dessen Vorwort die Technik der Herstellung erwähnt wird. Ri Kju-bo (1186-1241) schreibt im Nachwort zum Gesetzbuch des Staates Korjô: »Zum Glück ist das Gesetzbuch nicht verlorengegangen. Es wurden davon mit metallenen Lettern (!) 28 Exemplare gedruckt und an die Ämter zur Aufbewahrung geschickt.« Am Schluß des Buches »Lied des Mönches Ch'üan aus Südming über die Richtigkeit der Glaubenslehre« heißt es: »Gedruckt für ewige Zeiten mit neu angefertigten Lettern nach der mit geprägten Lettern gefertigten Ausgabe, im Jahre Rihä (1239), erste Dekade des September. Kapitel der inneren Sammlung des Tschinjang-hu Tsch'o Yi.« Es kann also angenommen werden, daß das Drucken mit beweglichen metallenen Lettern durch den Einfall der Mongolen im Jahre 1231 nicht eingestellt worden war, auch wenn wir nicht wissen, welche Technologie damals angewendet wurde. Jedenfalls ist die Technik der Typenherstellung wiederholt verbessert worden. Als bestes Buch über die Geschichte des frühen koreanischen Drucks kann das Werk von Pow-key Sohn »Early Korean Typography« genannt werden, das mit vielen Abbildungen im Jahre 1971 in Seoul erschien. 1403 errichtete König Tädschong eine Buchwerkstatt, in der 14 Holzschneider, acht Schriftgießer, 40 Setzer und 20 Drucker arbeiteten. In wenigen Monaten wurden Hunderttausende Kupfertypen hergestellt. Von Kalligrafen entworfene Schriftzeichen wurden in Holz geschnitten und die Matrizen in Ton eingedrückt, der dann trocknete. Danach goß man flüssiges Kupfer in die Tonmatrizen, die dann nach dem Guß verloren waren. Weitere Verbesserungen wurden von dem koreanischen Erfinder Ri Tsch'on vorgenommen. Sicher sind dabei die Erfahrungen der in Korea hochentwickelten Münztechnik eingeflossen. Pow-key Sohn berichtet von der Herstellung neuer großer Lettern in diesem Verfahren.
  In dem Buch von Sông Hjôn (1439-1504) »Jongdschä tsch'onghoa« (Über das Gießen und Setzen der Schriftzeichen) wird folgendes berichtet: »Erst werden mit hölzernen Stempeln in besonderen Holzformen Matrizen aus Ton gepreßt. Zwei zusammengelegte Matrizen füllt man durch besondere Öffnungen mit geschmolzenem Metall. Darauf nimmt man die Formteile auseinander und holt die fertigen Lettern heraus.« Die Lettern setzt man dann zwischen hölzerne Leisten (Regletten) und Papierstreifen (Durchschuß).
Technologie
  Ich nehme an, daß der Sinn dieses technischen Vorgangs durch eine mangelhafte Übersetzung unklar wurde. Vermutlich war es so, daß ein hölzerner Stempel in ein rechteckiges Tonstück eingedrückt, dieses getrocknet und dann als Matrize zwischen zwei auseinandernehmbare Winkelbacken eingespannt wurde. Durch eine besondere Öffnung (ähnlich wie bei Gutenbergs Gießinstrument) gelangte dann flüssiges Metall in den Hohlraum über der Matrize durch Gießen, und die Letter konnte nach dem Erkalten und Auseinandernehmen der Winkelbacken herausgenommen werden. Das anschließende Justieren mit der Feile war bei den einheitlichen quadratischen und gleich breiten chinesischen oder koreanischen Lettern einfacher als bei den unterschiedlich breiten lateinischen Buchstaben. Ein Nachteil der koreanischen Technik bestand darin, daß die Tonmatrizen beim Brennen ihr Volumen verringerten und vor dem Guß wieder auf gleiche Höhe und Dicke gebracht werden mußten.
  In den Beschreibungen der Koreaner wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß Lettern aus Messing, Kupfer, Zinn, Eisen, Blei und einer bronzeähnlichen Legierung im Gebrauch waren. Die unterschiedlichen Schmelzgrade der Metalle, die Möglichkeit, Stempel aus Stahl anzufertigen, in das weichere Kupfer einzuschlagen und aus diesen kupfernen Matrizen Bleilettern zu gießen, sollte bei dem hohen Stand der Metalltechnik in Korea ebenfalls bekannt gewesen sein.
  Der wichtigste technologische Nachteil des ostasiatischen Verfahrens lag allerdings beim Drucken. Man verfügte über keine Presse. Der Satz wurde nach dem Einfärben und Darüberlegen des dünnen Papiers mit einem hölzernen Reiber abgerieben. Dieser Vorgang dauerte wesentlich länger, das Reiben erfolgte streifen- oder partienweise, das Papier konnte immer wieder von einer Seite angehoben werden, um den Druck zu prüfen und, wo nötig, nachzureiben. Doch damit sollen die technologischen Betrachtungen vorläufig abgeschlossen sein.
Fortschrittsfeindlichkeit
  Wie eingangs bemerkt, nahm Aloys Ruppel an, daß die Koreaner, weil ihre Schrift über 40.000 Zeichen besitze, weniger Anlaß zum Satz mit beweglichen Lettern gehabt hätten als wir Europäer mit unseren 25 Zeichen. Für die Chinesen trifft diese Feststellung zu, aber man muß zwischen deren komplizierter Schrift und den vereinfachten Schriftformen der Koreaner unterscheiden. In Korea wurde schon im Jahre 690 eine vereinfachte »(n)ido« genannte Silbenschrift verwendet, die zwar der chinesischen ähnlich sieht aber über wesentlich weniger Zeichen verfügt. Während der Yi-Dynastie ordnete König Sejong (1419-1450) mehrere Maßnahmen zur Förderung der Lehre des Konfuzius an, zu deren wichtigster die Einführung der phonetischen »Unmun«-Schrift gehörte, die aus elf Vokalen und 14 Konsonanten bestand. Leider wurde mit dieser Schrift nie gedruckt. Zudem erfuhren das Drucken und die Papierherstellung direkte Förderung, ein Minister gab die Anweisung, von allen Büchern 10.000 Exemplare zu drucken. Aber alle diese Förderungsmaßnahmen betrafen nur die Texte des Konfuzius und des Staates. Die Kommerzialisierung des Bücherdrucks und der freie Verkauf von Büchern waren untersagt. In diesen politisch und religiös motivierten Dekreten ist nicht nur der Abwehrkampf gegen den Buddhismus, sondern auch die konservative Rolle des Konfuzianismus zu erkennen. Im Kapitel VII, 1 seiner »Gespräche« sagte Konfuzius: »Ich übermittle, aber ich schaffe nichts Neues. Ich glaube an das Alte und liebe es.« In dieser fortschritt-feindlichen Grundhaltung liegt meines Erachtens eine bisher nicht beachtete Ursache, weswegen sich die neue Technik des Druckens mit beweglichen Lettern in Ostasien nicht in dem Maße durchsetzen konnte wie in Europa.
Mongolen
  Spätestens wenige Jahre nach der Besetzung Koreas durch die Mongolen im Jahre 1231 muß das Drucken mit beweglichen Lettern auch in Karakorum, der Hauptstadt der Mongolen, bekannt geworden sein. Die wegen ihrer grausamen Kriegführung berüchtigten Mongolen verhielten sich gegenüber den Religionen der beherrschten Völker überraschend tolerant. Der barbarische Staat der nomadisierenden und zum Schamanentum neigenden mongolischen Stämme benötigte für seinen staatlichen Überbau die Unterstützung schriftkundiger unterdrückter Völker wie der Uiguren. Die Lehren von Konfuzius und Buddha konnten weiter verbreitet und entsprechende religiöse Bücher weiter gedruckt werden. Von den Mongolen selbst sind allerdings keine mit beweglichen Lettern gedruckten Bücher bekannt. Dafür benutzten die neuen Herrscher Papiergeld, das auch als Sold für die mongolischen Reiterarmeen ausgegeben wurde. Bedruckte Geldscheine befanden sich in vielen Millionen Stück im Umlauf. Marco Polo und andere europäische Reisende haben sie ausführlich beschrieben. Die gedruckten Bücher der Koreaner werden nicht nur nach China und Japan, sondern auch nach den Herrschaftsgebieten der mongolischen Besatzungsmacht und nach deren Hauptstadt exportiert und den dort tätigen Kaufleuten und Handwerkern bekannt geworden sein.
Der Weg nach Europa
  Wie konnte nun die Kenntnis vom Druck mit beweglichen Lettern von Karakorum nach Europa, nach Straßburg oder Mainz, gelangt sein? Man denkt in diesem Zusammenhang an die damals viel benutzte Seidenstraße, die von der Hauptstadt der Mongolen über Turfan, die Dsungurische Pforte, Taschkent, Samarkand, Buchara, Chiwa zur Hauptstadt der Goldenen Horde, nach Sarai an der unteren Wolga, und von dort weiter nach der Krim führte. Anrainer an die Seidenstraße in Mittelasien waren die christlichen (nestorianischen) und buddhistischen Uiguren, die im 13. und 14. Jahrhundert als Schreiber und Ratgeber der Mongolen Schlüsselstellungen innehatten. Das uigurische Alphabet das übrigens aus dem alten aramäischen Alphabet entwickelt worden war, wurde nun in abgewandelter Form von den Mongolen übernommen. Den Uiguren könnte jedenfalls eine Mittlerrolle zwischen der ostasiatischen und der europäischen Kultur zugemutet werden.
  Nach den mongolischen Eroberungszügen, die bis zur adriatischen Küste und nach Böhmen führten, konsolidierte sich das Großreich der Mongolen. Die neuen Herrscher holten sich Wissenschaftler, Kaufleute, Handwerker und Künstler an ihren Hof und förderten den Handel auch mit fernen Ländern. Im 13. und 14. Jahrhundert bestanden wiederholt Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Großkhan in Mittelasien. Der Papst hoffte sogar, die Mongolen als Verbündete gegen die Araber zu gewinnen, die immer noch die heiligen Stätten in Palästina besetzt hielten.
Pian de Carpine
  Als am 24. August 1246 im Auftrag des Papstes die beiden Franziskaner Pian de Carpine und Bruder Benedikt nach einer langen und beschwerlichen Reise in Karakorum eintrafen, fanden sie dort zu ihrer Überraschung nestorianische Christen, griechische Alanen, Thomaschristen, Manichäer neben Buddhisten, Taoisten, Konfuzianer und mongolischen Schamanen. Da eben die Wahl des neuen Großkhans Güjüg bevorstand, trafen sie auf Gesandte aus Rußland, Armenien, Georgien, auf Sultane und Emire aus Syrien, Irak und Turkestan, den Kalifen von Bagdad und Vertreter aus China und Korea. Unter den mitgebrachten Gastgeschenken mochten auch Bücher aus Korea gewesen sein, und es ist nicht auszuschließen, daß die Franziskanermönche schon damals die Kunde vom Drucken mit beweglichen Lettern nach Europa brachten. Am 3. Oktober 1247 weilten die Brüder auf ihrer Rückreise in Köln, wo Benedikt seinen Reisebericht verfaßte. Wie man sieht, gab es also Verbindungsbrücken zwischen Korea und Europa, wenn man annimmt, daß ein wichtiger Pfeiler in Karakorum gestanden hatte. Andererseits ist kaum wahrscheinlich, daß konkrete Kenntnisse vom Drucken mit beweglichen Lettern über zwei Jahrhunderte hinweg bewahrt worden sind.
Wilhelm von Rubruk
  Nach verschiedenen anderen Delegationen traf der flämische Franziskaner Wilhelm von Rubruk am 27. Dezember 1253 in Karakorum ein und blieb mehrere Monate dort. Er berichtete von einer europäischen Handwerker- und Künstlerkolonie in der mongolischen Hauptstadt, in der Deutsche, Russen, Franzosen, Ungarn und ein Engländer lebten. Daneben wohnten chinesische, persische, türkische und koreanische Handwerker. Hier befand sich demnach ein Kommunikationszentrum für handwerklich-technische Innovationen. Wilhelm äußerte sich beeindruckt vom Schriftensystem der Chinesen. (Ob es sich dabei auch um gedruckte Schriften handelte?) Er berichtete ebenfalls vom Papiergeld, das in Europa immer noch unbekannt war. Sein Reisebericht wurde später in der Enzyklopädie des Roger Bacon ausgewertet. Ob durch Wilhelm von Rubruk das Wissen vom Druck der Blockbücher in seine flämische Heimat gelangte, kann nur als Möglichkeit erwähnt werden.
  Im Jahre 1294 wurde Johann von Montecarvino zum Erzbischof von Peking, der Hauptstadt des Kublai Khan, ernannt. Bis zu seinem Tode im Jahre 1328 konnte er den Einfluß der römisch-katholischen Kirche beim Khan sowie die Missionstätigkeit verstärken. Der Handel italienischer Kaufleute auf dem Seeweg wurde umfangreicher und brachte beträchtliche Gewinne. Als Johann von Magnoffi 1346 Zaiton (Chunchow) besuchte, fand er dort sogar ein Kaufhaus für Europäer, vor allem Italiener. In diesem Sinne beschreibt auch Marco Polo die europäerfreundliche Situation in den chinesischen Städten.
Veränderung der Lage
  Nach dem Ende der Mongolenherrschaft in China im Jahre 1368 veränderte sich die Lage grundlegend. Von den Kaisern der Ming-Dynastie wurden nicht nur die römisch-katholischen, sondern ebenso die orthodoxen und die nestorianischen Christen des Landes verwiesen und verfolgt. Die Beziehungen zum Heiligen Stuhl brachen ab, der Handel mit Europa ging zu Ende. Die während der Mongolenherrschaft funktionierenden Kommunikationskanäle schlossen sich damit. Doch könnte in der Zwischenzeit das Wissen um die Technik des Druckens weiter nach Westen und in die Nachfolgestaaten des Mongolenreiches vorgedrungen sein.
  Bei Ausgrabungen kurz nach der Jahrhundertwende fand P. Pelliot in Dun-buang, an jener Stelle, wo sich die Seidenstraße in eine nördliche und eine südliche Route teilt, auf dem Boden einer Tempelhöhle Hunderte Klötzchen, die er etwa auf das Jahr 1300 datierte. Es handelte sich um jene von Carter beschriebenen Holzlettern, aber sie zeigen auf zwei entgegengesetzten Seiten uigurische Zeichen. Die Funde beweisen, daß auch bei den Uiguren mit beweglichen Lettern gedruckt wurde. Bemerkenswert ist wohl, daß es bei den uigurischen Lettern bereits Logotypen, Ligaturen und Anschlußzeichen gab. Die Buchstaben sind nicht wie die chinesischen und koreanischen von quadratischer Form, sondern rechteckige Holzklötzchen von unterschiedlicher Länge.
  Für unser Anliegen vielleicht noch interessanter dürften die Funde von Turfan an der nördlichen Route der Seidenstraße in der Senke von Luktschan sein, das bereits westlich des 90. Längengrades liegt. Die von dem deutschen Forscher Grünewald entdeckten und nach Berlin überführten Handschriften und Drucke wurden von Annemarie von Gabain, teilweise erst in jüngerer Zeit untersucht. Die meisten Blockdrucke waren buddhistische Texte in folgenden Sprachen: Chinesisch, Uigurisch, Mongolisch, Sanskrit, Tibetisch und Si-Hia.« Im Sinne ihrer Religionspropaganda galt bei den Buddhisten das Abschreiben, Drucken und Verbreiten sakraler Texte als religiöses Verdienst. Carter deutete diese Entwicklung sogar folgendermaßen: »Es kann mit einiger Wahrscheinlichkeit gesagt werden, daß jeder Fortschritt auf einem neuen Gebiet des Druckens von einer expandierenden Religion motiviert wurde.« (Es entsteht die Frage, ob wir diese verallgemeinernde Feststellung auch auf Gutenbergs Erfindung und damalige kirchliche Reformbestrebungen beziehen dürfen?)
Pi Sheng
  Beim weiteren Studium könnten unter den Drucken von Turfan auch noch solche erkannt werden, die mit beweglichen Lettern hergestellt wurden. Doch die interessanteste Entdeckung machte Annemarie von Gabain wahrscheinlich mit der Interpretation eines in Turfan gefundenen Wandbildes, von dem sie annimmt daß auf ihm der Schmied Pi Sheng dargestellt sei. Das Bild trägt in uigurischer Sprache die Unterschrift »bo tämürd« (Der Schmied). Der Rest ist verloren. Frau Gabain beschreibt das Bild: »Ein Herr in langem Gewand und mit Beamten oder Gelehrtenkappe in Arbeitshaltung, nämlich auf einem Bein kniend, den andern Fuß aufgestellt scheint der vor ihm befindlichen Person Anweisung zu geben, indem er ihr ein dünnes Stäbchen hinreicht. Dieses Stäbchen ist offenbar nichts Einmaliges, denn auf dem Boden liegt ein ähnlicher Gegenstand, und die vordere Person bearbeitet gerade ein drittes ähnliches Stück mit dem Hammer auf dem Amboß. Diese vordere Person hat die gleiche und für ihre Beschäftigung angemessene Haltung wie der Herr hinter ihr. Ihr Haar ist nach der Art des Volkes hochgebunden. Es fällt auf, daß auch sie, trotz der Schwerarbeit, nicht mit kurzer Jacke und Hose bekleidet ist sondern mit dem langen Gewand der Muße und der Vornehmheit. Dieses unpassende Gewand und die Kappe des Herrn scheinen anzudeuten, daß der Zeichner keine gewöhnliche Schwerarbeit darstellen wollte, sondern ein Werk von kulturellem Wert. Vielleicht wollte der Zeichner von Kao-ch'ang einen bedeutenden Schmiedemeister beim Bearbeiten der hier aus Gründen der Anschaulichkeit vergrößert dargestellten Zinnlettern abbilden. Dann wäre Pi Sheng doch ein Schmied gewesen?«
  Ich vermute, daß hier ein Münz- oder Medaillenmacher beim Schlagen auf eine Reglette aus relativ weichem Material dargestellt ist unter der sich ein flacher Stahlstempel befindet. Durch das Einschlagen entsteht in dem weicheren Metall eine Matrize, die nach dem Zurichten in feuchten Ton eingedrückt werden konnte, der dann gebrannt wurde. Nach diesem Prinzip, das von der Münzherstellung oder der Medaillentechnik bekannt ist könnten jene Keramik-Lettern entstanden sein, von denen Shen Kuo berichtet. Dann wäre der paradoxe Widerspruch geklärt, warum ein Schmied keramische Lettern geformt haben sollte. Dann wäre der Schmied ein Goldschmied oder ein Münzmacher gewesen, und damit rückt Pi Sheng in die Nähe von Johannes Gutenberg. Dann wäre jenes entscheidende Zusammenspiel von Stempeln, Matrizen und Lettern, auf dem Gutenbergs Erfindung beruhte und das im Schlußwort des Catholicon poesievoll als »Übereinstimmung von Proportion und Gesetzmäßigkeit« erläutert wird, bereits im 11. Jahrhundert entdeckt worden.
Papiergeld im Iran
  Folgen wir nun weiter den Spuren der Seidenstraße nach Westen. Ich vermute, daß auch in der Hauptstadt Timurs (1333-1405) gedruckt wurde. Meine eigenen Nachforschungen in Samarkand, Taschkent und Alma Ata blieben jedoch ohne Erfolg. Aber die bewundernswerte Förderung der Wissenschaften durch Timur läßt den Schluß zu, daß er auch die Bedeutung der Drucktechnik erkannte. Vielleicht werden entsprechende Spuren später noch gefunden.
  Weiter nach Westen vorrückend, kommen wir in das Reich der iranischen Ilchane. Hier wäre lediglich festzuhalten, daß während einer sehr kurzen Zeitspanne Geldscheine gedruckt worden waren. Wegen der schlechten Finanzverhältnisse des Staates sollten die Goldbestände der Kaufleute gegen Papiergeld eingetauscht werden. Es waren längliche Geldscheine mit chinesischem Aufdruck und dem mohammedanischen Glaubensbekenntnis in arabischer Schrift. In Täbris und den Provinzhauptstädten sollten neun Druckereien eingerichtet werden; doch weil die Bevölkerung kein Vertrauen in die bedruckten Scheine hatte, führte die Geldreform zum wirtschaftlichen Zusammenbruch. Das Papiergeld war nur von Oktober bis November 1294 in Umlauf. Immerhin war die Kenntnis des Druckens bis hierher vorgedrungen.
Die Goldene Horde
  Den am weitesten nach Westen vorgeschobenen Nachfolgestaat der Mongolen bildete das Reich der Goldenen Horde oder der Tataren mit seiner Hauptstadt Sarai an der unteren Wolga und später Neu-Sarai in der Nähe des heutigen Wolgograd. Viele kriegerische Auseinandersetzungen haben auch hier die Spuren verwischt. Doch pflegte die Goldene Horde auch nach dem Abbruch der Beziehungen Chinas zu Europa noch gute Kontakte zu Italien. Bereits 1303 war der Dominikaner Thaddäus zum römisch-katholischen Bischof bei der Horde ernannt worden. Und noch 1370 wurde Bischof Kosmas von Trapezunt auf den Bischofssitz von Neu-Sarai berufen.« 1333 war auch in Cherson ein Bistum gegründet worden. Hier und in anderen Städten der Krim hatten italienische, besonders genuesische Kaufleute unter tatarischer Oberherrschaft ständige Handelsniederlassungen, und der Handel mit der Goldenen Horde und über die Seidenstraße nach dem Fernen Osten blieb weiter ein gutes Geschäft. Damit waren immerhin gewisse Nachrichtenverbindungen zu den Ländern des Ostens erhalten geblieben.
Ägyptische Blockbücher
  Auch in Ägypten fand man Blockbuchfragmente, die auf die Zeitspanne zwischen 900 und 1300 datiert wurden, wobei ich den älteren Drucktermin für unwahrscheinlich halte. Die Kenntnis des Blockdrucks könnte von Täbris oder Bagdad zu dem Land am Nil gekommen sein. Auch ist nicht auszuschließen, daß der in Ägypten von alters her bekannte Stoffdruck mit Holzmodeln als Vorfahr des Blockdrucks gelten könnte. Die Kenntnis der Spielkartenherstellung soll jedenfalls von den Kreuzfahrern nach Europa gebracht worden sein, wo zu Anfang des 15. Jahrhunderts, besonders in Ulm, Augsburg und Nürnberg, Spielkarten und parallel dazu Heiligenbilder von Holzstöcken gedruckt wurden.
Nikolaus von Kues
  Zum Schluß soll noch eine vielleicht ausgefallene These erörtert werden, wie Gutenberg vom Bücherdruck in Ostasien erfahren haben könnte. War vielleicht Nikolaus von Kues der Vermittler, der 1437 im Auftrag des Papstes in Konstantinopel war, um den griechischen Kaiser, den Patriarchen und 28 Erzbischöfe zum Konzil nach Ferrara abzuholen? Unter den Gästen des Papstes befand sich auch der bedeutende griechische Gelehrte Basilius Bessarion, der größte Bücherkenner und Bibliophile seiner Zeit. Könnte es sein, daß er oder ein anderer der heiligen Väter von der koreanischen Buchdruckertechnik erfahren hatte oder sogar einen mit beweglichen Lettern hergestellten Druck mit sich führte? Wir wissen, daß Bessarion damals die reichste Bibliothek des Abendlandes besaß, die später den Kern der Marciana in Venedig bildete. Über die Durchlässigkeit der scheinbaren Mauer zwischen Osten und Westen wurde eben im Zusammenhang mit der Goldenen Horde berichtet.
  Vermutlich war man in Konstantinopel besser als in Rom über die Kultur und die technische Entwicklung in Ostasien unterrichtet. Die These von Nikolaus von Kues als dem Vermittler könnte auch durch die zeitliche Abfolge der Ereignisse gestützt werden. Das Konzil von Ferrara, zu dem Nikolaus von Kues seine griechischen Gäste begleitet hatte, war von Papst Eugen IV. am 5. April 1438 eröffnet worden. Noch während das Konzil tagte, wurde Nikolaus vom Papst mit einem Schreiben an den Schwäbischen Städtebund nach Deutschland geschickt, um das neu drohende Schisma zu verhindern. Er begab sich zuerst nach Koblenz, und dabei wird ihn sein Weg über Straßburg und Mainz geführt haben. Jedenfalls hat sich Gutenberg seit etwa Mitte 1438 konzentriert mit der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern beschäftigt und dabei vieles praktisch durchgeführt, was Nikolaus gedacht und empfohlen hatte.
  Ich habe die Frage, ob Gutenberg vom Drucken in Ostasien beeinflußt gewesen sein könnte, nicht gestellt um den Ruhm des Meisters zu schmälern. Denn selbst, wenn eine allgemeine Kenntnis vom Drucken mit beweglichen Lettern zu ihm gelangt wäre und sogar, wenn er ein gedrucktes Blatt oder Buch dieser Art gesehen hätte, wäre ihm die Arbeit des Suchens und Erfindens nicht erspart geblieben. (S. 107-120)

Weitergehende, aber zerschlagene Pläne
  Im Zusammenhang mit der geplanten großen Reform der Kirche, die Nikolaus von Kues auf dem Basler Konzil vertrat und über die er in seinem Werk »De concordantia catholica« 1432 während seines Aufenthaltes in Basel geschrieben hatte, forderte er eine einheitliche Durchführung des Gottesdienstes und als Fortsetzung einheitlich geschriebene Meßbücher für das gesamte Gebiet der katholischen Kirche. Als Bischof von Brixen trug er dieses Anliegen wiederholt vor. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, daß Gutenberg in diesem Sinne mit einer neuen Technik die Voraussetzungen für das einheitliche »Abschreiben« einer so großen Zahl von Meßbüchern schuf. Die vier Texturtypen, die bis 1457 entstanden, und die alle zumindest noch von Gutenberg begonnen worden waren, ergeben in ihrer Größenabstufung genau den Typenapparat, der für ein Missale notwendig war. Man kann deshalb mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß das Fernziel Gutenbergs der Druck von Meßbüchern war. Nikolaus von Kues, der deutsche Kardinal, hatte ihn wahrscheinlich angeregt und unterstützt. (...)
  Nur wer die Probleme lediglich aus heutiger Sicht betrachtet, dem erscheint die Wahl der Bibel, der Vulgata in der Übersetzung des heiligen Hieronymus, für den Druck von vornherein selbstverständlich. In der Mitte des 15. Jahrhunderts stand die Heilige Schrift durchaus noch nicht so sehr im Mittelpunkt des religiösen Lebens. Die katholische Priesterreligion vertrat den Standpunkt daß die Bibel dem Volk von den Kirchenvätern und den Priestern erklärt werden müsse. Es lag im Interesse der römisch-katholischen Hierarchie, die Verbreitung der Bibel einzuschränken; auf verschiedenen Konzilien war die Übersetzung der Bibel in die Landessprachen verboten worden. Eine allgemeine kirchliche Förderung des Drucks der Bibel ließ sich kaum erwarten, doch gab es innerhalb der katholischen Kirche auch vorreformatorische Bestrebungen und namhafte Persönlichkeiten wie Nikolaus von Kues, die eine größere Verbreitung der Bibel förderten. Der Absatz der Bibel galt anfangs nicht als gesichert. Studenten und Priester konnten sich selbst eine gedruckte Bibel nicht leisten. Als potentielle Käufer kamen Klöster, Hochschullehrer, der reiche Klerus, weltliche Feudale und Kirchenfürsten in Frage.
  Gutenberg und seine Mitarbeiter werden ausführlich über die Wahl des zu druckenden Buches diskutiert haben. Die Entscheidung für den Bibeldruck war vermutlich von Nikolaus von Kues und seinen Bemühungen um eine Klosterreform beeinflußt worden. Im Mai 1431 hatte er als Legat des Papstes in Mainz den Eid von 70 Äbten der Benediktinerklöster abgenommen, und dabei wird er auf die Bedeutung einer gut übersetzten und redigierten Bibel für die Klosterbibliotheken hingewiesen haben. Und der Meister erkannte die Gelegenheit, mit seiner neuen Technik dem Bedarf der Reformklöster zu entsprechen. (S. 152-154)
  Von den etwa zehn noch im Originaleinband vorhandenen Gutenbergbibeln in der Welt sind fünf von Foghel, drei oder vier in Mainz, eine in Lübeck und die sogenannte Huntingtonbibel von dem Leipziger Buchbinder Johannes Wetherhan, der seit 1446 an der Leipziger Universität tätig war, gebunden worden.
  Alle bekannten Originaleinbände besitzen lederbezogene Holzdecken mit Blindprägung. In der Mitte des 15. Jahrhunderts war es üblich, die Bücher mit Rinds-, Kalbs- oder Schweinsleder zu beziehen und Vorder- und Rückendecke mit Streicheisen, Rollen und Einzelstempeln aus Messing prägend zu schmücken. Der Buchrücken wurde plastisch durch die Querwülste markiert, welche die Bünde verdeckten, auf denen die Bogen geheftet waren. Messingbeschläge schützten die Ecken, und vorn schützten Schließen vor eindringendem Staub.
  Gutenberg hatte jedenfalls weiterreichende Pläne. Vielleicht führte die Absicht, die gedruckten Lagen manufakturmäßig illuminieren und binden zu lassen, zu einer abwartenden Haltung beim Verkauf und damit zu dem Kapitalmangel im Jahre 1455. Sein wichtigstes Anliegen bestand wohl immer noch - bis zu diesem Zeitpunkt - in der Herstellung des für die Kirchenreform notwendigen und von Nikolaus Kues angeregten einheitlichen Meßbuches. Der hierfür notwendige Typenapparat war jetzt endlich fertig, die Technologie ausgearbeitet, die Mitarbeiter hatten sich aufeinander eingespielt. Die großen Typen sollten erst noch an einem Psalter erprobt werden. Aber durch den Prozeß wurde alles zerschlagen. (S. 185)

  Bis zum Jahre 1500 waren in 255 Druckorten mindestens dreißigtausend Druckeinheiten in der Auflage von zwanzig Millionen Exemplaren gedruckt worden. Gutenbergs Arbeit war nicht umsonst gewesen. (S. 283)
  Diese Ausbreitungsgeschwindigkeit einer neuen Erfindung wird erst im 20. Jahrhundert mit dem Internet übertroffen werden. [14.5.06]

Albert Kapr
  * Stuttgart 20.7.1918, † Leipzig 31.5.1995
Kalligraf, Typograf. - Begann 1933 eine Schriftsetzerlehre. Studium an der Akademie der bildenden Künste Stuttgart bei F. H. Ernst Schneidler von 1938 bis 1940 und von 1945 bis 1948. Assistenz an der TH Stuttgart. 1948 Dozent für Gebrauchsgraphik an der Hochschule für Architektur und bildende Künste Weimar. 1951 Professor für Schrift- und Buchgestaltung an der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig. Leiter des Instituts für Buchgestaltung; acht Jahre Rektor der Hochschule. 1964 künstlerischer Berater der Schriftgießerei Typoart Dresden. Bedeutende Publikationen zur Schriftgeschichte, zur Ästehtik der Schrift, zur Funktion der Typographie und zur Druckgeschichte. [Hans Reichardt , Klingsor-Museum Offenbach]

  1 Die Textpassagen sind entnommen: Albert Kapr, Johannes Gutenberg - Persönlichkeit und Leistung, Urania Leipzig u.a. 1.1986, Ss. 11-16, 57-60, 85, 96, 107-120, 152-154, 185, 234 und 283. Die Anmerkungen habe ich weggelassen, da es sich fast ausschließlich nur um Quellenangaben handelt. Die beiden Zeichnungen im Text entstammen dem Buch. Das Foto von Albert Kapr ist der PDF-Datei zum Autor vom Klingsor-Museum entnommen.
  Zur Frage, warum hier Texte zu einer Person außerhalb des gewählten Rahmens erscheinen, siehe unter 2006.